Ich schrieb einst einen Text über Bärte. Über Männer mit Bärten, um genau zu sein. So ganz trennscharf ist das spätestens seit Künstlerinnen mit selbstgewähltem Nachnamen eines Fleischerzeugnisses ja auch nicht mehr. Ich war und bin der Ansicht, dass es das Recht eines jeden Mannes sein sollte, sein Antlitz mit Haar zu schmücken, vor allem dann, wenn er das Pech hat, auszusehen, als sei er in Kindertagen mit dem Gesicht in einen hochschnellenden Spaten gerannt. Nicht umsonst tragen männliche Superhelden so gut wie nie Bärte: Sie haben ein Kinn. Ein richtiges Männerkinn. Ein Kinn, so ausgeprägt, dass sie damit problemlos gefrorenen
Boden umpflügen könnten. Nicht-Superhelden wie ich sind da anders gebaut: Mein Kinn sieht eher aus, als hätte der Unterkiefer mal Prügel vom Oberkiefer bezogen und sich seither tief in den Schatten zurückgezogen. Das kann man schon so zur Schau tragen. Kann man machen, ja, aber dann sieht’s halt scheiße aus. Drum einfach was drüberwachsen lassen, und fertig ist die Laube.
Zusammengefasst war ich bisher also für Männer mit Bärten. Ja ganz ehrlich, ich war total dafür, einen Trend draus zu machen. Dooferweise wurde dann ... ein Trend draus. Tja, und jetzt laufen sie
überall herum, diese Männer mit Bärten. Aber nicht nur mit Schnauzbärten, Kinnbärten oder extravaganten Backenbärten. Nein, Vollbärte müssen es sein. Die ganze Stadt ist voll von diesen Typen. Ich weiß nie, stehe ich einem Hipster gegenüber, einem Salafisten auf Urlaub oder doch nur einem entlaufenen Alpaka. Manchmal komme ich mir vor wie auf dem Waldmond Endor, umgeben von zu groß geratenen Ewoks mit tätowierten Unterarmen. Argh, überall diese Bärte, und ich gebe zu, ja, sie regen mich auf! Ein Haar in der Suppe stört mich nicht, aber wenn man schon dran ersticken kann, schwillt mir doch der Kamm.
Als ich klein war, gab es das nicht. Da trugen eher so Leute wie einer der Wildecker Herzbuben einen Vollbart. Und das war okay. Der hätte ohne Bart wahrscheinlich einfach nur noch dicker ausgesehen. Oder man hätte ihn mit seinem Herzbubenbruder verwechselt, was jetzt auch keine Katastrophe gewesen wäre. Ansonsten trugen in meiner Kindheit genau drei Männer Vollbart. Aufsteigend geordnet nach ihrer Wichtigkeit waren das: Gott, der Weihnachtsmann und Bud Spencer. Das war eine sichere Bank, das musste so sein. Einen Weihnachtsmann ohne Vollbart hätte ja kein Mensch ins Haus gelassen. »Ein dicker, glatt rasierter Kerl
mit rotweißen Klamotten und 'nem großen Sack über der Schulter? Ein Perverser! Ruft die Bullen!« Nein, so ein Vollbart vermittelte einfach auch Sicherheit und Seriosität. Bud Spencer mit seinem Bart aus Bürstendraht beispielsweise: Da konnte man immer sicher sein, dass er den Bösen ziemlich seriös eins aufs Maul gibt.
Ja, damals war die Welt eben noch in Ordnung. Niemand sonst ließ sich so das Gesicht zuwuchern. Väter, die trugen damals beispielsweise lieber Schnauzbärte. Ob von dominanten Ehefrauen verordnet oder einfach im Schatten des wandelnden
Brusthaarpanzers Tom Selleck, das weiß ich nicht, aber es war halt so. Mein Vater trug einen dicken, dichten, schwarzen Schnauzbart, in dem man locker ein paar mittelgroße Zootiere hätte verstecken können. Der sah damit immer ein bisschen aus wie Josef Stalin, nur in weniger böse. Doch einen Vollbart hätte der sich nie stehen lassen, obwohl er es gekonnt hätte.
Nun, ich könnte das zwar auch so irgendwie, auch wenn das Ergebnis vermutlich löchrig wäre und eher einem viel zu lange gereiften Schweizer Käse gleichen würde. Aber das Hauptproblem wäre wohl eher, dass ich eben nicht
sonderlich groß bin. Was das mit Vollbärten zu tun hat? Nun, mit Vollbart sähe ich aus wie ein verirrter Gartenzwerg auf der Suche nach seiner Mütze. Das ist jetzt nicht unbedingt, was man mit so einem Bart suggerieren will: Männlichkeit natürlich!
Und vielleicht hasse ich sie ja deswegen so, die vielen schlacksigen Typen, die in ihren Birkenstocksandalen durch Berlin schlurfen, das wallende Haar zu einem Hipster-Dutt zusammengeknödelt, die teure Markensonnenbrille auch an schattigen Tagen in der U-Bahn auf der gepeelten Nase, und unterhalb selbiger natürlich der kilometerlange
schamponierte und gute geölte Naturhaarteppich: Ich kann da nicht mitmachen, weil meine Freundin mich erstens so wohl mit einem Schlafsack und 'nem Laib Brot in den Keller sperren würde und weil ich zweitens eben, wie gesagt, einfach unfassbar albern aussähe.
Aber ganz ehrlich, viel weniger albern wirken diese Fellfetischisten in derart rauen Mengen auch nicht mehr: zwei Augen, die aus einem Gewühl von Haaren ragen und sich hinter 'ner Sonnenbrille verstecken? Gab es seinerzeit, als das Fernsehen noch schwarzweiß war, bei der Addams Family schon: Vetter It hieß der haarige
Zeitgenosse, der stets klang wie ein schimpfendes Eichhörnchen mit Heliumsucht. Sogar den bei Hipstern beliebten Hut trug It bereits. Herzlichen Glückwunsch also, liebe Hipster: Ihr seid nun modisch definitiv in der Addams Family angekommen.
Nein, also wenn ich genauer drüber nachdenke, wird mir die Sache doch zu haarig. Genervt bin ich von der Allgegenwärtigkeit zugewucherter Männergesichter trotzdem. Und spätestens, wenn mir einer dieser BRÖSELBESENANBETER DAS HACKFRESSENSCHAMHAAR NÄCHSTENS IN DER ÜBERFÜLLTEN
U-BAHN INS GESICHT DRÜCKT, SKALPIERE ICH IHM SELBIGES OHNE BETÄUBUNG!!! Aber ich rege mich nicht auf. Drum, für den sozialen Frieden in meinem näheren Umfeld und allgemeines Ungenervtsein, und weil das nach dem letzten Barttext auch so prima geklappt hat, versuche ich es einfach noch mal ganz nett und ohne Haarspalterei: Liebe Leute ... können wir uns nicht einfach auf ’nen Dreitagebart einigen? Das wär sehr lieb, danke schön!