Eine Flucht
EINE FLUCHT
Berlin Frühjahr 1945
In Berlin tobte der Wahnsinn, Doch die beiden Schwestern, Luise und ihre ältere Schwester Gretchen, waren mit ihren Kindern, Hansi und Christel, bei Ihren Eltern. Bei diesen fühlten sie sich sicher und geborgen.
Die Eltern wohnten schon immer in der Fanninger Straße, Auch die Kinder sind hier geboren und groß geworden. Es war einmal eine noble Wohngegend. Jedoch inzwischen hatten die Luftangriffe begonnen. Berlin wurde bombardiert. Vorbei mit der Sicherheit. Die Luftangriffe wurden immer häufiger und
immer schlimmer. In Berlin war der Dauerton der Sirenen zu hören, Er schien nicht mehr auf zu hören. Immer wenn auch nur das kleinste Brummen eines Fliegers zu hören war, suchte jeder hier den Luftschutzkeller auf.
Ganze Stadtteile zerfielen in Schutt und Asche. Brennende Häuserfronten auf brennenden Straßen.
Der Luftschutzkeller war nun ihr Zufluchtsort, hier suchte Jedermann Schutz, Sicherheit. Er war ständig überfüllt, es herrscht immer eine stickige Luft. Und es roch nach Schweiß Zigarettenrauch, Angst und Tod.
„Ich will nicht mehr in den Keller“ Christel schrie diesen Satz jedes mal, wenn es wiedermal soweit war runter in den Keller zu
rennen. „Nein, ich will da nicht mehr hin!“ Hansi dagegen war nur ruhig, kein Ton kam über seine kleinen blutleeren Kinderlippen er zitterte nur. Dann, wenn wieder die Bomben fielen war dieser Keller Taghell. Es war das Grauen. Man zog sich nicht mehr aus, wenn man zu Bett ging, denn jeder war ständig in Angst, dass man den Luftschutzkeller nicht mehr erreichen würde, oder, dass dieser schon überfüllt war.
Das Essen war schon lange knapp, doch Omi Minchen, die Mutter der beiden Frauen, zauberte, wie auch immer, noch die besten Speisen. So machte sie aus Gries, Gewürzen und Zwiebeln mit Wasser einen leckeren Brotaufstrich. Brot bekam sie fast immer noch bei ihrem „KOFMICH“. So sagten sie immer zu
ihrem Kaufmann. Und sonst gab es Kartoffeln und Salz. Und dann gab es Milch aus Milchpulver und Kaffee aus Korn gebrannt.
Der Endsieg, den dieser größenwahnsinnige Mann angekündigt hatte, schien immer noch in weiter Ferne zu liegen. Doch sehr viele Menschen glaubten schon lange nicht mehr daran. Sie hofften nur diesen Krieg zu überleben.
Deutschland schien, nein er war dem Untergang geweiht. Wenn auch im Kino in der Wochenschau immer noch vom großen Sieg die Rede war.
Wenn man den Nachrichten lauschte, die fast ständig aus dem Volksempfänger zu hören waren, kamen immer mehr niederschmetternde
Berichte.
Und dann kam diese erschütternde Nachricht. >Der Russe marschiert ein.<
„Mädels,“ sagte Ferdinand, der Vater von Gretchen und Luise, „ Mädels, der Russe steht vor Berlin, meine liebsten Mädels, Ihr müsst schnellsten hier weg, raus aus Berlin, weit weit weg. Bevor er hier einmarschiert.“
Der große Treck, er war schon lange unterwegs, die Menschen, hauptsächlich Frauen und Kinder, flohen aus ihrer Heimat. Die Angst vor dem Feind war übermächtig. Ferdinand setzte seinen zwei Mädchen mit seinen Enkelkindern in einen Flüchtlingstransport. Es war ein Viehwagen, ohne Bänke. Er sollte die Vier in den Norden bringen, denn dort war der Russe nicht, man
hörte nur, dass dort der Amerikaner war.
Sie waren einen ganzen Tag unterwegs. – Die Lokomotive gab ihren letzten Schnaufer von sich. Der Zug hielt mit grässlich quietschenden Bremsen. Hannover, hier war Endstation. Der menschliche Inhalt wurde in Gruppen eingeteilt. Jede dieser Gruppen wurde irgendwo untergebracht. Meistens waren es Schulen.
Luise, Gretchen und die zwei Kinder brachte man mit etlichen anderen, auf Pferdewagen nach Rotenburg an der Wümme.
Sie waren in Niedersachsen. Doch sie waren nicht froh, nein sie waren ängstlich, was nun kommen würde. Aber das Wichtigste, sie waren mit ihren Kindern zusammen. Deshalb war für sie alles
gut.
Wieder brachte man Die Flüchtlinge in Schulen wo sie in einer Turnhalle untergebracht wurden. Hier bekam jeder etwas Stroh, worauf sie liegen konnten, und Heu, mit dem sie sich auch zudecken konnten. Für die Schwestern schien es keine Nacht zu geben. Sie redeten und redeten, was nun kommen wird. Beide hielten fest umschlungen, das Liebste was sie mitgenommen hatten, IHRE KINDER. „Es WIRD SCHON.“ Meinte Luise. Diese drei Worte wurden später zu ihren Lieblingsworten, immer dann, wenn sie nicht mehr weiter wusste.
Diese Nacht schien endlos, dennoch ging immer noch die Sonne auf. Ein neuer Tag
begann, er brachte ihnen ein neues Leben.
Vor der Schule hielten viele Pferdewagen, das waren Erntewagen, mit denen man damals die Ernte, Heu Stroh und was es noch gab zu transportieren. Es waren keine Kutschen. Auf jedem dieser Wagen kamen die Flüchtlinge, bis es an Platz fehlte. Die Übrig gebliebenen musste auf den nächsten Transport warten.
Luise und Gretchen mit ihren Kindern, wurden auch auf so einen Wagen verfrachtet. Es roch übel, nach Schmutz und Dreck, doch was soll‘s Hauptsache, man nahm sie mit.
„Brrrr!“ knurrte der Kutscher, ein schmuddeliger Kerl, der fast kein Deutsch sprach, damals waren viele Weißrussen hier, sie arbeiteten als Mägde und Knechte.
Darüber waren sie froh, denn in ihrer Heimat wurden sie auch verfolgt. Eigentlich waren auch sie geflohen. Nun, der alte Klepper von Gaul stand. Gleich am Anfang eines kleinen Heide Dorfes hielt der Wagen. Der Kutscher half den beiden Frauen mit ihren Kindern vom Wagen runter auf die Pflasterstraße. Dann fuhr der Wagen weiter. Die Schwestern standen vor einem Bauernhof. Es war der erste Hof vom Dorf. Eine ziemlich große, rundliche Frau, die sich als die Bäuerin vorstellte, hatte schon auf die Flüchtlinge gewartet. Sie hatte den Auftrag erhalten diese hier bei sich auf zu nehmen. „Kommt mit.“ war ihre kurze unfreundlich Begrüßung. Luise sah ziemlich dick aus, die Bäuerin beäugte sie, die schien wohlgenährt, aber hoffentlich war die
nicht schwanger, schien sie zu denken. Man hatte ihr jedenfalls zwei Frauen angekündigt, die tüchtig auf dem Hof mit helfen konnten. Zwar gab es hier schon zwei Weißrussen, die als Knecht und Magd dienten. Doch sie brauchte jede Hilfe, denn der eigene Mann, der Bauer, war an der Front
Es war ein Bauernhof, wie er damals üblich war. Hier gab es ein Haupthaus, mit Zimmern, eigentlich waren es Kammern. In diesem Haupthaus gab es eine Küche, die war groß, und hier spielte das Leben. Hier traf man sich, hier aß man gemeinsam. Hier lebte man. Es gab auch eine sogenannte gute Stube. In ihr standen schöne Möbel, doch man war hier nur an Feiertagen, sonst war sie verschlossen. Unmittelbar nebenan war die
Diele. In dieser Diele lebte das Vieh, aber es wurden auch Feste hier gefeiert, hier lebte man mit dem Vieh, es waren Kühe, zwei Schweine, Katzen Mäuse und ein Hofhund zusammen.
Luise und Gretchen bekamen unmittelbar neben der Diele zwei winzige Kammern. In jeder Kammer stand ein Bett, ein Stuhl, und eine Kommode. Eine Waschgelegenheit war eine Blech Schüssel und dazu gab es eine Kanne kaltes Wasser, dies war für sie beide und ihren Kindern gedacht. Toilette? Nein die gab es nicht, dafür gab es einen Blech Nachtopf. In Friedenszeiten lebten hier Knechte und Mägde.
Frau Rörs die Bäuerin, beäugte neugierig das wenige Gepäck der Schwestern. Doch der
Pelzmantel den Luise trug, entlockte ihr ein neidisches, „der ist aber schön, sowas können wir uns niemals leisten.“ Und jetzt merkte sie auch weshalb Luise so dick war, denn sie hatte mehrere Lagen Kleidungsstücke übereinander angezogen. Die Zwei hatten nun ihre wenigen Habseligkeiten in den Kommoden verstaut. Zu Probe legten sie sich auf die schmalen langen Holz Betten. Luises Bett knarrte, und der Strohsack, der als Matratze diente raschelte wohlwollend. Die Bettdecken waren sehr schwer, es waren wie damals so üblich Gänsefeder Betten. Inzwischen bestaunten Hansi und Christel die Kühe in der Diele.
Es war Essenszeit, man traf sich in der Küche, an dem riesigen Tisch saß schon die Bäuerin,
weit weg von ihr, saß der Knecht und die Magd. Die beiden arbeiteten gerne hier auf dem Hof. Es gab Milchsuppe mit einigen Brocken Brot, und dann Bratkartoffeln mit Speck. Dieses Essen gab es jeden Abend, denn erst abends gab es etwas richtiges zu essen. Während sie aßen, verteilte die Bäuerin die Arbeit für den kommenden Tag. „Natürlich könnt ihr hier nicht umsonst wohnen.“ Ein Grinsen machte sich in ihrem Gesicht breit. „Also Geld habt ihr ja keins, deshalb müsst ihr hier auf meinem Hof mit arbeiten.“
Luise und Gretchen sollten erst mal die Kühe melken. Das erschien beiden nicht schwer. Doch sie sollten etwas anderes erfahren. Sie sollten die Viecher auch füttern. Misten tat
dann der Knecht. So waren die Anweisungen für den kommenden Tag.
Endlich konnten sie zu Bett gehen. Luise nahm ihre Püppi, wie sie Christel immer liebevoll nannte, zu sich ins Bett, Gretchen in der anderen Kammer, nahm ihren Hansi zu sich. Sehr breit waren die Betten nicht, sie waren eher schmal, so legten sich die Mütter ans Kopfende, und die Kinder lagen am Fußende. Trotz der neuen Umgebung, trotz Strohsack, und dem Kilo schweren Federbett, welches bei jeder Bewegung ein knirschendes Rasseln erzeugte, schliefen alle ihre erste Nacht tief und fest. Und das fern der Heimat.
©Christa Philipp