Kapitel 15 Der Schüler
Es war schön wieder hier zu sein, dachte Armell, während sie Zachary durch die leeren Gänge des Anwesens folgten. Die anderen mochten das nicht verstehen, aber Zachary hatte sich über die Jahre die sie jetzt Freybreak regierte als mächtiger Fürsprecher erwiesen. Und als Freund… Auch wenn sie ihn in letzter Zeit immer seltener gesehen hatte, wenn es eines gab, das sie wusste, dann das man sich auf ihn verlassen konnte. Ansonsten wäre sie das Risiko nie eingegangen Obarst Angebot anzunehmen. Wenn sie bei dieser Wette
den Kürzeren Zog wäre alles verloren. Vermutlich würde ihr nichts anderes übrig bleiben, als ihrem Onkel die Kontrolle über die Stadt zu überlassen… Aber das würde sie nicht zulassen.
Zachary führte sie in einen kleinen Saal, der sich irgendwo am Westende des Anwesens befinden musste. Durch die hohen Fenster viel trübes Sonnenlicht und sie konnten das verschneite Grundstück sowie einen Teil Silberstedts sehen. Schwere, dunkle Vorhänge erlaubten es bei Bedarf die Fenster zu schließen um die Kälte draußen zu halten und in den Ecken des Raumes standen weitere, brennende Kohlebecken. Erst auf den zweiten Blick stellte sie
schließlich fest, dass sie nicht alleine hier waren.
Der einzelne Mann, der am Ende eines langen Tisches in der Saalmitte stand, wirkte etwas verloren. Beinahe hätte man den Eindruck gewinnen können in seinen erdbraunen Roben würde er den Versuch wagen, sich hinter den hohen Lehnstühlen zu verstecken und tatsächlich trat er unsicher einen Schritt zurück, als er die Gruppe Fremder bemerkte, die den Raum betraten. Aufgeregt glänzende, grüne Augen spähten unter den etwas ungepflegten, hellbraunen Haaren hervor.
,, Ich denke ihr erinnert euch noch an meinen Schüler ?“ , fragte Zachary
während er dem jungen Mann bedeutete, näherzukommen. Dieser folgte der Aufforderung nur zögerlich und man hätte wohl wirklich den Eindruck gewinnen können, das er tatsächlich mehr ein Junge als ein fast erwachsener Mann sein. Die nur unsauber geschnittenen Bartstoppeln in seinem Gesicht taten ihr Übriges.
,,Merl, oder ?“ , meinte Armell, als der Mann nähertrat. ,, Es ist eine Weile her, aber ich weiß sogar noch, wie ihr hierherkamt. Ihr könnt damals nicht mal Zehn gewesen sein.“ Wobei sie selber kaum Älter gewesen war. Sie hatten damals im Hof zusammen gespielt, während ihre Eltern mit Zachary
sprachen. Die Schneeballschlacht, die sie sich damals geliefert hatten war allerdings deutlich zu ihren Gunsten ausgegangen. ,, Ich hoffe ihr könnt inzwischen zumindest zielsicherer werfen.“ Es war seltsam so weit zurückzudenken, an die Zeit, wo sie noch keine Stadt zu verwalten gehabt hatte.
Ein verschüchtertes Lächeln trat auf Merls Züge. ,, Es freut mich, das ihr mich noch kennt.“
Er machte eine kurze Verbeugung, die etwas linkisch geriet, während Zachary sie an den Tisch winkte. Merl nahm neben ihm Platz, während Armell, Lias und Galren sich einen Platz ihnen
gegenüber suchten.
,, Also ? Ich denke es ist an der Zeit, dass ihr mich einweiht, Armell. Warum seit ihr hier?“
,, Das zu erklären könnte etwas dauern.“ , meinte sie. ,, Am besten ich fange mit meinen Begleitern an. Das sind Lias von Helike und Galren Lahaye , aus Maillac.“
,, Ein Gejarn aus Laos.“ , stellte Zachary überrascht fest. ,, Es ist eine Weile her, das mir einer eures Volkes über den Weg gelaufen ist. In meiner Jugend habe ich ein paar eurer Archonten kennenlernen dürfen.“
Lias nahm die Worte des Zauberers mit einem Nicken zur Kenntnis aber Armell
entging nicht, wie er die Stirn runzelte. Vermutlich überlegte er, woher ein Magier aus Canton einen Archonten kennen sollte, aber zumindest schien es ihn etwas von seiner stetigen Vorsicht abzulenken. Und vielleicht war das auch genau Zacharys Absicht gewesen, wer wusste das schon…
,, Klingt so, als wärt ihr nicht zu begeistert von dieser Begegnung gewesen.“ , meinte Lias.
,, Wie man es nimmt, ein paar von ihnen haben immerhin versucht meine Freunde zu töten. Allerdings hat Laos dafür einen von ihnen getötet.“
,, Ihr seid Laos begegnet ?“ Armell war sich sicher, wäre Lias nicht wieder
eingefallen, wo er sich befand, er wäre sicher aufgesprungen. ,, Unser großer Lehrer kehrte vor zwanzig Jahren zu uns zurück, wie es die alten Prophezeiungen voraussagten nur um uns erneut zu verlassen, als die Bedrohung vorbei war. Und ihr habt damals wirklich mit ihm gesprochen?“
,,Mit seinem Schatten, wenn man so will, ja. Ein interessanter Mann.“ Was Lias noch an Feindseligkeit für Zachary übrig gehabt haben mochte, schien im gleichen Augenblick zu verschwinden und eher so etwas wie stummer Ehrfrucht zu weichen. Erneut wusste Armell nicht ob der Magier nicht genau darauf hinausgewollt hatte oder nicht. ,,
Aber nach wie vor weiß ich nicht, was euch hierherführt.“
,, Man könnte sagen, mein Vater.“ , mischte sich Galren ein. ,, Er verschwand vor einigen Jahren auf einer Expedition Richtung Westen. Zur Nebelküste. Und ich habe vor ihm zu folgen.“ Offenbar wollte er Zachary nichts von der Karte verraten. Armell war sich nicht sicher, ob sie dem Magier nicht doch alles sagen wollte. Aber wenn Galren etwas zurückhalten wollte… war das seine Sache. Die Karte war nicht wichtig, außer wenn Zachary ihnen die Erlaubnis verwehren wollte. Und das würde er nicht.
,, Und ihr wollt ihm dabei helfen,
vermute ich ?“ , fragte Zachary weiter. ,, Das ist kein einfaches Unterfangen, Armell. Bis heute haben hunderte Versucht, die Nebelküste zu erreichen. Keiner, der sie je von nahem gesehen hätte, ist zurückgekehrt.“
,, Ich habe keine Wahl.“ , erklärte sie mit fester Stimme. ,, Freybreayk stirbt, das wisst ihr selber. Aber wenn diese Expedition Erfolg hat, könnte das alles ändern. Und ich habe mir bereits das nötige Geld für diese Expedition geliehen. Es gibt kein Zurück für mich.“
,, Ich verstehe. Und haltet ihr das für eine gute Idee?“
Armell zögerte. Wenn sie ehrlich war, dann nein. Aber sie würde Zachary
gegenüber sicher nicht zugeben, dass Obarst vielleicht zum Problem werden könnte. Das ging nur sie etwas an.
,, Obarst wird keine Dummheiten wagen.“ Zumindest hoffte sie das nach wie vor.
Zachary seufzte. ,, Euer Onkel, natürlich… Ich bin bereits an den Kaiser herangetreten ob er nicht etwas gegen ihn unternehmen könnte, aber Kellvian fürchtet wohl, das die Stadt gänzlich verfallen könnte, wenn er Obarst direkt ausschaltet.“
Womit er recht hatte, dachte Armell bitter. So ironisch das war, Obarst hatte sich zur letzten großen Einnahmequelle für die Stadt gemacht. Er war der letzte
der noch neue Waren und ab und an vielleicht auch einen Händler nach Freybreak lockte…
,, Aber wir haben zumindest euren Segen für unser Vorhaben ?“ , stellte sie schließlich die Frage, die sie überhaupt erst hierher gebracht hatte.
,, Ich verlangt von mir, das ich euch die Erlaubnis gebe, eine Reise anzutreten von der ihr vielleicht nicht zurückkehrt.“ , stellte Zachary unruhig fest.
,, Das aber ist meine eigene Entscheidung.“ , entgegnete Armell und Sentine, die wieder ihren gewohnten Platz auf ihrer Schulter angenommen hatte, unterstrich diese Worte noch und
nahm die Gestalt einer böse dreinschauenden Eule an.
Zachary lächelte kaum merklich, antwortete jedoch nicht sofort. Langsam wanderte sein Blick zwischen den Anwesenden hin und her, erst zu Galren, dann wieder zu Armell und zu Lias und schließlich auch zu Merl. Einen Moment war selbst sie sich nicht mehr so sicher, wie seine Antwort ausfallen würde. Er wollte nicht derjenige sein, der sie in den Tod schickte, das spürte Armell. Aber gleichzeitig hatte sie gar keine Wahl, oder nicht? Wenn er sie jetzt abwies war Freybreak verloren. Zachary musste wissen wie viel ihr das alles
bedeutete.
Nach wie vor Antwortete der Zauberer nicht, während er seinen Schüler musterte, der den Blick starr vor sich auf den Tisch gerichtet hielt. Was hatte er nur vor?
,, Mit einem habt ihr recht.“ , sprach er schließlich. ,, Es ist eure Entscheidung und so wie ich das sehe habt ihr sie bereits getroffen. Wenn ihr gehen wollt, so werde ich euch nicht daran hindern. Aber eine Bedingung muss ich stellen.“
,, Was immer es ist ihr habt bereits mein Wort.“ , erklärte sie.
,,Ich will, das mein Schüler euch begleitet.“ Armell hatte mit vielem gerechnet, aber sicher nicht damit.
Unsicher sah sie zu Merl, der seinen Lehrmeister nur mit einer Mischung aus entsetzen und Verwirrung ansah.
,, Nein… Nein das…“ Merl zögerte und sah zum ersten Mal auf . Sein Gesicht wirkte gerötet und seine Augen sahen gehetzt von einem zum anderen. ,, Meister Zachary hat mir viel beigebracht, Herrin. Aber ich bin noch weit davon entfernt meine Gabe voll zu beherrschen. Ich würde euch eher im Weg sein deshalb… Verzeiht aber Nein.“
,, Ich glaube nicht, das das der Fall sein würde.“ , meinte Armell. ,, Im Gegenteil. Ob eure Ausbildung nun abgeschlossen ist oder nicht, die Hilfe eines Zauberers kann man immer
gebrauchen. Aber es ist eure Entscheidung. Genauso wie es meine ist, diese Reise anzutreten. Ich würde mich jedoch Freuen wenn ihr mitkommt.“
,, W… Wirklich ?“ Merl wirkte nach wie vor verunsichert, schien aber plötzlich ein Stück weniger eingeschüchtert. ,, Ich meine… Ich glaube einfach nicht, das ich dafür bereit bin. Ich habe die letzten Jahre meines Lebens alle hier verbracht, Armell. Also… nicht wie ihr…“
Damit zumindest hatte er Recht. Aber was machte das? Langsam glaubte sie zu verstehen, was Zachary diesmal bezweckte. Tat dieser Mann eigentlich jemals etwas ohne eine genaue Absicht? Merl war kein schlechter Kerl, das
wusste sie. Aber er war unsicher… Vielleicht könnte sich das ändern wenn er mehr von der Welt sah als die Bibliotheken und Hallen im Rabenkopf.
,, Vielleicht sollten wir das Morgen weiter besprechen.“ , meinte Zachary. ,, Würdet ihr mir einen Tag Bedenkzeit geben und…“ Er beendete den Satz nicht, aber Armell wusste was unausgesprochen blieb. Er wollte Zeit um mit Merl zu reden. Offenbar war Zachary selbst klar, dass er den jungen Zauberer grade ziemlich überfallen hatte.
,, Mir soll es recht sein.“ , antwortete sie .,, Dann kann ich anfangen alles weitere zu Planen. Wir haben einige
Besorgungen zu erledigen und ich muss erst einmal ausrechnen wie viel Geld wie für was überhaupt zur Verfügung haben.“
,, Dann setzten wir dieses Gespräch morgen fort.“ , meinte Zachary und stand auf. ,, Ich denke ihr werdet in der Stadt ein Gasthaus finden. Wenn ihr euch beeilt seit ihr noch vor Einbruch der Dunkelheit wieder in Silberstedt.“
,, Verzeiht, aber könnten wir nicht hier oben bleiben ?“ , wollte Galren wissen.
,, Nein.“ , antwortete der Zauberer kühl. Beinahe hätte man den Eindruck gewinnen können, es wäre gar nicht mehr der freundliche, zurückhaltende Mann, mit dem sie bis eben gesprochen
hatten… sondern irgendjemand gänzlich anderes. In dem einen Wort schwang genug Nachdruck mit, das der junge Mensch gar nicht erst zu einer Erwiderung ansetzte. ,, Dieser Ort ist nicht so sicher, wie er zu sein scheint. Besonders bei Dunkelheit. Es gibt einen Grund warum ich alles tue um Fremde fern zu halten.“
,, Dann sehen wir uns morgen.“ , stellte Armell fest, während sie den anderen ein Zeichen gab ihr zu folgen. Zachary blieb mit Merl zurück, nickte ihnen aber zum Abschied zu. Der kurze Moment der Kälte war vergangen und der Mann wieder genauso gesetzt und ruhig wie zuvor. Erst, als sie ein Stück den Flur
hinab gegangen waren, wagten es die anderen wieder zu sprechen.
,, Das war… anders als ich erwartet habe.“ , stellte Lias fest und klang dabei beinahe erleichtert. ,, Vielleicht würde ich ihm nicht den Rücken zudrehen wenn ich die Wahl habe , aber das würde ich bei keinem Magier.“
,, Schön zu sehen das deine Vorurteile noch da sind.“ , meinte Galren grinsend.
,, Was heißt hier Vorurteile ?“ , wollte der Gejarn wissen. ,, Im Gegensatz zu dir habe ich schon gesehen was ein Magier anrichten kann, wenn er es darauf anlegt. Und jetzt soll uns einer begleiten?“
,, Sagt mir nicht, ihr haltet Merl für
eine Bedrohung ?“ , wollte Armell wissen.
,, Ihr kennt ihn schon länger, oder ?“
Sie nickte. ,, Er kam hier an, als ich selbst noch ein Kind war. Soweit ich weiß ist er ein Kriegsweise aus dem Bürgerkrieg. Zachary hat ihn hier aufgenommen. Wohlgemerkt ohne den Ordne zu informieren. Meine Eltern sind damals mindestens einmal im Jahr nach Silberstedt gereist und damals hat mich die ganze Politik des Kaiserreichs nicht wirklich interessiert. Wir haben uns immer raus geschlichen. Na ja…“ Sie grinste. Erinnerungen, wieder einmal. Und liebgewonnen noch dazu. Das war ein sorgenfreieres Leben
gewesen, als die schwerste Frage mit der sie sich zu beschäftigen hatte die war, ob sie Merl einen weiteren Schneeball ins Gesicht werfen sollte. ,, Ich habe mich jedenfalls rausgeschlichen und Merl davon überzeugt mitzukommen. Er ist etwas unsicher, aber wartet bis ihr ihn kennenlernt er ist… Wartet es einfach ab.“