Die Entscheidung
Die Entscheidung
Jörg Krämer
»Dieser verdammte Regen.« Seit Tagen hatte Mateo keinen Fuß vor die Tür gesetzt. Ein Blick
in den Spiegel ließ ihn schief grinsen. Mit seinen 1,65 m bei hundert Kilo Gewicht war er
sowieso keine Schönheit. Der Dreitagebart, die ungewaschenen schulterlangen Haare und die
speckigen Klamotten machten die Sache nicht besser. Mateo sah aus wie der Inbegriff eines
drittklassigen Kriminellen.
»Zeit, sich frisch zu machen.« Ein tiefer Schluck aus dem Flachmann, dann wollte er los.
Nur bei genauem Hinsehen konnte man erkennen, dass Mateo nicht trank. Er spülte sich nur
den Mund aus.
Von der Couch erklang das Schnarchen eines riesigen Hundes. »Ciao, Cato, bis später.«
Mateo tätschelte dem Hund den dicken Kopf, dann verließ er das Haus. Nach wenigen Metern
lief ihm das Wasser in die Schuhe. »Verfluchtes Deutschland! Gibt es denn hier überhaupt
keine Sonne?«
Mateos größter Wunsch war die Rückkehr nach Italien. Nur, so einfach war das nicht. Seit
er bei einer Schlägerei zu fest zugeschlagen hatte, befand er sich in den Fängen der
deutschen Polizei. Er wanderte nicht ins Gefängnis, dafür musste er als V-Mann bei der Mafia
ran. Er war immer erfolgreich, aber nur, weil ihn mit dem Dortmunder Paten »Silvio« eine alte
Freundschaft verband.
Mateo steuerte auf die magentafarbene Telefonzelle zu. Bedächtig nahm er den Hörer ab
und wählte eine Dortmunder Nummer.
»Ciao Silvio … ja, 30 Grad … den ganzen Tag Sonne
… du weißt ja, Spanien … ja, danke … denk an das Geld … bis Freitag.«
Als Mateo die Telefonzelle verließ, schaute ihn die Frau, die vor der Zelle gewartet hatte,
kopfschüttelnd an. »30 Grad, den ganzen Tag Sonne«, flüsterte sie.
Mateo war es egal. Das Telefonat gehörte zur Absprache mit Silvio. Nur, diesmal sollte es
sein letzter Job sein. Er wusste nur noch nicht, wie er das anstellen sollte. Grübelnd
schlenderte er zurück zu seiner Wohnung. Als er das Zimmer betrat,
legte ihm sein Hund
freudig die Pfoten auf die Schultern und leckte ihm durchs Gesicht. Dabei überragte er seinen
Herrn um mehr als einen Kopf. »Cato, du bist das Einzige, was ich aus diesem verfluchten
Land mit nach Hause nehme.« Genau genommen war der riesige Germanische Bärenhund
sein einziger Gesprächspartner. Mateo war sich sicher, dass der Hund inzwischen perfekt
Italienisch verstand.
Am Donnerstag holte Mateo ein Päckchen von Silvios Kontaktmann in Dortmund ab. Silvio
beteiligte sich nie persönlich an den Geschäften. Bislang konnte ihm die deutsche Polizei noch
nie etwas nachweisen. Umso verbissener waren sie hinter ihm her. Mateo wusste, das
Päckchen enthielt eine viertel Million Euro für die Sizilianer, die Freitag mit der Ware kamen.
Lange schaute er sich das Päckchen an. Dann hatte er sich entschieden.
Mateo stieg in seinen rostigen alten Fiat und steuerte eine Telefonzelle an. Von dort aus
informierte er seinen Kontakt bei der Polizei über den Deal, der Freitag laufen sollte. Und
diesmal erzählte er ihnen auch alles, was nötig war, um Silvio festzunageln.
Wenn die Polizei ihre Arbeit richtig machte, würde sie alle aus dem Verkehr ziehen, die
Mateo gefährlich werden könnten.
Zurück in seiner Wohnung packte er seinen Koffer und trank in aller Ruhe einen letzten
Cappuccino. Dann griff er zur Türklinke. »Cato, lass uns los. Dann haben wir einen schönen
Vorsprung.«
In diesem Moment wurde die Tür mit aller Macht von außen aufgedrückt. »Hey, was soll
das?« Noch bevor Mateo ausgesprochen
hatte, hämmerte ihm sein Gegenüber einen
Pistolenlauf ins Gesicht. »Du willst Silvio abziehn? Anfänger!« Bei jedem Wort schlug ihm der
Fremde die Faust in den Bauch. »Wie kommste denn darauf?«, keuchte Mateo.
»Bist verwanzt«, grinste der Fremde.
Verdammt, wo ist der blöde Köter, wenn man ihn braucht?, dachte Mateo verzweifelt. Der
Fremde holte weit mit seiner Waffe aus, um Mateo den Schädel zu zertrümmern. „Für dich ist
jede Kugel zu schade“, meinte er noch.
Als sein Arm ganz gestreckt war, hechtete ein Schatten durch das Zimmer.
Messerscharfe
Zähne gruben sich in den Arm des Fremden. »Ah, verdammt!« Schreiend ließ er die Waffe
fallen.
Schon war der Hund wieder weg.
»Halt mir deinen Scheiß Köter vom Hals!«, keifte der Killer entnervt.
Doch Mateo lächelte nur schmerzverzerrt.
Da schnellte Cato erneut auf den Fremden zu, warf ihn um und begrub ihn unter sich.
Blitzschnell legten sich die muskelstrotzenden Kiefer des Hundes um die Kehle des Mannes.
Fragend schaute Cato seinem Herrn in
die Augen.
»Nein, nicht nötig, Cato.«
Mateo klopfte dem Fremden mit dem Pistolenknauf auf den Kopf und fesselte ihn. Dann griff
er seinen Koffer und das Geldpäckchen.
»Los Cato. Ab in den Fiat. Jetzt hilft nur noch schnell sein und beten.«
Am selben Tag erhielt die Polizei eine anonyme Einbruchsmeldung. Als die Streife den
Tatort erreichte, fanden die Polizisten einen der gefährlichsten Mafiakiller Europas vor;
gefesselt und völlig verwirrt. Seine Taschen waren vollgestopft mit Informationen über den
Dortmunder Mafiapaten Silvio.
Sie fanden auch eine hypermoderne Wanze.
Jörg Krämer
Ich bin 1966 in Witten geboren. Aufgewachsen bin ich quasi im Friseursalon meiner Eltern. Um
alle Klischees zu befriedigen: mit einem Pudel; einem der ersten schwarz-weißen Pudel, die
gezüchtet wurden.
Nach Abi und einer Ausbildung zum
Kommunikationselektroniker arbeite ich inzwischen als
Betreuer im offenen Strafvollzug. Nebenbei betätige ich mich als Schriftsteller: Zum Schreiben
bin ich durch meinen Germanischen Bärenhund "Odin" gekommen. In meinen Geschichten
spielt oft ein Germanischer Bärenhund mit.
Ich lese gerne und mache seit knapp zwanzig Jahren Kampfsport.
Bisher habe ich drei Kurzgeschichten in Anthologien, das Sachbuch „Germanischer
Bärenhund - Portrait einer außergewöhnlichen Hunderasse“ und die
Familiensaga „Im
Schatten von Schlägel und Eisen“ veröffentlicht.
Finden Sie mehr über den Autor auf seiner Webseite.