Es gab hier schon einmal einen Beitrag, in dem ich mich explizit zu den damaligen rechtlichen Grundlagen und einigen Vorurteilen der Asyl- und Flüchtlingspolitik in der BRD geäußert habe. Doch die Ereignisse der letzten Wochen und die Reaktionen aus den populistischen Teilen der Politik zwingen mich erneut die Feder zu erheben.
„Ohne Begrenzungen gehen wir unter!“, „Hartz IV von Flüchtlingen halbieren!“, „Einrichten von Transitzonen!“, „Wir sind nicht das Asylheim für den ganzen
Balkan!“ sind nur ein paar wenige Schlagworte, die zuletzt durch die Medien geisterten. Zudem weisen alle Nachrichtensender aus, dass die Zahl von Anschlägen auf Asylbewerberheime explodiert ist in diesem Jahr.
Was bedeutet das denn nun eigentlich alles für unsere Zivilgesellschaft? Werden wir fremd sein im eigenen Land? Ist das Boot voll, wird der Sozialkampf in den niedersten sozialen Schichten ausbrechen, wie prophezeit?
Als im Parlamentarischen Rat die Beratungen zum GG der BRD stattfanden, da war man sich einig, dass der damalige Art. 16 GG (heute 16 a GG), das Recht auf Asyl, etwas ist,
welches man gewährt ohne jegliche Einschränkung. Zu tief saßen die Eindrücke eines Weltkrieges, in dem das eigene Volk von Hospitabilität nichts mehr hielt und die germanischen Volksgenossen lieber unter sich blieben. Auch besann man sich auf die Werte, die unseren Kulturkreis so groß gemacht hatten; die christlichen, vor allem die katholischen Werte der Nächstenliebe und Achtung der Menschenwürde. Wir waren keine Herrenmenschen, sondern ebenso wie diejenigen, die nun aus den ehemaligen deutschen Gebieten in das zerstörte Land kamen oder aus der Gefangenschaft begangen waren, in die ein unmenschliches System sie gedrängt
hatte ihre Arbeitskraft und ihr Leben zu geben für den Endsieg.
Dieser Geist weht freilich bereits seit Beginn der 90er Jahre nicht mehr. Die Degradierung und erheblichen Einschränkungen von Art. 16 GG schlichen sich ein, der sogenannte „Asylkompromiss“. Und dessen Geist atmet man auch in jenen Tagen wieder. Beschränken, begrenzen, zurückhalten, denn wir können das alles doch nicht alleine schaffen!
Integration, oder überhaupt Hilfe leisten ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die uns alle angeht. Niemand, der in diesen Tagen die Grenzen der BRD überschreitet tut dies weil er Spaß
dran hat. Die Menschen auf der Flucht, weltweit sind es 2015 ca. 56 Millionen aus politischen Gründen gewesen, schätzt das UNHCR, fliehen aus ihren Existenzen ihrer Herkunftsstaaten, weil sie um ihr Leben fürchten oder keine andere Chance mehr erblicken.
Man kann davon ausgehen, dass bspw. aus Syrien, aus der Zahl, die den Staat in die Anreinerstaaten verlassen, nur ungefähr 10% davon, so die etwas schwankenden Zahlen, überhaupt die Grenze der EU überqueren. Es ist nämlich nicht so, dass alle sofort denken, sie müssten nach Deutschland, wie man vielleicht bei den kruden Mediendarstellungen vermuten dürfte.
Die Meisten wollen wieder nach Hause, wenn die Unruhen vorbei sind. Die Auffanglager gerade im Libanon, den wir endlich finanziell unterstützen, wo er nun beinahe monetarisch kollabiert, dienen als Provisorium. Und auch die, die in die EU aufbrechen, die wollen nicht alle bleiben, sondern wollen auch hier nur zeitweilig bleiben. Demnach kann man sagen, dass diese irren Zahlen, dass da jetzt pro Jahr Abermillionen Deutschland fluten, nichts weiter als populistische Hetzen.
Aber wer da zu uns kommt, das sind doch aber Fremde, fremder Kulturkreis – wissen die denn, was für Werte bei uns gelten in der BRD?
Diese Frage ist ein Ballast aus Zeiten, die wir eigentlich überwunden glaubten. Als wir, man verzeihe mir die krassen Ausdrücke, den Bimbo noch durch den Busch von Afrika jagten und ihm mal beibrachten, was germanische Kultur ist, als wir die Wilden zivilisierten. Die Menschen kommen woher? Afghanistan, Syrien, Eritrea und vielen weiteren Staaten. Keine sicheren Staaten, zugegeben. Aber kulturell ist gerade Syrien kein Staat, der hinterm Mond gleich links liegt. Das beweisen die Zahlen. Gut 25% derer, die aus Syrien zu uns kommen, haben eine Hochschule zumindest besucht oder haben
Abschlüsse von Solchen. Wie wäre es, wenn man deutschen Studenten bei der Einreise in den Iran deren Verfassung hinhalten würde und dann sagen würde: „Guck mal, das sind unsere Werte!“. Da wäre jeder sofort empört, was für eine irre Idee das denn sei. Das könne ja nur den Mullahs in Teheran einfallen, etc. Aber bei uns scheint diese fixe Idee, dass man solche Selbstverständlichkeiten wie, dass man niemanden töten soll, denen erst einmal sagen sollte. Einem anderen Menschen erklären, dass gesellschaftliche a priori einzuhalten sind, wo er selbst aus einer zivilen Gesellschaftsstruktur herstammt, das ist absurd. Das ist abendländische
Überheblichkeit, mehr nicht und für jeden Flüchtling eine zweifache Beleidigung.
Denn der zweite Aspekt ist der Generalverdacht, dass diese Person nichts besseres zu tun hat, als irgendwelche staatszersetzenden Maßnahmen zu starten. Man versetze sich mal in die Lage, was schwer möglich sein dürfte, aber wagen wir mal das Gedankenspiel:
Du bist ein syrischer Flüchtling, hattest gerade die Schule fertig, wolltest deine Ausbildung beginnen und jetzt kommen die bärtigen Steinzeitmuslime von ISIS an, für die irgendwie alles nicht von Allah gewollt sein kann, außer modernen
Waffentechnik und natürlich das Internet, sofern man darüber seine kruden Hassbotschaften übertragen kann. Jetzt bist du mit deiner Familie über die Türkei geflohen, was schon eine beschwerliche Landwegreise war. Aus einem Auffanglager in der Türkei habt ihr mit eurem Ersparten einen Schleuser bezahlt, der euch in einer wackelnden Blechbüchse mit mehr als hundert anderen Personen bis nach Kos bringt. Dort werdet ihr vom Elend empfangen. Keiner kann helfen, denn die haben selber gar nichts. Schlafen wieder mal unter freiem Himmel. Irgendwann weiter über Griechenland und den Balkan hoch. In serbischen
Grenzstädten tagelang ausgeharrt, bis endlich Platz in einem der Züge war, die aussehen wie diejenigen in Indien, wo sich Menschen dann sogar auf das Dach legen nur um noch mitfahren zu können. Dann in Ungarn vielleicht in den Bus verfrachtet und ab nach Österreich und dann nach Deutschland. Das ist ein mögliches Szenario, was nur ungefähr irgendwelche Strapazen erahnen lässt. Oft zu Fuß wochenlang unterwegs, wenig Schlaf und Nahrung. Und jetzt kommt die Frage – würdest du jetzt sofort die deutsche Gesellschaft vernichten wollen? Kein Gedanke daran, im Leben nicht. Und doch unterstellen wir das sofort in unserer post 9/11
Paranoia. Wie viele islamistische Anschläge gab es denn bitte in der BRD bisher? Ach richtig – Null!
Aber natürlich gibt es auch reale Schwierigkeiten. Die Unterbringung der Angekommenen haben die Gemeinden zu besorgen. Zum Glück hat der Bund endlich Geldmittel dafür bewilligt, dass hier zusätzliche Unterstützung kommt, in Zeiten klammer Kassen. Flächen finden, wo man die Menschen einquartieren kann ist schwer geworden. Dann die Helfer koordinieren, etc. Je kleiner die Gemeinde, desto größer die Last, wobei auch Städte, ich weiß es ja selbst von Siegen und Gießen, ihre liebe
Not haben. Dies ist ein Versagen besonders der Politik des Bundes, der viel zu spät reagiert. Der Bürgerkrieg in Syrien dauert seit gut 3 Jahren an, aber erst jetzt, 2015, beginnt man hier zu unterstützen, obwohl man sich hätte auf größere Menschenbewegungen schon zuvor einstellen können. Es wurden steigende Zahlen schlichtweg ignoriert, bis es, ungefähr Ende 2014, nicht mehr ging.
Umso grandioser ist die Hilfe aller, ob ehrenamtlich oder angestellt. Doch natürlich kann man sich darauf nicht allein verlassen, die Kommunen müssen hier im breiten Umfang unterstützt werden, sonst wachsen denen die
Aufgaben wirklich noch richtig über den Kopf.
Und jetzt? Gibt es nun einen Verteilungskampf um den übrigen bezahlbaren Wohnraum, insbesondere um Sozialbauten? Eigentlich nein, denn wenn der Bund endlich mal wieder diesen stärker fördern würde, dann könnte man diese Projekte wieder stärker in Angriff nehmen und es so schaffen der Wohnungsnot vorzubeugen. Denn was will man machen? Die Asylbewerber etwa wirklich 6 Monate in den Erstaufnahmeeinrichtungen versauern lassen? Dann werden Großeinsätze in den Einrichtungen wohl zum
Dauerereignis, denn wenn man 6 Monate lang auf engstem Raum, praktisch ohne Privatsphäre, zusammen leben muss, dann bekommt man einen Lagerkoller und Aggressionen entladen sich dann in einer nicht mehr sozial üblichen Art und Weise. Schuld dafür tragen dann aber nicht die Bewohner der Einrichtungen, sondern diejenigen, die solche kruden Ideen ausgeheckt haben. Man möchte alle Befürworter dessen mal 6 Monate im Reichstag einsperren – mal sehen wie zivilisiert die sich dann noch verhalten…
Finanziell gibt es sowieso keinen Overkill der deutschen Gesellschaft. Rekordeinnahmen und Ähnliches sorgen dafür, dass man hier locker ein paar
Milliarden frei machen kann. In der Griechenland Krise hat der BRD bisher keinen Cent verloren. Im Gegenteil war das eine sehr profitable Angelegenheit für uns, dass die Banken eine humanitäre Katastrophe in Hellas ausgelöst haben. Außerdem, mal ganz grundsätzlich; was ist ein Menschenleben wert? Nicht so viel, oder etwa doch? Wenn man den Ankommenden in der BRD eine Rechnung offeriert nach Kosten und Nutzen, so ist dies zutiefst zynisch. Es steht heute keiner mehr auf der Rampe und teilt die gruppe in jene, die sofort vergast werden und die, die erst mal noch Arbeitsdienst verrichten müssen,
aber es scheint ein ähnlicher Selektionsgedanke mitzuschwingen. Dies sind alles Menschen, die wir nicht nach Nutzen für dem Arbeitsmarkt und Ungeeignetheit trennen dürfen. Wer keine Ausbildung hat, kann dies nachholen. Wer aufgrund welcher Umstände auch immer, nicht mehr arbeiten kann – na und? Diese Menschen kamen nicht hierher, nur damit sie Geld von uns bekommen, sondern damit sie unsere Hilfe erhalten für eine bessere Zukunft in der Fremde als in der eigenen Heimat. Überhaupt ist das Ausspielen von Sozialängsten ein alter Hut. Glorreich umgesetzt von den Rechten gerade in den
strukturschwachen Gebieten der ehemaligen DDR gegen Asylbewerber schon zu Beginn der 90er. Ins gleiche Horn stoßen jedoch leider nicht nur diese verblendeten Kurzhaarträger, sondern auch etablierte, dickbäuchige Politiker, die vergessen haben, dass das C in ihrem Parteinamen für christlich steht. Man sollte solchen Personen auch einmal sagen, dass wir jedem Menschen in der BRD das menschenwürdige Existenzminimum (Art. 20 I i.V.m. Art. 1 I GG) garantieren.
Zuletzt soll noch aufgegriffen werden, dass in schöner Regelmäßigkeit die Rede von „Wirtschaftsflüchtlingen“ ist. Damit
werden Personen bezeichnet, die, vornehmlich aus dem Balkan, zu uns kommen und deshalb in der BRD keinen erfolgreichen Asylantrag beschieden bekommen, weil es keinen Grund im deutschen AsylVfG (Asylverfahrensgesetz) gibt, weshalb diese Menschen einen Bleibegrund haben sollen. Sofern dann kein Abschiebeverbot entgegensteht, dann verfrachtet man sie in ihre Heimat zurück.
Allerdings ist es nicht so, dass diese Leute auch nur aus Spaß an der Freude bspw. aus dem Kosovo zu uns kommen. Auch sie fliehen aus der Perspektivlosigkeit ihres eigenen Landes.
Der Kosovo hat eine korrupte Regierung, die nichts für das eigene Volk tut und diese in bitterster Armut belässt. An Zahlen festgemacht haben diese Menschen so 1 – 1,5€ am Tag zum Leben. Wer würde da nicht auch in ein Land, wo er bessere Perspektiven hat, die Chance menschenwürdig leben zu können?
Freilich bleiben diese Menschen so 3 Monate in der BRD und sind dann abgeschoben. Doch sollte man erstens nicht glauben, dass Menschen, die bloß wirtschaftliche Gründe haben keine real existierenden Nöte hätten, aus denen man ihnen helfen müsste. Doch dies ist insbesondere eine Aufgabe der EU, die
dem Beitrittskandidaten Kosovo Druck machen muss.
Außerdem werden nicht alle fortgeschickt, denn u.a. Sinti und Roma, welche zu uns kommen, werden in diesen Regionen diskriminiert. Sie haben politische Gründe und dürfen folglich auch in der BRD bleiben. Es bleibt immer eine Frage des Einzelfalls, weshalb es sich verbietet immer von „Massen“ oder pauschalen Gruppen zu sprechen.
Noch ein letztes Wort dahingehend, dass unsere Politiker das Gefühl haben, dass die BRD das gelobte Land sei für diejenigen, die den Sprung nach Europa
schaffen. Statistisch gesehen ist Frankreich nicht minder beliebt wie die BRD. Und Schweden sogar beliebter als Deutschland, die nahmen zuletzt die meisten Asylbewerber bei sich auf.
Ich hoffe, dass dies alles dazu beiträgt die Leser nachdenklich zu machen über das, was man glaubt zu wissen und auch das, was unsere Volksvertreter in ihrer tollen Art zu Vereinfachen gerne mal an dünnen Behauptungen von sich geben.