Das Schreien der Lämmer
Eine Fabel
3150 Zeichen
Vorgegebene Begriffe:
-scheinheilig
- Zukunft
- tanzen
- Nachkommen
- Fußstapfen
- widerlich
©roxanneworks 2015 / 09
Heute hörte ich Isegrim zu den Tieren sprechen“, erzählte Grimbart, „Typpke, Kratzefuß, Lamb und Metke, die alte Ziege lauschten seinen scheinheiligen Worten. Wieder sprach er von den fremden Schafen, die zu uns kommen, und dass zu wenig Platz für alle bleibt. Es gäbe doch noch andere Wälder.“
„Pah, tief in sich trägt er noch immer das Erbgut seiner Ahnen. Was meinten die Anderen?"
„Typpke glaubt, unser Wald sei groß genug, solange jeder Rücksicht übte, und Kratze- fuß schloss sich der Meinung an. Federvieh hat in Gesellschaftsfragen eine sehr naive Einstellung, so scheint mir. Lamb fühlt Mitleid mit den Fremden und Metke hat auch
nichts gegen sie, solange es genug zu Fressen gibt“, endete der Dachs.
„Isegrim's groteske Wahrheiten glauben jene, die ignorant oder einfältig genug sind.
Ich hoffe, du hast ihnen deine Meinung gesagt!", empörte sich seine Frau.
„Natürlich habe ich meine Sicht erklärt und auch was uns die Geschichte lehrt!“
„Was lehrt uns die Geschichte, Vater?“, fragte Grimbart Junior.
„Nun, es war vor langer Zeit, als die Wölfe den Wald beherrschten. Sie brachten Tod und Verderben. In ihren Augen waren die Schafe keine Tiere, nicht einmal gut genug, um als Nahrung zu dienen. So führte man sie zur Schlachtbank und verscharrte ihre Leiber. Nur wenige konnten fliehen. Damals
sahen die Tiere dem widerlichen Töten zu, bis ein Rudel Löwen kam und das Morden beendete“, erklärte Grimbart.
„Das darf nie wieder geschehen!“, klagte der Kleine.
„Ja, mein Sohn, deshalb müssen wir zusammenhalten und den Nachkommen jener, denen Unrecht widerfahren ist, nun Sicherheit und Geborgenheit bieten."
Zwei Tage später -
vor der Höhle des Löwen...
„Hört, mein Volk, was ich zu sagen habe! Not und Elend, Krieg und Zerstörung, Verfolgung und Hass bedrohen die Tiere.
Wir alle müssen frei und ohne Ängste leben dürfen, um für unsere Kinder eine Zukunft
aufzubauen. Die Fremden unter uns hatten diese Möglichkeit nicht. Ich gab mein Wort, bot Zuflucht und Schutz! Doch hörte ich von Besorgnis, ja gar Ablehnung, und fragte mich, warum? Mangelt es meinem Volk an friedlichem Leben, gerechtem Auskommen, Sicherheit und freier Lebensgestaltung? Ich denke, nein! Heute nun soll jeder von euch selber sprechen. Wer in friedlichem Mitein- ander leben möchte, der gehe auf die linke Seite der Lichtung. Wer aber gegen ein Leben mit Fremden ist, wähle die Rechte.“
Nach einer Weile hatte sich die Menge linksseitig orientiert. Nur eine kleine Schar Unentschlossener stand in der Mitte.
„Isegrim, du und Deinesgleichen wollen sich nicht entscheiden, obwohl du es bist, der sich laut gegen die Fremden ausspricht! Warum also stehst du in der Mitte und nicht am rechten Rand?“, fragte der König, „ willst du immer weiter in Fußstapfen deiner Ahnen gehen oder können wir aus der Geschichte lernen, damit die Fehler der Vergangenheit nicht wieder geschehen?"
Isegrim schaute verunsichert, denn nun riefen die Waldbewohner im Chor:
"Selbst wenn der Wolf einen Schafspelz trägt, so bleibt er doch ein Wolf – der böse ist - ganz mit Bedacht, rücksichtslos und gierig lebt, und lügt, wenn er das Maul aufmacht…!"
Einige fremde Lämmer liefen verwirrt auf der Lichtung umher und schrien jämmerlich. Da trat eine alte Wölfin aus dem Rudel hervor und nahm ein Lämmchen an sich. Eine junge Wölfin tat es ihr gleich. Bald standen alle Wolfsfrauen im Kreis und wiegten die Lämmer, bis sie schwiegen. Die Menge applaudierte begeistert.
„Das Rudel hat entschieden, Majestät," antwortete Isegrim zerknirscht.
„Ja, so scheint es, alter Wolf. Auch wenn du nicht aus deiner Haut kannst, so sei dir stets gewiss, dass wir wissen, wer du bist!“
Der König verkündete feierlich:" Lasst uns speisen, tanzen, singen, bis die Herzen leicht und die Nacht dem Tage weicht..."