„Ja, schon lange hab ich nichts mehr geschrieben, keine Glosse, kein Gedicht, keinen Satz, nicht ein einziges Wort. Da liegt noch ein begonnener Roman, eine ebenso unvollendete Novelle und, schon seit vielen Jahren, ein Versepos, das einer Überarbeitung harrt.
Was macht mich so stumm? Ich beobachte doch weiterhin die Welt, die Menschen, die Politik und ihre Protagonisten. Ich sehe doch, dass Millionen verhungern, dass Milliarden in immer neue und alte Kriege fließen.
Ich höre Spendenaufrufe um Geld gegen Hunger und Elend zu sammeln. Ich lese von immensen Summen, die Kabinette bewilligen, um Kriegsführung in aller Herren Länder effektiver zu machen.
Und ich frage: Warum machen wir es nicht umgekehrt?
Ich ernte – ein Lächeln! Manchmal nachdenklich,
manchmal hilflos, meist jedoch ungläubig, oft von oben herab. …“
… so begann die Glosse, „Schon lange bin ich stumm“, die ich hier im Mai des Jahres 2013 veröffentlichte.
Viel ist seither passiert! Geändert hat sich nichts!
Nun ja, werden Sie sagen: ` Es gibt neue Probleme und Herausforderungen. Wir haben es derzeit mit einem riesigen Flüchtlingsstrom zu tun. Deutschland steht allein, weltoffen, demokratisch gegen den nationalistischen Rest Europas.`
Und genau das – ist der Irrtum! Nichts davon ist neu! Nichts davon ist ein Problem!
Es sind Symptome uralter und jüngerer ungelöster, verdrängter Probleme. Und was Deutschlands Beitrag zu deren Lösung anbetrifft, so hat sich unser Land, unsere Regierung, haben
wir uns selbst nicht mit Ruhm bekleckert.
Ich war einst stolz auf dieses Land, als dessen, etwas knorriger, machtbewusster, nicht unumstrittener Kanzler, der sicher auch viele Schwächen aufwies (wie übrigens jeder lebendige Mensch), ein entschiedenes „Nein!“ und „Basta!“ sprach.
Es war das „Nein!“ zur deutschen Beteiligung am Irakkrieg.
Für die Einen, ein ungeheurer Fauxpas mit Blick auf die transatlantischen Beziehungen. Für die Anderen, ein lang erhoffter Befreiungsschlag gegen Bevormundung, Gängelei und Kadavergehorsam, selbst dann, wenn sich dies wider die eigenen Interessen wandte.
Ja, ich war stolz auf ein Deutschland, dessen Regierung erkannte, dass Europa vom Atlantik bis zum Ural reicht und nicht nur bis nach Polen und zum Baltikum. Eine Regierung, die erkannte, dass der Nahe – und Mittlere Osten nur durch das Mittelmeer oder auch durch eine kurze
Landverbindung über Asien von Europa getrennt ist, zwischen Europa, dem Mittleren – und Nahen Osten und Amerika jedoch ein Ozean liegt.
Und ein anderer, ein noch größerer Ozean trennt Nordamerika von den sonstigen Kontinenten dieser Welt. Nur eine schmale, leicht zu beherrschende Landenge verbindet es mit Südamerika.
Das ist eine vortreffliche Ausgangslage, mit nur einem, wirtschaftlich total abhängigen Nachbarn im Norden, der noch dazu kaum bevölkert ist, sein Ding zu machen. Egal was der Rest der Welt davon hält!
So war es, als die in Europa entwickelten Ideen der Aufklärung dort Fuß fassten und in der Proklamation der Menschenrechte Grundlage der ersten Demokratie der Welt wurden. Eine Erfolgsgeschichte für die Menschheit! Man denke nur an Lafayette! War er nun ein amerikanischer General, oder doch ein
französischer Revolutionär?
So war es (und scheinbar ist es noch) auch eine vortreffliche Lage, Sklaverei und Rassismus aufrechtzuerhalten, als diese in allen Demokratien dieser Welt längst geächtet und abgeschafft.
Und so ist diese Lage auch vortrefflich, vor kriegslüsteren Feinden geschützt zu sein, beziehungsweise sich aus Kriegen zumindest solange herauszuhalten, bis der eigene Sieg sicher ist, sich gesundzustoßen und den Kriegsparteien, sowie der nachher zerstörten Welt, seine Hilfe gegen Dollars anzubieten (so war es sowohl mit dem Ersten- wie dem Zweiten Weltkrieg). Aber man kann eben auch Kriege in aller Welt führen, in denen man nicht mehr als die eigene Armee einsetzt, ohne Furcht vor dessen Folgen im eigenen Lande. Freilich, Letzteres gilt, seit der (durch die USA selbst initiierten und provozierten) Entwicklung interkontinentaler Waffen nur noch begrenzt.
Deshalb führt man heute begrenzte Kriege!
Um sicher zu sein, vor deren Folgen!
Klingelt das was? Welche Flüchtlingsströme ergießen sich über Atlantik und Pazifik?
Welche jüngeren Terroranschläge in den USA haben keine hausgemachten Ursachen, sind Auswüchse eines radikalen Islamismus, erzeugt durch eine verheerende Kriegsführung und Missachtung jeglichen Menschenrechts?
Der Irakkrieg! Er war so etwas wie der Urknall, der ein labiles, aber immerhin gesellschaftlich einigermaßen beherrschbares Universum aus vielen Ideologien, Religionen und deren Strömungen, auseinanderplatzen ließ, indem er Einigen die Macht abschnitt und Andere in dieselbe beförderte, die wiederum keinen Plan zur sinnvollen Anwendung dieser Macht hatten, da ihr Blick nur bis zum eigenen Tellerrand reichte. Bei Allem, was danach kam, ging es nur um pure Macht und Pfründe! Es ging nicht um Nationen, Aufklärung, Menschenrechte, nicht um
weltliche Ideale und schon gar nicht um die Köpfe und Herzen der ewig, unter den Einen wie unter den Anderen, unterdrückten und ausgebeuteten Menschen. Alles was dann kam, war abzusehen. Man kann eine Revolution ebenso wenig exportieren, wie man ein Volk von einer Diktatur befreien kann. Aber man kann Aufklärung, Bildung exportieren, die irgendwann Früchte tragen und Revolutionen gebären, unter gebildeten, aufgeklärten Völkern. Der Osten Europas hat es vorgemacht! Wenn auch die Ergebnisse nicht vollkommen sind, wir sind ein Stück weiter! Und bevor nun die Deutschen, die nie in einer DDR lebten zu tief einatmen, um ihre Heldenbrust auf angemessenen Umfang zu bringen, weil sie es ja schon immer gewusst haben, auch wir Deutsche wurden nicht von der Hitlerdiktatur befreit mit der Befreiung. Nein! Wir mussten es selbst tun, in DDR wie BRD! Und wir tun es (so hoffe ich) noch immer.
Eine Ausnahme sehe ich, dort im Nahen – und
Mittleren Osten! Es sind die Kurden! Geprägt durch einen Jahrhunderte währenden Kampf eines Volkes ohne Staat, war ihr Überleben, als Volk, nur durch Bildung und Aufklärung, aber auch durch die humanistische Erfahrung, der Hilfe anderer Menschen, oft fremder Religionen oder Weltanschauungen, ja auch anderer Völker möglich. Sie haben, als einzige selbstlos gekämpft. Sie haben Menschen gerettet, vor denjenigen, die ihren Tellerrand für den Horizont der ewigen Wahrheit und des Rechts halten.
Nun haben sie, die Kurden, die Drecksarbeit gemacht! Und wir? Wir lassen sie fallen! Aber warum? Weil der größte und entschlossenste Teil von ihnen der kommunistischen Idee nahe steht? Auch das ist Aufklärung, die ihnen ihr Leben gab! Da sie nie einen Staat hatten, hatten sie auch niemals staatlich sanktioniertes Eigentum, welches sie durch Ausbeutung Anderer vermehren konnten. Sie konnten sich nur erhalten, indem sie sich gegen Ausbeutung und
Unterdrückung durch Andere wehrten und das was sie hatten teilten.
Aber, sehen wir uns die Flüchtlingsströme an!
Weit mehr als die Hälfte der Menschen dort sind junge Männer! Männer kräftig genug, eine Waffe zu tragen und die Härten eines langen Kampfes zu überstehen.
´Ja! Genau! Die sollen kämpfen, gegen den IS!´ Ich höre es! Sinnloses Geschwafel selbstverliebter „Demokraten“, die fürchten, selbst von diesem Krieg erfasst zu werden.
Sinnloses Geschwafel – ja! Diese jungen, kräftigen Männer sind es, die als Kanonenfutter zerrieben werden sollen, ohne zu wissen wofür. ´Für eine Demokratie!´ höre ich. Für eine Demokratie? Da genau liegt der Hase im Pfeffer! Wissen sie, was Demokratie bedeutet? Ist die Gesellschaft dort dazu bereit? Sind die Menschen aufgeklärt und genug gebildet, um Demokratie zu leben?
Die Antworten auf diese Frage überlasse ich
Ihnen, in der Hoffnung, dass Ihre Antworten Sie zu weiteren Fragen verleiten.
Und schauen wir nochmals hin! Wieviele dieser Flüchtlinge aus den Kriegsgebieten sind Kurden? Nun ja, sie kämpfen wohl, immer noch. Sie scheinen zu wissen, wofür!
Doch ihre Schuld ist es nicht, dass die anderen jungen, kräftigen Männer zu uns fliehen, denn nicht die Kurden haben deren einstigen Diktatoren Öl abgekauft und Waffen verkauft.
Das waren wir! Genau so wie wir schlimmste Verbrechen duldeten und dulden, wenn unser Profit, unser Wohlergehen dadurch gesichert wird. Da vergessen wir doch glatt den Export von Aufklärung und Bildung. Diese fordern wir nur von Staaten und Völkern, die ihren eigenen mühevollen, oft von Fehlern und Rückschlägen gepflasterten Weg zu ihrer Vorstellung von Demokratie oder auch nur Wohlstand gehen, gegen die man keinen begrenzten Krieg führen kann, weil sie über interkontinentale … na, Sie
wissen schon.
Ja! Und die Symptome, als Folgen dieser verheerenden Politik, und Krieg ist ja bekanntlich Fortsetzung von Politik, bekommen wir nun auf’s Auge! Das Mittelmeer ist zwar gefährlich, aber die Gefahr dauert eben nicht so lange wie auf einem Ozean.
Und wieder versagt Europa, versagt Deutschland! Niemand ist vorbereitet, keiner ist bereit, die, die flüchteten, nur um ihr nacktes Leben zu retten, aufzunehmen und menschlich zu behandeln. Nein, nein! Ich rede nicht von den tausenden Bürgern, die helfen, ehrenamtlich, aus christlicher, oder muslimischer Nächstenliebe oder einfach aus den gelebten Werten der Aufklärung heraus. Nein! Das nicht! Ihnen gilt meine höchste Anerkennung und mein tiefster Respekt! Ich rede von Staaten und von der Europäischen Union. Jeder Ehrenamtliche, der notwendig ist, die Grundrechte irgendeines Menschen zu sichern, ist ein Versagen des
Staates, der Staatengemeinschaft, der oder die diese Sicherung, als erste und wichtigste Aufgabe in den Verfassungen, Statuten oder Grundgesetzen festgeschrieben hat!
Also, wer redet hier nur über Menschenrechte, Demokratie und Frieden? Und wer setzt es um, so bescheiden auch Mittel und Wirkung sein mögen? Wer setzt es um, in die menschliche Tat, die Menschen erreicht, ganz persönlich und ganz einzigartig jede Tat für sich?
Auch das ein Symptom! Ein Symptom des Problems der Entfremdung von Politik und Staat einerseits, und den Völkern auf der anderen Seite. Nein, nicht die Wahlbeteiligung ist ein Problem. Sie ist eben auch nur Symptom dieses Problems.
Ja, und auch diese so genannten Wirtschaftsflüchlinge sind Symptom einer verfehlten Politik!
Das Europa Heines (Die Jungfer Europa ist verlobt / mit dem schönen Geniusse / der Feiheit,
sie liegen einander im Arm, / sie schwelgen im ersten Kusse.)*, ist eben nicht die Europäische Union. Europa hat eben nicht die universelle Freiheit der Gleichheit und Brüderlichkeit aller Menschen geheiratet. Es war eine andere Freiheit, die Handels- und Zollfreiheit, die Freiheit des ungezügelten Kapitals. Es war eine Hochzeit mit Ehevertrag. Ehegattensplitting statt Liebe! Die andere, die Freiheit die Heine meinte, dient nur als Feigenblatt für die dummen Kinder, die halbwüchsig nun feststellen, dass Liebe und Zuwendung Gegenleistung und Hörigkeit erwartet. Wir sehen es an Griechenland, aber auch bei den enttäuschten und noch ärmeren Völkern innerhalb der EU. Nichts da mit eigenen Vorstellungen, nichts mit Selbstverwirklichung! Das Kapital nimmt Eintritt und zahlt Prämien, die Banken sind Schiedsrichter, die Regierungen stehen bestenfalls an der Linie und die Völker müssen rennen!
Heines Europa hieße wohl, annähernd gleiche
soziale Standards (und Steuern), ein Ausgleich zwischen arm und reich (wie etwa im Länderfinanzausgleich der BRD), gleiche Steuerlast für Alle. Und ganz sicher, wäre: „ … wir brauchen aus wechselseitigem Mißtrauen keine stehenden Heere von vielen hunderttausend Mördern mehr zu füttern, wir benutzen zum Pflug ihre Schwerter und Rosse, und wir erlangen Friede Wohlstand und Freiheit. …“**
Doch was tut die EU? Was tun ihre Staaten?
Sie erhöhen ihren Kriegetat, auf Empfehlung des selbsternannten Hegemons hinter dem Ozean. Man schafft sich einen neuen Feind, auf dem eignen Kontinent, mit dessen Partnerschaft man sich lösen könnte von Bevormundung, Gängelei und Kadavergehorsam, die sich selbst oft genug wider die eigenen Interessen wenden. Und man schafft sich Feinde im Innern, die auch die Reste unserer Demokratie vernichten wollen.
Bezeichnend ist doch, dass die Staaten, die sich am lautesten gegen die Aufnahme von
Flüchtlingen wehren, am vehementesten militärische Stärke fordern. Sie kennen nicht Heines Europa! Sie hoffen nur auf Zuwendungen laut Ehevertrag. (Übrigens hat Ungarn, gemessen an der Bevölkerungszahl, die meisten Flüchtlinge unter allen EU –Staaten aufgenommen.)
Ja, machen wir es doch umgekehrt!
Verpflichten wir Parlamente, sagen wir, die Hälfte der Verteidigungsausgaben für Verteidigung auszugeben! Für die Verteidigung der Menschenrechte und der Demokratie, durch die Finanzierung des Wiederaufbaus der Kriegsregionen, Wiederherstellung der Lebensgrundlagen für die heutigen Flüchtlinge in ihrer Heimat. Die Waffenindustrie kann reichlich verdienen. Wer Panzer kann, kann auch Traktoren, Kräne, Bagger. Wer Präzisionswaffen kann, kann sicher auch Prothesen und medizinisches Gerät. Minenräumgeräte werden sicher noch eine Weile gebraucht, wie auch
sonstiges Pioniergerät für Straßen- und Brückenbau, Bahnstrecken und Hochwasserschutz. Und Rückwärtige Dienste sind erstklassig bei der Trinkwasseraufbereitung und Versorgung entlegenster Gebiete. Nur Zäune? Zäune in Großformat? Na, vielleicht für wirkungsvollen Natur- und Artenschutz. Und nutzen wir einen Teil dazu, Verhältnisse in Europa zu schaffen (ohne Kreditverpflichtungen), die Menschen nicht zwingen, aus Armut ihre Heimat zu verlassen.
Und die Politiker, die meinen, Krieg sei eine Lösung, sollen Spendenaufrufe starten.
Sie werden sicher sehr schnell in aller Munde sein, solche Politiker!
Doch noch schneller wird ihre Karriere enden!
PeKa
* Heinrich Heine "Deutschland - Ein Wintermärchen"; Caput I
** Heinrich Heine Vorrede zu "Französische
Zustände"