Aesops Lehrling
RANDBEITRÄGE
ZU NACHSTEHENDEN VORGABE
THEMA: »HINTER DER MASKE«
MAXIMAL 2000 ZEICHEN
6 PFLICHTWÖRTER (FETT):
SCHEINHEILIG, ZUKUNFT, FUSSSTAPFEN, WIDERLICH, TANZEN, NACHKOMMEN
Der Esel und die Ziege
Ein Bauer hatte einen Esel und eine Ziege. Weil nun der Esel sehr viel arbeiten und große Lasten tragen musste, erhielt er ein reichlicheres und besseres Futter als die Ziege.
Diese beneidete den Esel, und um ihn um die bessere Kost zu bringen, oder doch wenigstens ihm Schläge einzutragen, sprach sie eines Tages scheinheilig zu ihm:
»Höre, lieber Freund! Oft schon habe ich dich von Herzen bedauert, dass du Tag für Tag die schwersten Lasten tragen und vom Morgen bis Abend arbeiten musst;
ich möchte dir wohl einen guten Rat geben.«
»Warum nicht?«, sagte der Esel, »ich bitte dich sogar darum!«
»Nun, so höre: Wenn du an eine Grube kommst, so stürze dich hinein, stelle dich verletzt, und dann wirst du in Zukunft Ruhe haben und nichts arbeiten dürfen.«
Dem Esel schien dies ein ganz guter Vorschlag, und kaum war er anderntags mit einer Last bei einer Grube angekommen, als er auch schon den Rat befolgte. Wie aus Zufall trat er fehl und stürzte hinein. Aber das hatte er sich nicht gedacht! Halb tot lag er da und dass er sich nicht ein Bein gebrochen,
war ein Glück. Vor seinen Augen tanzten Sterne einen Tango.
Ganz geschunden wurde er herausgeholt und konnte sich kaum nach Hause schleppen.
Sein Herr hatte nichts Eiligeres zu tun, als zu einem Vieharzt zu schicken, der dann verordnete: der Kranke solle eine frische, pulverisierte Ziegenlunge einnehmen.
Da dem Herrn der Esel mehr wert war als die Ziege, weil er gesunde Nachkommen zeugte, die in seine Fußstapfen als Lasttier traten, so ließ er diese sofort schlachten, um den Esel zu retten.
So büßte die Ziege für ihren
widerlichen Rat mit dem Leben.
Die Folgen des Neides gereichen nicht selten dem Neider selbst zum Verderben.
Der Fuchs und der Esel
Ein Esel warf einmal eine Löwenhaut um sich her, lustwandelte tanzend im Wald und schrie sein ›Ia Ia‹ aus allen Kräften, um die andern Tiere und deren Nachkommen in Schrecken zu setzen. Alle erschraken, nur der Fuchs nicht. Dieser trat scheinheilig vor ihn hin und höhnte mit widerlichem Grinsen: »Mein Lieber, auch ich würde vor dir erschrecken, wenn ich dich nicht an deinem ›Ia‹ erkannt hätte. Deine Fußstapfen verraten dich zu allererst. Ein Esel bist und bleibst du - in alle Zukunft!«
Mancher Einfältige in prächtigem Gewande gälte mehr, wenn er schwiege, denn: Mit Schweigen sich niemand verrät.