Seelensplitter
ROMAN
© SOPHIE BRAMBERGER
November
Ich fühle mich … leer.
Wie ein anderer Mensch. Ein neuer Mensch.
Als würde mein altes Ich ausgelöscht worden sein. Ein neues geboren.
Ich habe mir immer gewünscht, neu geboren zu werden. Ohne die ganzen Fehler, die ich mein Leben lang – es waren zwar nur fünfzehneinhalb Jahre, aber Leben ist Leben – gemacht habe. Doch jetzt … ich weiß nicht. Es fühlt sich nicht so an, wie es sich anfühlen soll. Ich habe gedacht, ich würde mich gut fühlen. Fehlerlos. Als könnte ich einen Neuanfang wagen. Tja, das kann
ich jetzt auch machen – neu anfangen. Doch wo müsste ich starten? Das ist eine Frage, an die ich nicht denken will. Es fühlt sich nicht so an, als sei das ein Anfang. Nein. Das ist etwas anderes. Es ist, als sei es ein Ende. Nicht nur ein Abschied, nein.
Es ist das Ende.
Dezember
Ich fühle mich schwerelos.
Wie eine Feder. Leicht und sorglos.
Als würden all meine Probleme vergessen sein. Als hätte ich nie welche gehabt.
Sterben soll schmerzlos sein, habe ich gehört. Ich will sterben. Ich will vergessen. Will keine Erinnerung mehr haben an das vorherige Leben. An die letzten paar Wochen. Die davor waren nicht so schlimm gewesen. Vor mein inneres Auge zaubern sich Momente, in denen ich glücklich war. Als ich mit Jared zusammengekommen war. Er mich zum ersten Mal geküsst hatte. Als er mir
sagte, dass er mich liebt. Ich war glücklich gewesen.
Einst.
Januar
Ich fühle mich klein.
Wie jemand, der nichts bedeutet. Den niemand bemerkt.
Als würde sich keiner für mich interessieren. Als wäre ich Luft.
Einmal gab es Menschen, denen war ich nicht egal. Sie behandelten mich nicht wie Luft. Und einen davon liebte ich. Jared. Doch er war nicht für mich bestimmt gewesen. Als er wenige Monate vor mir sechzehn wurde, zog er weg. Mit seiner Familie. Ohne mich. Er verschwand aus meinem Leben, als hätte es ihn nie gegeben. Als wäre er nur eine Einbildung meiner Phantasie.
Und er hinterließ nur ein schmerzvolles Loch in meinem Herzen.
Februar
Ich fühle mich kraftlos, ausgelaugt.
Wie ein zerschlagener Mensch. Ein kaputter Mensch.
Als würde nichts in meinem Körper mehr zusammenpassen.
Warum das so ist, weiß ich, doch ich will es nicht wissen. Ich versuche, es zu vergessen. Will es auslöschen. Doch ich glaube, das kann ich nicht. Ich werde nicht vergessen. Das wird kein neues Leben werden, in dem ich von vorne beginnen kann. Ohne Erinnerung. Es ist nicht zu Ende. Ich werde weiterleben. Werde mit der Erinnerung leben. Werde lernen müssen, mit dem Schmerz
umzugehen. Werde nicht sterben. Ich werde leben.
Aber will ich das überhaupt noch?