Romane & Erzählungen
Mira & Dawson - 8. Kapitel

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"Mira & Dawson - eine unmögliche Liebe"
Veröffentlicht am 27. September 2015, 38 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
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Über den Autor:

22 Jahre jung und Studentin im 6.Semester Soziale Arbeit. Schon als ich klein war, habe ich es geliebt mir Geschichten auszudenken und diese aufzuschreiben, außerdem lese ich viel und gerne. Es ist einfach ein tolles Gefühl neue Welten, Charaktere und Handlungen zu erschaffen. Ich liebe das Gefühl völlig ins Schreiben vertieft zu sein und sowohl die Zeit als auch alles andere um mich herum zu vergessen.
Mira & Dawson - eine unmögliche Liebe

Mira & Dawson - 8. Kapitel

8. kapitel

Goldbraune Augen blickten mirentgegen, die pinken vollen Lippen waren zu einem höhnischen Lächeln verzogen. Die perfekt gezupften Augenbrauen wölbten sich nach oben. Ich lehnte mein ganzes Gewicht nach vorn und musste darauf vertrauen, dass sie mich nicht fallen ließ. Meine Hände ruhten auf ihren, ebenso wie mein gesamtes Gewicht. Ich hasste diese Kontaktimprovisationen. Nein, das stimmte eigentlich nicht. Ich fand sie eigentlich ganz nützlich und unterhaltsam. Nicht aber, wenn Cicely Warren zu meiner Partnerin bestimmt wurde und ich ihr vollkommen vertrauen

sollte.

„Du solltest dringend ein paar Pfunde abnehmen“, flüsterte sie mir nun mit süßer Stimme zu. „Ich frage mich, wie Toby dich überhaupt vom Boden hoch bekommt. Vermutlich seid ihr deshalb am Freitag gestürzt.“ Ich biss die Zähne zusammen und versuchte ihre gehässigen Kommentare auszublenden, die ich mir nun schon seit über einer Stunde ununterbrochen anhören durfte. Wenn sie wüsste, warum ich die Figur wirklich vermasselt hatte, würde sie ausflippen. Ich wäre kaum mehr sicher vor ihren und Portias herablassenden Blicken und Kommentaren. Aber sie würde es nie erfahren. Das hoffte ich zumindest.

„Glaub´ bloß nicht, dass hier niemand wüsste, warum du wirklich an der RDA angenommen wurdest“, durchbrach Cicely meine Gedanken. Nun horchte ich zum ersten Mal auf. Was meinte sie? Ich lehnte mich mit meinem Körper zurück, dabei sollte meine Partnerin meine Balance ausgleichen, sodass ich nicht zu Boden ging. „Mr Kendrix und deine Mutter waren Partner. Ich habe Bilder von ihr gesehen. Du siehst genauso aus wie sie. So wie ich das einschätze, hatten die beiden eine Affäre. Sie hat ihn verlassen, um mir deinem Versagervater zusammen zu sein und er hat das nie überwinden können.

Natürlich konnte er dich nicht ablehnen. Du siehst nicht nur aus wie seine große Liebe, nein, du trägst auch noch den selben Namen. Vielleicht ist das sein verzweifelter Versuch, die Vergangenheit nicht zu vergessen. Irgendwie erbärmlich, aber das interessiert mich nicht.“ Wut fraß sich durch meinen Körper und brachte mich zum Zittern. „Ach nein?“, spuckte ich ihr ungehalten entgegen. Wieder schenkte sie mir dieses gekünstelte Lächeln. Ich sah den Triumph in ihren Augen. „Nein“, fuhr sie ganz ruhig fort, ganz so als würde sie mit mir eine belanglose Konversation über das Wetter führen. „Das einzige was mich an dieser ganzen Sache stört ist,

dass du trotz mangelnden Talents an der Akademie aufgenommen wurdest und ich nun meine Zeit mit dir verschwenden muss.“ „Das tut mir aber furchtbar leid“, giftete ich und setzte meinen Fuß zurück auf den Boden. „Vielleicht solltest du dir zukünftig einen anderen Partner suchen.“ Damit drehte ich ihr den Rücken zu und verließ den Raum. Die Stunde war keine Sekunde zu früh zu Ende gewesen. „Hör doch nicht auf sie. Alle hier wissen, was für ein falsches Biest sie ist“, versuchte mich Beth aufzumuntern. Ich hatte meinen Freunden von dem Vorfall während der Kontaktimprovisation erzählt. Sie

schienen genauso empört über Cicelys Verhalten zu sein wie ich es war. Was bildete sie sich eigentlich ein!? Ich war sicher nicht wegen der Ähnlichkeit zu meiner Mutter hier. Mr Kendrix setzte ganz bestimmt nicht den Ruf seine Schule wegen seiner alten Partnerin aufs Spiel. Hatten die beiden wirklich ein Verhältnis gehabt? Ich konnte es mir nicht vorstellen. Ganz ausgeschlossen war es allerdings nicht. Aber das war ja eigentlich auch egal. Zu viert schlenderten wir über den Campus zu dem großen Pavillon, der im Sommer während der Pausen oder am Abend gern genutzt wurde, um sich zu entspannen und miteinander zu

quatschen. Doch mittlerweile war es November. Das Grün der umstehenden Bäume und Sträucher war Kälte und Trostlosigkeit gewichen. Keiner der anderen Studenten hielt sich hier auf, sodass wir nun vollkommen ungestört waren. Ich zog einen dünnen Fleecepullover aus meiner Tasche und breitete ihn auf der kalten Holzbank aus. Dann setzte ich mich darauf und lehnte mich an die harte Wand. Die andere taten es mir gleich. Niemand sagte ein Wort. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Ich war mit meinen noch immer bei Cicely, meiner Mum und Mr Kendrix. Weiße Wölkchen bildeten sich beim Ausatmen

vor meinem Gesicht und stiegen in die Dunkelheit. Nur die Laternen, die den Weg hierher säumten, spendeten etwas Licht. Die Lampen im und um den Pavillon wurden nur zu besonderen Anlässen oder im Sommer eingeschaltet. „Mira?“ Cora war die erste, die die Stille mit ihrer sanften Stimme durchbrach. Ich hob den Kopf und sah in ihre braunen Augen. Ein angespannter Ausdruck lag auf ihren Zügen. Was war denn jetzt los? Ein Blick zu Beth und Toby sagte mir, dass die Drei irgendetwas ausgeheckt hatten. „Was ist los?“, versuchte ich die erdrückende Stimmung mit einem gespielten Lächeln aufzulockern. Doch sie ließen sich von meiner Schauspielerei

nicht ablenken. „Toby hat uns erzählt, was übermorgen für ein Tag ist. Wir wollten nur, dass du weißt, dass du nicht allein bist. Wenn du uns brauchst, sind wir für dich da“, sagte Cora und legte so viel Mitgefühl in ihre Stimme, dass mir eine zarte Gänsehaut über den Körper kroch. Übermorgen. Der 25.November. Ja, es war ein Tag, vor dem ich jedes Jahr aufs Neue Angst hatte. Doch diesmal hatte ich kaum daran gedacht. Ich war so abgelenkt gewesen mit meinen eigenen Problemen, der RDA und Dawson, der mich nicht in Ruhe ließ, dass mir dieser Tag noch unglaublich weit weg erschienen war. Jetzt schluckte ich hart gegen den Kloß, der sich in

meinem Hals gebildet hatte an und spürte das Brennen in meinen Augen, das nahende Tränen ankündigte. Wie hatte ich das nur verdrängen können? Kein Wunder, dass Dad in den letzten Tagen so deprimiert und wortkarg war. Der dritte Todestag seiner Frau stand unmittelbar bevor. Meine Freunde sahen mich erwartungsvoll an. Ich räusperte mich und erwiderte kaum hörbar: „Danke, aber das ist nicht nötig. Es geht mir gut.“ Sofort schüttelten sie völlig synchron die Köpfe. „Du kannst uns nichts vormachen Mira“, sagte Beth mit einem traurigen Lächeln. „Wir haben nichts gesagt, schließlich hat es einen Grund, dass du

so drauf bist. Aber...“ Ich unter brach sie: „Dass ich so drauf bin? Wie denn?“ Natürlich wusste ich was sie meinten. Aber ich hatte noch immer die Hoffnung gehabt, dass sie nichts bemerkt hatten. Selbst nachdem Florence mich auf meine Veränderung angesprochen hatte, redete ich mir ein, dass sie einfach ein sehr aufmerksamer Mensch war und niemandem sonst etwas aufgefallen war. Doch nun saßen wir hier in der Kälte und führten ein Gespräch, vor dem ich am liebsten weglaufen wollte. „Du bist so anders in letzter Zeit“, sagte Toby schließlich. „Du bist dauernd mit deinen Gedanken woanders und wirkst als würdest du jeden Moment

einschlafen. Im Unterricht bist du unaufmerksam und machst Fehler. So kenne ich dich gar nicht. So etwas wie Freitag ist dir vorher nie passiert. Selbst als wir beide noch Unterricht bei Mrs Caprice genommen haben, hast du immer über hundert Prozent gegeben. Das hier ist dein Traum Mira. Du darfst ihn nicht so leichtsinnig aufs Spiel setzen. Ich weiß, dass du noch immer um deine Mum trauerst, aber sie hätte sicher nicht gewollt, dass du deinen Traum ihretwegen riskierst.“ Tränen, die ich nicht aufhalten konnte, liefen mir über die Wangen. Sie lagen so richtig mit ihrer Einschätzung und doch waren sie meilenweit entfernt von der

Wahrheit. Mein Verhalten hatte sich verändert. Ich hatte mich verändert. Aber nicht aus dem Grund, den sie dafür verantwortlich machten. Es wunderte mich, dass Toby nicht auf den Gedanken gekommen war, dass ich vielleicht einfach wie meine Mutter wurde, statt sie nur zu betrauern. Er hatte sie gekannt, zwar nur vom Sehen und Hören, aber er wusste von ihrer Krankheit. Vielleicht wollte er auch einfach nicht die richtigen Schlüsse ziehen. Beth schlang ihre Arme um meinen Hals und zog mich in eine innige Umarmung. „Es wird alles gut. Du überstehst diesen Tag und danach konzentrierst du dich wieder voll und ganz auf das Training

und den Unterricht.“ Wenn du nur wüsstest! Ich musste mein seltsames Verhalten zukünftig besser verstecken. Leider war ich als Schauspielerin nie sonderlich gut gewesen. Aber die Not machte eben erfinderisch. Also nickte ich tapfer und dankte den Dreien für ihre Worte, dass sie für mich da waren und für ihre Freundschaft. Am Ende lagen wir uns alle in den Armen. Als wir uns endlich wieder einigermaßen gefangen hatten, verließen wir den Pavillon und schlenderten zu den Parkplätzen. Ich hakte mich bei Beth unter und flüsterte ihr verschwörerisch ins Ohr: „Wie läuft es eigentlich zwischen dir und Carson?“ Mir war

aufgefallen, dass sie auffällig oft etwas zusammen unternahmen und die Nähe des anderen suchten. Trotz der Dunkelheit konnte ich sehen, wie ihr Gesicht einen tiefen Rotton annahm. „Da läuft gar nichts. Wir sind nur Freunde.“ Ungläubig hob ich meine Augenbrauen. „Naja er ist immer so in sich gekehrt und gibt kaum etwas über sich preis. Aber wenn wir dann mal allein sind, ist er total süß und ein richtiger Gentleman.“ Sie geriet nun förmlich ins Schwärmen. Ich konnte mir Carson nicht als „süß“ oder „richtigen Gentleman“ vorstellen, aber wenn Beth das sagte, musste wohl etwas dran sein. „Habt ihr euch schon geküsst?“, wollte ich nun wissen. Doch sie schüttelte

bedauernd den Kopf. „Nein und ich denke, das wird auch nie passieren.“ „Wieso nicht?“, hakte ich nach. „Es klingt so, als würdest du ihn sehr mögen.“ Sie nickte. „Ja, ich verbringe gern Zeit mit ihm und er ist ein umwerfender Tanzpartner. Ich blühe regelrecht auf, wenn wir zusammen tanzen. Aber ich glaube, er erwidert meine Gefühle nicht.“ Die beiden würden ein ungewöhnliches Paar abgeben: Sie, die lebhafte Schottin, die immer für einen Spaß zu haben war und er, der introvertierte mürrische Typ mit der stürmischen Frisur und den vielen Tattoos. Aber ich wünschte Beth so sehr, dass sie bekam wonach ihr Herz

sich sehnte. Und wenn es nach Carson schrie, sollte sie auch alles daran setzen, ihn für sich zu gewinnen. Zu Hause angekommen, verbrachte ich noch ein wenig Zeit mit Dad. Seit ich an der RDA studierte, hatten wir kaum mehr Zeit füreinander. Früher hatten wir oft die Abende gemeinsam vor dem Fernseher verbracht und uns über die Filme, die wir sahen, lustig gemacht, Pizza gegessen und Karten gespielt. Doch Zeiten änderten sich. Sobald ich nun aus Oxford zurück kam, war ich so müde, dass ich nur noch ins Bett fallen und schlafen wollte, woran dank Dawson allerdings nur selten wirklich zu denken war. Doch heute nahm ich mir die Zeit.

Wir machten es uns auf dem alten Sofa im Wohnzimmer gemütlich, bestellten Pizza, legten eine DVD mit einem Actionfilm ein und holten das Kartenspiel heraus, das seine besten Tage schon lange hinter sich hatte. Die Karten waren abgegriffen, verblichen und hatten ihren Glanz verloren. Aber sie erinnerten mich an glückliche Tage und wir konnten uns einfach nicht von ihnen trennen. Erschöpft schleppte ich mich die Treppen rauf in mein Zimmer. Ich schlüpfte unter die Decken und schaltete das Licht aus. Als ich mich umdrehte, spürte ich, wie ein Gewicht die Matratze nach unten drückte. Ich seufzte und verdrehte die

Augen, was Dawson in der Dunkelheit aber nicht sehen konnte. Bevor er auch nur einen seiner blöden Sprüche bringen konnte, sagte ich gereizt: „Nimm es mir nicht übel, aber ich habe heute wirklich keine Lust auf ewige Auseinandersetzungen. Gib mir bitte nur diese eine Nacht. Ich bin müde und muss einmal vernünftig schlafen!“ Ich drehte ihm den Rücken zu, ohne auf eine Antwort zu warten, die ich aber trotzdem bekam: „Was ist denn los Prinzessin? Anstrengender Tag?“ Ich hatte genug von ihm und seiner Art. Ich wollte ihn einfach nur loswerden. Aber ich wusste, dass ich ihn nicht durch eine frostige Abweisung oder wüste

Beschimpfungen zum Gehen bewegen konnte. Das hatte ich bereits alles versucht. Besonders nach letztem Freitag bin ich ihm wortwörtlich an die Gurgel gegangen. Ich war kein gewalttätiger Mensch. Aber er trieb mich wirklich in den Wahnsinn. Ich hielt das nicht länger aus! Meine Freunde waren stutzig geworden und auch Florence hatte etwas gemerkt. Es würde nur noch eine Frage der Zeit sein, bis mein Vater mich auf mein Verhalten ansprach oder noch schlimmer: meine Lehrer. Was wenn ich, wegen der ständigen Fehler, die ich durch Dawson machte, von der Schule verwiesen

wurde? Soweit durfte es nicht kommen! Ich musste ihn ein für alle Mal loswerden! Dawson begann melodielos vor sich hin zu pfeifen und mit seinen Fingern zu knacken. An Schlaf war also nicht zu denken. „Wenn du mich zukünftig in Ruhe lässt, helfe ich dir von hier zu verschwinden“, sagte ich. Das Pfeifen und Knacken erstarb. Ich spürte wie er sich neben mir aufsetzte. „Du tust was?“, fragte er verblüfft. Wenn ich dann endlich meine Ruhe hatte, spielte ich sein irrsinniges Spiel eben mit und half ihm, bei was auch immer. „Ich helfe dir“, wiederholte ich diesmal mit mehr Nachdruck. „Warum?, wollte er wissen.

Genervt stöhnte ich und setzte mich nun ebenfalls auf. Die Dunkelheit umgab uns. Es fiel mir leichter ihm dieses Versprechen zu geben, wenn ich ihm dabei nicht in diese ausdrucksstarken Augen sehen musste. „Ich habe genug von dir. Je schneller du von hier verschwindest, desto eher bekomme ich mein altes Leben wieder. Und jetzt verschwinde, bevor ich es mir anders überlege.“ Ich ließ mich zurück in die Kissen fallen. Das Gewicht, das die Matratze nach unten gedrückt hatte, war verschwunden. Ich war allein. Das erste Mal seit Wochen! Noch bevor ich mich über meinen Sieg freuen konnte, versank ich in einen erholsamen tiefen

Schlaf. Am nächsten Morgen wachte ich auf und fühlte mich ausgeruht, wie schon lange nicht mehr. Mein Wecker klingelte zur eingestellten Zeit und auch meine Schlüssel befanden sich an Ort und Stelle. Der Unterricht verlief ohne irgendwelche Vorkommnisse und ich fühlte mich einfach nur wunderbar. Ms Harper lobte meine Pirouetten und Ms Hillard die Ausführung meiner Hebefiguren. Von der Unaufmerksamkeit, der Müdigkeit und des seltsamen Verhaltens, das ich in letzter Zeit an den Tag gelegt hatte, war nun nichts mehr zu sehen. Endlich konnte ich meine Zeit an der RDA so genießen, wie ich es mir

immer vorgestellt hatte. Zwischen zwei Unterrichtseinheiten unterhielt ich mich mit Beth, die mir aufgeregt erzählte, dass sie an diesem Abend eine Verabredung mit Carson hätte. Sie wollte ihm endlich auf den Zahn fühlen und herausfinden, ob er genauso empfand wie sie. Ich wünschte ihr von Herzen alles Gute. Auch Cora hatte nach dem Unterricht ein Date. Sie hatte ein Auge auf den gutaussehenden Leander Meyrick aus dem dritten Semester der Contemporary-Dance-Class geworfen. Er hatte blondes Haar, das ihm bis auf die Schultern reichte, eisblaue Augen und ein breites Kinn. Die beiden hatten sich in den

letzten Tagen schon öfter getroffen und Cora hoffte, dass er endlich den ersten Schritt wagen und sie küssen würde. Denn sie selbst traute sich nicht zu erst in das kalte Wasser zu springen. Cora und Beth sahen mich neugierig an. „Wann war deine letzte Verabredung?“, wollten sie wissen. Oh bitte nicht! Ich hatte im Moment ganz andere Probleme. Ich hatte einen Typen an der Backe, der mir auf Schritt und Tritt folgte. Den aber außer mir niemand sehen konnte. Da konnte ich nicht auch noch einen Kerl aus Fleisch und Blut gebrauchen, der wollte, dass ich meine wertvolle Zeit mit ihm teilte. Ich verdrehte die Augen und schloss die Tür meines Schließfaches.

„Wir müssen los“, sagte ich und eilte davon. Ich beschloss, nach der letzten Stunde Tobys Angebot anzunehmen und ihn zu sich nach Hause zu begleiten. Ich vermutete den Grund seiner Gastgeberbereitschaft zu kennen. Er wollte mich am Tag vor dem Todestag meiner Mutter nicht allein lassen. Es war lieb von ihm sich so um mich zu sorgen, aber es waren egoistische Gründe, die mich schließlich einwilligen ließen. Ich wollte das Nachhausekommen so lange wie möglich herauszögern, denn ich vermutete, dass Dawson bereits in meinem Zimmer auf mich wartete. Ich hatte versprochen, ihm zu helfen. Auch

wenn ich keine Ahnung hatte, wie ich das anstellen sollte. Schließlich glaubte ich noch immer nicht an Geister. Aber was war die Alternative? Psychosen und ein Symptom, das mich verrückt machte, und das nicht im positiven Sinne? Nein danke! Bei Toby angekommen, stürmte uns die kleine Laura entgegen. Sie war gerade erst sieben geworden, der Nachzügler und Nesthäkchen der Familie. Sie schlang ihre kurzen Ärmchen um Tobys Beine und brachte ihn so kurz aus dem Gleichgewicht. Er legte seine Hand auf ihren blonden Kopf und zerwühlte ihre Locken. Sofort stieß sie sich von ihm ab und richtete ihre Frisur. „Hey!“, quiekte

sie mit hoher anklagender Stimme und rannte davon. „Sie ist süß“, stellte ich fest. Toby grinste. „Ja, sie ist mein Ein und Alles. Aber lass sie das bloß nicht hören, sonst hört sie überhaupt nicht mehr auf das, was ich ihr sage.“ „Dein Geheimnis ist bei mir sicher“, versprach ich und hob die Hand wie zu einem Schwur vor Gericht. Er lachte. „Hast du Hunger?“ Ich hatte das Gefühl, mein Magen würde gleich explodieren. Es war aber auch einfach zu lecker gewesen, um einfach aufzuhören. Tobys Eltern waren sehr nett zu mir gewesen. Sie fragten, wie es an der RDA für mich lief und ob ich schon wisse, was ich nach meiner Ausbildung

vorhatte. Doch meine Zukunft stand noch in den Sternen. Ich verabschiedete mich von Toby und seiner Familie. Es war schon spät und ich konnte das Unausweichliche nicht länger aufschieben. Wie erwartet, saß Dawson auf meinem Sofa. Grimmig musterte er mich als ich durch das Zimmer ging und mich auf den Stuhl vor dem Schreibtisch setzte. „Wo warst du so lange?“, verlangte er zu wissen. „Ich habe ein Leben, weißt du?“ Ich drehte mich um und fuhr den Laptop hoch. Zwar hatte ich keine Ahnung, wie ich diese Sache angehen sollte, aber Google konnte bestimmt weiterhelfen. „Autsch. Das war aber gar nicht nett“,

sagte er sarkastisch. Natürlich, als ob du Gefühle hättest um die ich mich sorgen müsste!, schoss es mir durch den Kopf. Der Browser öffnete sich und ich gab die Frage „Wie führt man einen Geist ins Licht?“ in das Suchfeld ein. Es wurden achthundertsechsundvierzigtausend Treffer erzielt. Na super! Ich öffnete ein paar Seiten, überflog sie und wollte am liebsten den Laptop wieder schließen und das alles vergessen. Das ist doch total bescheuert! Ich landete in verschiedenen Foren, in denen Geistererscheinungen beschrieben wurden. Für mich klang das alles nach haarsträubenden Unfug. Die waren doch alle verrückt! Aber wenn die verrückt

sind, dann bist du das auch!, flüsterte eine leise Stimme in meinem Kopf. Auch wieder wahr. „Das Zimmer mit Salbei ausräuchern“, las ich tonlos und tippte mir dabei mit dem Zeigefinger gegen die Lippen. Natürlich, wie soll ich das nur Dad erklären? „Schutzamulette“, als ob so etwas helfen würde! „Einfach ignorieren“, habe ich schon versucht, aber davon lässt Dawson sich nicht beeindrucken. „Aus der Bibel lesen und ihn im Namen Jesu Christi verbannen“, ich vermutete, dass das auch nichts brachte, wenn ich nicht mehr an Gott glaubte. Verzweifelt biss ich mir auf die Lippen.

Das brachte doch alles nichts! Ich drehte mich um. Erwartungsvoll sah Dawson mich an. „Na, was gefunden?“ „Nein“, antwortete ich knapp. Er verzog seine Lippen zu diesem arroganten Grinsen, das ich so hasste. „Dann würde ich sagen, willkommen in deiner ganz persönlichen Hölle, in der ich dir dein Leben zur Qual mache.“ Ich schluckte. Die letzten Wochen hatten mir gereicht. Das hielt ich nicht einen Tag länger aus. Ich seufzte. „Was ist das letzte, an das du dich erinnern kannst, bevor du mich das erste Mal im Park gesehen hast?“, fragte ich in der Hoffnung, so herauszufinden, warum er noch hier war. Er runzelte nachdenklich die Stirn.

„Im Park? Nein, das war nicht das erste Mal, das ich dich gesehen habe.“ Was? Ungläubig sah ich ihn an. „Das erste an das ich mich erinnern kann, ist dieses Haus hier. Ich stand auf der anderen Straßenseite und habe gesehen, wie du die Tür geöffnet und dich von deinem Freund verabschiedet hast“, sagte er langsam. Ich erschauderte. Dann war er der Schatten gewesen, den ich damals gesehen hatte. Mir kam ein anderer Gedanke, den ich sogleich laut aussprach: „Warst du das auch in der RDA beim Vortanzen?“ Er nickte. „Ja. Ich habe dir beim Tanzen zugesehen“, erwiderte er mit obszönem Blick. Wieder

lief mir ein kalter Schauder über den Rücken. Er hatte mich beobachtet? Es war das Stück gewesen, bei dem wir uns Inspiration aus dem Film `Shades of Grey´ geholt hatten. Das war irgendwie gruselig und zugegebenermaßen war es mir auch ein wenig peinlich, dass er mich so gesehen hatte. „Warum ich?“ Es dauerte einige Minuten bis er antwortete: „Keine Ahnung. Ich wurde von dir angezogen. Immer wenn ich irgendwo auftauchte, warst du auch da. Ich habe versucht, mich von dir fernzuhalten und jemand anderen zu finden, der mich sehen kann. Aber es gab niemanden und ich habe es auch nicht geschafft, mich weit von dir zu

entfernen.“ An seiner Stimme erkannte ich, dass er das gerade Gesagte am liebsten für sich behalten hätte. Da konnte ich ihn nur zu gut verstehen. Es hätte süß sein können, dass er sich zu mir hingezogen fühlte. Wünschte sich nicht jedes Mädchen einmal, so etwas von einem heißen Typen wie Dawson zu hören? Ich dagegen wünschte mir, dass ich ihn wie einen Magneten abstieß. Leider erhörte niemand meinen Wunsch. „Na schön, versuchen wir etwas anderes“, lenkte ich ein. „Was ist das letzte, das du aus deinem Leben weißt?“ Das schien mir eine einfache Frage zu sein. Vielleicht war er ja ein Mordopfer oder hatte einen Unfall. Das würde mir

die Suche erleichtern, denn sein Name tauchte so eventuell in den Nachrichten auf. Doch Dawson antwortete nicht. „Dawson?“ Er hob den Kopf und verzog das Gesicht. „Ich weiß nicht.“ „Was meinst du? Von mir aus kannst du mir auch etwas anderes sagen. Deinen Nachnamen zum Beispiel oder wo du gelebt hast.“ Er wurde wütend. „Ich weiß gar nichts okay!? Vielleicht ist das Geisteramnesie. Man vergisst wer man vorher war!“, rief er aufgebracht. Geisteramnesie? So ein Quatsch! „Erinnerst du dich wirklich an gar nichts?“ hakte ich nach. Er schüttelte den Kopf. „Aber du bist dir sicher, dass du Dawson heißt?“ Er nickte. „Ja, es ist

schwer zu erklären. Aber der Name war der erste, der mir in den Sinn gekommen ist, als du mich danach gefragt hast. Und er klingt einfach...richtig.“ Ich gab den Namen „Dawson“ in diverse Suchmaschinen für Vermisste ein, doch natürlich wurde ich nicht fündig. Ich hatte keine Ahnung, wie alt er genau war, wo er gelebt hatte, wenn überhaupt, oder wie sein Nachname lautete. Das war die Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen!

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Über den Autor

LilaLilime
22 Jahre jung und Studentin im 6.Semester Soziale Arbeit. Schon als ich klein war, habe ich es geliebt mir Geschichten auszudenken und diese aufzuschreiben, außerdem lese ich viel und gerne. Es ist einfach ein tolles Gefühl neue Welten, Charaktere und Handlungen zu erschaffen. Ich liebe das Gefühl völlig ins Schreiben vertieft zu sein und sowohl die Zeit als auch alles andere um mich herum zu vergessen.

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abschuetze Hab auch schnell die anderen Komis gelesen, mit einem Schmunzeln. Sicher... er weiß selber nichts und motzt rum, aber trotzdem, irgendwie tut er mir leid. Ich fange an, ihn zu mögen. Wenn sich die beiden doch nur nicht so das Leben zur Hölle machen würden.

LG von Antje
Vor langer Zeit - Antworten
LilaLilime einer muss ihn ja mögen. Da freut er sich bestimmt :)
LG von Andrea
Vor langer Zeit - Antworten
Moscito Na das ist mir ja einer ... Weiß selber von nix und motzt herum. Mir tut Mira unendlich leid. Da hat sie so einen Traumtypen vor sich sitzen, was sie ja selbst festgestellt hat, und nix als Ärger am Hals. Nun zumindest hat sie erst einmal Ruhe, wenn sie die Puzzleteile finden und zusammen setzten können. Ich freue mich darauf, die beiden dabei zu begleiten.
Lieben Gruß Silke
Vor langer Zeit - Antworten
LilaLilime tja so sind die Kerle eben. Alles bemeckern aber selbst keine Ahnung haben :)
Mira und Dawson freuen sich, dass du weiter dabei bist. Ich hoffe du konntest gestern Nacht schlafen, nachdem du den "Geist" mit ins Bett nehmen wolltest ;)
LG von Andrea
Vor langer Zeit - Antworten
Moscito Na sie sind nicht alle so ... aber viele ;)
Ich habe prächtig geschlafen und auch Dawson hat sich benommen. Ich hoffe er tut es heute auch, sonst setz ich ihn aufs Fensterbrett.
Gegenfrage, wie ist es dir ergangen, immerhin hattest du ja Alex dabei :D
Liebe Grüße und einen schönen Abend wünsche ich dir
Silke
Vor langer Zeit - Antworten
LilaLilime Das freut mich ich hatte schon die Befürchtung dass er dich nicht schlafen lässt. Und Alex...eine Dame schweigt und genießt ;)
LG von Andrea
Vor langer Zeit - Antworten
Memory 
Die Fragen werden mehr, statt weniger :)))
Ich bleibe neugierig!
Lieben Gruß Sabine
Vor langer Zeit - Antworten
AlexxaXD Sehr gut geschrieben! Endlich wollen sie mal ernsthaft dahinter kommen, warum Dawson eigentlich die ganze Zeit da ist... Darauf habe ich gewartet ;) Weiter so, bitte !
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LilaLilime ja es wird langsam Zeit sich damit auseinander zu setzen ob es den beiden nun gefällt oder nicht :)
LG von Andrea
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