Teil 1 Teram
Kapitel 2
Die Zeremonie
Mürrisch warf Nari ihre Beute auf den Tisch in der Hütte ihrer Eltern.
„Nicht doch!", schimpfte ihre Mutter Leani sogleich.
Gerade wollte sie den leblosen Körper vom Tisch stoßen als ihr Mann und Naris Vater sich an ihr vorbei drängte.
„Ein Blutreisser. Den hast doch wohl nicht du erlegt Nari?“, wollte ihr Vater, Naron aufgeregt
wissen.
Nari nickte schwach und betrachtete ihre Beute noch einmal.
Gerade eben war sie noch das stolze Mädchen mit ihrer tollen Beute und nun ist sie wiedereinmal nur eine Randfigur von Tarihns großem Erfolg.
„Warum lässt du denn den Kopf so hängen? Freu dich doch!“, sagte Naron.
Nari´s Mutter hob das tote Tier wieder auf ihre Schulter und schubste sie leicht in den Nebenraum.
„Sie ist bestimmt wiedermal schlecht gelaunt weil Tarihn etwas besser gemacht hat als sie“, warf Leani ein.
„Tarihn hat noch nie einen Blutreisser
erlegt, Mutter!“, erklärte Nari gereizt.
„Wie auch immer. Tote Tiere haben nichts auf dem Tisch verloren.“, tadelte ihre Mutter die junge Jägerin und drängte sie weiter in den Nebenraum.
Noch bevor sie die Tür hinter Nari schloss hielt sie kurz inne um noch einen Kommentar loszuwerden.
„Dein Vater war übrigens viel Älter als er seinen ersten Blutreisser erwischt hat“, erklärte Leani zwinkernd und schloss die Tür.
Hinter der Tür konnte man noch den Protest des Vaters vernehmen, doch Nari hatte andere Dinge im
Kopf.
Tarihn hatte seinen wilden Begleiter gefunden.
Jedem im Stamm war es einmal bestimmt einen wilden Begleiter zu finden.
Darunter Verstand man ein Tier zu treffen dass im Geiste mit einem Menschen verbunden ist.
Nari wusste nicht einmal wie sie es wissen sollte wenn sie ihren Begleiter gefunden hatte. Bis jetzt waren alle Tiere entweder vor ihr davon gerannt oder haben sie angegriffen.
Jäger sein ist keine besonders hilfreiche
Aufgabe um seinen wilden Begleiter zu finden, dachte sich die gekränkte Jägerin.
Und doch hatte Tarihn es geschafft und er war schließlich auch ein Jäger.
Zwar nicht so gut wie Nari, wie sie ihm immer zu erklären versuchte, aber er hatte ihn gefunden.
Seinen Seelenverwandten im Tierreich.
Nun würde es eine große Zeremonie geben und Tarihn bekommt die Gabe vom Häuptling.
Dann würde es außer Frage stehen wer der bessere Jäger ist.
Mithilfe der Gabe UND eines wilden Begleiters müsste sich Nari schon sehr
anstrengen mithalten zu können.
Wütend warf sie ihren Bogen und den Köcher zu Boden.
In dem Raum indem sie sich gerade befand wurden die Tiere ausgenommen und die Felle verarbeitet.
Nari zog den Körper des Blutreissers über einen aus Ästen geflochtenen Boden. Darunter war eine Grube die das Blut des Tieres sammelte.
Nari zog ihren Dolch und betrachtete das Tier vor ihr.
Woher wusste sie ob nicht dieser Blutreisser ihr wilder Begleiter gewesen war?
Sofort erinnerte sie sich an den kurzen
Moment wo das Tier versucht hatte sie anzugreifen.
Sie schüttelte den Gedanken wieder aus ihrem Kopf.
Nein.
Dieser Blutreisser war nicht ihr wilder Begleiter.
Nari atmete einige Male tief durch um ihre Wut über Tarihns Erfolg beiseite zu schieben.
Es war nicht ehrenvoll ein Wesen der Natur wütend auszunehmen.
Vorsichtig und doch kraftvoll begann sie ihrer Beute das graue Fell
abzuziehen.
Als sie fertig war überlegte sie was sie daraus machen würde.
Den Großteil des Fleisches hatte sie mit Falirnkräuter eingerieben und sie in einen Becken mit Gallanbalsam gelegt.
Der Balsam konservierte das Fleisch des Tieres und das Falirnkraut verhinderte dass es den Geschmack des Konservierungsmittels annahm.
Das Fell, welches sie fast perfekt abgezogen hatte hängte sie auf ein Gerüst aus Ästen und Zweigen zum Trocken.
Daraus würde sie später vielleicht einen
Beutel machen oder einen neuen Köcher. Ihr alter aus Fuchsleder war schon etwas beschädigt und abgenutzt.
Was mit den Krallen des Tieres passierte wusste sie jedoch sofort.
Sie nahm einen kleines und sehr dünnes Messer und bohrte zielgenau in drei der Krallen ein Loch.
Dann nahm sie eine dünne Schnur die ihre Mutter hergestellt hatte aus ihrer Werkkiste und fädelte die Krallen ein.
Anschließend hing sie sich die Kette um und betrachtete das neue Schmuckstück auf ihrer Brust.
Auch wenn Tarihn wiedereinmal etwas besseres gemacht hat so wollte Nari nie vergessen wie sie ihren ersten Blutreisser
erlegt hatte.
An der Tür klopfte es und Naron trat ein.
„Bist du schon fertig?“, fragte er mit einer ungewöhnlich ruhigen Stimme
Nari ahnte schon was jetzt gleich kommt.
Er saß sich zu ihr auf den Boden.
„Nari. Ich weiß ja dass du Tarihn nicht besonders magst.“
Sie unterbrach ihn und hielt ihm ein kleines Päckchen aus einigen Blätterumschlägen hin.
„Ich weiß dass ich etwas davon an Tarihns Familie abgeben muss. Auch wenn ich ihn nicht leiden kann so kenne ich unsere Bräuche, Vater“, erklärte Nari etwas
tadelnd.
Naron war sichtlich erleichtert und nahm das Päckchen entgegen.
Er gab seiner Tochter einen Kuss auf die Stirn und stand auf.
„Lange dauert es bei dir bestimmt nicht mehr. Du bist schon so Erwachsen geworden, Nari.“
Nari wich seinem Blick aus und schaute verlegen auf ihren Dolch der noch auf ihrem Schoß lag.
„Willst du dich noch etwas schlafen legen? Die Zeremonie beginnt erst wenn der Mond direkt über dem Lager steht“, fragte ihr Vater sie.
Nari schüttelte den Kopf.
„Nein. Ich gehe noch mal zu
Evienn.“
„Alles klar aber belästige sie nicht allzu lange. Immerhin muss ihre Familie die Zeremonie vorbereiten.“
Sie schüttelte den Kopf und machte sich auch schon auf den Weg.
Im Lager waren alle aufgeregt. Einige Männer schleppten große Holzscheitel zum Lagerfeuerplatz und bereiteten ein großes Feuer vor.
Die Frauen holten ihre buntesten Gewänder zum Vorschein.
Roben und Mäntel aus den wildesten Materialien.
Verziert mit Federn und Fellen verschiedenster Tiere.
Einige flochten jedoch auch Pflanzen und Blätter in ihre Gewänder.
Als Nari an Evienn´s Tür klopfte machte ihr Vater, Verahn auf.
Ohne groß nachzufragen ließ er die Freundin seiner Tochter eintreten.
„Ich habe gehört du hast heute einen großen Fang gemacht“, fragte der neugierige Mann nach.
Nari nickte und Verahn grinste.
„Da ist der alte Naron sicher verdammt stolz auf dich“, vermutete der gute Freund der Familie.
Wieder nickte sie und ging jedoch weiter in den Nebenraum.
Dies war auch ihr Handwerksraum, doch anders als bei Nari´s Hütte war hier alles voll gestellt mit Pflanzen und Kräutern. Gerüche aller art vermischten sich n Naris Nase. Die einen angenehm die anderen schon fast beissend.
In der Mitte des Raumes saß Evienn vor einem Tisch und riss einige Blätter von einer Pflanze ab.
„Kann ich dir helfen?“, fragte die Jägerin.
Ihre Freundin nickte und deutete ihr sich auf den Stuhl gegenüber hinzusetzen.
Evienn legte ihr einen Strauch auf den
Tisch und legte daneben noch eine kleine Schale die mit einem Umschlag abgedichtet war hin.
„Könntest du bitte die Blätter dieser Pflanze in diese Tinktur legen und mir sagen wenn du dann fertig bist?“, fragte Nari´s Freundin.
„Na klar. Sind das nicht Irithusblätter?“
„Ach ja. Stimmt.“
Evienn gab ihrer Freundin eine weitere Schale mit einer gelblichen Flüssigkeit.
Irithusblätter hatten ganz feine Stacheln die man zwar nicht sehen aber sobald man mit den Blättern in Berührung kam schmerzhaft fühlen konnte.
Die gelbliche Flüssigkeit war eine
spezielle Mischung aus Kräutern welches die feinen Stacheln daran hinderte sich in die Haut zu bohren.
Gemeinsam bereiteten die beiden einige Tinkturen und Kräutermischungen zu.
„Bist du immer noch wütend?“,fragte Evienn schließlich.
„Ein wenig. Als würde er es mit Absicht machen.“
„Bestimmt nicht. Woher sollte er denn wissen, dass du genau heute einen so tollen Fang machst?“
„Trotzdem. Wenn ich nur an sein selbst verliebtes Grinsen denke wird mir übel.“
„Ich finde er hat ein nettes Lächeln.“
„Evienn!“
„Was denn?“
„Du hast dich doch nicht etwa in diesen Idioten verliebt?“
„Nein natürlich nicht“, erwiderte Evienn kopfschüttelnd.
Nari konnte erkennen, dass die Wangen ihrer Freundin leicht gerötet waren.
„Wie auch immer. Kommst du morgen mit auf die Jagd? Du könntest einige Kräuter sammeln.“
„Nein. Ich bin morgen schon mit meiner Mutter unterwegs.
Sie will mir einige neue Kräuter zeigen“, erklärte die junge
Kräuterspezialistin.
Nari half ihrer Freundin noch ein wenig bei ihrer Arbeit, doch nach einer Weile verschwand sie wieder.
Sie musste nach Hause und sich nun auch selbst auf die Zeremonie vorbereiten.
Zuhause angekommen öffnete sie ihre Truhe.
Darin hatte sie alle möglichen Dinge aufbewahrt.
Von Gegenständen die sie an bestimmte Momente erinnerten wie eine Pfeilspitze der von ihrem ersten Treffer bezeugte über Handwerkskram bis hin zu einigen
Klamotten.
Sie holte einen Umhang hervor. Er war aus einem weißen Fell gemacht und sie hatte ihn von ihren Vater geschenkt bekommen als sie sich entschied Jägerin zu werden.
Naron hatte einen Mantel aus Fuchsfellen angelegt ähnlich dem den der Häuptling trug und Leani hatte eine Robe aus blauen Azurschwalbenfedern verziert mit einigen roten Herbstlaubblättern.
Auf ihrer Brust hing ein großer grüner Edelstein.
Diese Kette hatte sie vom Häuptling verliehen bekommen als sie sich als
beste Handwerkerin des Lagers bewiesen hatte.
Gemeinsam gingen sie zu Evienn´s Hütte und wollten gemeinsam mit ihrer Familie zur Zeremonie gehen.
Vor der Tür standen zwei junge Personen.
Es waren Evienn und …
Und Tarihn.
Der Kerl in dessen Schatten sie immer gedrängt wurde.
Mit seinen braunen kurzen Haaren stand er vor ihrer besten Freundin und grinste sie wieder so selbstverliebt an.
Nari eilte auf die beiden zu.
„Na dann bis morgen. Ich freue mich schon darauf“, sagte Tarihn bevor er sich von ihr Ab wand.
Er sah Nari und nickte ihr höflich zu.
Stur ging sie auf Evienn zu und tat so als ob sie ihn nicht gesehen hätte.
„Habe ich das gerade richtig verstanden?“, fragte Nari wütend
„Nari, Ich...“
„Schon gut. Ich hab´s verstanden!“, keifte sie ihre beste Freundin an und ging schon mal vor zur
Zeremonie.
Der Mond stand nun direkt über dem Lagerfeuerplatz dessen Feuer lichterloh brannte. Die Flammen hatten einen rosaroten Farbton durch das weiße Baumholz.
Alle Mitglieder des Terrak Stammes versammelten sich um das Lagerfeuer und nahmen auf Fellen und Baumstämmen Platz.
Zwei Männer begannen auf ihren großen Trommeln einen Rhythmus anzuschlagen und der Häuptling erschien nun auch am Lagerfeuer.
Er trug seinen Fuchsmantel und auf
seiner Schulter thronte wie immer seine weiße Eule. In seiner Hand hielt er eine braune Ledertasche die mit einem Siegel verschlossen war.
Langsam kam er näher und blieb vor einem weißen Baumstumpf stehen der ihm bis zur Hüfte ging.
Er legte die Ledertasche darauf und hob seine Hände in die Höhe.
Die Trommeln verstummten und alles wurde ruhig.
„Wir haben uns heute hier versammelt um einen neuen Mann in unserer Mitte Willkommen zu heißen“, begann der Häuptling zu reden
„Sein Name ist Tarihn vom Terrak
Stamm.“
Einige Stammesangehörige jubelten dem jungen Jäger zu der sich nun erhob und auf den Häuptling zu ging. Er kniet vor dem Baumstumpf nieder und senkte seinen Kopf.
„Tarihn hat heute seinen wilden Begleiter gefunden. Einen Dornenpirscher.“
Die Blicke fielen auf ein Tier mit zwei Hauern und einem gelblichen Fell, dass bei seinen Eltern saß.
„Tarihn hat mir bewiesen , dass seine Verbindung zu seinem Begleiter auf rein natürliche Weise stattfindet und nicht durch Magie erzwungen wurde. Somit hat Tarihn im Namen Teram´s das
Anrecht verdient die Gabe zu erlernen.“
Wieder jubelten einige der Männer und Frauen.
Tarihns Eltern sahen Stolz zu ihm auf und Nari fiel auf, dass sein Vater genauso ein selbstgefälliges Grinsen hatte wie er.
Mit jedem Wort, dass der Häuptling aussprach wurde sie wütender.
Vorallem wenn sie an den Vorfall von eben nachdenken musste.
Ihre beste Freundin hatte sie angelogen und versetzt um Zeit mit diesem arroganten Kerl zu verbringen anstatt mit ihr auf die Jagd zu
gehen?
„Erhebe dich mein Sohn!“,befahl der Häuptling dem jungen Jäger und er folgte.
Evienns Mutter reichte dem Häuptling eine Tinktur.
Nari erkannte die Schale sofort wieder. Sie selbst hatte diese Mischung hergestellt.
Der Häuptling tunkte seine Hand in die dunkelgrüne Flüssigkeit. Sie war etwas zähflüssig und klebte an der Hand der Häuptlings.
Er malte mit dieser Tinktur auf Tarihn´s Stirn einen Kreis mit einem Punkt in der Mitte.
Das Zeichen Teram´s.
Der Kreislauf des Lebens.
„Ostium Terrak“, sprach der Häuptling und das Siegel auf der Ledertasche verschwand in einem hellen Leuchten.
Er öffnete die Ledertasche und holte eine Steintafel hervor.
Der Stammesälteste hielt sich die Tafel kurz an die Stirn. Nun hob er sie in die Höhe und man konnte es deutlich darauf erkennen.
Den Zirkel der Macht.
Der Grund für die weißen Bäume und die Herbstfarbenen Blätter des Waldes.
Der Grund weshalb die Menschen dem Häuptling
folgten.
Die Quelle der Gabe die der alte Mann gleich dem jungen Jäger lehren würde.
„Confer Potestatem!“, schrie der Stammeshäuptling und das Lagerfeuer erlosch augenblicklich.
Für einen kurzen Moment wurde alles Dunkel.
Als sich die Augen schließlich an das Mondlicht gewöhnt hatten erkannte man erst, dass der Mond nun direkt über ihnen Stand.
Mondlichtstrahlen leuchteten durch die Bäume über ihnen.
Einer davon leuchtete direkt auf den Zirkel der Macht und ließ ihn schwach
aufleuchten.
Alle verneigten sich vor dem Schauspiel dass sich ihnen gerade bot.
Der Häuptling senkte die Steintafel und legte sie auf den Baumstumpf.
Er legte seine Hand auf Tarihns Kopf.
„Es ist vollbracht. Nun bist du in der Lage mit den Geschöpfen der Natur um dich herum zu kommunizieren. Nutze diese Gabe stets mit Weisheit und Mitgefühl und du wirst ein erfülltes Leben haben“, erklärte der Stammesälteste.
Alle Mitglieder sprangen auf und jubelten.
Die Trommeln wurden wieder geschlagen
und einige der Frauen holten Flöten zum Vorschein und begannen einen fröhlich schnelle Melodie zu spielen.
Naron blickte zur Seite und wollte wissen wie es seiner Tochter geht.
Sie war bereits verschwunden.