Interview mit Dr. Frankenstein.
Ich saß Dr. Frankenstein in seinem Studierzimmer gegenüber. „Kennen sie Herrn Sutterstock?“ „Nur flüchtig. Er ist schon seit geraumer Zeit vermisst, verschwunden.“
Auf dem Schreibtisch lag ein Schreibblock. “Lesen sie!“ Ich nahm den Block und las.
Das Gebäude war keines. Es glich eher einem mittelalterlichen Schloss. Besitzer war ein gewisser Herr Frankenstein. Ich hatte gerade mit dem Wagen gebremst, da kam mir schon ein Butler entgegen, um meinen Wagen irgendwohin abzustellen. Der Herr möge es nicht, wenn Autos an der Auffahrt
herum stehen, erklärte mir der Grauhaarige. Der Herr befände sich im ersten Stock, im Studierzimmer. Na gut, Block und Stift hatte ich bei mir. Es hatte ja eine Weile gedauert, bis ich die Genehmigung für ein Interview bekommen hatte. Jetzt wollte ich es nicht versauen. Die Eingangshalle bot eine geschwungene, riesige Treppe nach oben. Ich bog in den Gang ein und sah eine offene Türe. Ich spähte hinein. Die Wände des Raumes waren mit Büchern angefüllt. Ein großer Schreibtisch stand in der Mitte auf einem japanischen Teppich mit Melange-Effekt. Dahinter saß Frankenstein. Eine tolle Erscheinung! Nehmen sie Platz, forderte mich seine tiefe Stimme auf. Ich nahm ihm gegenüber in dem tiefen OhrensesselPlatz.
Sie kommen vom Esquire? Richtig und sie haben meine Anweisungen genau befolgt Gewiss. Niemand weiß, dass sie hier sind? Nein, nicht einmal mein Redakteur. Unsere E-Mail Kommunikation habe ich gelöscht. Prima, schmunzelte er. Sie wissen, dass ich sozusagen Grenzwissenschaft betreibe. Daher ist es nicht so prickelnd, wenn ich da irgendetwas lesen müsste, dass den Arztberuf in ein schlechtes Licht stellen würde. Ist mir vollkommen klar, nickte ich. Es entstand eine Pause, dann lächelte mich Dr. Frankenstein an. Was wollen sie wissen, mein lieber Satterstock. Ich hob an. Wie sind sie denn zu dem Arztberuf gekommen? Dr. Frankenstein lehnte sich zurück. Das muss ich etwas ausführlicher berichten. Mann, war
ich dankbar.
Ich sah auf. „Genauso, wie bei mir.“
„Lesen sie nur weiter“, forderte er mich auf.
Ich las weiter, was Sutterstock weiter notiert hatte.
Ich war noch jung, lächelte Frankenstein, hatte gerade mein Staatsexamen bestanden, als mein Vater mich unten ins Labor mitnahm. Wir haben in diesem Schloss unten ein weitläufiges Gewölbe. Wie gesagt, er nahm mich das erste Mal mit. Und ich durfte zuschauen. Auf dem Operationstisch lag eine hübsche junge Frau, die mich mit großen Augen richtig flehentlich ansah. Sie konnte sich nicht rühren, denn sie war angeschnallt.
Wenn es um die Wissenschaft geht, da darf man keine Skrupel haben, oder nicht? Selbstverständlich, beeilte ich mich ihm zuzustimmen. Mein Vater erklärte mir den Eingriff genauestens. Zuerst wird die Kopfhaut vom Nacken weg nach vorne gestülpt. Der Patient ist großteils betäubt, aber nicht völlig, weil man ansonsten die elektrischen Anoden nicht richtig setzen könne. Verstehe, sagte ich diensteifrig. Danach wird das Schädeldach geöffnet. Dazu nimmt man eine kleine Kreissäge. Er hat sie selbst gebaut. Sagenhaft, rief ich bewundernd. Das Dach wird abgenommen und mit Löchern versehen. Durch diese werden dann die Drähte geführt. Die Anoden werden dann in das Gehirn eingesetzt.
Hauptsächlich in der Gegend des Rhinencephalon, der Amygdala und der des Hippocampus. Der Neocortex und die Basalganglien spielen dabei nicht die tragende Rolle. Natürlich. Danach wird die Schale wieder aufgesetzt und das Schalenteil verklammert. Die Abgezogen Haut wird wieder zurückgestülpt und fertig. Sagenhaft! Das ist natürlich jetzt ganz vereinfacht dargestellt. Damals arbeiteten wir über fünf Stunden! Erstaunlich. Und die Patientin bekam alles mit? Ja, schon, aber sie hat so gut wie keine Schmerzen gehabt. Das Problem sind nur die Augäpfel, die ja frei liegen und mit genügend Feuchtigkeit versorgt werden müssen. Das Hirn hat nun mal keine Schmerzrezeptoren. Kopfweh,
fragte ich dumm. Hemicrania continua, also dauerhafte Halbseiten-Kopfschmerzen und Trigeminusneuralgie gehören zu den seltenen Kopfschmerzformen. Schon mal Kater gehabt? Kopfschmerzen werden meist durch andere Ursachen ausgelöst. Aha.
Am Tag darauf, wir wollten dass sich die Patientin etwas erholen kann, fand dann das eigentliche Experiment statt. Wir schnallten sie los. Mein Vater hatte den Trafo in der Hand. Eine richtige komplizierte Fernsteuerung. Mein Vater schaltete. Die Frau erhob sich. Wie war denn ihr Zustand. Na ja, die Haut war noch nicht so richtig durchblutet, aber das ist ja auch kein Wunder gewesen. Daher machte sie doch einen etwas erschreckenden
Eindruck.
Kurz und gut, sie Stand auf und ging auf meinen Vater zu. Irre, entschlüpfte es mir. Ja, damals war ich auch ganz baff. Sie konnte das Gleichgewicht halten. Aber dann ging irgendetwas schief. Wahrscheinlich hatte sich der Gehirndeckel ein wenig verschoben, vielleicht hatte sich eine Klammer gelöst. Jedenfalls fiel sie meinem Vater in die Arme und ihre Hände drückten die Kehle meines Vaters zu. Ich wusste nicht was ich tun sollte. Ich glaube meine Kinnlade viel herunter.
Da nahm ich einen der Kondensatoren, die noch herum lagen und schlug zu. Leider war es zu spät. Mein Vater war erwürgt. Oh Gott, oh Gott! Ja, tragisch, stammelte Dr. Frankenstein ergriffen. Die Frau? Natürlich
auch tot. Ich schüttelte den Kopf.
Dr. Frankenstein atmete wieder auf. Tja, seitdem habe ich nur noch mit Leichenteilen experimentiert. Kleine Erfolge stellten sich ein, aber der große Wurf war mir nicht vergönnt. Inzwischen habe ich nochmals die Aufzeichnungen meines Vaters durchgesehen und habe festgestellt, dass er sich auf dem richtigen Wege befand. Ich habe inzwischen das Labor hochgerüstet. Wir können nun Laser-genau, also auf den zehntel Millimeter dreidimensional vorgehen. Dazu habe ich einen der modernsten Magnetresonanzapparate der Welt im Labor. Möchten Sie sich ihn mal ansehen? Herzlich gern. Ihren Schreibblock können sie derweil hier lassen. Wir müssen sowieso danach
noch die einzelnen Operationsschritte durchgehen. Sie sind doch daran interessiert? Freilich, natürlich Herr Dr. Ich werde mir das Labor nun ansehen, dann kann ich weiter schreiben.
„Warum hat er denn nicht weiter geschrieben?“
„Was weiß ich“, ließ Dr. Frankenstein die Schultern fallen.
„Ein sagenhaftes Geschreibsel, nicht?“
"Billigster Mumpitz“, bestätigte ich. Frankenstein nickte mitleidig.
„War Sutterstock eigentlich immer schon so eine Märchentante?“
„Nein eigentlich nicht. Wir sind nur in der Redaktion etwas bestürzt, dass er so plötzlich
von der Bildfläche verschwunden ist. Die Polizei weiß auch keinen Rat.“
„Sehen sie, deshalb habe ich diesen Schreibblock zum Lesen gegeben. Vielleicht hatte er ein Gedächtnisproblem.“
„Das ist jedenfalls blödes Geschmier“, ereiferte ich mich.
„Das kann man wohl sagen! Wissen sie was, ich zeige ihnen erst einmal das Labor, dann können wir uns weiter unterhalten", meinte Frankenstein jovial. "Vielleicht wollen sie sogar das Geschreibsel ihres Kollegen mitnehmen.“
„Ich glaube, das brauche ich nicht. Ich bin ein seröser Journalist.“
„Das ist ja fein“, säuselte Dr. Frankenstein. „Dann werden sie sicher von meinem
Laboratorium begeistert sein.“