7. kapitel
Ich wachte auf mit guter Laune und einem strahlendem Lächeln im Gesicht. Mein Körper hatte sich von den gestrigen Strapazen erholt und war bereit für die nächste Runde. Energiegeladen schwang ich meine Beine aus dem Bett und suchte im Kleiderschrank nach einem passenden Outfit. Zufrieden stellte ich fest, dass sich heute kein ungebetener Gast in meinem Zimmer aufhielt.
In der RDA angekommen, trennte ich mich von Toby. Die erste Stunde fand geschlechtsspezifisch statt. In Strumpfhosen und Schläppchen bekleidet, fanden wir uns in einem
kleineren Ballettstudio ein, wo wir, nachdem wir uns aufgewärmt hatten, unter Miss Olive Harper unsere Grundkenntnisse im klassischen Ballett demonstrieren sollten.
„Auch im Contemporary-Dance ist es wichtig, über eine gute Haltung zu verfügen. Es gibt Figuren, die Sie nur mit enormer Körperbeherrschung umsetzen können. Ihren Partnern, die Sie tragen, stützen und heben müssen, kommen Sie mit einem kontrollierten Körper sehr entgegen. Ohne strenge Disziplin Ihrerseits kann Sie auch der stärkste Mann nicht vernünftig heben“, erläuterte sie und schritt vor uns auf uns ab. Ms Harper befand sich in den frühen
Fünfzigern. Ihrem grazilen Körper sah man an, dass sie ihr ganzes Leben dem Ballett gewidmet hatte. Das dunkle Haar trug sie in einem strengen Knoten, jede einzelne Strähne war am richtigen Platz. Die Augen hatte sie beinahe die gesamte Zeit über zu Schlitzen verengt. Die hauchdünn gezupften Augenbrauen waren dauerhaft zusammengezogen, sodass sich feine Fältchen auf ihrer Stirn bildeten.
Nachdem wir bewiesen hatten, wie weit unsere Grundkenntnisse im Ballett reichten, positionierte sie uns unserem Fortschritt nach, an der Stange. Ich stand nun direkt neben Cicely und Beth in der ersten Reihe, wo uns alle sehen konnten. Wir drei sollten den anderen ein Vorbild
sein.
Von Elizabeth wusste ich, dass sie als Kind jahrelang Ballettstunden genommen hatte, bis sich ihre Interessen in eine andere Richtung entwickelt hatten. Bei Cicely schien es ähnlich zu sein, denn auch ihre Bewegungen wirkten gekonnt und sicher. Ich hatte früher die Tanzvideos meiner Mutter regelrecht verschlungen und all ihre Schritte nachgeahmt. Sie gab mir damals Unterricht. Auch wenn sie nicht wollte, dass ich in ihre Fußstapfen trat, machte es ihr Freude, ihre Leidenschaft mit mir zu teilen. Bevor ich mich für den modernen Tanzstil entschied, hatte ich einige Zeit im Tutu an der Barre
verbracht.
Die anderen Mädchen hatten nur wenig bis gar keine Erfahrung im Ballett. Deshalb begannen wir mit den Grundübungen. Doch es sollte hier nicht um das perfekte Erlernen der verschiedenen Positionen gehen. Wir sollten uns nur die Grundlagen einverleiben, um eine gewisse Körperdisziplin aufzubauen und diese zu festigen.
„Mirika“, sprach mich unsere Lehrerin nun direkt an. Ich zuckte zusammen, denn ich mochte es nicht so gern, mit meinem vollen Namen angesprochen zu werden. Aber davon wollte hier scheinbar niemand etwas wissen „Zeigen
Sie den anderen ein Tendu-en-croix, den Sie mit einem Plié beenden.“ Ich nickte, legte meine linke Hand wieder an die Stange und führte die gewünschten Schritte aus. „Noch einmal. Achten Sie alle auf die Anspannung in ihrem Körper und die Präzession der Bewegungen“, forderte sie und wir taten wie uns geheißen.
In den nächsten neunzig Minuten machten wir Tendus und Pliés in sämtliche Variationen. Diese trockene Übung langweilte mich bereits nach wenigen Minuten. Den anderen schien es ähnlich zu ergehen. Doch wir behielten unseren Protest für uns und ergaben uns Ms Harpers
Anweisungen.
Nach der halbstündigen Pause, die wir vorwiegend in den Umkleideräumen verbrachten, ging es weiter mit Gymnastik. In Sportkleidung trafen wir uns in einer Art Turnhalle im Haus D, in dem es auch eine Schwimmhalle und diverse Fitnessräume gab. Auch die beiden Jahrgänge über uns nahmen an diesem Unterricht teil, sodass nun etwa vierzig Männer und Frauen in geordneten Reihen hintereinander standen und die Übungen nachmachten, die uns von Ms Miller gezeigt wurden. Ausdauer und eine gewisse Fitness gehörten zum A und O einer jeden Tanzausbildung.
Die nächste Unterrichtseinheit hatten wir
bei Ms Hillard. Wir waren nun wieder im Haus E, in dem sich die Tanzstudios befanden. Sie erklärte uns, wie wichtig die richtige Durchführung von Hebefiguren sei und dass zum Gelingen dieser, nicht nur der männliche Part beitrug. Nicht umsonst hatten wir auch Ballett auf unserem Stundenplan stehen. Wir konnten unsere Partner mit unseren Bewegungen und der richtigen Haltung sehr unterstützen, wie es Ms Harper auch schon betont hatte. Wenn wir uns nicht unter Kontrolle hatten und nicht in der Lage waren, die benötigte Spannung aufzubauen, konnte eine Figur so nicht gelingen. Der Mann gab uns lediglich
Hilfestellung.
„Linus und Mira? Kommen Sie nach vorn.“ Mir fiel auf, dass Ms Hillard die erste war, die meinen Wunsch zur Kürzung meines Namens beherzigte. Stumm quittierte ich meine Dankbarkeit mit einem kurzen Nicken in ihre Richtung. Jetzt wusste ich auch wieder den Namen des gutaussehenden Typen, den ich am Tag zuvor bei der Willkommensveranstaltung gesehen hatte: Linus. Er lächelte mich gewinnend an.
Ms Hillard wollte, dass wir eine klassische Hebefigur, oder auch Lift genannt, demonstrierten. Warum wurde ich heute ständig als Anschauungsobjekt
missbraucht?
Innerlich vollkommen aufgewühlt, stellte ich mich vor Linus´ Brust und spürte im nächsten Moment eine seiner Hände an meinem Rücken und die andere an meiner Taille. Wir entschieden uns für die Hebung, die auch Toby und ich bereits in meinem Dachzimmer zusammen geübt hatten.
Ich stieß mich vom Boden ab, wobei Linus meinen Schwung nutzte, um mich über seinen Kopf zu heben. Nun war es an mir, meinen Körper unter Spannung zu setzen. Ich winkelte mein rechtes Bein an, spreizte das linke, drückte meinen Rücken zu einem Hohlkreuz durch und streckte auch meine Arme von
meinem Körper weg. Als ich meine Balance gefunden hatte, spürte ich, wie Linus seine Hand von meiner Taille nahm und mein ganzes Gewicht nur noch auf der in meinem Rücken ruhte.
„Sehr gut. So bleiben bitte“, verlangte Ms Hillard. Sie erklärte den anderen worauf man beim Heben einer anderen Person, beziehungsweise beim Gehobenwerden achten musste. Als sie fertig mit ihren Erläuterungen war, gab sie Linus ein Zeichen, der nun wieder seine Hand an meine Taille legte und mich zurück auf den Boden holte. Jetzt mussten wir beschreiben, was in unseren Körpern bei der gerade gezeigten Figur passiert war, dann wurden wir endlich
entlassen und gesellten uns zurück zu den anderen.
Als nächstes wurden wir in Paare eingeteilt. Doch weil es mehr Frauen als Männer gab, mussten sich Portia zusammen mit Cicely und Cora mit Florence einen Tanzpartner teilen. Ich landete bei Carson, der wie immer mürrisch dreinschaute. Ich fragte mich, wie er wohl zum Tanzen gefunden hatte. Er gab nicht besonders viel von sich preis, vielleicht würde ich ihn dennoch irgendwann danach fragen.
Ms Hillard betätigte einen Knopf auf der Fernbedienung, die sie plötzlich in den Händen hielt und auf der Wand vor uns erschien das Bild eines Paares in einer
Hebefigur. Daneben waren kleinere Abbildungen der beiden zu sehen, die die Schrittfolgen zur gezeigten Figur darstellten. „Beginnen wir mit etwas einfachem“, meinte die schlanke Brünette. „Ich möchte mir erst einmal ein Bild von Ihrer Technik machen. Zwar habe ich beim Vortanzen schon einiges gesehen, dennoch möchte ich Sie bitten, nacheinander die Figuren, die Sie an der Wand sehen, durchzuführen. Ich möchte wissen, wo wir ansetzen müssen.“
Während wir nacheinander die Hebefigur vorführten, machte sich Ms Hillard Notizen auf einem Klemmbrett, gab hier und da eine Anweisung oder verlangte sogar einen Partnerwechsel. Am Ende der
Unterrichtseinheit übte Carson mit Beth. Cora und ich teilten uns Toby.
Auf diese Weise vergingen die ersten Wochen an der RDA wie im Flug. Ich lernte viel Neues und stellte mein Können unter Beweis. Es tauchten immer wieder Kleinigkeiten auf, die meinen Lehrern an meinem Tanzstil nicht gefielen. Aber das ging nicht nur mir so. Auch an allen anderen gab es etwas auszusetzen. Wir standen eben ganz am Anfang und hatten noch eine Menge zu lernen.
In den nächsten Tagen tauchte auch Dawson ständig in meiner Nähe auf. So weit mir dies möglich war, versuchte ich ihn zu ignorieren. Gelang es mir nicht,
endeten unsere Begegnungen jedes Mal in einer hitzigen Auseinandersetzung. Mittlerweile hatte ich mich an ihn gewöhnt. Zwar hatte ich mein Schicksal, das nun doch das gleiche wie das meiner Mutter sein sollte, nicht akzeptieren können, dennoch lernte ich damit zu leben. Die Tatsache, dass ich irgendwann vermutlich total durchdrehen würde, schob ich ganz weit nach hinten in meinen Gedanken und konzentrierte mich auf das Hier und Jetzt.
Gerade stand ich auf einer Matte zwischen Beth und Cora und konzentrierte mich auf meine Atmung. Wir hatten Yoga. Es war vollkommen still im Raum, nur die leisen Klänge der
Klaviermusik aus den Lautsprechern über uns erfüllten die Luft. Ich machte gerade die Übung des „Dreibeinigen Hundes“ als ich einen leichten Luftzug hinter mir spürte.
Warme Hände legten sich an meine Hüften. Erschrocken stieß ich die Luft aus. Meine Konzentration schwankte, mein Körper verlor seine Spannung, sodass ich laut stöhnend auf die Matte fiel. Alle Augen waren auf mich gerichtet. Mit hochrotem Kopf stammelte ich eine Entschuldigung und drehte mich zu dem Übeltäter, der für diese peinliche Situation verantwortlich war, um.
Natürlich war es wieder Dawson, der mich ständig sabotierte und vor allen
lächerlich machen wollte.
Seit unserem Streit letzte Woche hatte er es sich scheinbar zur Aufgabe gemacht, mich zur Weißglut zu treiben. Ich hatte ihn sehr lautstark in meinem Zimmer darauf hingewiesen, dass er nicht real war, nur der Einbildung meiner Fantasie entsprach und mich endlich in Ruhe lassen sollte.
Er glaubte mir nicht, doch nachdem er versucht hatte, in meiner Gegenwart mit anderen Menschen zu sprechen, musste er einsehen, dass ich Recht hatte. Er war sehr aufgebracht, beschimpfte und verfluchte mich. Warum er da nicht selbst drauf gekommen war? Ich meine, was tat dieser Typ, wenn er mir mein
Leben gerade einmal nicht zur Hölle machte? Wunderte es ihn nicht, dass ihn alle ignorierten? Wobei das bei seinem schlechten Benehmen kein allzu großes Wunder gewesen wäre!
Wütend starrte ihn an. Zu gern hätte ich ihm in diesem Moment einen Fluch entgegengeschleudert, aber mir war nur allzu deutlich bewusst, dass wir von Zuschauern umringt waren. Bereits jetzt schauten mich Cora und Beth unter erhobenen Augenbrauen an. Ich schüttelte meinen Kopf, um Dawson aus meinen Gedanken zu vertreiben und nahm die nächste Stellung ein, „die sitzende Vorwärtsbeugung“.
„Versuchst du etwa, mich zu ignorieren
Prinzessin?“, fragte er und ließ sich nun direkt vor mir auf den Boden fallen. Er überkreuzte seine Beine und verschränkte die Arme vor seiner Brust. Ich seufzte frustriert und verdrehte die Augen als er es nicht sehen konnte, da mein Kopf nach unten Richtung Knie gebeugt war.
„Du solltest inzwischen wissen, dass du mich nicht los wirst. Aus irgendeinem mir vollkommen unerfindlichen Grund, bin ich an dich gekettet. Ich habe versucht, mit jemand anderem zu reden, aber du bist nun mal die einzige, die mich sehen und hören kann. Hast du schon einmal daran gedacht, dass du ein Medium bist oder so?“
Vollkommen aus meiner Konzentration
gebracht, hielt ich mitten in meiner Bewegung inne und starrte ihn einfach nur mit großen Augen und geöffnetem Mund an. Er musste einen Witz machen! Ich, ein Medium? Ausgeschlossen! So etwas wie Geister existieren nicht! Dennoch fand ein winziger Teil von mir Gefallen an dieser Idee. Was wenn ich nicht verrückt war, sondern einfach nur eine Gabe zum Übernatürlichen hatte?
Ich nickte ihm knapp zu, nachdem ich mich davon überzeugt hatte, dass niemand in unsere Richtung sah, und bat ihn so, weiter zu sprechen.Ein überraschter Ausdruck huschte über Dawsons Züge. Hatte er nicht damit gerechnet, das ich so schnell klein bei
gab? Das Gefühl des Triumphs durchströmte mich und ließ mich lächeln.
„Du musst dafür sorgen, dass ich das Licht sehe“, sagte er vollkommen bar jeder Emotion. Wieder stockte ich in meiner Bewegung. Was will er? Ist er jetzt total übergeschnappt? Meine Gedanken schienen sich in meinem Gesicht widerzuspiegeln, denn Dawson nahm sofort wieder diese abwehrende Haltung ein, die er so gut beherrschte. Seine strahlenden Augen jagten Blitze durch meinen Körper.
„Das ist doch die Aufgabe von solchen beschissenen Medien. Sieh dir irgendeinen Geisterfilm an, da geht es überall darum.“ Erst wollte er meine
Hilfe und dann beleidigte er mich? Sehr nett. Auch wenn ich wirklich so ein „beschissenes Medium“, wie Dawson es nannte, war, würde ich IHM garantiert nicht helfen! Er war arrogant, herablassend, gemein und der größte Mistkerl, den ich kannte. Ich schüttelte den Kopf und gab ihm so zu verstehen, dass ich kein Interesse an seinem Seelenfrieden hatte. Von mir aus konnte er in diesem Geisterzustand verrotten! „Das wirst du noch bereuen Prinzessin“, zischte er, erhob sich und verschwand.
Vielleicht hätte ich ihn nicht ganz so schnell abweisen oder ihm zumindest meine Hilfe vorheucheln sollen, denn nun machte er mir mein Leben erst recht
zur Hölle. Irgendwie schaffte er es, dass mein Wecker morgens nicht klingelte und ich so nur fünf Minuten hatte, um aus dem Bett zu kommen und mich für die RDA fertig zu machen, sobald Toby an der Haustür klingelte. Die Autoschlüssel verschwanden und tauchten an den merkwürdigsten Orten wieder auf, sei es im Kühlschrank oder im Besteckkasten der Spülmaschine. Ständig stellte er mir ein Bein, sodass ich beim Laufen ohne ersichtlichen Grund für die Umstehenden zu Boden ging. Das war natürlich besonders für Cicely und Portia ein gefundenes Fressen. Nun zogen sie mich mit meiner Unfähigkeit über einen geraden Boden laufen zu können, auf.
„Und so etwas will Tänzerin werden!“, hörte ich sie ständig hinter meinem Rücken sagen. Nachts hielt Dawson mich wach, indem er ständig das Licht an und aus schaltete und total unsinniges Zeug redete.
Ich war übermüdet und gereizt als ich nach einer langweiligen Stunde Tanzgeschichte in das Studio kam, wo wir mit der Perfektion unserer Hebefiguren weitermachen sollten. Ich gesellte mich wie üblich direkt zu Cora und Toby, um mit ihnen zusammen zu üben. Etwas abseits beobachtete ich, wie sich Cora zum wiederholten Mal auf den Boden setzte und Tobys dargebotene Hände ergriff. Sie wurde kraftvoll von
ihm nach oben gezogen, die angespannten Beine spreizte sie, schlang sie sofort um Tobys Hüften und wurde von ihm in einer schnellen Drehung von seinem Rücken an seine Brust befördert. Cora landete auf ihren Beinen nutzte den Schwung für eine letzte Drehung und löste sich dann von ihrem Partner.
Ich reckte meine Daumen in die Höhe. Die beiden waren ein perfektes Paar. „Endlich habe ich es geschafft“, strahlte Cora als sie sich neben mich setzte und einen Schluck aus ihrer Wasserflasche nahm. In den letzten Tagen hatte sie diese Figur ständig trainiert, aber immer hatte sie entweder zu viel oder zu wenig Schwung, sodass Toby und sie meist
ineinander verkeilt auf dem Boden landeten. Ich hatte mit dieser Hebung kein Problem, aber Cora und ich übten immer die selben Figuren, also nahm ich nun ebenfalls meine Position auf dem Boden ein.
Toby streckte mir seine Hände entgegen. Ich drückte mich vom Boden ab, Toby zog. Meine Beine spannten sich an ohne dass ich ihnen diesen Befehl noch geben musste. In dem Moment in dem ich meine Beine um Tobys Hüften schlingen wollte, tauchte Dawson direkt vor meinem Tanzpartner auf. Ich wusste, dass ich mit meiner Drehung nicht in ihn hineinkrachen konnte, dennoch erschrak mich sein plötzliches Auftauchen
dermaßen, dass ich meine Spannung ungewollt löste.
Meine Beine rutschten von Tobys Körper. Er verlor den Halt, taumelte und stolperte über mein Bein, das sich um seines gewickelt hatte. Ich versuchte noch, mich von ihm weg zu stoßen, damit ich ihn nicht mit mir riss, aber es war zu spät. Wir landeten unsanft auf dem Boden. Mein rechter Knöchel machte ein schreckliches Geräusch, das klang als würde man einen Ast in der Mitte durchbrechen. Angst übermannte mich. „Nein!“; schluchzte ich gequält und tastete sofort nach meinem Fuß.
Toby entwirrte unsere ineinander verschlungenen Körper und richtete sich
mühsam auf. Dann reichte er mir die Hand, um mich hoch zu ziehen. Ich schüttelte den Kopf und deutete mit einem Kopfnicken zu meinen Händen, die sich krampfhaft um meine nackte Haut gelegt hatten. Schon kam Ms Hillard angerannt. Besorgt ließ sie sich neben mir auf die Knie fallen und schob gebieterisch meine zitternden Hände weg. Vorsichtig tastete sie mich ab und atmete schließlich erleichtert aus.
„Es ist nichts gebrochen“, stellte sie fest. Ich wäre ihr am liebsten um den Hals gefallen. Eine Verletzung bedeutete das Aus für mich.
Toby und Cora halfen mir aufzustehen. Ganz vorsichtig belastete ich meinen
Fuß. Ein zarter Schmerz breitete sich daraufhin in meinem Bein aus. Es ist nichts gebrochen!, beruhigte ich mich. Ich war einfach nur falsch aufgekommen. Ein wenig Eis und Ruhe, dann konnte ich morgen schon wieder mit Toby üben. „Florence? Würden Sie Mira bitte ins Krankenzimmer begleiten?“ Florence eilte sofort zu mir und stützte mich, sodass ich neben ihr aus dem Raum humpeln konnte.
Schweigend hinkte ich neben ihr den verlassenen Korridor entlang. Schon nach wenigen Minuten bildeten sich Schweißperlen auf meiner Stirn. Kurz bevor wir das Krankenzimmer erreichten, durchbrach meine Begleiterin die Stille:
„Geht´s dir nicht gut?“
Stirnrunzelnd erwiderte ich ihren Blick. Eine Strähne ihres, seit dieser Woche, pflaumenblauen Haares fiel ihr in die Stirn. Sie lachte. „Ich meine nicht deinen Knöchel. Aber ich verstehe nicht, wie es zu diesem Sturz kommen konnte. Ich habe dich beobachtet. Du bist eine gute Tänzerin und diese Figur ist dir bereits beim ersten Üben gelungen. Was war heute los oder in den letzten Tagen? Du wirkst so unkonzentriert.“
Florence und ich verstanden uns gut, dennoch hatten wir nicht viel miteinander zu tun. Es erschreckte mich, dass Leute, die ich nicht zu meinen engeren Freunden zählte, meine
Verhaltensänderungen bemerkt hatten. Wem war es außer ihr noch aufgefallen? Vielleicht sogar irgendeinem meiner Lehrer? Ich durfte nicht riskieren, dass ich an der RDA scheiterte. Halluzinationen hin oder her“
„Hab schlecht geschlafen“, wich ich Florence´ Frage aus und atmete erleichtert aus als wir endlich das Zimmer von Schwester Ilana erreichten. Florence verabschiedete sich von mir und überließ mich der brünetten Bulgarin.
Der Rest des Tages war für mich gelaufen. Ich wurde nach Hause geschickt, mit der strikten Auflage, mein Bein zu schonen und zu kühlen. Ilana gab mir Schmerztabletten, die auch die
Schwellung an meinem Knöchel lindern sollten. Ich war stinksauer, Dawson würde definitiv etwas zu hören bekommen!