Fantasy & Horror
Die Frau in weiß - Teil 3

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"Hört die Geschichte von Augustin, welche euch daran zweifeln lässt, was Traum und was Realität ist"
Veröffentlicht am 01. Oktober 2015, 24 Seiten
Kategorie Fantasy & Horror
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Über den Autor:

Die Pflicht des Menschen ist seine stetige Vervollkommnung. Ich versuche dies jeden Tag ein klein bisschen, zumindest wenn es durch Bücher geschieht.
Hört die Geschichte von Augustin, welche euch daran zweifeln lässt, was Traum und was Realität ist

Die Frau in weiß - Teil 3

Teil 3

So traf sich Augustin weiterhin mit der unheimlichen Frauengestalt. Ihre Treffen hatten einen geradezu höfisch protokollierten Ablauf. Doch eines Nachts, da durchbrach sie diesen unausgesprochenen festen Ritus. „Augustin, lass uns heute Nacht nicht hier verbringen, sondern in meinem Refugium.“ Verwundert blickte der Schreiber sie an. „Warum sollten wir unsere Gewohnheit unterbrechen?“ „Ich will dir meine Welt zeigen, mein Reich. In deines durfte ich so oft eindringen. Nun sollst du dies auch in

das Meine. Ich bitte dich inständig und mach mir diese große Freude.“ Ein wenig beklommen war dem jungen Mann zu Mute. Natürlich war sein Herz ganz bei seiner Besucherin, doch fürchtete er sich auch vor den Blicken Fremder. Was der alte Hades ihm anvertraute, das waren die Geschichten, die man sich erzählte. Und er fürchtete sich davor Teil dieser zu werden. „So lass doch die törichten Gedanken an die Redereien der Einfältigen Menschen fahren. Ist denn dein Herz nicht bei mir? Bist du denn nicht mein Liebster? Ist dir das Geschwätz Unbekannter wichtiger als das Gefühl bei einem geliebten Menschen zu

verweilen?“ Dies traf ihn ins Mark. „Nein, natürlich gebe ich nichts auf das Plappern der Fremden. Ich werde dich begleiten!“, intonierte in einem neu gefundenen Brustton der Überzeugung. Durch die dunklen Gassen von M folgte er Lilith. Immer wieder kreuze man die Wege einsamer Nachtschwärmer, doch all diese waren nur Schatten und wollten weder von anderen gesehen werden, noch wollten sie andere sehen. Denn nur, wer bereits dazu war das nicht zu sehen, was da war, der durfte auch erwarte selbst, obwohl man gesehen wurde, nicht beachtet zu werden. Und der alte Nachtwächter, mit

seinen trüben Augen, hätte niemanden gesehen, selbst wenn er gewollt hätte. So standen sie wenig später in einer großen Bibliothek, in deren Ecke ein Kaminfeuer munter prasselte. Die runden Regalreihen gaben den Blick frei auf ein Universum des Wissens von den alten Griechen und den orientalischen Völkern bis hin in die neueste Mode unserer Zeit. Augustin war verzückt und hätte sich, da er den Weltgeist aus den Büchern konnte zu ihm sprechen hören, gerne sofort über diese Gedankenwelt hergefallen um sie sich zu erobern in brennender Leidenschaft. Doch hielt Lilith ihn mit leichter Hand zurück. „Ich spüre dein Feuer, Augustin. Doch

will ich dich hier, da wir abgeschieden sind von allen Blicken der Welt, etwas fragen, das mein Herz schon seit einer Weile umtreibt. Du bist mir der einzige Freund auf Erden geworden. So lieb habe ich dich, dass Worte dies nicht mehr beschrieben können, doch habe ich erkannt, dass du ebenso empfindest und dies in seinen Worten auszudrücken weist, wie ich es in der Musik vermag. Zusammen können wir Kunstwerke schaffen, die jenseits dessen sind, was bisherige Meister geschaffen haben, denn zusammen können wir den Geist des Unendlichen schauen. Gemeinsam können wir eins werden und uns über alles irdische erheben. Und so will ich

dich fragen, ob du mein Gefährte sein willst und hier mit mir leben möchtest?“ Augustin war perplex. Sein tiefster Wunsch war es gewesen dieses Traumgebilde, dem er sich so eng verbunden fühlte, endlich so nah zu sein, dass er jeden Augenblick, den er nicht bei seiner Arbeit an sie denken musste, von ihr inspiriert werden würde durch ihre Präsenz. Doch ganz frei von Zweifeln war er nicht, was der alte Hades hatte verbrochen mit seinen Schilderungen. „Lilith, holdes Wesen, ich danke dir aus tiefsten Herzen für dein Anerbieten, doch bin ich mir nicht sicher, ob jede Faser meines Herzens dies so

will.“ Sie fuhr vorsichtig über sein Gesicht und küsste ihn dann lang. Dabei spürte er nicht nur die brennende Kälte ihrer Lippen, sondern auch das überwältigende Gefühl eines mit ihr zu sein und es immer sein zu wollen. Und da wurde ihm klar, dass er ein Tor war, wenn er ihr Bitten würde ablehnen. Hier war eine Verbindung zu stiften, welche die Götter allesamt bejahten, was konnte der Mensch dem entgegen setzen, mit seiner unermesslichen Beschränktheit, welche sich gegen den Ratschluss der Allwissenden erheben wöllte? „Lilith, so sei es denn. Ich werde hier leben und schlafen immerzu mit

dir.“ So durchlebte Augustin unbeschwerte Wochen, in denen er in noch größerer Eile seine Gedanken ordnen konnte und sein Werk immer deutlicher Gestalt annahm. Beinahe hatte er das Gefühl schon feste Umrisse in seinem Kopf erkennen zu können, wenn er sich bei seiner Arbeit damit beschäftigte. Das Leben bei Lilith hatte alles beschleunigt. Er fühlte sich nun jede Stunde der Unendlichkeit näher und dem Wissen um die zauberhaften Dinge hinter der Fassade der Philisterei. So bedeckte er die Gräber ein letztes Mal mit Herbstblumen, bevor man sie

allesamt nackt zurücklassen würde, wenn sich der nahende Winter würde ankündigen. Doch noch fielen die milden Strahlen der Herbstsonne auf die Erde und vom nahen kalten Herrscher war nichts zu spüren. Als Augustin seiner Arbeit in Gedanken nachging, so erblickte er die holde Gestalt einer jungen Dame an einem der Gräber, welches er gerade neu bekränzt hatte. Sie hatte blonde, lange Locken und trug ein himmelblaues Kleid zu Schau, welches dem Himmel glich, der über ihr dahinflog. Kaum hatte er von ihr scheu den Blick abwenden können, da stand sie schon neben ihm. „Verzeiht, aber sagt mir doch, wer die

Gräber so manierlich schmückte.“ Augustin erhob sich und blickte in die ebenfalls blauen Augen der bezaubernden Dame, welche ihn mit einem herzlichen Lächeln bedachte. „Oh, verzeiht meine Verstocktheit, da ich geblendet wurde von Eurem Antlitz. Ich selbst war es, der die Gräber frisch bedeckte. Ich bin der Geselle des Totengräbers.“ Keck legte sie den Kopf schräg. „Eine Aufgabe, die Euch nicht kleidet, junger Herr. Ich hätte euch eher als fahrenden und singenden Vagabunden gesehen als den Gesellen eines Mannes, der jeden Tag mit der Endlichkeit des Seins verbunden

ist.“ „So glaubt nicht, dass die Endlichkeit auch das Ende bedeutet. Jenseits allen sichtbaren Endes tut sich eine Wunderwelt auf, die verlockender scheint, als alle großen Genüsse der hiesigen Sinnenwelt.“ Sie lachte herzlich. „So sehe ich, seid Ihr mir doch der rechte Mann. Wacker blickt ihr dem Schnitter ins Gesicht und lacht ihn dann auch noch aus.“ „Was, holde Dame, verschlägt einen so lebensfrohen Geist an diesen Ort?“ Sie deutete mit ihrem zierlichen Finger auf einen Grabstein in wenigen Schritten Entfernung. „Mein Verlobter.

Er starb bei der Jagd, als ein Schuss fehl ging und anstatt ein Reh seine Brust durchdrang. Wie hätten am Tag darauf Hochzeit halten sollen. So bin ich nu schon seit 3 Jahren ohne meinen Mann, dem das Schicksal versagte, mir das Jawort zu geben. Ich wechselte die Kleidung letzten Herbst von schwarz zu anderen Farben. Doch lasst Euch nicht täuschen von meiner Erscheinung. Zwar wirke ich froh gestimmt, doch blutet mein Herz noch immer und hängt an dem geliebten Menschen, sodass ich mich selbst nach dem eigenen Vergehen sehne, an manch trübem Tage. Ich wünsche mir, dass ich vergehe und schon bald bei ihm sein darf und eine

Hochzeit feiern darf in einer anderen Sphäre.“ Da wurde es Augustin ganz unruhig zumute. Die blauen Augen, die ihm Weite und Unendlichkeit versprachen, die schönen dünnen Lippen, das weite Haar, das nach den Weizenfeldern vor der Stadt anmutete und die an sich sehr manierliche Gestalt der jungen Dame rührten an ihm in einer Art, wie er es nicht glauben wollte. Der traurige Blick beim Gedanken an ihren verstorbenen Verlobten weitete sein Herz und ohne eine Vorwarnung ergriff er zaghaft ihre Hand. „So wisst, dass dieser Augenblick kommen wird. Doch sehnt Euch bitte

nicht, liebliches Wesen, nach dem Vergehen. Die Erde würde weinen, wenn Ihr schon so früh von ihrem Angesicht verschwinden würdet.“ „Ich danke Euch, junger Kavalier, dass Ihr so manierlich gesprochen habt. So darf ich es wagen Euren Namen zu erfragen?“ Er senke scheu den Blick. „Augustin nennt man mich.“ „Welch schöner Name. Mich Aurora.“ „Die Morgenröte. Treffender hätte man Euren Namen nicht wählen können, schönes Kind.“ Auch Aurora musste ihre Blicke senken. „Ich werde Euch sicherlich nicht zum letzten Male getroffen haben, ich

besuche täglich das Grab meines geliebten Karls.“ Und so war es in der Tat. Sie begann kurze Unterredungen mit Augustin zu führen, der sich nicht von der Arbeit dadurch abbringen ließ, weshalb der alte Hades nichts dagegen hatte, der sich selbst immer wieder vereinzelt mit bekannten Besuchern die Zeit vertrieb, während er mit stolzen Blicken sein Reich durchschritt, wie ein König. „Mich drängt schon seit längerer Zeit eine Frage, die du mir sicherlich beantworten kannst, da du ja ein Wanderer zwischen den Welten bist. Stimmen die Geschichten von der weißen

Frau?“ Augustin war sich nicht sicher, was er sagen sollte. Doch wie er Auroras Blicke sah wurde ihm klar, dass er sich nicht verstellen konnte vor ihr, Sie würde in ihn dringen und wissen, wann er sie versuchte hinters Licht zu führen. „So muss ich dir zuerst sagen, dass sie real ist, ein Wesen aus Fleisch und Blut. Und weiterhin muss ich gestehen, dass ich sie kenne, sehr gut sogar. So gut, wie ich meine Hände kenne, vielleicht sogar darüber hinaus. Sie ist eine Seele, die weit über das hinaus geblickt hat, was uns hier auf Erden beschränkt. Sie ist eine wahre Künstlerin.“ Aurora war erschrocken von diesem

Geständnis. „So kennst du auch ihren Namen, oder hat sie keinen?“ „Lilith Gütlich ist ihr irdischer Name.“ Da fiel Aurora vor ihm auf die Knie und umfasste seine Beine. „Bitte, bitte versprich mir dieses Wesen nicht wieder zu treffen. Sie ist das Böse in Person. Sie war es, die das Unglück über ihre Familie brachte und dann über meine.“ Augustin war gerührt und zugleich wütend über diese törichten Worte. „So sehr ich deinen Schmerz verstehe und teile, so wenig verstehe ich, wieso du solche Ammenmärchen glaubst. Es ist das Geschwätz der Einfältigen

Bürger, die nichts besseres zu tun haben, als die eigenen Schlechtigkeiten ihrer Existenz mit denen anderer Menschen zu bedecken auf dass sie selbst besser erscheinen.“ Aurora blickte traurig zu ihm hinauf. „So maßregelst du mich also wie ein dummes kleines Kind? Gut, ich will dir verzeihen, denn du kennst die Verbindung nicht. Ihr Vater, den sie über alles liebte, er war Partner meines Vaters. Beide betrieben dieses Geschäft, welches noch heute den Namen beider ziert. Doch ihr Vater, er wurde über den Kummer über seine Tochter zunehmend unfähig die Geschäfte zu besorgen. Mein Vater warnte ihn mehrmals vor,

doch als sich keine Besserung einstellen wollte, so musste er den Partner schweren Herzens entlassen und ausbezahlen. Die Aussteuer jedoch konnte die Verbitterung des alten Gütlich nicht heilen. Sein Kind hatte ihm solchen Schmerz bereitet und nun war der letzte Sinn aus seinem Leben gewichen, woran er wenig später zu Grunde ging. Lilith klagte daraufhin offen meinen Vater an, verantwortlich zu sein für den Tod ihres geliebten Vaters. Sie hasst meine Familie seit jenem Tag. Kurz darauf verstarb dann mein Verlobter. Natürlich glaubten wir nichts davon, was die Leute tratschten, von den magischen Kräften, die Lilith

haben soll. Doch beobachteten wir sie genauer und schnell bemerkten wir merkwürdige Geräusche und Geschehnisse in ihrem Elternhaus. Es soll gewaltige Katakomben darunter geben, die ihr als Laboratorium dienen. Bitte, sie ist mit dem Satan im Bunde, dessen bin ich mir sicher. Ich habe Angst um dich, Augustin, Du darfst ihr nicht verfallen, sonst wird es auch dir schlimm ergehen.“ Er wusste nicht, was er darauf antworten sollte. All dies verärgerte ihn, doch hatten es die lieblichen Lippen von Aurora gesprochen. Und Aurora lag ihm auch am Herzen. Er hatte sie lieb gewonnen, also war er nicht bereit sie zu

verletzen mit seiner brennenden Wut, die sich in ihm ausbreitete und innerlich verzehrte. „Bitte, bitte geh hinfort für heute. Ich brauche jetzt Zeit, die ich ohne Störung verbringen kann. Was du mir sagtest, das klingt so wunderlich, dass ich, der weiß, dass es mehr gibt, als das, was wir glauben allein zu sehen, dass ein wahrer Funke darin sein könnte. Doch habe ich auch nicht den geringsten Zweifel, dass hier ein anderer Zauber wirkt, als der von Lilith. So sprich mich bitte nicht wieder auf dieses Gespräch an, bis ich bereit bin dir wieder etwas darüber zu berichten. Sprich bitte die kommenden Treffen von anderen

Gegenständen.“ Aurora versprach es ihm und verließ schweigend den Friedhof, auf welchem Augustin, seinerseits schweigend, seine Arbeit fortführte.

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RogerWright
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