Kapitel 13 Zauberer
Galren sah wie gebannt hinauf zu den Felsgipfeln die entlang der Straße in die Höhe ragten. Hatte er einmal Gedacht, die Berge um Freybreak seien hoch, neben diesen hier hätten sie sich wie sanfte Hügel ausgenommen. Das Gebirge, das die Herzlande Cantons vom äußeren Norden abschirmte war ihm bisher nur aus Berichten bekannt und bis jetzt hatte Galren diese noch für Übertrieben gehalten.
Manche der Berge waren so hoch, das ihre Gipfel längst in den tief hängenden Schneewolken verschwanden, die sich
diesseits der natürlichen Barriere sammelten. In den weiten Tälern zwischen den Granitfelsen verlor der Wind rasch an Gewalt und verschonte die dahinter liegenden Herzlande damit vom schlimmsten. Dort wäre jetzt vielleicht grade Herbst und die letzten Ernten würden eingebracht werden. Doch Silberstedt lag auf der falschen Seite der Berge und bekam damit nach wie vor den vollen Atem des Nordens zu spüren, noch mehr als die Nordküste von Hamad. Sie waren jetzt seit drei Tagen unterwegs, immer mit der Kutsche, was Lias offenbar gar nicht gut aufnahm. So wie Galren die Sache sah, wäre der Gejarn am liebsten zu Fuß gegangen,
nachdem er einen ersten Blick auf die Pferde geworfen hatte. Und selbst jetzt, nachdem sie sich alle an das ewige Schaukeln auf den unebenen Straßen gewöhnt hatten, saß der Mann fast unbeweglich auf seinem Platz, den Blick starr aus dem Fenster gerichtet.
Die ersten Umrisse Silberstedts waren bereits am Morgen aufgetaucht und mittlerweile konnte Galren bereits einzelne Gebäude und Straßenzüge ausmachen. Es war eine gewaltige Metropole und die Spuren des Krieges, der vor zwanzig Jahren hier getobt hatte, lange verschwunden. Freybreak hätte vermutlich dreimal in den Umfang der Stadtmauern gepasst und es wäre
vermutlich immer noch Platz für tausende weiterer Menschen gewesen. Rauch stieg aus einer Unzahl von Kaminen zum klaren Himmel auf und bildete eine Dunstglocke über der Stadt. Steile Felswände begrenzten das ihnen abgewandte Ende Silberstedts und über den Gipfeln kreiste etwas, das Galren auf die Entfernung nicht erkennen konnte…
,, Wyvern. Groß, geschuppt und keine besonders freundlichen Kreaturen“ , meinte Armell , die seinem Blick in Richtung der Schemen gefolgt war. ,, Keine Sorge, sie halten sich gewöhnlich von Menschen fern, solange sie nicht alleine sind. Aber irgendetwas scheint
sie wohl anzusehen. Ich vermute mal, sie fressen die Raben.“
,, Raben ?“ , fragte Lias und klang dabei immer noch so misstrauisch, als Rechne er damit, dass die Pferde die sie zogen jeden Moment durchgehen würden.
,, Seht selbst.“ Armell deutete aus dem Fenster auf ein Bauwerk an einer Felsflanke über Silberstedt. Das dunkle Holz aus dem das Gebäude bestand, hob sich selbst von dem fast schwarzen Granitfelsen noch deutlich ab und wenn Galren die Entfernung bedachte… Das da oben war der reinste Palast. Fünfzig Leute hätten vermutlich Problemlos darin Leben können ohne sich je über den Weg zu laufen wenn sie es nicht
wollten. Und um das Gebäude herum flatterten hunderte weitere gefiederte Schatten.
Sentine auf Armells Schulter wechselte bei dem Anblick ebenfalls spontan die Form zu einem großen, pechschwarzem Raben.
,, Das ist der Rabenkopf, das Anwesen von Lord Zachary de Immerson. Wir haben es so gut wie geschafft.“
,, Zauberer…“ Lias klang immer noch nicht begeistert, während die Kutsche durch die Tore Silberstedts rollte. Violette Banner mit dem Wappen einer silbernen Spinne wehten darauf, in der Kalten Luft teilweise mit Eis überkrustet. ,, Ist es wirklich nötig, das
wir uns persönlich mit ihm treffen ?“
,, Ihr habt Zachary noch nicht einmal getroffen und habt schon ein Problem mit ihm ?“ , fragte Armell irritiert. ,, Es ist nicht nötig, aber wenn es einen Adeligen in diesem Land gibt der uns helfen will und kann, dann er.“
,, Ich traue schlicht niemandem, der mich in eine Kröte verwandeln kann wenn ihm danach ist.“
Armell schüttelte den Kopf ,, Ich glaube ihr versteht nicht, wie Magie funktioniert. Um einen Zauber aufrecht zu erhalten, braucht es ständig Energie. Selbst wenn sich jemand den Spaß machen würde euch in irgendetwas zu verwandeln, es würde nur so lange
anhalten, bis ihm die Lebenskraft ausgeht-. Oder er müsste seine Magie vorher aufheben. Ich meine seit ihr schon einmal einem Zauberer des Sangius-Ordens begegnet? Man kann manchen beim Altern zusehen.“
,, Beruhigend.“ , kommentierte Lias trocken. ,, Und ja ich bin einigen begegnet. Leide haben sie nicht lange genug gelebt um mich über meine... Irrtümer aufzuklären. Das war noch vor dem Waffenstillstand zwischen Canton und Laos.“
,, Du hast Zauberer getötet ?“ , wollte Galren wissen. Obwohl Lias so lange bei ihnen in Maillac gelebt hatte, was seine eigene Geschichte anging, hatte er sich
bisher immer zurückgehalten. Und auch wenn die Umstände anders sein könnten, es war ungewöhnlich einen solchen Einblick auf das frühere Leben des Gejarn zu bekommen.
,,Wie mein gesamtes Volk. Es gibt oder besser gab sehr wenige Magier unter uns.“
,,Wieso gab ?“
,, Sie sind vor einigen Jahren alle an einem einzigen Tag verschwunden. Ich glaube ich werde diese Nacht nie vergessen. Halb Helike stand in Flammen und… sagen wir einfach zwischen den Archonten und den Zauberern Helikes gab es viel böses Blut. Vor allem auf Kosten der
Magier.“
,, Und ihr habt euch an diesen Verfolgungen beteiligt ?“
Lias schweig einen Moment, bevor er antwortete: ,, Nein. Und vielleicht mag falsch gewesen sein, was wir ihnen angetan haben, aber mir behagt der Gedanke einfach nicht, jemand gegenüberzustehen der mit einem Gedanken töten kann. Das ist kaum etwas, das man einen fairen Kampf nennen kann.“
Galren wurde das Gefühl nicht los, das der Gejarn ihm nicht alles erzählte. Aber er würde auch nicht auf die ganze Wahrheit drängen. Wenn Lias eins war, dann ein Freund und wenn es etwas gab,
das er wissen musste, würde er es ihm anvertrauen wenn die Zeit kam. So oder so, er konnte und würde ihm vertrauen.
Während er noch darüber nachdachte, kam die Kutsche schließlich zu einem abrupten Halt als die Straße, der sie folgte, auf einem kreisrunden Platz Endete. Armell erhob sich von ihrem Platz, wobei Sentine, diesmal in Gestalt eines Zaunkönigs, in der Kapuze ihres Wintermantels verschwand.
,, Ab hier müssen wir zu Fuß weiter.“ , erklärte sie, während sie ausstieg. Galren folgte ihr und auch Lias beeilte sich, aus dem beengten Inneren der Kutsche ins Freie zu gelangen.
,, Nicht das ich traurig darüber wäre.“ ,
meinte er. Die düstere Stimmung schien praktisch sofort von ihm abzufallen, als er wieder festen Boden unter die Füße bekam und sie auf den kleinen Platz hinaus traten. Kleinere und größere Marktstände, als Schutz vor dem Wind oftmals seitlich mit Fellen oder Zeltplanen verhängt, standen zu unordentlichen Gassen angeordnet auf der Freifläche. Trotz des Wetters war der Markt gut besucht und die knapp zwei Dutzend Händler hatten wohl eher Schwierigkeiten genug Ware nachzuholen, als das sie keine Abnehmer dafür fanden. Was für ein Unterschied zu Freybreak… oder allem, was er bisher gesehen
hatte.
,, Ist hier immer so viel los ?“ , fragte er während er sich fasziniert zwischen den Ständen umsah.,, Viel ?“ , fragte Armell lachend. ,, Ihr seid wirklich noch nicht oft von Hamad weggekommen, oder ? Das hier ist einer der kleineren Marktplätze Silberstedts.“
Die Adelige hatte wieder die Führung übernommen und lotste sie zwischen den Händlern und den Marktbesuchern hindurch auf eine Treppe ganz am Ende des Platzes zu. Die Stufen führten direkt eine Felswand hinauf und an ihrem Ende waren die dunklen Umrisse des Herrenhauses zu sehen, das ihnen bereits aus der Ferne aufgefallen war. Selbst aus
der Nähe konnte Galren nicht umhin, Lias ein wenig Recht zu geben. Ganz wohl war ihm auch nicht bei dem Gedanken, dort hinauf zu müssen…
Während sie weiter über den Markt gingen, konnte er zusätzlich einige der Gespräche der Bürger der Stadt belauschen, die seine Zweifle zu bestätigen schienen. Ein besonders beunruhigter Zeitgenosse schielte immer wieder zu dem Anwesen über ihren Köpfen herauf, während er sich mit einem der reisenden Händler unterhielt.
,, Ich sage euch, eines Tages jagt und Lord de Immerson noch einmal alle in die Luft. Keine Ahnung, was er da oben treibt, aber man kann fast jede Nacht
Lichter beobachten und ich rede hier nicht von Kerzenschein… Ich habe den alten Lord nie sonderlich gemocht, aber sein Sohn…“
Bevor Galrne noch mehr verstehen konnte, hatten sie den Anfang der Treppe erreicht und Armell hatte bereits die ersten Stufen genommen. Sie schien sich regelrecht darauf zu freuen, den Zauberer zu treffen und vielleicht, dachte er, waren Lias Sorgen doch unbegründet. Aber wenn selbst seine eigenen Untertanen sich vor ihm fürchteten… Galren schüttelte den Kopf. So oder so, sie waren zu weit gekommen, es gab weder ein Aufgeben noch ein
zurück.
Der Weg die Treppe hinauf war ein einsamer. So überfüllt und voller Leben die Stadt gewirkt hatte, die jetzt unter ihnen zurück blieb, so kalt und verlassen waren die Terrassen und steinernen Alkoven hier oben. Das hieß, wenn man von den Raben absah. Die Vögel saßen auf den Stufen und den Felsvorsprüngen entlang der Treppe und schienen sich auch durch ihre Anwesenheit nicht sonderlich stören zu lassen. Lediglich wenn die drei Reisenden sie fast zertraten, flatterten sie beinahe gelangweilt ein Stück beiseite um Platz zu machen, veranstalteten dabei jedoch einen
Heidenlärm.
Lias beäugte ihre gefiederten Begleiter misstrauisch und seine Hand blieb den gesamten Weg über am Schwertgriff.
,, Keine Sorge, die sind harmlos.“ , meinte Armell, der ebenfalls auffiel, wie der Gejarn sich anspannte.
,, Es sind nicht die Tiere, die mir Sorgen machen.“ , antwortete der Gejarn. ,, Sondern was die alle hier wollen.“ Er sah hinauf zum mittlerweile nur noch wenige Dutzend Stufen entfernten Anwesen.
Armell zuckte mit den Schultern. ,, Ich glaube Zachary lockt sie an.“
,, Warum ?“
,, Möglicherweise mag er einfach
Vögel.“
,, Zauberer…“ , murmelte Lias nur, setzte sich aber wieder in Bewegung. Tatsächlich verströmte dieser Ort etwas seltsames, je näher sie kamen. Als wäre die Luft hier irgendwie schwerer… Erneut stoben dutzende Krähen vor Lias auf und brachten sich vor den Schritten des Gejarn in Sicherheit. ,, Wenn mir jemand nur die Biester vom Hals schaffen würde…“
Als wäre das ihr Stichwort gewesen, tauchte Sentine unter Armells Kapuze auf. Aus dem kaum Handtellergroßen Federball wurde innerhalb eines Herzschlags ein Falke, der sich auf seine schwarz gefiederte Beute stürzte.
Hatten die drei Fremden auf dem Weg den Berg hinauf die Tiere nicht beeindruckt, so flogen sie nun fast alle gleichzeitig auf. Wenn Sentine glaubte, Lias mit dieser Aktion einen Gefallen zu tun, so hatte das Wesen sich verschätzt, denn plötzlich fand sich der Gejarn mitten in einer Wolke aus Federn wieder, die langsam um ihn zu Boden sanken, nachdem der letzte Rabe verschwunden war.
,, Danke.“ , grummelte er säuerlich, während er sich Federkiele aus Kleidung und Fell zupfte.
Sentine lies sich, davon unbeeindruckt, auf der Schulter des Mannes nieder und wirkte einen Moment sichtlich stolz auf
das Chaos, das sie angerichtet hatte.
,, Manchmal solltest du aufpassen was du dir wünschst, alter Freund.“ , sagte Galren und musste ein Lachen unterdrücken. Als Antwort darauf murmelte Lias nur etwas das sich für ich zu sehr nach ,, Na warten.“ , anhörte und ging weiter. Sentine blieb dabei die ganze Zeit auf seiner Schulter sitzen und auch der Gejarn machte keine Anstalten, sie zu verscheuchen. Sah beinahe so aus, als hätte da jemand doch einen neuen Freund gefunden. Oder Lias war schlicht zu resigniert um etwas gegen den blinden Passagier zu unternehmen. So oder so, seinem Freund schien dieser Ort mehr zuzusetzen als ihm ob es nun einfach an
seiner Abneigung Zauberern gegenüber lag… oder an etwas anderem. Galren musste an das Gespräch in der Kutsche zurückdenken. Lias verschwieg ihm etwas… Aber nach wie vor, er würde nicht danach fragen. Zumindest solange es nicht absolut nötig wurde. Etwas anderes jedoch, konnte er durchaus in Erfahrung bringen.
,, Verzeiht, das ich frage,“ , meinte Galren ,, Aber was genau ist Sentine eigentlich ? War das grade Zufall oder versteht sie uns wirklich ?“
Armell zögerte mit der Antwort. ,, Genau weiß ich das auch nicht. Manchmal scheint sie wirklich alles zu verstehen, was ich sage. Und manchmal
ignoriert sie es entweder oder… tut so etwas. Zachary sagte mir einmal, sie sei so etwas wie ein Wegweiser. Ich glaube, das ist was er gemeint hat.“ , erklärte sie schließlich, während sie der Wolke aus Raben und Kröhen zusah, die über der Stadt kreisten. ,, Aber wir sollten uns besser beeilen. Lange hält sie das sicher nicht ab.“