Mit Leichtigkeit nahm Calvin die fünf Treppen, die ihn zum Ziel führen sollten. Sein Ziel: Das Haus einer Familie, deren Leben er auslöschen wollte.
Irgendwie breitete sich in seiner Brust ein wohliges Gefühl aus. Zwar hatte er anfangs Zweifel gehabt, doch mit jedem weiteren Gespräch, dass er mit seinem Auftraggeber führte, spürte er, dass es das einzig Richtige war; dem ganzen ein Ende zu setzen. Zu viele Geheimnisse verbargen sich in diesem Haus und in den Menschen, die darin lebten. Zu viele
Lügen. Er hatte es satt, belogen zu werden.
Noch einmal tastete er nach seiner Waffe, die er zwischen Gürtel und Hose geklemmt hatte. Eigentlich hätte er auch auf offener Straße mit dem Ding herum hantieren können. Heutzutage interessierte es keinen mehr. Jeder Idiot hatte eine Waffe. Die Frage war nur, wie viele wirklich damit umgehen konnten.
Calvin begann zu lächeln. Er erinnerte sich an das letzte Mal, als er dieses Blutbad in der 5th Avenue angerichtet hatte. Er konnte die Angst förmlich riechen, als die zwei Männer um ihr Leben bettelten. Umso größer war der Genuss, ihnen die Kugel zwischen die
Augen zu jagen, nachdem er erst auf die Beine und Arme gezielt hatte.
Heute war ihm allerdings nicht danach, das Ganze zu genießen. Er wollte so schnell wie möglich nach Hause, ein Bad nehmen und sich Wiederholungen seiner Lieblingssendung ansehen. Die Welt, und vor allem sein Auftraggeber, sollten ihn in Ruhe lassen.
Calvin war kein schlechter Mensch, zumindest redete er sich das gern selbst ein. Er sorgte nur für Ordnung. Und um Ordnung zu schaffen, musste man eben ab und an diese Drecksarbeit machen.
Ob er stolz auf sich war? Das konnte er nicht beantworten. In seinen Augen waren diese Angelegenheiten, wie er sie
gern nannte, einfach nur Jobs, um seine Haushaltskasse aufzufrischen. Und daran verdiente er wirklich nicht schlecht.
Calvins Hand legte sich auf den Türknauf und mit Leichtigkeit ließ er sich nach links drehen. Ein Großteil der Amerikaner hatte es immer noch nicht gelernt. In diesem Land wimmelte es nur so von Einbrechern und es gab tatsächlich noch Menschen, die es nicht für nötig hielten, die Haustür abzuschließen. Doch diese Tatsache entlockte Calvin ein weiteres Lächeln. Er wusste, dass er leichtes Spiel hatte und böse darüber war er nun wirklich nicht. Es war wie eine Einladung, die er keinesfalls umgehen
konnte.
Calvin ließ die Tür hinter sich einfach offen stehen und ging ein paar Schritte Richtung Flur. Er wusste, dass sich das Esszimmer unmittelbar zu seiner linken befand; immerhin hatte er das Haus schon Wochen vorher jeden Abend beobachtet. Auch das diese Familie ihre Rituale, wie das gemeinsame Essen, beibehielt. Also blieb er kurz stehen und presste seinen Rücken gegen die Wand.
In ein paar Sekunden würde alles vorbei sein. Er brauchte nur vier Schüsse abfeuern und dann einfach heraus marschieren. Doch das war manchmal leichter gesagt als getan.
Heute schien sich etwas tief in seinem Inneren dagegen zu sträuben, den nächsten Schritt zu tun. Als ob er zum falschen Zeitpunkt an einem falschen Ort wäre. Ein Fehler, den er bereuen würde, weil er sich auf etwas eingelassen hatte, dass er nicht kontrollieren konnte.
In seiner Erinnerung hörte er die letzten Worte seines Auftraggebers: „Wenn du es machst, dann mach es ordentlich.“
Calvin atmete tief durch. Und innerlich schnaubte er. Er machte seinen Job immer ordentlich. Was sollte hierbei also schief gehen. So gut es eben ging, fing er an, seine Zweifel beiseite zu schieben und sich auf das Wesentliche zu
konzentrieren.
Er hörte immer noch die Stimmen, die aus dem Esszimmer kamen.
Eine Familie, die sich nett beim gemeinsamen Abendessen unterhielt und Calvin würde derjenige sein, der diese idyllische Atmosphäre zerstören würde.
Er entsicherte die Waffe und machte den entscheidenden Schritt nach vorn. Die Stille, die eintrat, bevor sich der erste Schuss löste, war Nerven zerreißend.