Kapitel 14
Am nächsten Morgen erwache ich völlig ausgeruht und entspannt. Ich habe so gut wie schon lange nicht mehr geschlafen. Adam liegt nicht mehr neben mir im Bett aber das verwundert mich nicht. Er hat mir gestern Abend erzählt, dass er ein Morgenmensch ist und nicht lange liegen bleiben kann. Wir haben uns angeregt über die Schulzeit und unsere Freunde unterhalten. Ich habe erfahren, dass Adams bester Freund Fabio heisst. Fabio ist ein italienischer Informatiker, welcher ebenfalls bei Whiteley angestellt ist. Ich habe Adam über meine Freundschaft zu Vanessa und Trisha
erzählt. Adam hat mich mit seinen Vorlieben für klassische Musik und italienischem Pop ziemlich überrascht und gleichzeitig amüsiert. Beim Thema Ex Freundinnen und Ex Freunde wurde es dann kurzweilig kritisch. Adam hat nicht viel preisgegeben. Er meinte, vergangenes sollte in der Vergangenheit bleiben. Von mir wusste er ja, dass ich noch keinen richtigen Freund hatte und hat auch nicht weiter nachgefragt.
Ich kann mir jedoch vorstellen, dass Adam im Gegensatz zu mir richtig viele Beziehungen hatte. Er ist ja auch ein ziemlich attraktiver Mann. Ich lächle vor mich hin. Von ziemlich attraktiv kann ja eigentlich gar keine Rede sein, denn
Adam ist wirklich heiss.
Meine Gedanken schweifen zurück zum gestrigen Abend. Unser Kuss in der Küche, die Leidenschaft und das Verlangen. Was wäre gewesen, wenn Adam mich nicht gestoppt hätte? Wie weit wäre ich gegangen? Wo und wann hätte ich die Notbremse gezogen und hätte ich sie überhaupt gezogen?
Seit dem Unfall meiner Eltern, lebte ich stets mit angezogener Notbremse.
In meinen Gedanken schweife ich ab und finde mich wieder in meiner Kindheit wieder.
Ich war gerade mal fünf Jahre alt, als meine Mutter Claudia und mein Vater
Gregory an den Rock River fahren wollten. Ich hatte keine Lust und so blieb ich bei unsere Nachbarin Maritha, eine Mexikanerin mit grossem Herz und lauter Stimme. Ich fühlte mich wohl bei ihr und wenn meine Eltern weg mussten, nahm mich Maritha gerne in ihrem Haus auf. Zudem hatte sie eine gleichaltrige Tochter, die Juliana hiess. Mit ihr habe ich immer in unserem Garten gespielt. An diesem Tag, es war im Spätherbst, spielten wir draussen im Laub. Meine Eltern waren vor ein paar Stunden abgefahren und ich durfte bei Juliana übernachten.
Wir hatten gerade eine Laubschlacht begonnen, als ich laute Stimmen aus
Julianas Haus hörte. Maritha weinte und ihr Sohn Romeo, der damals bereits 18 Jahre alt war, tratt aus dem Haus und rief uns hinein. Wir wollten zuerst nicht, die Laubschlacht hatte erst gerade begonnen, aber etwas in Romeos Stimme sagte uns, dass wir besser gehorchen sollten. Wir traten ins Haus und ich sah Maritha, weinend in ihrem grossen, flauschigen TV Sessel. Sie hatte das Telefon in der Hand und schluchzte vor sich hin. Sie hatte nicht bemerkt, dass wir ins Haus getreten waren, bis Romeo ihr etwas auf Spanisch sagte. Maritha schaute mich mit einem verzweifelten Gesichtsausdruck an. Juliana wurde von ihrem grossen Bruder mit nach oben gezogen, wo sich
die Schlafzimmer befanden. Maritha kam auf mich zu und erklärte mir weinerlich, dass sie soeben einen Telefonanruf vom örtlichen Spital erhalten hatten. Meine Eltern waren noch nicht einmal eine halbe Stunde unterwegs gewesen, als ein Lastwagen in einer Kurve auf ihre Fahrbahn gelangte und frontal mit ihrem Auto zusammenkrachte. Mein Vater war noch auf der Unfallstelle verstorben, meine Mutter auf dem Weg ins Krankenhaus. Die Welt begann sich zu drehen. Ich hörte nichts mehr. Ich hörte nicht wie Maritha schrie, ich fiel nur noch in ein schwarzes, tiefes Loch. Ich war ihn Ohnmacht gefallen und Maritha hat mich dann ins Krankenhaus gebracht.
Dort wurde ich behandelt, aber da mir nichts fehlte wurde ich dann schnell wieder zu Maritha geschickt, die sich um mich kümmerte. Der Schmerz in meinem Herzen war riesig, doch ich war froh bei Maritha und ihren Kindern zu sein. Ich dachte ich könnte für immer bei ihr bleiben, könnte bei ihr gross werden und wieder lernen zu lachen.
Doch dann kam der Tag, an dem das Jugendamt Maritha informierte, dass die Schwester meines Vaters hatte ausfindig gemacht werden und ich ab sofort bei ihr leben würde. Es wurde am Abend noch ein grosses Essen mit allen Nachbarskindern für mich veranstaltet und Maritha versprach mir, dass nun
alles gut käme, schliesslich hätte ich wieder eine richtige Familie. Sie versprach mir, dass sich mein Leben nun zum Besseren wenden würde.
Natürlich konnte sie nicht wissen, dass ich bei meiner Tante die Hölle auf Erden durchlebte. Ich kann mich aber noch errinnern, dass sie mir immer wieder sagte, dass ich es verdient hätte glücklich zu sein. „Mi nina, du wirst glücklich werden, du musst aber für dein Glück kämpfen. Im Leben bekommt man nichts geschenkt!“
Ich gelangte zurück aus meinem Tagtraum zurück in die Realität, zurück ins Jetzt. Maritha hatte Recht. Ich hatte es verdient glücklich zu sein. Ich
lächelte, die gute Maritha, was wohl aus ihr geworden war? Aber sie hatte Recht, ich musste mein Glück selber in die Hand nehmen.
Ich hüpfe aus dem Bett, wasche mir das Gesicht und ziehe mir dann meinen Morgenmantel über. Voller Vorfreude auf Adam stürze ich mich regelrecht aus dem Zimmer und bleibe dann stehen. Adam steht im Gang und spricht mit einer Frau. Sie ist dünn, hat gelocktes blondes Haar und trägt ein rotes Kleid und schwarze Pumps. „Adam, komm schon, du konntest doch noch nie meinem Charme wiederstehen, was soll sich denn geändert haben, dass du keine Lust hast,
denn Alltag mal kurz zu vergessen und dich mit mir zu vergnügen?“ sagt sie.
Als ich ihre Stimme höre, erkenne ich die Frau und traue meinen Augen nicht. Was hat sie denn hier in Adams Wohnung verloren?