Die Flucht
Hindenburg 1944
An der Grenze nach Polen:
es brannte noch Licht im Kinderzimmer, das Hansi mit seiner Cousine Christel teilte. Die beiden konnten einfach nicht im Dunkeln schlafen. Schon lange nicht mehr. Denn das alles nicht mehr so war, wie es früher war, das hatten die beiden Kinder auch schon mit bekommen. Hansi war fünf, und Christel wurde Vier. Inzwischen war der Krieg auch massiv in Deutschland angekommen. Er tobte durch Deutschland und durch viele andere Länder. Alles wegen einem macht gierigen größenwahnsinnigen Mann. Dieser hatte es
bis jetzt verstanden immer noch mehr Menschen von sich und seinem „Totalen Krieg“ zu begeistern. Dieser Mann mit mit einem Oberlippenbart, der die Form einer Bürste hatte.
Im Kinderzimmer von Hansi herrschte Chaos, so wie immer, denn die Zwei, Hansi und Christel räumten fast nie auf.
Wieder mal war eine Nacht vorüber, mehr schlaflos, als voller schöner Träume.
Der Volksempfänger lief den ganzen Tag. Ständig kamen grauenhafte Nachrichten aus dem
Äther. Und die wurden immer schrecklicher Und dann kam diese Nachricht; „ Der Russe steht schon vor Kattowitz.“ Diese Nachricht traf die Schwestern, Gretchen und Luise, wie
ein Blitzschlag. „Wir müssen schnellsten hier weg,“ Jammerten beide. Da Gretchen besser zu Fuß war als ihre Schwester, machte sie sich auf den Weg zum Bahnhof Hindenburg. Eine Menschenschlange war inzwischen vor dem Schalter. Sie stellte sich hinten an, doch es war völlig sinnlos, denn es fuhren keine Züge mehr nach Berlin, oder sonst wohin. Die Schwestern wollten nach Berlin, weil dort ihre Eltern lebten.
Ratlos und traurig saßen die Frauen im Wohnzimmer Die Zigaretten gingen nicht aus, und der schwarz Kaffee, Muggefuck, dampfte ununterbrochen auf dem Kanonen Ofen. „Was machen wir nur? Wir müssen hier weg, und zwar am besten gleich. Das waren die Sätze, die sie immer und immer wieder sagten.
Luise, Lieschen genannt, liefen die Tränen über ihre schmal gewordenen Wangen. „Wenn uns nur jemand helfen könnte, hier weg zu kommen.“
Der Zug, eigentlich ein Viehwagen, und der überfüllt mit Kriegsverletzten und mit Soldaten war, hielt genau im Bahnhof Hindenburg- Oberschlesien an.
Luise und Gretchen hatten ihre Kinder dabei. Sie starrten auf den Zug. „Das ist es,“ meinte Luise. „Die müssen uns mit nehmen.“ Und so sprach sie Soldaten an, ob man sie nicht mitnehmen könnte nach Berlin. Doch wen sie, oder Gretchen auch fragten, jeder gab die gleiche Antwort. „Wir sind ein Soldaten Tranzport, und außerdem transportieren wir auch Kriegsverletzte. Wir können , und dürfen
euch nicht mit nehmen. Schließlich erkannte Luise einen höheren Soldaten, „bitte, nehmen sie uns doch mit nach Berlin!“ Der Mann sah sie an, Mitleid war in seinen Augen. „Kindchen, auch wenn ich es will, ich kann euch nicht mit nehmen. Wir sind Soldaten und Verletzte. Es geht nicht.“ Alles Bitten half den beiden Frauen nicht. Verzweifelt machten sie sich wieder zurück auf den Heimweg.
Der Himmel in der Ferne glühte rot, und es kamen grollende Geräusche aus Polen zu ihnen rüber. Das grausame Singen von Bomben?
Inzwischen, ein Soldat, er war Feldwebel, aber er war auch Sanitäter. Er hatte nur eines im Sinn, seine Frau, und seine kleine Tochter hier aus Hindenburg raus zu holen, bevor es
zu spät ist.
Der Abend schon etwas fortgeschritten, Luise weinte, Gretchen rauchte noch immer, sie steckte immer wieder eine neue Zigarette an der fast ausgerauchten an. Von Ferne das Geräusch von Fliegern. Der Kaffe gluckerte wieder, oder immer noch in dem Kessel auf dem Ofen. Luise schaute nach den Kindern, die irgend wie viel zu wenig schliefen. Doch die Beiden waren inzwischen doch endlich eingeschlafen. Angezogen lagen sie in ihren Bettchen. Sie hatten ihre Tageskleidung an. Wenn man vielleicht schnell in de Keller muss.
Nun war Luise wieder bei Gretchen im Wohnzimmer. Sie nahm eben eine Zigarette, wollte sie grad anzünden, eigentlich rauchte immer nur Gretchen, aber nun wollte sie auch
mal wieder eine rauchen. Dann, - was war das? Plötzlich klirrte etwas am Fenster. Erschrocken fuhren beide zusammen. Luise fiel vor Schreck das Feuerzeug aus der Hand. Wieder klirrte es, dann noch einmal. „Pst, was kann das sein? Licht aus!“ Rief Gretchen. Und wieder klirrte es. Irgend jemand warf Steinchen ans Fenster. Luise hielt es nicht mehr aus. Sie lief, sie rannte die Treppe runter. Zitternd öffnete sie die Haustüre. Nun sah sie, wie sich ein Mann nach einem Steinchen bückte. – Ein Soldat. – „Teddy?“ – So nannte Luise immer ihren geliebten Mann. „Teddy?“ – „Pummelchen? Bist du es wirklich, meine Kleine?“ Weinend lagen sich die Zwei in den Armen. „Schnell, - ich hole euch hier raus. Aber es muss ganz schnell gehen.“
Nach nur einer unendlich langen Umarmung, liefen sie beide die Treppen hoch zu Gretchens Wohnung.
Auf Dem Bahnhof Hindenburg. Die Lock stößt große dicke Dampfwolken aus. Sie prustet und spuckt, wie ein riesengroßes schwarzes Ungeheuer, das die Schnauze voll hat. Der Zug musste weiterfahren. Er stand im letzten Dampfausstoß. Sie mussten schnellstens Richtung Berlin. Herbert, der Sanitäter, Feldwebel, versuchte mit Worten und Gesten Plätze, die eigentlich für Soldaten waren, für zwei Frauen und zwei kleinen Kindern, ein fünfjähriger Junge, und ein fast vier Jahre altes Mädchen, zu finden. Er fand aber nur ablehnende Worte. Die Lock schnaufte, endlich fragte jemand, es war ein
Oberfeldwebel, „Deine Frau? Deine Kinder?“ Herbert nickte, „Ja!!!! meine!“ „Dann aber schnell rein!“ Der Zug setzte sich sogleich Bewegung.
In Berlin, bei ihren Eltern waren sie in Sicherheit. Das glaubten sie. Doch alles kam noch viel schlimmer, als gedacht.
© Christa Philipp
Nachwort:
Diese Geschichte hat sich wirklich zugetragen, Meine Mutter hat sie mir immer und immer wieder erzählt, Wie wir damals geflohen sind. Allerdings stand uns noch eine Flucht bevor.