Sie sagen, ich könne nicht schauspielern. Ich lache zu wenig. Ich könnte es gar nicht. Sie haben recht, ich lache nie. Ich sehe keinen Sinn darin. Ihre Witze sind dumm, ihre Worte verlogen. Was nicht heißt, dass ich es nicht kann. Es ist schon seltsam, wie ein komisches Glucksen und das Aufblitzen schiefer gelber Zähne auf sie sympathisch wirkt. Mir gefällt es nicht.
Es heißt, ich sei ein Genie. Intelligent, aber nicht in der Lage, Gefühle zu zeigen. Sie sind im Unrecht. Ich kann meine Gefühle so offen zeigen wie jeder von ihnen. Ich sehe nur keinen Sinn darin. Ich will nicht gelesen werden wie ein offenes Buch.
Wahrscheinlich sind das nicht die besten Eigenschaften für einen angehenden Schauspieler. Denn ich will und werde schauspielern. Sie meinen, mir stehen alle Türen offen. Ich wähle diese.
Was nützt mir Mathematik, wenn ich doch die Freiheit erleben möchte? All die Regeln in meinem Leben grenzen mich ein. Ich möchte tun und lassen, was ich will und wenn es nur in Form eines erfundenen Charakters ist. Der Realität entfliehen, ein normaler Junge sein, das Leben aus den Augen eines anderen sehen. Und wenn es nur für ein paar Sekunden ist.
Sie belächeln mich, denken ich würde sie
nicht durchschauen, keinen ihrer dummen Gedanken erkennen, ihre Gefühle nicht verstehen. Sie liegen falsch. Ich lese es aus ihren Augen, fühle mit ihnen, auch wenn ich es nicht will.
Sie erwarten, dass ich unsozial bin, Menschen hasse und Gefühle nicht kenne. Ich bin ihnen fremd. Sie sind mir fremd. Aber nicht so sehr, wie sie denken. Würden sie sich öfter mit mir unterhalten, wüssten sie es. Aber sie reden nicht mit mir. Ich nicht mit ihnen.
Worte sind zu stark. Sie verraten alles über einen. Es ist verwunderlich, wie viel Macht in den kleinen Buchstaben liegt. Je nachdem, wie man einen Satz ausspricht klingt er beleidigend, fröhlich
oder sogar bedrohlich. Ich sage selten etwas, und wähle meine Worte sorgfältig. Es gibt einfach zu vieles, das einen beim Sprechen verraten kann. Denn das Gesagte unterscheidet sich nicht selten vom eigentlich Gemeinten. Nur wer sorgfältig beobachtet wird diejenigen ausmachen können, die Lügen. Meistens sind es die, die auch sonst nichts anderes als böse Worte und Beleidigungen zu sagen haben. Ich mag sie nicht, diese Menschen. Sie halten sich für das Beste, das der Erde passieren konnte, ohne dabei besonders intelligent zu sein.
Ich bin nicht arrogant! Ich wirke so, da ich nie jemandem nette oder entgegenkommende Worte zu schenken
habe, aber was soll ich Lügen verbreiten? Ich bin klüger als die meisten, das ist ein Fakt. Aber ich bin nicht besser und werde es nie sein.
Sie denken anders, sie glauben, ich hielte mich für den Größten. Sollen sie nur. Sie sind mir egal. Am Ende zählt doch immer nur das Gute, was Leute über dich sagen.
Ich lächle in mich hinein. Gleich ist es so weit. Ich werde ihnen zeigen, was ich kann. Eine Minute Zeit, um zu beweisen, dass nicht nur das Denken mein Talent ist.
Ich habe keine Angst. Es gibt keinen Grund, nervös zu sein. Ich weiß, dass alles gut gehen wird. Ich bin vorbereitet.
Der Vorhang öffnet sich. Festen Schrittes schreite ich über die knarrenden Bretter der Bühne. Die Kapuze meines schwarzen Pullovers verdeckt mein Gesicht. Trotzdem erkennen sie mich. Das Gemurmel im Saal verstummt. Alle Augen sind auf mich gerichtet. Doch ich bewege mich keinen Schritt, sage kein Wort. Meine Zeit läuft. Die Sekunden verstreichen und ich rühre mich nicht von der Stelle. Erstaunte und nervöse Gesichter blicken mir entgegen. Ich blende sie aus. Sie stören mich in meiner Konzentration.
Wie eine Statue verweile ich an Ort und Stelle. Ich zähle die Sekunden. Als nur
noch zehn von ihnen übrig sind, hebe ich den Kopf und streife die Kapuze herunter.
Mein Blick ist kalt und meine Hände hebe ich unheilverkündend über den Kopf. Auf meinem Gesicht liegt ein eisiger Schatten, den noch nie ein Mensch bei mir gesehen hat.. „Ich bin seit langem des Todes.“
Urplötzlich sinke ich zusammen und bleibe liegen. Der Satz macht keinen Sinn und doch zucken sie zusammen. Die Worte sind mächtig. Sie brauchen keinen Sinn. Allein der Gedanke an den Tod lässt sie zusammenzucken. Ich berühre einen wunden Punkt in ihren Herzen. Und das in einem Satz. Ich brauche keine
Minute um auszudrücken, was ich mit meinem Spiel sagen möchte. Mir reicht weniger Zeit.
Es ist auch egal, was ich zu ihnen sage. In diesem Moment, in dem sie nichts mehr von mir erwarteten, in dem sie mich auf der Bühne bereits abgeschrieben hatten, hätte ich alles von mir geben können, so lange ich ihm nur eine gewisse Kraft verleihe. Und doch habe ich eine Kombination aus Buchstaben, Worten gewählt, die sie zum Nachdenken bringt, ohne eine wahre Bedeutung zu haben.
Auf einmal ertönt der Applaus. Zuerst langsam und zögerlich, dann immer lauter. Tosend bricht er über mich herein
wie eine Welle. Ich habe es geschafft.
Sofort werde ich wieder zu mir selbst, dem mürrischen Jungen mit dem leeren Blick, der keine Gefühle zu haben scheint und sie erst recht nicht vermitteln kann.
Und dann lächle ich. Zum ersten mal seit Langem.