Kapitel 40 Tee
Elin blieb noch eine Weile stehen wo sie war, die Pistole in der Hand, bevor sie die Waffe schließlich in ihren Gürtel klemmte. Sie würde Hedan später fragen ob sie einen Holster dafür aus der Waffenkammer nehmen durfte. Das Gespräch mit dem Mann war… überraschend glimpflich verlaufen, dachte sie. Er machte sich genauso viele Sorgen wie alle an Bord, seit die Parlor begegnet waren. SO gesehen machten die Worte des Alten ja nicht einmal Sinn… vielleicht war er wirklich nur völlig verrückt gewesen. Aber eine düstere
Stimme in ihrem inneren behauptete, das das nicht stimmte. Dazu war es dem ersten Kaiser, Simon Belfare, zu wichtig gewesen ihm am Leben zu erhalten. Wichtig genug um sich selbst etwas anzutun, das sowohl Merl als auch Naria entsetzt hatte.
Vielleicht war diese Expedition doch keine so gute Idee, wie sie einmal geglaubt hatte. Vielleicht hatte Hedans Crew am Ende recht. Zum ersten Mal kam ihr der Gedanke, dass das alles kein gutes Ende nehmen könnte. Oder das sie es sogar nicht überleben könnte…
Erneut war es ein Geräusch, das sie aus ihren Gedanken riss. Doch war es dieses Mal nicht laut, wie die Pistolenschüsse.
Schritte näherten sich ihr durch den Nebel und brachten die Planken leise zum Knarren. Tonscherben von ihren Übungen mit Hedan zerbrachen unter schweren Stiefeln, als sie sich schließlich umdrehte.
Es war Galren, der mit einem übernächtigten Ausdruck auf dem Gesicht zu ihr an die Reling trat. So wie er aussah hatte er vermutlich kaum geschlafen aber Elin wusste nur zu gut, das er das in den letzten paar Tagen ohnehin kaum tat. Was sie nicht kannte, war der Grund auch wenn sie sich ihn denken konnte… Der Mann war ihr eigentlich immer zu zielstrebig erschienen um sich lange an einem
Problem aufzuhalten aber seit ihrer Begegnung mit Parlor hatte sich so einiges geändert.
,, Ihr seid früh auf den Beinen.“ , bemerkte er und nahm einen Schluck Tee aus einem Zinnbecher, den er in der Hand hielt. Sie hatte gar nicht gewusst, dass sie so etwas an Bord hatten und während sie sich versteckt hatte, hatte sie den Laderaum der Immerwind bis in jeden Winkel ausgekundschaftet. Aber wer wusste schon, was die Crew alles am Kapitän vorbei an Bord gebracht haben mochte.
,, Uhr ihr nicht ?“ , meinte Elin spöttisch. Sie hatte ihn jetzt mehrmals nachts aufstehen und an Deck hören
gehen und in den seltensten Fällen war er vor dem Morgen noch einmal zurückgekehrt.
,, Tatsächlich… schlafe ich seit einer Weile nicht gut.“ , gab er schließlich zu und trank erneut einen Schluck Tee. ,, Naria meinte das hier sollte helfen aber ich glaube eher, ich bin für sie eher ein Studienobjekt. Tut mir einen gefallen, wenn ich davon umkippen sollte, macht ihr deshalb wenigstens ein schlechtes Gewissen.“
Also daher hatte er den Tee. ,, Kann kaum so schrecklich wie Hedans Rums ein.“ , meinte sie.
,, Versucht es.“ , antwortete er lediglich mit einem schelmischen Grinsen und
hielt ihr den Becher an. Zögerlich ob etwas wirklich schlimmer als der Alkohol des Kapitäns sein konnte, nahm sie die Tasse an sich. Elin erkannte den Duft einiger Kräuter und Pflanzen. Fenchel. Kamille. Die Felder m das Haus ihrer Eltern standen im Frühjahr voll damit und sie war praktisch mit dem Geruch aufgewachsen. Andere Dinge jedoch erkannte sie nicht. Vielleicht irgendwelche Pflanzen von Maras. Zumindest roch es nicht furchtbar. Elin verstand jedoch sofort, was Galren meinte . Der Geschmack war zwar praktisch nicht vorhanden aber ihre Zunge prickelt unangenehm davon und das leichte Taubheitsgefühl breitete sich
langsam bis in ihre Gliedmaßen aus.
,, Also ? Rum oder Tee?“ , fragte Galren als die Gejarn ihm die Tasse zurück reichte.
,, Ich halte mich von diesem Tag an für den Rest meines Lebens an Wasser.“ , erwiderte sie lachend und fügte Ernster hinzu : ,, Ihr macht euch Sorgen wegen dem, was Parlor gesagt hat, oder ?“
,, Es ging mir schon besser wenn ich wüsste ob es sich überhaupt lohnt sich darum zu sorgen. Ich meine… es macht keinen Sinn. Er hat von einer Klinge gesprochen die sich von Schwarz zu wie verfärbt und ich denke mal er hat das Sterneneisen erkannt. Aber die Waffe die ich habe hat Lias für mich geschmiedet.
Und sie war nie Schwarz, selbst das Erz war silbern. Das heißt entweder war er wirklich nur verrückt… oder er hat mich verwechselt oder… es geht um irgendetwas das ich jetzt noch nicht einmal erahnen kann. Ich habe das Gefügl etwas Offensichtliches zu übersehen, Elin. Oder das mir nur in paar Puzzleteile fehlen um dem ganzen einen Sinn zu geben. Aber weder weiß ich welche das sind noch wo ich danach suchen sollte.“
,, Ich schätze, das passiert euch nicht oft.“ , stellte sie fest.
,, Nein. Normalerweise finde ich was ich suche.“
Elin war unsicher, ob sie Galren von
ihrem Gespräch mit Hedan und dessen Verdacht, was die Crew anging erzählen sollte. Aber das letzte was der Mann im Augenblick gebrauchen konnte waren wohl noch mehr Dinge um die er sich Gedanken machen musste. Er schien seine sonstige Sicherheit verloren zu haben…
,, Wie hält sich Merl ?“ , wechselte sie schließlich das Thema. Der junge Zauberer schien sich nach seinem Kampf mit Parlor zwar wieder gefangen zu haben… aber sie hatte seine Augen gesehen, als der alte Mann gestorben war. Es war erschreckend gewesen, dachte Elin, aber nicht so schrecklich wie sie selber immer gedacht hatte. Doch
Merl schien es bei weitem am schlimmsten getroffen zu haben, grade wo er nie beabsichtigt hatte, den Mann auch nur zu verletzen.
,, Armell hält ihn auf Linie.“ , erwiderte Galren mit einem abwesenden Grinsen. ,, Glaubt ihr mir eigentlich, dass keiner der beiden ahnt, dass der andere Hals über Kopf in ihn verliebt ist ?“
,, Bitte ?“
,, Bis einer der beiden den ersten Schritt wagt geht vermutlich erst die Welt unter… und wo wir grade davon sprechen…“ Galren nickte in Richtung des nach wie vor Nebelverhangenen Horizonts.
,, Was ist da ?“ , fragte Elin und der
plötzliche Ernst in Galrens Stimme machte sie unruhig. Auch ihr war mittlerweile klar, dass der Mann Dinge manchmal einfach… zu wissen schien. Und das scheinbar in den seltsamsten Situationen an Orten wo er noch nie zuvor gewesen war. Ihr Vater hatte ihr einmal von den Sehern erzählt, die in den Eiswüsten lebten, die den Norden Cantons begrenzten. Männer, die angeblich in die Zukunft blicken konnten und wenn sie die Geschichten glaubte, diese auch manchmal zu beeinflussen suchten. Aber das traf wohl kaum auf Galren zu, dachte sie. Zumindest schien er bis jetzt noch nicht direkt die Zukunft
vorherzusehen.
,, Ein Sturm.“ , murmelte Galren leise, während die Immerwind langsam aus dem Nebelfeld hinaus glitt, fast als fürchtete das Schiff, was es zu erwarten hatte. Das Licht, das auf sie fiel, als sie endlich wieder freie Sicht hatten, hatte etwas Fahles und Krankes an sich. Gleichzeitig schien der gesamte westliche Horizont zu brodeln. Sturmwolken türmten sich so hoch auf, dass wohl selbst die fliegende Stadt neben ihnen zwergenhaft gewirkt hätte. Grau, Silber und schwarz, gekrönt von einem unheilverkündenden weiß, dass die Strahlen der Sonne reflektierten wirbelte durcheinander, als sich die
Wolken verschoben und neu anordneten. Sie waren vielleicht noch eine gute Stunde Fahrt vom Beginn der Sturmfront entfernt und trotzdem frischte der Wind bereits auf. Und es gab keinen Weg für sie herum… Aber dort hindurchzufahren käme Selbstmord gleich, dachte sie. Eine Unzahl Blitze brachten die düsteren Wolken von innen heraus zum Leuchten. Ahnen… Das war kein einfaches Unwetter, dachte sie. Elin zitterte, als sie spürte, wie die Temperaturen fielen. Das war eine regelrechte Mauer, ein undurchdringliches Hindernis für jeden, der dumm genug wäre, es damit aufnehmen zu wollen. Rasch schätzte die Gejarn die Entfernung und die
Geschwindigkeit des Unwetters und kam zu einem ernüchternden Ergebnis. Hindurchfahren war nicht möglich. Und davor herfahren und zu hoffen dass es sich auflöste ebenfalls. Es würde sie einholen. Schnell…
,, Heilige des Wassers steht mir bei…“ Hedan war zu ihnen zurückgekehrt und Elin sah das gleiche Wissen in seinem Blick. Sie würden nicht entkommen können. Nach und nach hielten sämtliche Matrosen an Deck in ihrer Arbeit inne während einige unter Deck verschwanden und den Rest alarmierten. Elin konnte mittlerweile das dumpfe Dröhnen des fernen Gewitters hören, ein Geräusch, das ihr bis tief in die Knochen
fur.
Das Gesicht des Kapitäns nahm langsam einen grimmigen Ausdruck an. ,, So sei es denn.“
Mit einem Ruck drehte er sich um und begann, Befehle zu rufen. Währenddessen legten die Schatten der Sturmwolken sich endgültig über sie und blendeten die Sonne aus. ,, Bringt mir das Schiff in Ordnung. Alles unter Deck, was wir hier oben nicht brauchen, macht die Luken dicht. Und hofft, dass wir das Licht noch einmal sehen.“
Kurze Zeit später, wurde es endgültig Dunkel, als sich die Wolken über ihnen schlossen. Die Wellen, die vor wenigen
Augenblicken noch so harmlos gewirkt hatten, spülten mittlerweile über das Deck und drohten, jeden der sich nicht rechtzeitig irgendwo festhielt von Bord zu spülen. Dutzende von Matrosen waren damit beschäftigt, Ausrüstung unter Deck zu bringen, oder die vom einsetzenden Sprühregen bereits feuchten und damit schweren Segel einzuholen. Galren wurde bis auf die Haut durchnässt, als er einem der Männer dabei half einige Kisten zu sichern, die bei der letzten Welle beinahe über Bord gegangen wären. Das Wasser war zwar warm, aber der aufkommende Wind ließ ihn rasch wieder frösteln. Zumindest war seine Müdigkeit fürs erste vergessen und
er schüttelte die betäubende Wirkung von Narias Tee ab. Bereits jetzt spürte er einen seltsamen Druck auf den Ohren und das wenige Licht, das durch die Wolken drang, hatte einen unheilverkündenden, violetten Tonfall angenommen. Als käme es nicht einmal mehr von dieser Welt.
Armell rief Sentine zu sich, die sich in die Kleidung der Fürstin krallte um nicht einfach fortgeweht zu werden. Lias, Merl und Naria halfen derweil überall wo sie konnten, während Elin und Hedan weiter die Crew organisierten. Der Kapitän schien in seinem Element, doch auch er konnte die Besorgnis nicht ganz verbergen. Immer
wieder sah er zum schwarzen, aufgewühlten Himmel empor, von dem es jetzt in Strömen zu regnen begann. Süßwasser stürzte vom Himmel, genug um ihre Vorräte für weitere Wochen aufzufüllen falls nötig. aber in diesem Fall hätten sie darauf verzichten können. Der Preis dafür war um einiges zu hoch.
Galren musste sich festhalten, als das Schiff erneut unter einer Welle schwankte. Mehrere Blitze erhellten den Himmel und das Deck der Immerwind für einen Moment in absoluter Klarheit. Die Nachbilder hatten sich in seine Netzhaut gebrannt und erzeugten irritierende Schemen, als sich die Finsternis wieder über sie senkte.
Abgesehen vom schwachen Glimmen der Bordlaternen in ihren Glasgehäusen war es nun vollkommen dunkel. Als würde das Unwetter noch einmal Luft holen, setzte das Schwanken des Schiffs kurz aus und auch die Blitze wurden seltener. Für einen Moment waren die einzigen Geräusche an Deck das prasseln des Regens und das Heulen des Windes.
,, Irgendetwas… ist hier seltsam.“ , meinte Naria unsicher. ,, Dieser Sturm…“
,, Was ist ?“ , fragte Merl.
,, Ich glaube nicht, dass das nur ein Unwetter ist.“ , erklärte die Gejarn lediglich.
Galren wischte sich das Wasser aus dem
Gesicht, während sie warteten. Sie waren jetzt nahe, ohne dass er sagen konnte an was. Aber er spürte es jetzt immer deutlicher, das ziehen an seinem Körper, an seinem Geist. Und seine Gabe schien neue Formen anzunehmen mit jedem Tag der verging. Früher hatte er einen Weg finden können. Jetzt schien er Dinge zu spüren, die nur indirekt etwas damit zu tun hatten. Den Sturm beispielsweise… Aber wenn er je hoffen wollte, eine Antwort auf seine Fragen zu bekommen, dann würden sie das Unwetter zuerst meistern müssen. Er sah zu den anderen, seinen Begleitern, Freunden deren Gesichter er im Zweilicht nur verschwommen Ausmachen konnte.
Lias nickte ihm kurz zu und ohne dass er es gewollt hätte, spürte Galren wie sich seine Hand um den Schwertgriff schloss. Er atmete tief durch. Es gab kein zurück. Nicht für ihn zumindest. Und sie würden nicht versagen. Der Sturm brach los…