Kapitel 37 Der EinsiedleR
Ehrfürchtig trat Galren von dem Toten zurück. War das vielleicht sogar Simon Belfare selbst? Es gab wohl keine Möglichkeit mehr, das herauszufinden… aber die Überreste trugen immerhin die Kleidung eines hohen Würdenträgers des Sangius-Ordens. War es wirklich noch Zufall, der sie hierher geführt hatte?
,, Das ist wirklich seltsam.“ , meinte Naria in die Stille hinein und trat einen Schritt auf den Toten zu.
,, Glaubt mir, seltsam wäre nicht das Wort das ich verwenden würde.“ Lias hatte eine Hand an den Schwertgriff
gelegt, während er Narias Blick folgte. ,, Dieser Mann wer immer er ist, ist seit Jahrhunderten Tod.“
Die Magierin schüttelte den Kopf. ,, Nicht ganz.“
,, Das ist ein Skelett, natürlich ist er Tot.“
,, Tot ja. Und das ist das Problem. Vielleicht täusche ich mich auch nur. Merl tut mir einen gefallen, ich weiß ihr seid nicht gut darin, aber könnt ihr mir sagen wer in diesem Raum alles über Magie verfügt.“
Der junge Magier runzelte die Stirn. Dann tat er jedoch worum Naria ihn gebeten hatte und schloss einen Moment die Augen, während er sich konzentrierte.
,, Nun… ihr natürlich .“ , meinte er nach einer Weile und sah von einem zum anderen , ,, Ich ebenfalls . Galren vielleicht, ich kann es nicht ganz festmachen, aber worauf wollt ihr eigentlich… „ Merl stockte, als sein Blick das Skelett auf seinem Platz streifte.
,, Ihr seht es also auch.“
,, Wärt ihr so freundlich uns aufzuklären ?“ , fragte Galren. ,, Was geht hier vor ?“
,, Nun… dieser Mann da.. oder vielleicht besser sein Körper verfügt über Magie. Bei einem Toten dürfte das nicht der Fall sein, Magie ist reine Lebenskraft solange auch nur ein Funke davon über
bleibt ist man nicht tot. Um es verständlicher zu machen, wenn meine Magie hell wie ein Stern wäre, wäre dieses… Ding da die Sonne. Als hätte er bei seinem Tod irgendwie sämtliche magische Energie konserviert aber wozu sollte jemand das tun, es nützt ja niemanden etwas.“
,, Vielleicht sollten wir einfach zusehen, das wir hier wegkommen.“ , schlug Elin vor. Die Gejarn stand so weit von dem Toten entfernt, wie es der dunkle Raum zuließ.
,, Jetzt sagt nicht ihr habt doch Angst ?“ , fragte Galren.
,, Von wegen.“ , erwiderte sie. ,, Ich…“ Elin kam nicht dazu, den Satz zu
beenden
,, Ihr… Ihr seid keine Geister?“ Die dünne Stimme kam aus dem Gang, der aus dem Laderaum herausführte. Sowohl Galren als auch die anderen fuhren erschrocken herum und starrten den Gang zurück, den sie gekommen waren. Eine schwankende Gestalt trat langsam über die algenbewachsenen Planken auf sie zu. Einzelne Lichtstrahlen die durch Lücken in der Bordwand fielen enthüllten ausgemergelte Gesichtszüge und die Überreste einer Robe, deren ursprüngliche Fabre längst nicht mehr erkennbar war. Der ausgebleichte Stoff bestand mehr aus Fetzen als aus Fäden und was darunter an Haut zu erkennen
war, bedeckte grade einmal die bloßen Knochen.
Galrens Hand verharrte an Atruns Griff. Dann jedoch ließ er das Schwert los, als der Fremde endgültig so nahe heran war, dass sie ihn erkennen konnten. Der Mann war alt, wie Galren feststellte. Seine Haut war aschfahl, genauso wie seine Haare, als hätte seine gesamte Gestalt mit den Jahren schlicht die Farbe verloren. Skelettartige Finger rafften die farblosen Roben um den ausgemergelten Körper. Gelbliche, blutunterlaufene Augen musterten sie einen nach dem anderen. ,, Ihr seid keine Geister…“
Galren war der erste, der seine Sprache wiederfand. ,, Nein… Nein das sind wir
nicht.“ Warum sollte der Mann glauben sie seien nicht real? Und viel wichtiger… ,, Wer seid ihr ?“
,, Ich…“ Die Hand, die die zerlumpten Roben zusammenhält wanderte zum Kopf, strich nervös über die grauen Haare. Zu seinem Entsetzen konnte Galren sehen, wie die Augen des Mannes wässrig wurden. ,, Ich weiß es nicht mehr Ihr… Er… Er hat gesagt jemand würde kommen. Das hat er gesagt und ich habe es nicht mehr geglaubt.“
Bevor er noch irgendwie reagieren konnte hatte der Mannscheinbar das Gleichgewicht verloren und taumelte zurück gegen die Wand. Lachend und weinend gleichzeitig ließ er sich daran
zu Boden gleiten, die Hände fast hysterisch, zwanghaft über die Arme kratzend.
,, Ich habe es nicht geglaubt…“ , murmelte er. ,, Verzeiht mir Herr, ich habe es nicht mehr geglaubt…“
Galren wusste nicht was er sagen sollte und auch die anderen schweigen, als sie dieses Wrack von einem Menschen musterten. Was konnten sie tun…
,, He… das wird schon irgendwie wieder gut.“ Es war schließlich Elin, die sich ohne eine Spur von Spott oder ihrer sonstigen Überschwänglichkeit neben den Mann setzte. ,, Wir sind hier, wir können euch hier weg bringen.“
Er schien sich nur langsam wieder zu
fangen, während die Gejarn beruhigend über Kopf strich. In diesem Moment wirkte er tatsächlich wie ein Kind, nicht wie jemand, der bestimmt schon auf die hundert zuging. Oder zumindest so aussah.
,, Wie lange glaubt ihr ist er schon hier ?“ , fragte Armell . Die Einsamkeit hier musste einen wohl zwangsweise um den Verstand bringen und wenn man sein Alter bedachte… Wann war er wohl hier gestrandet? Sie hatten nur das eine Schiff gefunden aber das musste ja nichts heißen.
,, Ich… ich weiß es nicht.“ , antwortete der Alte zögerlich. ,, Ich weiß so wenig. Seine Worte weiß ich noch… Weiß… es
ist weiß…“
Die Gejarn seufzte, während sie ihm vorsichtig wieder auf die Füße half. ,, Ich fürchte, lange genug um ein paar Schrauben locker zu haben. Geister, er sieht wirklich furchtbar aus. Von wem redet er die ganze Zeit? Ist hier noch jemand?“
,, Jaja.. immer da, passt immer auf.“ Die Augen des Gestrandeten wanderten zu Merl und bleiben an seinem Amulett hängen. ,, Er hat danach gesucht, das hat er. Aber ich glaube die hat er nie gefunden… Vielleicht wäre uns das hier dann alles erspart geblieben.“
,, Meint ihr die Träne ?“ , fragte Merl unsicher. ,, Ihr… Wer sucht
danach?“
,, Er.“ Der namenlose Mann hob einen zitternden Finger und richtete ihn direkt auf das regungslose Skelett hinter ihnen. ,, Immer er und seine verfluchten Pläne. Pläne… Ihr müsst weg umkehren wenn ihr hierhergekommen seid ja. Es geht hier nicht weiter. Euch wird es nur auch vernichten.“
,, Er ist verrückt.“ , stellte Lias fest. ,, Und zwar völlig.“
,, Ich weiß nicht…“ Galren sah einen Moment zwischen dem Toten und dem Irren hin und her. Vielleicht hatte Lias Recht. Aber sein Gefühl sagte ihm etwas anderes. ,, Merl… wäre das irgendwie… möglich was er sagt
?“
,, Simon Beflare starb vor fast 300 Jahren wenn das hier wirklich sein Schiff ist.“ , mischte sich Naria ein. ,, Ein Magier kann sich nicht selber heilen, weil er die dazu nötige Kraft von sich selbst nehmen müsste. Er würde mehr Schaden anrichten als er wieder gut machen könnte. Genau so wenig kann er demnach sein Leben verlängern. Im Gegenteil, der Versuch würde alleine nur dazu führen, das man noch schneller altert, wegen dem Preis, den die Magie dabei fordern würde. Es ist nicht möglich… oder Merl ?“
Der junge Magier stand schweigend zwischen ihnen, den Blick auf den Toten
auf seinem Lehnstuhl gerichtet. Galren hatte Merl nur einmal zuvor so ernst erlebt, damals in der fliegenden Stadt, als sie sich Nachts auf dem Brückengang unterhalten hatten. Das was er hier sah, war der Magier Merl, nicht der verschüchterte junge Mann.
,, Naria hat schon recht. Ein Magier kann sein eignes Leben nicht verlängern. Aber so wie sie andere heilen können, könnten sie auch ihre Lebenskraft mit jemand anderen teilen. Das ganze basiert auf dem gleichen Prinzip es ist nur ein anderer Maßstab derselben Sache.“
,, Und es gibt einen guten Grund aus dem es trotzdem niemand macht.“ , mischte Naria sich ein. ,, Allein der
Schock sich das eigene.. Leben aus der Brust zu reißen würde einen töten lange bevor der Zauber abgeschlossen ist. Selbst der mächtigste Zauberer könnte jemand anderen vielleicht was.. zwei drei Jahre schenken bevor es ihn dahinrafft?“
,, Und wenn er nicht mehr am Leben wäre ? Wenn der Zauber auf eine Art gewebt wäre, die den Transfer fortsetzt egal was passiert… Simon Belfare wusste am Ende seines Lebens vermutlich mehr über Magie als alle heutigen Ordensmagier zusammengenommen. Wenn es eine Möglichkeit gibt einen solchen Zauber zu wirken, er hätte sie
gefunden.“
,, Ahnen… Warum sollte jemand sich so etwas antun? Das ist… kennt ihr die Kälte wenn ihr einen Zauber zu lange aufrechterhaltet?“
Merl nickte und als er weitersprach war seine Stimme von stummen entsetzen gezeichnet. ,, Es wäre genauso. Nur hört es nie auf. Wie lange es dauert bis einen so etwas tötet? Stunden ? Tage ?... Ich meine wenn seine Magie noch an seinen Körper gebunden ist… ist er dann überhaupt wirklich tot oder stirbt er immer noch?“
,, Mich würde mehr interessieren, worum es dabei ging.“ , meinte Naria aber auch ihrer Stimme war anzuhören wie sehr sie
die Vorstellung abstieß. ,, Wenn jemand bereit ist so etwas zu tun, dann muss es schon unglaublich wichtig gewesen sein.“
Merls Blick wanderte zurück zu dem alten Mann. ,, Um ihn. Oder etwas, das er weiß. Simon muss gewusst haben, das nur einer Überleben kann. Und das war nicht er selbst, er war der vielleicht mächtigste Magier seiner Zeit… in der Lage das Leben eines Mannes so lange zu verlängern wie nötig sein würde.“
Manchmal bewies der junge Zauberer eine Weisheit die nicht zu seinem Alter passen wollte.
,, Er erinnert sich nicht.“ , mischte Elin sich ein. Ihre Stimme war von Mitleid
gezeichnet, während sie den Alten stützte. Er wirkte so zerbrechlich als würde er jeden Moment zu Staub zerfallen. ,, Er war hier völlig allein.“
,, Ich… erinnere mich an wenig.“ , korrigierte er sie, seine Stimme kaum mehr als ein Hauch. ,, Ich… Ich war einer der wenigen Magier auf dem Schiff. Götter es war nur Zufall dass ich überhaupt hier war. Er.. Simon wollte nur so wenige Zauberer wie möglich. Ich weiß nicht wieso… ich weiß nicht…“
Er fiel wieder in sein altes Mantra aus Zwangshandlungen und gemurmelten Worten. Galrne konnte nichts als Mitleid für ihn empfinden. War er wirklich all diese Jahrhunderte hier gewesen… völlig
isoliert? Kein Wunder, das er nicht mehr völlig berechenbar war. Das würde niemand unbeschadet überstehen. Vielleicht konnte er nicht verstehen wovon Merl sprach aber von seiner Warte aus hatte Simon Belfare noch das leichtere Schicksal.
,, Aber ihr wart hier bei ihm… als er starb ?“ , wollte Armell wissen.
Ein Nicken war die Antwort. Der Alte sank erneut zu Boden, diesmal auf die Knie. ,, Er hat mich so oft um Verzeihung gebeten.“ Die Worte waren wie immer grade mal ein Flüstern, als wären auch seine Stimmbänder nach all der Zeit brüchig und kaum mehr Belastungsfähig. ,, Er sagte ich müsse
bleiben, weil er es nicht könnte, das hat er gesagt. Ich müsse seine Bürde tragen und dann hat er geweint…. um mich glaube ich aber auch um alles andere , weil er mir seine Bürde auferlegen musste.. weil er glaubte versagt zu haben. Ich habe lange mit ihm gesprochen… Aber ich erinnere mich an so wenig. Er hat mich gefragt ob ich eine Nachricht für seine Frau und seinen Sohn überbringen würde, sollte ich zurückkehren. Der Sohn ist jetzt ebenfalls lange Tod. Vielleicht sein ganzes Haus.“
,, Zumindest was das angeht kann ich euch beruhigen.“ , meinte Armell. ,, Die Kaiser sind immer noch die
Belfare…“
,, Irgendwie bezweifle ich, das ihm das ein großer Trost ist.“ , meinte Elin. ,, Wir sollten ihn auf die Immerwind bringen, das ist das mindeste was wir tun können. Ihr werdet sehen nach einer ordentlichen Mahlzeit sieht die Welt gleich wieder etwas besser aus.“
Die junge Gejarn machte sich daran den Mann erneut auf die Füße zu ziehen und ihn in Richtung Gang zu bewegen.
,, Ich würde gerne noch etwas bleiben.“ , meinte Naria. ,, Ich glaube immer noch nicht, das jemand so etwas tun würde… vielleicht wenn ich herausfinde wie er es angestellt hat…“
Lias trat vor. ,, In dem Fall bleibe ich
auch fürs erste.“
,, Ich glaube wirklich nicht, das ich einen Aufpasser brauche.“ , erwiderte die junge Magierin kühl.,, Schon gar nicht euch. Oder fürchtet ihr ich könnte irgendetwas in Erfahrung bringen das euch nicht gefällt ?“
,, Eigentlich.“ , gab Lias zurück. ,, Dachte ich lediglich ihr wollt etwas mehr Gesellschaft als einen toten Zauberer.“
Naria zögerte kurz, lächelte dann aber schwach. ,, Nun bessere ist sie definitiv.“
,, Dann bringen wir unseren neuen Gast zum Schiff zurück.“ , erklärte Galren. ,, Hedan wird noch bis heute Abend
warten. Aber vergesst die Zeit nicht. Ich will dem Mann wirklich nicht erklären müssen er muss über Nacht vor Anker bleiben…“
,, Glaubt mir, das will keiner von uns.“ , erwiderte Armell, als sie sich schließlich, Elin und den Alten an der Spitze, auf dem Weg zurück durch das Wrack machten.