Kapitel 30 Streit
,, Ich glaube einfach unser Kurs stimmt nicht.“ , erklärte Galren, während er sich über die Karten beugte, die auf einem großen Tisch im Hedans Quartier ausgebreitet lagen. So weit draußen wie sie jetzt, nach anderthalb Wochen Fahrt, waren, waren die meisten davon ohnehin nutzlos. Das Gebiet das sie durchfahren war nur auf wenigen überhaupt kartiert und wenn, dann nur als endlose blaue Fläche ohne Anhaltspunkte darauf wo sie sich genau befanden. Das einzige Dokument auf das er sich noch verlassen konnte, war die Karte, die sein Vater
gerettet hatte… oder die der Kaiser ihm hatte zukommen lassen.
Die Kabine des Kapitäns war recht spartanisch eingerichtet. Neben dem Tisch an dem sie saßen gab es lediglich zwei weitere freie Stühle, ein Bett im hinteren Bereich des Raums und ein großes Regal mit weiteren Seekarten, Büchern und nautischen Instrumenten, wie Galren sie von seinem Vater kannte. Eine Reihe Fenster erlaubte einen Blick hinaus auf die heute graue See. Leichter Regen hatte eingesetzt und prasselte in einem beständigen Trommelrythmus gegen die Scheiben.
,, Und woher wollt ihr das wissen ?“ , fragte Hedan und funkelte ihn dabei
herausfordernd an. Er hatte schon damit gerechnet, das der Kapitän sich kaum gefallen lassen würde, wenn man versuchte sich in sein Handwerk einzumischen.
Die Wahrheit war, dass er es nicht sicher wissen konnte, dachte Galren. Hier draußen schien seine Gabe einfach nicht so zu funktionieren wie an Land. Er konnte klar spüren, dass etwas nicht in Ordnung war, war aber unfähig es auch zu benennen. Das Gefühl, das ihn irgendetwas beinahe mit sich zu ziehen schien, seit er die Karte zum ersten Mal gesehen hatte, war stärker denn je und es kam nicht aus der Richtung in die sie unterwegs waren… Vielleicht reagierte
er auch nur über. Aber das glaubst du nicht, sagte er sich selbst. Nein, er hatte gelernt sich auf sein Gefühl zu verlassen, den Pfaden zu folgen, die sein Geist wie von alleine fand. Und er würde jetzt nicht damit aufhören.
,, Ich habe auf Hamad als Lotse gearbeitet.“ , antwortete er schließlich und hoffte, dass es ausreichen würde, Hedan zu überzeugen. Er konnte von niemand verlangen sich auf eine bloße Eingebung seinerseits zu verlassen, so sicher er sich auch war.
,,Wirklich ?“ Der Kapitän schien nicht wirklich überrascht oder beeindruckt. Vermutlich hatte er längst gewusst, wer Galren war. Der Kaiser würde ihn wohl
damals nicht völlig blind zu ihm geschickt haben. Aber trotzdem… Jetzt war er absichtlich störrisch, dachte Galren. ,, Nun, prüft den Kurs eben selbst wenn ihr mir nicht traut.“
Hedan machte eine ausladende Handbewegung, die den ganzen Tisch einschloss.
Galren knirschte mit den Zähnen. Das war der letzte Trumpf des Kapitäns und er hatte ihn richtig ausgespielt.
,, Ich habe leider… nie wirklich gelernt, wie. Den Großteil meines Lebens konnte ich mich immer darauf verlassen meinen Weg zu finden. Wären wir nicht so weit von Canton entfernt ich würde euch ein dutzend Händler und Schiffer nennen,
die bezeugen können das ich mich mit so etwas selten irre.“
,, Lotse… Hört mir einmal zu. Das hier ist keine Küstenfahrt, wir sind mitten auf hoher See, es gibt hier nichts an dem man sich orientieren kann wie ihr es vielleicht getan habt. Aber ich prüfe unseren Kurs täglich selbst. Er stimmt.“
Es half alles nichts, dachte Galren. Natürlich würde Hedan ihm nicht einfach glauben. Oder sich zumindest dazu herablassen erneut seine Instrumente zur Hand zu nehmen um ihre Route festzulegen. Ihm blieb nur sich auf den Kapitän zu verlassen. Und gegen das sträubte sich grade alles in ihm. Aber wie sollte er dem Mann beweisen dass er
falsch lag….
Bevor er dazu kam noch etwas zu erwidern, wurden draußen plötzlich stimmen Laut. So weit war das nichts ungewöhnliches, grade bei einem aufziehenden Sturm aber etwas daran machte ihn stutzig. Galren brauchte einen Moment bis er realisierte, das eine der Stimmen Lias gehörte. Und der Gejarn klang nicht aufgeregt sondern regelrecht wütend…
Sofort war er auf den Füßen und Hedan, der offenbar ebenfalls merkte, dass etwas nicht stimmte, sprang ebenfalls auf, während Galren bereits die kurze Strecke zwischen sich und der Tür hinter sich gebracht hatte. Gischt und graue
Regenschleier schlugen ihm entgegen, sobald er sie öffnete und gefolgt vom Kapitän auf das Deck hinaustrat. Die Wellen brachten die Planken unter ihren Füßen leicht zum Schaukeln aber mittlerweile hatte er sich daran gewöhnt und glich die Bewegung fast ohne Nachzudenken aus. Er brauchte sich nicht lange umzusehen um die Quelle des Lärms zu finden. In der Schiffsmitte, direkt unter dem zweiten Mast stand Lias und redete offenbar auf eine Gestalt in einem grauen Umhang ein. Die hellen Augen die unter der Kapuze hervorsahen blitzen wütend. Naria hatte die Arme vor der Brust verschränkt aber Galren konnte die Spannung in der Luft bis zu ihm
spüren. Ein unterschwelliges Kribbeln am ganzen Körper als würde bald ein Gewitter losbrechen. Und nicht nur das am Himmel. Er wusste, das war Magie und die junge Gejarn-Zauberin war offenbar darauf vorbereitet sie auch einzusetzen.
,, Was habt ihr eigentlich hier verloren ?“ , fragte Lias nach wie vor aufgebracht. ,, Glaubt ihr wirklich ich merke nicht, das ihr mich seit unserer Abreise keinen Augenblick aus den Augen lasst ? Was genau spielt ihr hier?“
,, Ich könnte euch dasselbe fragen…. Paladin.“ Sie spuckte den Titel fast aus.
,, Ich werde mich sicher nicht dafür entschuldigen was ich bin.“ , erwiderte
der Löwe kühl. ,, Ich denke grade ihr solltet das doch wissen…“
Galren rechnete fest damit, dass die Situation jetzt eskalieren würde. Was während der letzten Wochen eine Art stummer Wettstreit zwischen den beiden gewesen zu sein schien, wer den anderen zuerst zum Reden brachte, war endgültig an sein Ende gekommen. Ohne dass Galren sich dessen bewusst wurde, wanderte seine Hand zum Schwertgriff. Er wüsste ja nicht einmal, wen er im Zweifelsfall verteidigen müsste. Nach allem was er über Magie und Lias wusste könnte einer der beiden tot sein bevor er dazu käme, dazwischen zugehen… Nach Merls Bemerkung hatte er seine Zweifel
gehabt, was Narias Fähigkeiten anging, doch diese waren in den letzten paar Augenblicken endgültig verflogen. Er konnte das wartende Inferno spüren, das diese Frau auf einen Gedanken hin entfesseln könnte. Dazu musste er es nicht erst sehen.
Dann jedoch von einem Moment auf den anderen, war die Spannung weg. Naria trat einen Schritt von Lias zurück, während ihr Blick zu Galren und Hedan hinüberwanderte.
,, Keine Sorge.“ , meinte sie an Galren gerichtet, als hätte sie seine Gedanken gelesen.. ,, Ich weiß durchaus wie ich mich zu benehmen habe Mensch. Euer Freund hier…
weniger.“
,, Was meint ihr damit ?“
,, Dass ich es leid bin wortlos angestarrt zu werden.“ , erwiderte Lias kühl aber auch er schien sich etwas zu entspannen. Trotzdem Galren hatte ihn bisher noch nie dermaßen aufgebracht erlebt. Normalerweise war der Mann die Ruhe selbst, egal was um ihn herum vorging, wachsam ja, aber nicht angespannt. Der Mann vor ihm jedoch schien kaum mehr etwas damit gemein zu haben…
,, Fragt ihn doch einfach selber, was er im Dienst der Archonten alles getan habt. Ihr wart beim Exodus der Magier in Helike, oder?“
Galren war davon überzeugt, das Lias
erneut wütend reagieren würde, stattdessen jedoch schwieg er einen Moment, bevor er antwortete: ,, Vielleicht war ich das. Aber ich bin kein Paladin mehr.“
,,Wem wollt ihr das erzählen ? Einmal Paladin immer Paladin. Wie viele habt ihr getötet? Habt ihr das eurem Freund da schon mal gesagt ? Oder habt ihr Angst davor?“
Galren musste an ihre Ankunft in Silberstedt zurückdenken. Lias hatte gesagt er hätte sich nie an den Verfolgungen beteiligt. Der stumme Vorwurf stand im Raum… Aber Galren kannte Lias ewig. Er würde ihn nicht anlügen…
oder?
,, Lias ?“ Galren gab sich alle Mühe seine Stimme nicht vorwurfsvoll klingen zu lassen, trotzdem verriet sein Tonfall wohl was er dachte. ,, Das hat nichts zu bedeuten, oder ?“
Es dauerte, bis der Gejarn ihm schließlich antwortete. ,, Würde ich Nein sagen, wäre das eine Lüge. Ich habe die Befehle der Archonten nie hinterfragt. Das hieß bis die Magier verschwanden. Danach… hat sich viel geändert, Galren. Mehr als die Hälfte unserer Führer waren Tod und Wys Carmine übernahm die Kontrolle. Euer Onkel, wenn ich richtig liege ?“ Er sah zu Naria, diese nickte
langsam.
Galren sah einen Moment zwischen den beiden hin und her. Für einen Moment hatte er geglaubt worauf dieses Gespräch hinausging und jetzt… Wenn Narias Onkel ein Archont war zu was machte sie das?
,, Eine lange Geschichte.“ , meinte die junge Schakalin nur, als hätte sie erneut erraten was er dachte.
,, Da es so aussieht als würdet ihr mein Schiff doch nicht in Brand stecken wollen werde ich mich wieder an die Arbeit machen. Und wenn ich euch einen Rat geben darf, das Wetter wird nicht besser werden.“ Mit diesen Worten und offenbar froh darum der ganzen
Situation entfliehen zu können, drehte er sich um und verschwand in Richtung seiner Kabine. Tatsächlich wurden die grauen Wolken über ihnen zunehmend dunkler. Der Sturm konnte nicht mehr zu lange auf sich warten lassen…
,, Seit ihr nur hier um mich daran zu erinnern ?“ , fragte Lias derweil an Naria gerichtet.
,, Mich würde ehr interessieren was Helike sich von dieser Expedition erhofft…“
Lias starrte sie einen Moment an als hätte sie den Verstand verloren oder als wäre sie sich nicht sicher ob Naria sich nicht einen Scherz erlaubte. Doch die Mine der Gejarn blieb unnachgiebig
ernst. Schließlich fing der Löwe nur an zu lachen.
,, Was ist so witzig daran ?“ , verlangte sie zu wissen.
,, Tut mir wirklich leid.“ , erklärte Lias nach Luft schnappend. ,, Aber ich stehe seit Jahren nicht mehr im Dienst der Archonten… Kindchen. Wenn ihr nur deshalb hier seid dann muss ich euch leider sagen dass ihr eure Zeit verschwendet.“ Mit diesen Worten schlug er den Stoff seiner Hose ein Stück zurück, so dass die hellen Narben sichtbar wurden, die sich sein Bein hinaufzogen. ,, Ich bin ein halber Krüppel. Ich kann noch laufen und kämpfen aber für meinen Rang wäre ich
daheim ein Pflegefall. Glaubt mir also wenn ich sage, weder habe ich irgendetwas mit den Archonten zu tun noch habe ich vor je nach Helike zurückzukehren wenn es sich vermeiden lässt.“
Naria schien wie vor den Kopf gestoßen. Ihr blick wanderte zwischen Galren und Lias hin und her als suchte sie nach etwas, irgendetwas, das auf eine Lüge hinwies. Aber da war nichts. Lias hatte Galren genau das bereits einmal erklärt wenn auch unter anderen Umständen. Und wie schwer die Verletzungen des alten Löwen waren, hatte sie mit eigenen Augen gesehen. Ihr blieb eigentlich keine andere Wahl als ihm zu glauben,
dachte Galren. Es sei denn sie war tatsächlich nur darauf aus Lias an eine Schuld zu erinnern, die allzu lange zurück lag.
Bevor Naria jedoch dazu kam etwas zu erwidern trat Lias auf sie zu.
,, Ich sage es ungern.“ , begann er. Seine Stimme klang jetzt sanft, nicht angespannt wie zuvor. ,, Aber ich glaube wir haben beide einen Fehler gemacht. Ich wusstet ihr hattet erkannt was ich war in dem Moment wo wir den Thronsaal betraten. Und vielleicht hätte ich euch viele Sorgen und mir viel Ärger erspart hätte ich das früher zur Sprache gebracht.“
,, Ich muss euch wohl um Verzeihung
bitten…“ , meinte die Gejarn.
,, In diesem Fall müsste ich das ebenfalls tun.“ , antwortete Lias. ,, Ich war gespannt wie lange ihr dieses Spiel mitspielen würdet…“
,, Das heißt ihr wusstet…“ , setzte Naria an.
,, Ich kann eins und eins zusammenzählen.“ , gab Lias zu. ,, Und ich glaube ehrlich gesagt dass der Kaiser mit einem Recht hatte. Ihr könnt uns eine Hilfe sein.“
Die Gejarn schüttelte den Kopf. ,, Ich glaube es nicht… Hereingelegt von einem… als was auch immer ihr euch bezeichnet.“
,,Nicht euer Feind würde mir schon
reichen.“ , antwortete er. ,, Aber vielleicht könnten wir das unter Deck weiter besprechen ? Ich glaube Hedan hat recht, hier oben wird es langsam wirklich ungemütlich…“