Prolog
Die Tür fällt ins Schloss. Stille. Dann ein langgezogenes Stöhnen.
„Is‘ wer“, hicks, „daheiimm??“
Schritte, die näher kommen. Zuerst schleifen sie über den Boden, dann über die Treppe nach oben. Immer höher, immer näher. Manchmal ist ein Hicksen zu hören. Er ist wieder betrunken.
Schließlich verharren die Schritte vor einer Tür. Der Tür zu meinem Zimmer. Es ist niemand zu Hause, Mum ist bei einer Freundin und mein kleiner Bruder übernachtet bei Freunden. Im Moment gibt es nur ihn und mich.
Langsam bewegt sich die Klinke nach
unten. Ich kauere mich unter der Bettdecke zusammen, meine Augen weit aufgerissen. Die Unklarheit darüber, was diesmal passieren wird, lastet im ganzen Zimmer. Es fühlt sich an, als sei die Temperatur im Raum um mindestens zehn Grad gesunken, seit er das Haus betreten hat. Seit ich nicht mehr sicher bin.
Die Tür öffnet sich einen kleinen Spalt und es scheint mir, als komme ein kalter Luftzug mit herein, der mich frösteln lässt. Als würde sein Geist ihm vorauseilen, als sei dieser bereits im Zimmer, gehe langsam auf mich zu, hinter mich. Meine Gedanken eilen der Wirklichkeit voraus und ich kann bereits
seinen stickigen, kalten Atem hinter mir fühlen, der in mein Genick bläst und eine dünne Eisschicht zurücklässt.
Verzweifelt rücke ich weiter nach hinten, bis mein Oberkörper an der Wand anstößt. Das Kissen hat sich hinter mir aufgebäumt, doch das spüre ich nicht. Panik hindert mich daran, meine Augen zu schließen und ist auch dafür verantwortlich, dass sich meine Hände in der Decke verkrampfen. Mein Atem kommt nur mehr stoßweise, als schließlich eine Hand in mein Zimmer greift. Ihr folgt ein Bein, seine Bewegung wird von einem grauenhaften Ächzen begleitet. Der düstere Oktobermond scheint schemenhaft durch
das einzige Fenster meines Zimmers.
Mein Herz schlägt wie eine Trommel in meiner Brust, ein kalter Stich durchfährt meinen Körper, bis tief in mein Herz und lähmt dieses. Es stockt. Dann schlägt es rumpelnd weiter, doch die Kälte macht es ihm schwer.
Mit einem Quietschen, das mir durch Mark und Bein geht, schwingt die Tür schließlich ganz auf und dann steht er vor mir: dunkle, zerrissene Klamotten, ungebundene Schuhe, ein Bart, der schon Tage nicht rasiert wurde. Seine Gesicht wird im fahlen Mondlicht zu einer verzerrten Fratze, die Augen sind dunkel unterlaufen und der Gestank von Alkohol trifft mich wie ein Schlag in die
Magengrube. Mir wird ganz plötzlich schlecht und ich presse mir die Hand vor den Mund. Obwohl ich nicht will, dass er erkennt, wie ängstlich ich bin, sind meine Augen immer noch weit aufgerissen.
„Heey… Brauuchs‘ dich ja“ hicks „nich‘ so vor mir … vers – tecken!“
Sein Lallen ist kaum auszuhalten, es sagt mir wie jeden Abend, dass er sich nicht unter Kontrolle hat. Er weiß nicht, was er tut. Doch er wird irgendetwas machen. Und ich habe keine Ahnung, was. Es ist wieder die Ungewissheit, die mich einholt. Reflexartig werfe ich einen Blick zur Tür – sie wäre meine einzige Fluchtmöglichkeit, über das
Fenster ist es zu hoch, da mein Zimmer im dritten Stock ist. Doch die Tür scheint unerreichbar zu sein. Erstens steht er davor und zweitens fühlt sich mein Körper noch zu kaputt an. Geschädigt, zerschlagen. Was auch kein Wunder ist, bei dem, was ich schon seit Wochen mitgemacht habe. Beinahe jeden Abend ist er gekommen, hat mich geschlagen. Verletzt und einsam am Boden zurückgelassen und dann weiter zu meiner Mum. Ihr ist dasselbe Schicksal zu Teil geworden wie mir. Doch sie liebt ihn zu sehr, als dass sie sich dagegen wehren würde. Und ich bin zu eingeschüchtert. Leider.
Komme mir dann immer vor wie ein
kleiner Käfer, der von ihm auf den Rücken gedreht wird und dann zappelnd darauf wartet, dass er darauf steigt. Komme mir so klein vor. Kann nichts sagen. Kann mich nicht gegen ihn behaupten, wie auch? Ich bin stumm. Wie ein Fisch. Wenn er mich mit seinem Blick durchlöchert, ist es, als wäre ich zu keiner Reaktion mehr fähig. Wie ich es hasse, dass er eine solche Gewalt über mich hat.
Langsam streckt er seine Hände nach mir aus und mir entweicht ein verängstigtes Fiepen. Dieses Geräusch lässt kurz ein schauderhaftes Grinsen auf seiner Visage erscheinen. Mit einem Ruck reißt er mir die Decke vom Körper. Sofort zittert
mein Körper wie Espenlaub in einer eisigen Windböe. Es ist, als würde die Angst, die sich langsam in meinem Körper ausbreitet, mir sämtliche Wärme aus meinen Gliedern ziehen.
Schnell verschränke ich die von Gänsehaut überzogenen Arme vor meiner Brust. Es wirkt wärmend und ich fühle mich zumindest ein bisschen sicherer. Doch mein restlicher Körper verrät meinen wirklichen Zustand - die Hände sind kalt und schweißnass, die Haare kleben an meiner Haut und aus meiner Kehle droht ein Schluchzen zu entweichen, als er meinen Knöchel packt und mich daran aus dem Bett zerrt. Selbst meine Reaktionen sind wie
eingefroren, und so knallt mein Kopf hart auf den Boden. Ein wimmernder Schmerzensschrei entfährt mir, doch er übertönt es mit einem schaurigen Lachen. Seine Arme schwingen krampfartig vor und zurück, während er mit einem Bein nach mir tritt. Er trifft genau in den Bauch.
Vor Schmerz krümme ich mich zusammen, Tränen laufen über meine Wangen. Doch ich bleibe stumm. Das habe ich mir angewohnt, seit ich herausgefunden habe, dass meine Schmerzensschreie ihn mich nur noch länger peinigen lassen. Meine Augen haben sich wie von selbst geschlossen, ich werde die tägliche Tortur klaglos
über mich ergehen lassen. Wie sollte ich mich auch zur Wehr setzen? Niemand würde mich hören, und gegen seine Größe und Kraft komme ich alleine nicht an. Ich wäre schneller zwar als er, doch ich würde es nicht einmal aus diesem Zimmer heraus schaffen. Es ist aussichtslos.
Und so liege ich still leidend am kalten Fußboden und warte auf das Ende, das irgendwann kommen muss.
Doch heute ist es anders. Ich weiß nicht, warum ich mir so sicher bin, doch ich spüre es. Etwas ist nicht so wie all die Tage zuvor. Und als er mit einer Hand mein Top wegreißt, weiß ich es: Heute wird er mich nicht nur schlagen. Heute
wird es schlimmer. Viel schlimmer.
Ich werde benutzt werden. Beschmutzt. Zerstört.