Biografien & Erinnerungen
UMSIEDLER

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"UMSIEDLER"
Veröffentlicht am 10. Oktober 2015, 6 Seiten
Kategorie Biografien & Erinnerungen
© Umschlag Bildmaterial: Anita Guske
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einer der auf dem Weg ist ...
UMSIEDLER

UMSIEDLER

Umsiedler

Eigentlich meint man nicht, dass hier viele Flüchtlinge durchkamen. In den kleinen Städtchen im Thüringer Wald. Und doch waren welche „gelandet“ oder „hängen geblieben“. Vielleicht auch einquartiert, weil sie nicht weiter konnten. Wir haben sie als Kinder als Faktum wahrgenommen. Bei Oma Else war das eben so, dass oben die Familie Armbrust wohnte. Mit denen machte man sich aber nichts zu tun, ich weiß nicht einmal, ob sie auf dem Feld mit halfen. Sie waren genauso da, wie sie später wieder weg

waren – wahrscheinlich haben sie eine Wohnung bekommen. Ein paar Häuser weiter wohnte eine Frau König, Oma Else ging ab und an zu Besuch oder auf einen Schwatz zu ihr. Frau König musste einst etwas „Besseres“ gewesen sein, denn sie hatte einen Stock mit einem silbernen Hundekopf. Später erfuhr ich, dass sie aus St. Petersburg gekommen ist, denn sie schenkte mir ein Hundeehrendiplom aus den zwanziger Jahren. Weil ich schon ein wenig Russisch lesen konnte, deutete ich ein Teil der Urkunde. Leider hat sie mir ihre Geschichte nicht erzählt und erst viel später erfuhr ich per Zufall, dass es sogar Kaufleute mit dem Namen

Weissleder in St. Petersburg gegeben hat. Am anderen Ende des Städtchens wohnte unsere zweite Oma, nur Omi genannt. Sie hatte manchmal „Tante Tibo“ zu Besuch. Die hatte immer sehr einfache Kleidung an und rote Wangen. Ihre Haare waren zu einem festen Knoten gesteckt. Mit verschränkten Händen saß sie mehr auf der Stuhlkante und rollte das „R“, wie alle Ostpreußen. Sie tat fast untertänig und wir Knaben staunten innerlich, wenn sie sprach: „Frrrau Siechmund, wie jeht es ihnen denn so, bei das kalte Wetterrr?“ Irgendwann war Tante Tibo weg, keiner fragte nach ihr. Ob sie eine Familie hatte? Wer ihr Grab

wohl pflegt? Ich habe versucht, ein wenig Nachlass festzuhalten, an die Vergessenen, die der Wind der Geschichte durch unser Städtchen geweht hat. 2009-01-26 jfw

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Boris
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baesta Bei uns waren auch Umsiedler im Haus, d.h. sie wohneten im Hinterhaus in zwei kleinen Zimmern ohne fließend Wasser, Plumsklo im ersten Stock über eine knarrende Hühnerleiter erreichbar. Du hast mich daran erinnert.
Kann auch ein sehr gutes Buch von Werner Kutscha empfehlen - "Gefangen in der Heimat". Es beschreibt die Geschichte von Umsiedlern und ist alles wahr, was er schreibt. Es hat mich sehr berührt.
LG Bärbel
Vor langer Zeit - Antworten
Boris Danke Dir, Bärbel

LG Jürgen
Vor langer Zeit - Antworten
Herbsttag Im Gegensatz zu den heutigen Flüchtlingen kamen die Leute damals alle nicht freiwillig, weil sie vor Kriegshandlungen flohen oder einfach nur besser leben wollten. Sie waren vom 1000jährigen Reich bzw. der damaligen Regierung dazu gezwungen worden "Heim ins Reich" zu kommen, ob sie wollten oder nicht. Nur 20 kg Gepäck pro Person durfte mitgenommen werden. Alles andere blieb zurück. Und im Gegensatz zu den Sudetendeutschen erhielten die Umsiedler aus den Baltenstaaten keinen Lastenausgleich. Auch wir kamen aus Petersburg. Dies nur zur Ergänzung deiner Erzählung. Ira
Vor langer Zeit - Antworten
Boris Was kennst Du dort noch? ich war 1971 in Strelna/Michailowka als Austauschstudent (Baubrigade) und später fand ich einen Weissleder der dort eine Batteriefabrik (1904-1914) geleitet hat...

LG und Dank
Jürgen
Vor langer Zeit - Antworten
Herbsttag Ich weiß von dem Mädchenpensionat in das meine Großmutter als junge Frau ging und was auch noch in den 80er Jahren existiert hat. Die große Kathedrale in der unsere Familie geheiratet hat und die Kinder getauft wurden. Die Sommerfrische und unsere Stadtwohnung. Mein Opa hatte in Petersburg eine Buchhandlung. Aber das war's leider schon.
Vor langer Zeit - Antworten
Boris Wunderbare Ansätze für Forschungen vor Ort...
Vor langer Zeit - Antworten
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