Fantasy & Horror
Marter

0
"Bin ich am Leben?"
Veröffentlicht am 22. September 2015, 26 Seiten
Kategorie Fantasy & Horror
© Umschlag Bildmaterial: javarman - Fotolia.com
http://www.mystorys.de
Bin ich am Leben?

Marter


Marter Kalan erwachte. Im absoluten Nichts. Er war tot. Zumindest war er sich sicher dass der Tod sich so anfühlen musste. Oft hatte er schon über das Sterben nachgedacht. Wie mochte es wohl sein wenn dem Körper das Leben entglitt? Gab es einen Himmel? Geflügelte Knaben die die manifestierte Seele an den Schultern packten um sie hinauf zu tragen? Über die Wolken. Bis hin zu einem vergoldetem Tor unter dem Antlitz der höchsten Sonne, welches sich dann langsam für den Verstorbenen öffnet um ihm Eintritt zu gewähren? Nein.. War er in der Hölle? Nein.. Hier

gab es keine Dämonen. Kein Fegefeuer nagte an seinen Eingeweiden und ließ ihn Buße tun für das was er verbrochen hatte. Nichts. Nicht mehr und nicht weniger. Marter Kalan war tot. Und doch war er da, ohne jeden Grund dafür. Wo war dieses verdammte Licht am Ende des Tunnels von dem all die dummen Taugenichtse immer sprachen die dem Tod geradeso noch den Mittelfinger in die Fresse gedrückt hatten, während er vergeblich neben ihrem Krankenbett gewartet hatte. Dies war der Moment in dem Marter bewusst wurde dass der Tod ganz anders war als alle immer glaubten. Es gab keine Versöhnung, keinen Trost, keinen

Frieden. Man verabschiedete sich nicht von seinem Dasein und erreichte höhere Sphären. Man war einfach nur da. Der Körper war nicht mehr im Stande den Geist zu befriedigen. Sich zu bewegen. Sich zu recken. Zu zucken. Er lag schlaff da in seiner verrottenden Hülle ohne sich rühren zu können. Es schmerzte. Es schmerzte grauenvoll. Vielleicht war ja das seine Buße. Die Erkenntnis. Die Erkenntnis dass es kein Entkommen von dieser stinkenden, vergilbten Welt gab. Nicht Heute, nicht morgen und auch nicht in tausend Jahren. Auf ewig bleiben zu müssen. Bis Pilze und Fäulnis ihres Amtes walteten um sich von seinem nutzlosen Haupt zu

laben. Marter Kalan wusste wie die Verwesung ablief. Er hatte es of genug gesehen. Nach dem Hirntod und dem Stillstand des Herzens war das Blut nicht mehr im Stande zu zirkulieren. Keine Bewegung mehr, kein Strom der durch den Körper treibt um ihn in allen noch so fernen Ecken und Kanten mit Treibstoff zu durchpumpen. Die kleine, fleißig-tickende Uhr in unserer Brust hat sich verabschiedet. Würden wir unser schlagendes Herz rund um die Uhr betrachten können, so müssten wir uns schämen für die Trägheit die das Gesamtkonstrukt an den Tag legt. So viel verschwendete Kraft die dieser kleine Mistkerl von Muskel aufbringt,

nur damit wir uns an sonnigen Tagen ins Graß legen können um leise zu atmen. So viel Aufwand für so wenig Dank. Kein Wunder dass es irgendwann einfach schlapp macht und die Flinte ins Korn wirft. Sobald der Blutfluss erstmal zum Stillstand kommt, sammelt sich die Brühe an den Stellen auf denen der Leichnam den Boden berührt. Violette Flecken schmücken dann den leblosen Körper dort. Der Rest wird blass. Dann tritt die Leichenstarre ein. Wie Zement, der durch die Augenhöhlen gepumpt wird, breitet sie sich im ganzen Körper aus. Erst im Gesicht, dann zu den Extremitäten bis hin zum kompletten Torso. Steif. Zumindest für einen

gewissen Zeitraum. Bis die Darmbakterien merken dass mit ihrem Wirt irgendwas nicht mehr in Ordnung zu sein scheint. Sie fangen dann einfach an zu meutern und stellen etwas seltsames mit dem Magen an. Was genau weiß der Teufel. Der Bauch färbt sich dann grünlich. Später folgen die Venen und Arterien. Alles wird grün und aufregend. Blasen entstehen auf der Haut. Blasen so weit das Auge reicht an allen zuvor noch zarten Stellen unseres Körpers. Die Haut verabschiedet sich dann ebenfalls und irgendwann, nach gut zwei oder drei Jahren liegt unser gerippter Oberkörper dann frei und bietet vielleicht ein wundervolles

Zuhause für die putzigsten Nagetiere. „Sollen sie ihn haben!“ dachte Marter sich. „Sollen sie doch alle etwas abhaben!“ Er brauchte ihn nicht mehr. Seinen Körper. Der Kreislauf würde weitergehen. Seine Teile würden wiederverwertet werden für die niedersten Arten des Universums. Er hatte das Ende der Nahrungskette erreicht. Das falsche Ende. Er würde sich wieder ganz hinten anstellen müssen... Ruhe... Stille... dann Pfeifen! Marter hörte nichts. Er konnte rein gar nichts hören denn er war ja schließlich

tot. Ein toter Mann hört doch nichts. Oder etwa doch? Hatte er Ohren? Hatte er etwas gehört? Sein Bewusstsein konzentrierte sich. Es dröhnte alles. Einfach alles in ihm. Nein. Da war nichts. Da war nichts was man zu Hören in der Lage gewesen wäre. Und doch... Marter Kalan war sich todsicher (welche Ironie) dass er eben ein Geräusch vernommen hatte. Es war nicht viel. Vielleicht eine Art von Surren oder ein dumpfes, langanhaltendes Fiepen. Ja. Es war die ganze Zeit schon da gewesen. Leise. So dass er sich unterbewusst daran gewöhnt hatte. Dann wurde es schlagartig laut um gleich danach zu verschwinden. Die Stille die er zuvor

wahrgenommen hatte war keine Stille gewesen. Sie war ein Trugschluss seiner Unwissenheit. Die Spitze des Eisbergs. Erst jetzt war er abgetaucht und realisierte das große Ganze. Jetzt herschte Stille. Und sie war schrecklicher als zuvor. Einsamer und verzweifelter. Marter Kalans Bewusstsein grübelte. Vielleicht war diese Stille auch nicht das was sie zu sein schien. Vielleicht war sie laut, diese Stille. Möglicherweise hörte er die ganze Zeit über Geräusche die er erst bemerken sollte wenn sie anfingen aufzuhören. Alles dröhnte laut und unerbärmlich. Hatte er Ohren verdammt? Konnte ein toter Mann noch das

Rauschen des letzten Blutes in seinen Ohren vernehmen? Wie die letzten, kreisförmigen Wellen eines in den See geworfenen Kiesels der doch schon längst vom Feuchten verschluckt wurde. Konnte er hören? Marter Kalan traf es wie ein Pfeil zwischen die Schulterblätter. Er konnte hören. Er wusste es. War er tot? War er wirklich tot? Aufregung. Marter entspannte sich kurz. Ruhe brauchte er. Nur ganz kurz einen Moment der Ruhe von sich selbst und seinen Gedanken. Er versuchte all die Geister die ihn umtanzten zu begraben. Sie zwickten ihn. Bissen ihn. Wollten nicht so einfach gehen. Doch er hielt inne... Da war es. Wie ein

drehendes Mühlrad dröhnten seine lebendigen Ohren. Das Rauschen musste etwas bedeuten. Es hatte gefälligst etwas zu bedeuten. Was konnte er noch bevor er starb? Welche Sinne würden ihm noch die Hand reichen wenn er sie nur weiter liebkoste. Hatte er Augen? Konnte er sehen? Er musste es wagen. Schritt für Schritt. Marter versuchte seine Augen zu öffnen. Er wusste nicht ob er noch Kontrolle über seine Augenlieder besaß. Hatte er überhaupt noch Augenlieder? Oder waren seine Augen schon die gesamte Zeit über sperrangelweit geöffnet gewesen? Er wusste es nicht. Er spürte es nicht. Er war blind. Ein blinder schleimiger

Regenwurm in ewiger Leere. Keine Farben spendeten ihm Trost. Kein Licht war da als er versuchte zu sehen. Sein müder Geist verlangte nach Konturen. Nach Schattierungen. Nicht nach Finsternis. Licht! Doch es blieb schwarz. Alles. Er wollte schreien. So grausam war die Erkenntnis nichts sehen zu können. Er hatte zwar zuvor auch nichts gesehen, doch... das Fiepen in seinen Ohren, das Dröhnen in seinen Ohren. Es hatte ihm Hoffnung gemacht. Die Hoffnung doch nicht tot zu sein. Oh nein, Marter wollte nicht mehr. Er hatte genug vom Tod sein. Er wollte leben. Niemand will bis in alle Ewigkeit allein mit seinen eigenen Gedanken sein. Dann

begreifen wir uns nämlich besser als wir es je wollten. Dann erreichen uns auch Gedanken mit denen wir nie zusammen in einem Raum enden wollten. Denen man immer stets versuchte auszuweichen oder sie eiskalt im Regen stehen ließ. Er wollte nicht dass seine Gedanken auf ihn losgelassen werden. Sie würden ihn zerfleischen wie wilde Hunde. Nein. Marter Kalan wollte leben und er klammerte sich nun gnadenlos an alles Leben was er meinte zu besitzen. Seine Ohren. Sowie das Dröhnen. Und auch das Surren dass ihm jedoch leider nicht mehr gehörte. Marter sah nichts. Vielleicht war er eben blind. Na und? Er brauchte seine Augen nicht. Schließlich

war da einst noch mehr an seinem Körper dass ihn zum Menschen machte. Er würde sich auch mit weniger zufrieden geben. Aber nicht mir Nichts. Doch er hatte seine Ohren! Die konnte ihm jetzt keiner mehr nehmen. Was gab es noch? Damals. Konnte Marter vielleicht auch fühlen? Wo waren seine Arme und Beine? Keine Antwort von ihnen. Er konzentrierte sich noch heftiger als zuvor um wenigstens irgendetwas zu erfühlen. Ja da war auch etwas. Ein altbekanntes Gefühl dass er erst jetzt bemerkte. Was war es nur? Marter Kalan fühlte Kälte. Eisige Kälte. Konnte ein Toter frieren? Konnte ein Toter seine dröhnden Löffel hören? „Ich

bin nicht tot! Verdammt ich bin nicht tot!“ schrie Marter zornig. Aber er schrie es nicht, er dachte es. Was fühlte er noch? Die Kälte umgab seinen gesamten Körper und bereitete ihm Schmerzen. Qualvolle Schmerzen. Doch in Wahrheit waren es die süßesten Schmerzen die er jemals zuvor vernommen hatte. Schmerz bedeutete Leben. Schmerz bedeutete Verletzung. Schmerz machte Sinn. Denn ohne ihn würden wir nicht die Angst haben. Auch Angst machte Sinn denn sie hilft uns zu leben. Zu Überleben. „Ich bin nicht tot!“ dachte Marter erneut und ballte in Gedanken die Fäuste. Vielleicht ballte er sie ja wirklich, er sah sie nicht.

Wieder konzentrierte er sich. Er ging in sich. Tief. Die Kälte nahm zu. Aber nur um die Taille herum. Auch der Schmerz nahm zu, aber nur um die Taille herum. Warum bloß? Was war mit seinem Becken? Was war geschehen. Keine Zeit dafür. Er würde es nicht herausfinden können Nicht ohne Augenlicht. Er musste weitergehen als zuvor. Er brauchte Bewegung. Erst wenn auch seine Hände sich nicht regen würden wäre er ein Blinder Mann. So schnell gibt man nicht auf. „Bitte bewegt euch“ dachter Marter. „Bitte nur einen Finger!“ Verzweifelt versuchte er seine Fingerkuppen imaginär zu bewegen. „Wo sind sie nur?“ heulte sein

Bewusstsein. Er spürte seine Arme nicht. Auch nicht seine Beine. Aber das Gefühl war noch da. Das Gefühl wird nie gehen, selbst wenn die Gliedmaßen verloren sind hallt der Geist von ihnen noch lange nach. Hatte er es geschafft? Nein. Er wusste es nicht. Seine Tastorgane gaben ihm keinerlei Feedback bezüglich Aufenthalt oder Funktionstüchtigkeit. Möglicherweise waren seine Arme gestreckt, verdreht, gebrochen oder nicht vorhanden. Er spürte nichts. Einfach gar nichts. Wahnsinn überkam ihn. Wut und Zorn. Selbst wenn er lebte. Was war von ihm übrig geblieben? Ein hilfloses Stück Fleisch. Vielleicht war die Kälte

verantwortlich dafür. Sie hat seine Extremitäten auf ewig verstummen lassen. Konnte sein. Wer weiß. Aber sein Becken? Dort wo der Schmerz saß, genau da wo früher einmal sein Nabel gewesen war, bis hin zur gegenüberliegende Seite am Rücken. Der Schmerz war dort. Ein kreisrunder Ring aus Schmerzen umarmte seine Hüfte. Wie eine Schlange die es sich zu Aufgabe gemacht hatte, dem hilflosen Stück Fleisch auch noch das Überbleibsel an Rückgrat zu brechen dass ihm geblieben war. Doch die eisige Schlange hatte ihr Ziel verfehlt. Statt ihn einfach sterben zu lassen, hatte sie ihm Hoffnung gegeben. Schmerz bedeutet

Leben! Möglicherweise war sogar genug Schmerz vorhanden. Vielleicht auch genug Angst. Vielleicht hatte Bewegung dort überleben können. Verkrochen und verängstigt in einer versteckten Zuflucht. Marter Kalan nahm all seine Kraft zusammen die ihm das Leben gab, all seinen Zorn den ihm der Tod gegeben hatte und all seine Angst die ihm der Schmerz bereitete. „Bitte!“ jaulte er in Gedanken. „Bitte! Verdammt!“ --Marter zitterte.-- Wie ein Feuerwerk durchfuhr es seinen Geist von Kopf bis Fuß. Er war noch da. Das Leben hatte ihn wieder. Leben, o süßes Leben. Und seine Freude zerriss ihn fast in zwei Hälften. Er zitterte nun kaum

bermerkbar an allen nicht tauben Stellen seines verbliebenen Körpers. Die Bewegung war minimal, aber vorhanden. Er war wieder da. Der Anfang war bereitet, das Ende verscheucht. Er würde sich nicht die gesamte Nahrungskette wieder hochkämpfen müssen. Er würde auf seinem scheiß Platz beharren und einfach in der Schlange stehen bleiben. Und sollte es auch nur einer wagen, ihm vorsichtig von hinten auf die Schulter zu tappen um höflich zu fragen ob er vor kann, so würde er ihm sogleich die verdammte Fresse polieren. „Mein Platz, Wichser!“ Jetzt war er derjenige der dem häßligen Gevater Tod seinen Mittelfinger ins Auge drückte. „Komm

doch morgen wieder, heute passt es mir nicht, Freak!“ Es war noch lange nicht Schluss. Nein Marter kämpfte wieder. Er war wieder da. Oder immernoch. Er zitterte weiter. Zuckte und zitterte so stark er nur konnte. Allmählich bemerkte er den Widerstand. Etwas drückte ihn an der kalten schmerzhaften Stelle um die Taille herum. Dort war etwas. Es war befestigt an seiner Taille. War dort tatsächlich eine Würgeschlange am Werk? Egal. Genug Aufregung fürs erste. Er musste wieder runter kommen. Eine Pause war wichtig. Sonst würde er nicht genug Kraft haben um weiter zu machen. Er lebte und das war voerst sein perönlicher Triumph.

Also ließ er nach. Er entspannte sich ein letztes Mal und hörte auf zu zucken. Ruhe. Die Gedanken, da waren sie wieder. Wie quengelnde Kinder zerrten sie an seinen Ärmeln. Fragen überkamen ihn. Was war passiert? Wo war er überhaupt? Was machte er hier? Warum konnte er nichts mehr sehen? Wo waren Arme und sein Beine? Sein Kopf war durchlöchert mit Fragen, seine grauen Zellen überfordert. Er konnte sich an nichts erinnern. Da waren zwar Erinnerungen, jedoch nutzlose. An seine Kindheit. An seine Jugend. An sein erstes Mal. Und auch sein zweites Mal. An sein Leben und an seine Arbeit. Doch keine dieser Erinnerungen half ihm

an diesen Punkt zugelangen. Es war als fehlten wichtige Puzzle-Teile. Als wenn man versuchte sich an einen Traum von letzter Nacht zu erinnern. Das Gefühl dass er gut oder schlecht war steckte noch tief in den Eingeweiden. Doch wie sehr man auch zauderte, die Birne zermürbte, man kam nicht mehr drauf. Doch das Gefühl war noch da. Ein schlechtes Gefühl. Und das bereitete ihm Sorgen. Vielleicht war es gut besser nichts zu wissen. Er hatte andere Probleme. Er durfte keinen Atemzug an Hirngespinste verschwenden. -- „Atemzug...“ – Da schoss es ihm nun erneut ins Mark. Eine letzte Frage hatte Marter die gesamte Zeit über vegessen zu

stellen und nun quetschte sie sich buchstäblich in seine Lungenflügel. Warum atmete er überhaupt nicht? Marter Kalan holte tief Luft und wünschte sich im selben Moment es nicht getan zu haben. Pfeifen... Berührung... Flucht! Der Schock war zu groß gewesen für Marter Kalan. Er war ins Koma gefallen. Für Zwei Wochen und drei Tage. Und er träumte von seiner Kindheit. Süß und zerbechlich. Traum wie Kindheit.

0

Hörbuch

Über den Autor

bastian

Leser-Statistik
7

Leser
Quelle
Veröffentlicht am

Kommentare
Kommentar schreiben

Senden
Psychokiller Interessante Geschichte muss man sagen!
Vor langer Zeit - Antworten
Zeige mehr Kommentare
10
1
0
Senden

134958
Impressum / Nutzungsbedingungen / Datenschutzerklärung