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CHRONIKEN EINER GEGENWART, DIE NIE SEIN WÜRDE... - Die Chroniken Sun Citys - Dossier 3791-01 (Rose)

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"CHRONIKEN EINER GEGENWART, DIE NIE SEIN WÜRDE... - Die Chroniken Sun Citys - Dossier 3791-01 (Rose)"
Veröffentlicht am 31. Oktober 2015, 54 Seiten
Kategorie Fantasy & Horror
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Über den Autor:

Eigentlich ist es so wie es ein Landsmann von mir treffend beschrieb: 'Mit den Riesen habe ich keine Probleme; nur die Windmühlen machen mir echt zu schaffen!'
CHRONIKEN EINER GEGENWART, DIE NIE SEIN WÜRDE... - Die Chroniken Sun Citys - Dossier 3791-01 (Rose)

CHRONIKEN EINER GEGENWART, DIE NIE SEIN WÜRDE... - Die Chroniken Sun Citys - Dossier 3791-01 (Rose)

Dossier - 3791-01

CHRONIKEN EINER GEGENWART, DIE NIE SEIN WÜRDE... ROSE

Langsam fuhr ein schwarzweißer Ford Sedan mit abgeschaltetem Blaulicht an einem Imbissstand vorbei. Obwohl es schon relativ spät am Abend war, stand noch immer eine einzelne Person dort und aß genüsslich eine Portion gebratener Nudeln. „Sollten wir ihn nicht warnen?“ Meinte im Polizeiwagen eine junge, braunhaarige Polizistin auf dem

Beifahrersitz nachdenklich, während sie noch lange dem silberblonden Hünen vor dem chinesischen Stand nachsah. „Wieso? Ist doch sein Recht, auf den Straßen was essen zu gehen.“ „Nein… ja, das ist mir schon klar…“ Die zierliche Frau wandte sich ihrem erfahreneren Kollegen am Lenkrad zu. „Aber im Moment gilt doch für diese ganze Zone die Gefahrenstufe Gelb!“ Fraser Carson betrachtete über den Rückspiegel den zwei Meter Hünen der immer noch mit seinen Nudeln beschäftigt war und konzentrierte sich dann wieder auf die Straße. „Der kann sicherlich gut auf sich selber

aufpassen!“ „Jup“, nickte sie mit einem schmunzeln auf den Lippen, „er besitzt so ein gewisses Etwas!“ „Ist sicher ein Profikiller der Schlitzohren oder unserer Vodkabrüder…“ „Danke!“ Entfuhr es bei diesen Worten seiner Kollegin Rose. „Sieht mir eindeutig nach Ausländer aus.“ Meinte Fraser, ohne auf den bösen Blick einzugehen, den er gerade kassiert hatte. „Trotzdem“, fing sie wieder an, „die ADP…“ Rüde wurde sie darauf von ihrem Kollegen unterbrochen, als der Wagen

vor einer Verkehrsampel zum stehen kam. „Du meinst diese neue staatlich verordnete Truppe, die sich das Recht herausnimmt, sich ADP nennen zu dürfen. Das sind doch alles nur überbezahlte Regierungsbeamte… diese Sesselpolierer haben absolut keine Ahnung, wie es hier auf den Straßen von Night City ist!“ „Wieso nennt ihr alle Sun City eigentlich Night City?“ Fraser wandte sich mit einem Grinsen seiner Kollegin zu. „Wir sind doch die NCP, nicht?“ Sie lächelte scheu. „Das steht doch für New City Police,

nicht?“ Dann legte sich ihre Stirn in Falten. „Aber wieso deuten es auch einige…“ Der athletische Endvierziger reagierte jetzt erschreckend schnell, als er ihr mit bedrohlicher Miene den ausgestreckten Zeigefinger vor das Gesicht hielt. Instinktiv wich sie tief in ihren Sitz zurück. So zornig hatte sie ihn bisher noch nie erlebt. In seiner Stimme schwang gleichzeitig eine unangenehme Drohung mit. „Das will ich auf keinen Fall hören!“ „Es ist grün.“ Murmelte sie. „WAS?“ Eingeschüchtert zeigte Rose auf die Ampel. „Wir können

fahren…“ „Ich…“ Fraser sah auf die Straße, blickte Rose unschlüssig an und würgte dann den Streifenwagen ab, bevor der Ford bei Gelb endlich nach links auf die Querstraße einschwenken konnte. Der schwarzhaarige Mann, bei dem schon die ersten grauen Büschel zu erkennen waren, seufzte schwer. „Sorry Rose… war ein langer, anstrengender Tag… und das war jetzt wirklich überflüssig…“ Sie nickte unsicher. „Ist schon gut.“ „Aber mach mir bitte einen Gefallen… ich will das nicht hören. Auf keinen Fall in diesem Wagen. Nie!“ Fraser rieb sich müde die Augen. „Es mag sein, dass in der ‚Night of War

einige von uns nicht so ganz bei der Sache waren. Aber das berechtigt niemanden, uns immer noch deswegen wie Dreck zu behandeln!“ Augenblicklich wagte es Rose jedoch kaum noch irgendetwas zu sagen, während sich ihr Kollege wieder auf die nächtlichen Straßen Sun Citys konzentrierte. Es war nie ein angenehmer Job gewesen - das stand außer Frage. Und hier gingen auch ab und zu wirklich schräge Dinge ab. Aber Fraser verstand immer noch nicht, wieso man ihnen jetzt diese Bürohengste der ADP vorgesetzt hatte. Die alte Advanced Defense Police hatte man wenigstens aus normalen,

erfahrenen Polizisten wie ihn rekrutiert. Und jetzt waren nur noch Marshalls gut genug? Was konnten diese Neuen besser, das ein normaler Polizist nicht in der Lage gewesen wäre zu tun? Außer vielleicht weiterhin schwarze Schafe in ihren Reihen zu suchen? Die gab es nicht mehr. Da war er sich ziemlich sicher… Er ließ den Blick wandern. Das blonde Mädchen, das weiter vorne gerade die Straße überquerte, kam ihm seltsam bekannt vor. Auffällig war sie sowieso, denn sie sah komplett verdreckt aus und trug praktisch nur noch Fetzen am

Leib. Wohl wieder eine Landstreicherin, dachte er leicht genervt, vielleicht sogar eine dieser illegalen Einwanderer die ständig über den Tortilla Wall einfielen. Aber dieses Gesicht… Die Blondine blickte kurz in seine Richtung und ihm lief ein eiskalter Schauer den Rücken hinab. Sie lief schneller. Das war eines der seit Wochen gesuchten, bisher spurlos verschwundenen Mädchen. Er beschleunigte den Wagen, als sich seine Kollegin zu ihm drehte. „Was ist?“ Fraser ignorierte das Lichtsignal und fuhr nach links in die Seitenstraße, in

welcher die Blondine verschwunden war. Suchend sah er sich um, als er überraschend weit vorne erkennen konnte, wie das verwahrloste Mädchen sich noch zu ihnen umdrehte und dann sofort in einer Gasse Deckung suchte. „Ich kenne die… habe im Office ihr Foto schon gesehen!“ Er fuhr mit dem Streifenwagen zu der Gasse, hielt an und verständigte die Zentrale, dass sie jetzt einen Verdächtigen überprüfen wollten. Dann wandte er sich seiner Kollegin zu. „Ich wette, dass das eine der gesuchten Acht ist, die vor einigen Wochen bei der Party dieses It-Girls verschwand!“ „Du meinst die mit der

Séance?“ „Genau!“ Er stieg aus. Rose zögerte noch, während sie nach ihrer Schutzweste suchte. „Aber die ADP hat diese Zone noch nicht frei gegeben... sollten wir sie nicht rufen?“ Fraser seufzte schwer. „Nein! Ist ja auch klar weshalb… diese Typen wollen nur den ganzen Ruhm für sich.“ Er beäugte seine Kollegin unschlüssig, als diese mit ihrer Schutzweste kämpfte. „Sie sollen sich ruhig an einem anderen Tag als Schutzengel Night Citys profilieren. Das ist unser Revier!“ „Was ist, wenn sie auf Drogen ist?“ Fraser hielt kurz inne und zog dann

ebenfalls seine Schutzweste an. Mit den Händen auf den Griffen ihrer Waffen und eingeschalteten Taschenlampen betraten Beide schließlich die unbeleuchtete Gasse. „Sie muss völlig verängstigt sein und wohl am Ende ihrer Kräfte, wenn sie bisher nichts Richtiges zu Essen hatte…“ meinte Rose besorgt. „Diese Massenhysterie wegen diesen mit Medikamenten vollgepumpten Psychos ist doch nur quatsch…“ meinte ihr Kollege dazu, „die wollen nur Neo Genetics schlecht machen. Ich…“ Sie nahmen den Schatten kaum war. Derart schnell tauchte das fünfzehnjährige Mädchen vor Fraser auf,

dass er vor Schreck erstarrte. Ihre Haut war so blass, dass es schien, als glühe sie im Dunkeln, während ihr Gesicht von feinen, noch blutenden Schnittwunden überzogen und ihr blondes Haar total verfilzt und dreckig war. Darüber hinaus stank sie nach Erbrochenem und Fäkalien - sowie etwas bitterem, unangenehmen, das irgendwie an Schwefel erinnerte. Während Rose instinktiv vor Schreck zurückwich und ihre Beretta zog, entrann dem Mädchen ein unheimliches, bassartiges Grollen. „Mädchen…“ Fraser wollte gerade etwas sagen und nach ihr greifen, als sich ihre Augäpfel ins Weiße drehten. Dann packte sie mit einer Hand, dessen

einstmals gepflegte und manikürte Fingernägel augenblicklich an zerfetzte, abgebrochenen Krallen erinnerten, die Schutzweste des Mannes und hob ihn mit Leichtigkeit von den Füßen. Noch während er mit seiner Waffe rang, warf das Mädchen den Polizisten wie eine Stoffpuppe gegen einen in der Nähe stehenden Müllcontainer. Der Aufprall war dabei so heftig, dass Fraser den Container nicht nur einbeulte, sondern sogar umwarf. „Stehenbleiben oder ich schieße!“ Brüllte währenddessen Rose, der jegliche Farbe aus dem Gesicht gewichen war. Die Blondine fuhr zu ihr herum, wie wenn sie schweben würde und ihre Füsse

überhaupt keinen Bodenkontakt hätten. „Du würdest eine gute Hülle abgeben!“ Sprach dabei eine tiefe, männliche Stimme - als käme sie direkt aus dem Jenseits - durch die aufgesprungenen Lippen des Mädchens. Rose hatte Mühe mit den Zielen, zitterte sie doch vor Angst. Dann erklang vom Müllcontainer her ein schmerzhaftes Stöhnen. Zumindest lebt er noch, dachte die junge Polizistin ein wenig erleichtert, als das seltsame Mädchen einen Schritt in ihre Richtung tat. „Ich sagte stehenbleiben!“ Schrie Rose erneut, die Beretta wie einen letzten, rettenden Strohhalm

umklammernd. Doch das Mädchen grinste nur und entblößte dabei ein dreckiges, teilweise blutverkrustetes Gebiss. Dann ging es zielstrebig auf die Polizistin zu. Sie drückte ab. Mühelos schwebte das Mädchen einen halben Meter zur Seite und wich damit dem Schuss aus, oder versuchte es zumindest. Denn Rose folgte instinktiv der Bewegung und erwischte es deswegen noch am Oberarm. Die Kugel pflügte durch das dreckige und zerfetzte T-Shirt und hinterließ eine Streifwunde auf der aschfahlen Haut. Die Polizistin wich mit weit aufgerissenen Augen zurück, als das

Mädchen mit den Füssen auf den Boden zu sacken schien. Mit einem unzufriedenen Knurren blickte es dabei auf ihre frische Wunde und wandte sich dann zornig der Frau vor ihr zu. Die weißen Kugeln die wohl ihre Augen waren, füllten sich sichtbar mit Blut und wechselten von einem blassen Rosa zu einem tiefen Rot. „Das hättest du nicht tun sollen…“ Sprach die fürchterliche Stimme, als die Blondine pfeilschnell vorschoss und Rose mit einem einzigen Hieb die Waffe aus der Hand schlug. Dabei schnitten ihre Krallen tief durch das Handgelenk der Polizistin und hinterließen tiefe, klaffende Wunden.

Bruchstücke der Fingernägel blieben dabei als schwarze, dampfende Rückstände im aufgerissenen Fleisch zurück. Noch während Rose vor Schmerzen aufschrie, packte sie das Mädchen bereits an der Brust und riss ihr die Schutzweste von Leib, zerfetzte dabei auch ihr Top. „Dein Blut wird mir wohl munden!“ Sprach die Stimme, während Rose betäubt in die Knie sackte und nur noch ein „Gott hilf…“ über die Lippen brachte. Dann packte das Mädchen die hilflose Polizistin an den Haaren und riss deren Kopf zurück, fokussierte sich auf ihren

Hals. Völlig unerwartet stieß das Mädchen Rose von sich und taumelte mit rudernden Arme und einem schrillen Schmerzensschrei zurück. Dabei mischte sich kurz auch eine weibliche Komponente in ihre Stimme, als es ohne ein weiteres Wort herum fuhr und davonrannte. Blut keuchend erreichte inzwischen Fraser seine Kollegin. Er sah ziemlich mitgenommen aus. Rose sah überglücklich zu ihm hoch, während sie das heftig blutende Handgelenk fest an sich drückte. „Danke!“ murmelte sie mit schwacher

Stimme. „I-ich habe nichts getan…“ meinte dieser verwirrt. Dann half er ihr auf die Füße und verband ihre Wunde notdürftig mit einem Taschentuch. „Wir müssen zurück zum Wagen…“ Sie schüttelte entschieden den Kopf. „Rose, schaffst du es wenigstens alleine bis zum Wagen?“ Sie nickte und versuchte tapfer zu lächeln, musste sich aber mit dem Ellbogen den Schweiß aus dem Gesicht wischen. Selten hatte sie so geschwitzt wie jetzt. Obwohl sie sich nicht wirklich fiebrig fühlte... es war eher, als würde eine lähmende Kälte von ihr Besitz

ergreifen. Gleichzeitig schüttelte es sie mehrmals. „Bist du sicher?“ „Nun geh schon… verdammt nochmal Fraser. Wenn das Ding einem Passanten begegnet…“ Ihr Kollege versteifte sich sichtlich, als ihm erst jetzt die Gefährlichkeit der Situation bewusst wurde. Entschlossen wischte er sich einen feinen Blutfilm vom Mundwinkel und nickte. „Ruf bitte Verstärkung und vor allem einen Krankenwagen für dich!“ Dann fuhr er herum und wäre fast gestürzt. "Für uns beide..." Sich mit schmerzverzerrter Miene die

Seite haltend versuchte er die Gasse hinunter zu rennen. Rose sah ihm unsicher nach. Sie konnte inzwischen förmlich spüren, wie ihr Körper immer schwächer wurde. Und sie bezweifelte es, dass sie es noch bis zum Dienstwagen schaffen würde. Aber vor allem traute sie sich nicht, die Wunden loszulassen. Denn es war ihr, als würde etwas Schreckliches geschehen, wenn diese erneut aufklaffen sollten. Als sie deswegen ihr Funkgerät mit dem Kinn zu erreichen versuchte, strahlte die Verletzung derart in den Körper hinaus, dass ihre Beine nachgaben. Mit dem Gesicht voran fiel sie in mehrere

Müllsacke. „Tut mir leid…“ war das Letzte das ihr über die Lippen kam. Wie ein Raubtier auf allen vieren, jagte das gespenstische Mädchen aus der Gasse auf die Straße und wäre fast überfahren worden. Mit schier übermenschlichen Reflexen gelang es ihr noch rechtzeitig auf den Fußgängerweg zurück zu springen und so einem schwarzen Wagen auszuweichen, der sich wegen ihr zu einer Vollbremsung genötigt sah. Während der Wagen mit wildem Gehupe weiter fuhr, richtete sich die Blondine auf ihre Füße auf und rannte an einem

chinesischen Imbissstand vorbei. Dabei kam sie an einem silberblonden Hünen mit einem langen, grauen Mantel vorbei. Abrupt hatte sie dessen Hand am Hals und knallte rücklings auf den Boden. Noch bevor das Mädchen realisierte konnte, was überhaut passiert war, hatte der Mann sie auf den Boden gepinnt und kniete neben ihr, hielt sie dabei mit eisernem Griff fest. Ein dumpfes Grollen entrann ihr, als sie das Gesicht zu einer Grimasse verzog und sich gegen den Griff stemmte. Doch schnell machte sich Ernüchterung breit, als sie feststellen musste, dass sie gegen die Kraft des Fremden nicht ankam. Erbost schnappte das Mädchen deswegen

mit ihren Krallen nach dem Unterarm des Fremden. Zwar zerfetzte sie mühelos den Stoff seines Mantels, schaffte es aber kaum seine Haut zu ritzen und hinterließ nur kleine Kratzer, die kaum bluteten. Doch er ließ nicht los. Während sie wie eine Furie tobte, nach ihm trat und ihn zu beißen versuchte, machte sich langsam Verwirrung in ihrem Gesicht breit. Ihre Gesichtszüge wurden zunehmend menschlicher - bis sie den Mann über ihr nur noch mit normalen, weit aufgerissenen und leicht geröteten Augen anstarrte. Währenddessen kam ein Polizist mit Schutzweste aus der Gasse getorkelt und

trat einige Schritte in ihre Richtung, blieb aber schließlich schwankend stehen. Fraser Carson keuchte mehrmals Blut, bevor er entschlossen mit seiner Waffe auf die beiden zielte. Dabei brauchte er einige Atemzüge, bis er verständlich sprechen konnte. „Sir…“ fing er mit bebender Stimme an, „entfernen sie sich sofort von diesem Individuum. Es ist höchst gefährlich!“ Ohne den Griff zu lockern mit dem er das sich windende Mädchen am Boden festhielt, sah der kniende Hüne auf. Dabei traf der Blick seiner ruhigen, bronzenen Augen auf den des Polizisten. Plötzlich wusste Fraser, dass die Gefahr

vorbei war und fühlte er instinktiv, dass alles gut werden würde. Eine seltsame Erleichterung machte sich zeitgleich in seinem Körper breit. Dann erst bemerkte er, wie der Fremde mit seiner freien Hand unter die Jacke gegriffen hatte und ihm seinen Marshallstern der ADP entgegen hielt. Während der Polizist unschlüssig die Waffe senkte, beugte sich der Fremde nahe zu dem tobenden Mädchen herunter. Sie spuckte ihn an, doch er ignorierte es. Als er sprach, hatte seine Stimme ein einzigartiges, beruhigendes Timbre, getragen von einer übermenschlichen Entschlossenheit. „Es wird Zeit, dass du endgültig

verschwindest!“ Die Blondine fauchte ihn erbost an und stemmte sich noch ein letztes Mal vergebens gegen den Griff - dann glätteten sich ihre Gesichtszüge und sie wirkte nicht mehr bedrohlich. Verunsichert und verängstigt sah sie sich um. „Wo... wo bin ich? B-bitte Helfen sie mir!“ Stammelte sie dabei mit der Stimme einer Fünfzehnjährigen, die gerade durch die Hölle ging. Der Fremde nickte beruhigend. Abrupt weiteten sich die Pupillen des Mädchens, und ihr ganzer Körper verkrampfte sich, als sie den Mann über sich mit einem starren, hypnotisierenden

Blick fixierte. Dabei erklang ein Geräusch aus ihrer Kehle, als erwache etwas absolut bösartiges. Noch während Fraser Carson erneut die Waffe hochriss, atmete das Mädchen lange und gequält aus, und dabei schien es, als verlasse etwas Unsichtbares ihren Körper. Leblos sackte sie zurück. Doch der Hüne reagierte nicht. Er ignorierte auch dies. Mehrere Herzschläge lang herrschte eine angespannte Ruhe. Sogar der Verkehrslärm schien leiser zu werden und die Zeit still zu stehen. Bis sich plötzlich die Blondine wie ein sterbendes Tier aufbäumte - als wenn sie

von etwas getroffen worden oder etwas in sie gefahren wäre. Die Stimme, die nun über ihre Lippen kam hatte immer noch den furchterregenden, männlichen Tonfall von vorhin. Aber dieses Mal schwang Angst mit. „Ihr… seid… einer von… Hier? Wie… Weshalb?“ Abrupt schoss die Hand des Mädchens hoch und versuchte sich selber die Kehle aufzureißen. Doch der Hüne fing diese ab und hielt sie sicher fest. Dann führte er seine Lippen ganz dicht an ihr Ohr. Er sprach… flüsterte etwas. Und Fraser spürte eine einzigartige Erleichterung - als würden für einige

Atemzüge jegliche Sorgen von ihm fallen. Sogar Sun City schien ihm in genau diesem Augenblick ein Ort, an dem es sich zu Leben lohnen konnte. Obwohl er sie nicht hörte, war ihm, als hätten die Worte des Fremden etwas einzigartig warmes und reinigendes an sich, als würde dabei alles mit Licht erfüllt. Und für die Dauer eines kaum wahrnehmbaren Augenblickes, fühlte es sich wie damals an, als er noch als Kind jeden Sonntag mit seinem Vater… Dann war nur noch lautes, herzerweichendes Weinen zu hören, unterbrochen von den Schmerzensschreie eines angeschossenen

Mädchens. „Chan…“ meinte hierbei der Hüne ruhig, „wir brauchen dringend einen Krankenwagen für mindestens zwei Personen, ein Kind und einem Erwachsenen!“ Der Chinese hinter dem Imbissstand nickte ernst und schnappte sich ein auf der Theke liegendes Mobiltelefon, als der silberblonde Mann das komplett verdreckte Mädchen vorsichtig in die Arme nahm und aufhob. Es weinte bitterlich und wirkte völlig erschöpft, während es verwirrt gegen die Schmerzen kämpfte, die von der Schusswunde an ihrem Oberarm ausstrahlten. Dabei versuchte das

Mädchen zu sprechen und dem Hünen, der sie hielt, etwas zu sagen. Doch noch bevor es ein verständliches Wort hervorbrachte, übertonte das Knurren ihres Magens alles. Als sich dabei ihre Blicke trafen und der Mann ihr lächelnd zunickte, presste sich das Mädchen ganz fest an ihn und heulte erst recht los, bis die Müdigkeit endlich überhand nahm und sie augenblicklich in seinen Armen wegschlummerte. Die Stimme des Mannes klang jetzt dringlicher. „Fa!“ Eine kleine, sehnige Chinesin kam mit einer Decke bewaffnet aus dem Imbissstand hervor, nahm die

Bewusstlose entgegen und kümmerte sich fürsorglich um diese. Dabei wischte der Hüne dem Mädchen die Haare aus dem Gesicht und fuhr ihr sanft über den Kopf. „Keine Angst Dunja,“ meinte er ermutigend, „es ist vorbei! Endgültig!“ Dann wandte er sich der Asiatin zu und sprach auf Chinesisch mit ihr. Zwar hatte Fraser während seinen langen Jahren bei der Polizei auch einige Bruchstücke Chinesisch gelernt und konnte sich seiner Meinung nach doch recht ordentlich damit über Wasser halten. Aber der Dialekt, den die beiden jetzt benutzten, war ihm absolut fremd. Nach diesen Worten packte die Asiatin

das Mädchen noch fester und trug sie beschützend in den Stand, nickte dabei mit einer Entschlossenheit, die Fraser einen Schauer den Rücken hinab jagte. Irgendwie begriff er immer noch nicht, was genau passiert war… „Entschuldigen sie bitte, dass ich mich erst jetzt bei ihnen vorstelle“, meinte nun der Hüne, als er auf ihn zukam. Abgesehen davon, das dieser Mann mit Sicherheit über zwei Meter groß war, strahlte er eine unbestimmte Sicherheit aus, die der Polizist augenblicklich als unglaublich wohltuend empfand. Erst jetzt fiel Fraser auch das eingenähte, metallische Ankh auf dessen Jacke auf. „Mein Name ist Daniel, Deputy der ADP

und sie?“ „Fraser Josh Carson, NCP… nur Daniel?“ „Nur Daniel!“ Der Polizist musste erneut husten und krümmte sich dabei vor Schmerzen. Ohne zu zögern ergriff ihn Daniel an den Schultern und führte ihn zum Imbissstand. „Das klingt nicht gut Fraser. Zum Glück sollte bald ein Krankenwagen hier sein. Lassen sie sich unbedingt untersuchen! Es scheint, als wären ihre Rippen verletzt und innere Organe geschädigt.“ Vergebens wehrte sich der Polizist gegen den angenehmen und beruhigenden Tonfall des Mannes, als dieser ihn vor

den Stand auf den Boden setzte. Gleichzeitig kehrte Fa mit einer weiteren Decke zurück. Wobei sie ihnen etwas auf Chinesisch entgegenschnaubte, worauf Fraser Daniel fragend ansah. Dieser antwortete ihr zuerst auf Chinesisch und wandte sich dann dem Polizisten zu. „Von der ADP ist auch jemand hierher unterwegs. Und von nun an sind ausschließlich wir für das Mädchen zuständig. Das gilt für jeden, der nach ihr fragt!“ „Von mir aus...“ meinte Fraser, als er sich in die Decke einpacken ließ und zum ersten Mal seit scheinbar einer Ewigkeit erleichtert aufatmete - was er kurz darauf wegen den Schmerzen aber

auch sogleich bereute. „Wo steht ihr Wagen?“ fragte ihn der Hüne. „Hinter der Gasse… Rose wird wohl auch medizinische Hilfe brauchen. Sie wurde von dem Ding… ihrem Mädchen schwerer verletzt.“ Daniel schoss hoch und blickte prüfend in Richtung der Gasse. Die Schmerzen waren unerträglich. Inzwischen traute sie sich kaum noch sich zu bewegen. Rose hatte sich gegen eine Wand gelehnt und versuchte auszuharren, aber vor allem nicht das Bewusstsein zu verlieren.

Denn eine innere Stimme sagte ihr, dass das was danach kommen würde nur noch schrecklicher sein konnte. Sie zitterte - und war sich nicht sicher, ob vor Fieber oder Angst. Augenblicklich haderte die Frau mit ihrem Leben. Vielleicht hätte sie wirklich nie Polizistin werden sollen. Und warum ausgerechnet Sun City? Weil der Name so harmlos geklungen hatte... Wieso waren ihre Eltern überhaupt hierher gezogen? Sie musste erneut die Zähne zusammenbeißen, als sie nur zu gut spürte, wie das Brennen in ihrem Unterarm immer heftiger wurde. Dabei

war das nicht einmal das Schlimmste. Viel mehr Sorgen machten ihr die seltsamen Verhärtungen, die sie in der Wunde wahrnehmen konnte und die scheinbar selbstständig pulsierten - als wäre es etwas, das unabhängig lebte… Sehr wahrscheinlich bildete sie es sich nur ein, trieben sie die fürchterlichen Schmerzen zu diesen Wahnvorstellungen. Aber sie brachte wirklich nicht den Mumm auf, einen Blick auf die Wunde zu riskieren. Was wenn… Erneut schwappten mehrere Wellen reinen Schmerzes durch ihren Körper, schüttelte es sie heftig, während sie stöhnend die Augen zukniff. Lange

würde sie dies nicht mehr aushalten können. Dann schien es heller zu werden… Verwirrt sah sie auf. Der Fremde vom Imbissstand von vorhin kam auf sie zugerannt. Instinktiv wusste Rose, dass er sich damit in Gefahr brachte, dass er ihr nicht zu nahe kommen durfte. Also versuchte sie ihn wegzuscheuchen. Doch ihre Stimme klang ihr irgendwie fremd in den Ohren, während der Fremde ihre Bemühungen einfach ignorierte und vor ihr in die Knie ging. Dabei zeigte er ihr seinen ADP-Stern. Erleichtert atmete Rose auf. „Sie schickt der

Himmel!“ Der Mann zögerte kurz und sah sie dabei leicht irritiert an. Doch schließlich lächelte er nur versöhnlich, als er den Mantel auszog und diesen so zusammenfaltete, dass er Rose darauf bequem gegen die Wand abstützen konnte. Dann nahm er sich ganz vorsichtig ihrer Verletzung an. Er sprach dabei mit angenehmer, ruhiger Stimme. „Nein, denke nicht… bin nur Daniel, der ADP… lassen sie doch bitte mal sehen.“ „Rose M. McGowan, NCP.“ Keuchte die Frau und fing sich einen erstaunten Blick der faszinierenden, bronzenen Augen Daniels ein. „Wie die

Schauspielerin!“ „Nicht ganz“, lächelte Rose schwach, „mein mittlerer Name ist Marian…“ „Ist aber ein schöner Name." Während ihr das Kompliment unerwarteterweise äußerst schmeichelte, wehrte sie sich vergebens dagegen, dass der Mann sachte ihre Hand beiseite schob und das blutgetränkte Taschentuch entfernte. Noch nie zuvor hatte sie sich so schwach gefühlt. Obwohl sie die Luft anhielt, schien für ihn die Situation nicht so dramatisch, als er weiter sprach. "Ich finde es irgendwie schade, dass ihre Namensvetterin Red Sonja nie zu Ende gedreht hat.“ Meinte er, als er die Wunde unter Augenschein

nahm. Erstaunlicherweise zeigte der Hüne hierbei absolut keine Regung, blieb ruhig und gelassen wie zuvor, so dass Rose wieder Hoffnung schöpfte. Vielleicht war doch nicht alles so schlimm wie sie gedacht hatte... Doch für Daniel waren die schwarzen, unansehnlichen Gebilde, die noch im Kokonstadium verharrten nicht gerade ein erfreulicher Anblick. Er war zwar froh, dass sie noch nicht geschlüpft waren und sich bereits durch das restliche Fleisch fraßen, aber das würde nicht von Dauer sein. Und auch sonst sah die Wunde mit ihren dunkelvioletten, fast schwarzen Stellen ziemlich übel aus.

Das Gewebe starb einfach zu schnell ab. Er zögerte. Würden sie überhaupt ihren Arm retten können? „Haben sie es erwischt? Ich habe es nur anschießen können…“ Meinte Rose gegen die Schmerzen ankämpfend. Ja, die Wunde hatte er gesehen - dachte Daniel gerade, als er irritiert aufsah. Aber in dem Fall war es ein Wunder, dass sie noch am Leben war. Es hätte sie doch deswegen… Jetzt erst fiel ihm der altertümliche Anhänger mit dem Keltenkreuz an ihrem Hals auf. So wie es schien, musste er bei dem Kampf herausgerutscht

sein. Ein seltsames Lächeln bildete sich auf den Lippen des silberblonden Mannes. „Hübsch!“ Meinte er nun, als er das Kreuz in die Hand nahm und dabei ein prickelndes, angenehmes Gefühl spürte. „Ist schon seit Ewigkeiten in unserer Familie. Meinem Großvater soll es während dem zweiten Weltkrieg mehrfach das Leben gerettet haben!“ „Nicht nur ihm…“ murmelte Daniel mit einer wachsenden Zuversicht. „Sind sie gläubig, Rose Marian Mcgowan?“ frage er sie in einem unbestimmbaren Tonfall. „Ja, “ meinte sie unschlüssig, „aber ich komme nicht so häufig in die Kirche

wie… wieso?“ Daniel lächelte sie ermutigend an. „Die Wunde sieht zwar übel aus. Aber für solche Situationen haben wir bei der ADP glücklicherweise ein Mittel zur Erste-Hilfe… aber es tut verteufelt weh.“ Er verzog die Mundwinkel zu einem Grinsen. „Denke, das wäre eine brauchbare Alternative, um sich davon abzulenken.“ Sie sah ihn fragend an. „Ich würde vorschlagen, dass sie sich auf ein Gebet konzentrieren, dass sie gut können und dabei mal die Augen schließen, während ich mich der Wunde

annehme.“ „Das hilft?“ „Sie können auch wie ein Schulmädchen kreischen, wenn ihnen das mehr zusagt…“ Rose warf ihm einen bösen Blick zu und begann zu beten. Während sie dabei Daniel trotzig ansah, zückte er ein Messer. Er lächelte sanftmütig. „Sie wollen also auch zusehen, wie ich Teile aus ihrem Fleisch rausschabe und schneide?“ Die Polizistin kniff die Augen zu. „Braves Mädchen.“ murmelte Daniel, als er mit seiner linken Hand so viel eigenes Blut wie nur möglich von den Kratzwunden an seinem Unterarm

abwischte. Als die Handfläche mit einem dünnen Film seines Blutes überzogen war, drückte er sie kräftig in ihre Wunde - dabei flüsterte er etwas. Voller Schmerzen bäumte sich Rose auf, fluchte und schrie gellend, derweil sie sich verzweifelt auf ihr Gebet zu konzentrieren versuchte und sich mit der gesunden Hand an Daniel festklammerte. Während sie winselnd gegen die Tränen ankämpfte, löste sich mit einem scharfen Zischen eine giftige, dunkelgraue Dampfwolke aus ihrem Unterarm. Für einen Augenblick lang waren die Schmerzen unerträglich. Dann waren sie verschwunden. Sofort riss Rose die Augen auf und sah

Daniel überglücklich an, während es schien, als steckte er gerade etwas in seine Hosentasche. Dann wischte er sich an einem Taschentuch noch seine Hände sauber. „E-es tut nicht mehr weh…“ meinte sie verwirrt. Selbst die Wunde sah nicht mehr so schlimm wie zuvor aus. Es würden sicherlich hässliche Narben bleiben - aber zumindest spürte sie wieder ihre Hand. „Nicht ganz,“ erwiderte der silberblonde Mann, „die Wunde ist momentan mehrheitlich betäubt und die Schmerzen werden wieder zurückkommen, schneller als ihnen lieb ist…“ Sie nickte tapfer, während er die

Wunden notdürftig mit einem eigenen Taschentuch verband. „Aber das schlimmste ist jetzt wohl überstanden.“ In der Ferne war inzwischen Sirenengeheul zu hören. Der Krankenwagen kam. Vorsichtig half Daniel Rose auf die Füße, warf ihr seine Jacke über und begleitete sie aus der Gasse heraus. „Ich muss unbedingt Jones kontaktieren“, murmelte er völlig von der Realität des Augenblickes losgelöst, „mit Dunja Katić haben wir endlich eine sehr gute Chance, die anderen Mädchen zu finden, falls diese noch am Leben sind! Denn das war einer der übleren Sorte - da muss noch

was großes herübergekommen sein...“ Rose sah nachdenklich zu ihm hoch. „Daniel? Und sonst?“ Er schien kurz abwesend. „Nur Daniel!“ „Nun Daniel, sie sind wohl auch Ire... aber kommen sie denn zufällig aus Sligo?“ „Nein, eigentlich nicht - in beiden Fällen. Wieso fragen sie?“ „Seltsam… sie sprechen den Dialekt meiner Heimat so perfekt, wie ihn nur mein Großvater noch sprach!“ Der silberblonde Hüne lächelte entwaffnend.

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Lobezno
Eigentlich ist es so wie es ein Landsmann von mir treffend beschrieb:

'Mit den Riesen habe ich keine Probleme; nur die Windmühlen machen mir echt zu schaffen!'

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Meerjungfrau Eine coole Geschichte!
Vor langer Zeit - Antworten
Lobezno Danke!

LG
Lobezno
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Heidrun Hallo Lobenzo,
Echt spannend,

Deine Heidrun
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Lobezno Vielen herzlichen Dank!

LG
Lobezno
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