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Wer kennt sie nicht, die Styroporbären und Schnipsel, die man jedes Weihnachten in Paketen mitbekommt, um das eigentliche Frachtgut vor Druckstellen und Schaden zu bewahren. Knülli der Styroporbär war auch einer von ihnen. Er hatte in irgend einer Styroporfabrik dieser Erde das Licht der Welt erblickt und hatte dort auch auf mysteriöse Art und Weise das Geschenk des Lebens erhalten. Er war gepresst, abgepackt; damit wieder gedrückt und gepresst, und schlussendlich nach viel Gedrücke und Gepresse zur Verpackung eines Päckchens mit
Geburtstagsgeschenk ( eine elektrische Eisenbahn ) verwendet worden.
Da lag er nun also, an das Hinterrad der
Eisenbahnlokomotive gepresst und neben ihm - hunderte seiner leblosen Brüder und Schwestern. Ein seltsames Gefühl, das kann man wohl gut nachvollziehen; Dunkelheit und Stille um ihn und nur das gelegentliche Rascheln des einen oder anderen lockeren Kameraden über ihm. So brachte er viele Tage zu, in denen er über seine merkwürdige Situation, seine Mitbären, den Sinn seines und den Sinn des Lebens als solches nachdachte. Das tat er bis das Paket an seinen künftigen Besitzer, den achtjährigen Thomas Philips, zugestellt und von ihm bald darauf geöffnet wurde. Er hatte eben erst vor wenigen Tagen seinen
Geburtstag gefeiert und das Päckchen war von seiner Oma an ihn verschickt und etwas verspätet zugestellt worden. Als Thomas das Päckchen nun öffnete und die schöne kleine Eisenbahn sah, beachtete er Knülli erst gar nicht; nun ja - wieso sollte er auch, es war ja nun wirklich nicht üblich einen lebendigen und sprechenden Styroporbär in einem Päckchen zu finden. Wer kann denn auch damit rechnen, wenn man das Zimmer verlässt um der Mutter die beigelegte Postkarte zum lesen zu bringen, dass ein kleiner unbeachteter Styroporklumpen der üblicherweise der Verpackung dient – in diesem Fall ein kleiner weißer Teddy namens Knülli - in die
zurückgelassene Eisenbahn springt, sie einschaltet und damit kreuz und quer durch das Zimmer fährt.
Knülli jedoch tat genau das; er fuhr über den Teppich, über seine Fransen, unter dem Bett hindurch, über den Schmutzwäschehaufen von Thomas, den seine Mutter liegen gelassen hatte, um den Bettfuß ein paar Mal herum und hin und her bis Thomas plötzlich wieder ins Zimmer kam und in Türrahmen überrascht und etwas erschrocken stehen blieb. „Was soll den das“, rief er sich selbst fragend und sah der durchs Zimmer düsenden Eisenbahn zu, die eben noch, als er es verlassen hatte, still
im Zimmer gelegen hatte. Als er sich vom ersten Schrecken erholt hatte, lief er seiner Eisenbahn nach und versuchte sie einzufangen. Das war aber gar nicht so einfach, denn sie bog mal links mal rechts - völlig willkürlich ab und schien ihn abschütteln und ihm entkommen zu wollen während sie leise vor sich hin brummte. Schließlich jedoch schaffte er es sie mit der Hand zu fassen und nun hörte er das Brummen, ganz deutlich, es schien aus dem Lockführerstand oder dem Innern der Lok zu kommen. Er schaute hinein, und vor ihm saß - grimmig, trotzig und mit verschränkten Armen, ein kleiner weißer Bär. Der brummte erst noch ein wenig und sagte
dann böse: „Was soll das, es hat solchen Spaß gemacht mit diesem Eisending zu fahren, bis du gekommen bist und mir alles kaputt gemacht hast.“ „Du meinst die Eisenbahn“, fragte Thomas. „Ja genau, das Eisending mein ich, sag ich doch“, sagte der Bär und schaute verachtend weg. „Tut mir leid“, sagte Thomas. „Ich wusste ja nicht dass du damit fährst oder fahren wolltest.“ Der Bär schaute ihn darauf nochmals prüfend an und sagte dann: „Na gut, das konntest du nicht wissen, ich will`s dir nicht übel nehmen.“ Dann begann er zu lächeln, stellte sich aufrecht hin und stellte sich vor. „Ich bin Knülli und wer bist du?“ „Thomas“, sagte Thomas etwas
verwirrt. „Wieso kannst du denn sprechen und wo kommst du denn überhaupt her“, wollte Thomas darauf von Knülli wissen. „Ich, ich komme“, Knülli stotterte ein bisschen, denn er war selbst sehr aufgeregt jemandem, der sprechen konnte, zu begegnen, obwohl er es sich erst nicht hatte anmerken lassen. „Ich komme aus dem schwarzen Ding dahinten, wie all die anderen“, erklärte er und zeigte auf den offen stehenden Karton. „Davor war ich in einem anderen schwarzen Ding und noch einem, und davor bin ich geboren; ist noch nicht so lang her.“ „Den Karton meinst du“, fragte Thomas. „Ja genau, das Ding mein ich, wie du es auch
nennst“, stimmte Knülli brummig zu. Thomas staunte wirklich nicht schlecht; da stand ein kleiner Styroporbär mit zwei Ohren, vier Beinen und einer runden Schnauze vor ihm und redete fast so als wäre er sein kleiner Bruder. „Das ist ja wirklich ´ne Tolle Sache“, sagte er zu sich selbst und dem Bären und lief dann geschwind los, nachdem er die Eisenbahn auf den Boden gestellt hatte, um seine Mutter aus der Küche zu holen. Das musste sie sehen. Hätte er das besser nicht getan oder wenigstens gesagt: „Warte kurz hier.“ Denn als er mit seiner Mutter, die seine phantastische Geschichte gehört hatte aber nicht glauben wollte, aus der Küche
kam, war der kleine weiße Bär aus der Eisenbahn und dem Zimmer verschwunden. Thomas schaute zwar noch im ganzen Zimmer nach, durchwühlte den Karton mit den restlichen bärenförmigen Styropordingern, auch in der Hoffnung vielleicht wenigstens einen zweiten wie Knülli zu finden, doch es war zu spät - Knülli war fort und die anderen leblos und tot wie gewöhnlich. Was war denn passiert wollt ihr sicher noch wissen. Nun, Knülli war ja ein schlauer Styroporbär und er wollte zum einen nie wieder in einen dunklen Karton; er hatte nämlich als Thomas das Zimmer verließ den Schriftzug „zum Wiederverwenden“,
den die sparsame Oma auf den Boden des Päckchens geschrieben hatte, entdeckt. Und zum andern hielt er es für ausreichend einen Menschen kennen gelernt zu haben. Deshalb war er gegangen und mit einem Sprung aus dem Fenster, von einem Windstoß getragen, verschwunden.
Also passt besser auf ihn auf, wenn euch vielleicht einmal ein kleiner weißer Bär aus Styropor auf der Straße, im Wald oder sonst wo begegnet oder euch vielleicht aus einem Päckchen entgegen gehüpft kommt.