Teil 1 Teram
Kapitel 1 Das Herbstlaub
Die Abendsonne schickte ihre letzten Strahlen durch die Baumkronen des Herbstlaubes. Die Blätter dieses Waldes waren nicht grün sondern hatten die Farbe der Abenddämmerung. Rot, Orange, gelb. Einige der Blätter schienen sogar einen rosaroten Farbstich zu haben.
Fast nicht zu erkennen war eine kleine Person die sich vorsichtig durch den Wald bewegte. Es war Nari vom Terrak Stamm. Sie hatte kurze
schwarze Haare die ihr gerade noch bis zum Kinn reichten. Ihre Lederbekleidung war mit einigen Blättern und Ästen des Waldes bestückt worden. So wurde es ihr beigebracht. Sie musste Eins mit dem Herbstlaub werden wenn sie Erfolg haben wollte.
Sie lauschte den Geräuschen des Waldes und bemerkte dabei ein verdächtiges Plätschern. Nari wusste dass es ganz in der Nähe einen kleinen Bach gab, doch die Strömung war ruhig und das Wasser floss fast lautlos vor sich hin. Irgendjemand musste also gerade am Bach
sein.
Die junge aber erfahrene Jägerin schleckte ihre Fingerspitze ab und hob sie in die Höhe. Der Wind kam aus der Richtung des Baches.
Perfekt.
So verhinderte sie, dass ihre Beute sie riechen konnte.
Auch der Sonnenuntergang könnte ihr bei ihrer Jagd nützlich werden.
Langsam schlich sie sich auf einen umgefallenen Baum zu. Vorsichtig spähte sie über den weißen Baumstamm und in der Tat wurde sie nicht enttäuscht.
Ein Blutreisser gönnte sich gerade eine
Erfrischung an dem ruhigen Bach. Das Sonnenlicht funkelte im Wasser und so sah es aus als ob es sich nicht um einen kalten Durstlöscher sondern vielmehr um flüssiges Gold handelte.
Der nachtaktive Reisser trank aus dem Bach und nutze des Wasser auch um sich ein wenig zu waschen. Mit seiner Pfote tupfte er in den Bach und putzte sich anschließend hinter dem Ohr.
Die Jägerin nahm ihren Bogen aus weißem Eibenholz vorsichtig von ihrer Schulter.
Plötzlich riss das Tier den Kopf in die Höhe.
Die Ohren waren steil aufgerichtet und ein wenig nach vorne geneigt.
Er hatte etwas gehört.
Vorsichtig schnupperte er in den sanften Wind der ihm von hinten durchs Fell streichelte.
Wie versteinert stand er da und blickte genau in die blendende Abendsonne die nun direkt unter den Baumkronen hindurch schien.
Unmöglich aus dieser Richtung etwas zu erkennen.
Der Blutreisser traute dem ganzen nicht.
Er hob eine Pfote und machte Anstalten davon zu laufen.
Jetzt oder nie, dachte sich Nari.
Ein zischendes Geräusch gefolgt von
einem jaulenden Tier durchbrachen die Stille am Bach.
Geschwind eilte sie zu ihrer Beute, doch es war bereits zu spät.
Der Blutreisser hatte seine angeborene Fähigkeit genutzt und war nicht mehr zu erkennen.
Er hatte sich getarnt. Normalerweise das Ende einer jeden Blutreisserjagd, doch Nari gab nicht so schnell auf.
Sie untersuchte den Boden und erkannte die Stelle an der sie den Vierbeiner erwischt hatte.
Die Erde war aufgewühlt, da der Reisser umgefallen war und dann hastig versuchte zu fliehen. Fast ohne große Mühe konnte sie die Spuren des
Tiers verfolgen.
Nach einigen Metern vermischten sich nun auch ein paar Blutflecken mit dem Boden und die Pfotenabdrücke rückten näher zusammen.
Ihre Beute wurde langsamer.
Nari verharrte und ging in die Hocke.
Aufmerksam beobachtete sie den Boden vor sich.
Die Spur endete fast zwei Meter vor ihr. An dieser Stelle war eine kleine Blutlache die noch ganz frisch war .
Vorsichtig und langsam ging sie auf diese Stelle zu.
Leise zuckte sie ihren Dolch dessen Griff mit einer Schnur verziert war an dessen Ende eine rote Feder hing.
Kurz vor dem Ende der Spur verweilte sie ihn ihrer Position.
Sie streckte ihre Hand langsam aus und machte sich mit der anderen bereit den Dolch zu benutzen.
Wie aus dem Nichts erschien direkt vor ihr ein mit Zähnen bestücktes Maul und raste auf sie zu.
Nari zog ihre Hand zurück und drehte sich um die eigene Achse um dem Angreifer auszuweichen.
Noch bevor das arme Tier wusste wie ihm geschah steckte ein Dolch in seinem Nacken und Blut floss über die
Stelle hinter dem Ohr die sich das Tier eben noch geputzt hatte.
Sie wartete noch bis der Reisser aufgehört hatte zu Atmen bevor sie ihren Dolch heraus zog.
Das erfolgreiche Mädchen schulterte den leblosen Körper und ging zurück zu dem Bach wo alles begann.
Sie legte das Tier auf die Stelle wo sie ihn getroffen hatte.
Nari streichelte dem Geschöpf über den Kopf und zog die abgebrochene Pfeilspitze aus dessen Körper.
Zwar freute sie sich über eine erfolgreiche Jagd, doch bemitleidete sie auch den Verlust eines Geschöpfes des Waldes.
Sie schöpfte etwas Bachwasser in ihre Hände und goss es über den Kopf des toten Tieres.
Nari schloss die Augen und senkte den Kopf.
„Ich danke dir für dein Opfer. Ich danke dir für deinen Körper. Dein Geist kehrt nun zurück zu Teram, der Mutter allen Lebens. Auf dass sie dich behüte und sich um deine Seele kümmert.“, flüsterte die junge Jägerin und strich dem Tier über die Schnauze.
Sie hob das Tier erneut über die Schulter und machte sich auf den Weg zurück ins
Lager.
Unterwegs dachte sie darüber nach wie wohl die anderen auf ihre Beute reagieren würden. Sie schämte sich ein wenig so stolz zu sein das Tier erlegt zu haben, aber selbst Tarihn ihr ewiger Rivale hatte noch nie einen Blutreisser erlegt.
Jedesmal wenn sie etwas im Leben erreicht hatte kam er und nahm ihr den Erfolg durch irgend eine noch viel bessere Tat.
Doch diesmal nicht.
Was konnte schon besser sein als einen Blutreisser zu erlegen. Wo diese Tiere doch durch ihre Fähigkeit und ihren
Jagdinstinkt so schwer zu finden waren.
Nari stellte sich bereits sein eifersüchtiges Gesicht vor wenn er ihr gratulieren würde und sie als bessere Jägerin anerkennen müsste.
Sie musste Lächeln und ihre braunen Augen funkelten vor Vorfreude.
Die letzten Sonnenstrahlen färbten den Himmel in den Farben des Herbstlaubes.
Die junge Jägerin erreichte eine Lichtung und verweilte eine Weile in dieser.
Sie starrte gen Himmel empor und betrachtete die Farben des Abendhimmels.
Ihr Vater hatte ihr einmal erklärt, dass jede dieser Farben für ein Element stand.
Blau stand für das Wasser und seine Reinheit und beruhigende Wirkung auf die Menschen. Violett für die Luft die alles im Wandel hielt. Rot für das Feuer das den Anbruch von neuem ankündigte und somit die Nacht einleitete. Der dunkle Nachthimmel stand für die Dunkelheit die dem Tag eine Auszeit gönnte und ihm so neue Kraft schenkte und die Sterne repräsentierten das Licht, welches die Dunkelheit durchbrach und wiedereinmal bewies dass es selbst in
der dunkelsten Stunde einen Hoffnungsschimmer gibt.
Als sich Nari wieder auf den Weg machte war es bereits dunkel geworden und sie eilte nach Hause.
Ihr Zuhause war das Lager des Terrak Stammes. Ein kleines Lager mit einigen Holzhütten und einen Lagerfeuerplatz. Der Stamm bestand aus knapp 50 Mitglieder. Sie alle bewunderten die Häuptling für sein Talent, aber vor allem bewunderten sie die Gabe seines Zirkels der Macht.
Oh, wie gern würde Nari die Gabe von ihrem Häuptling erhalten, doch dafür musste sie dem Stamm beweisen
Erwachsen geworden zu sein. Diesen Wandel erreichte man wenn man etwas beeindruckendes Geschafft hatte. Ihre Mutter hatte zum Beispiel einen Impfstoff erfunden der eine bedrohliche Krankheit bekämpfte.
Nach einer Weile konnte sie das Lager bereits hören.
Trommel und Flötenmusik durchdrangen die Stille des Waldes.
Es gab anscheinend irgendetwas zu feiern.
Nari überlegte ob sie irgend eine Zermonie vergessen hatte doch es standen keine in nächster Zeit an.
Aufgeregt rannte sie nach Hause und
in der Tat alle Stammesmitglieder waren froher Dinge und bereiteten alles für ein großes Fest vor.
Die anderen bemerkten Nari nicht einmal.
Es war Evienn die sie entdeckte und auf sie zukam.
„Ist das etwa ein Blutreisser?“, fragte das blonde Mädchen aufgeregt.
Evienn war Nari´s beste Freundin und sie war drei Sommer älter als Nari und auch etwas größer. Im Gegensatz zu ihr war sie keine Jägerin sondern eine Kräuterkundige des Stammes, wie ihre Mutter. Ihre Aufgabe war es Heilsalben und Zaubertränke herzustellen.
„Genau! Er wollte sich verstecken, doch ich konnte ihn trotzdem finden.“, antwortete die Jägerin stolz
„Unglaublich. Du solltest ihn sofort zum Häuptling bringen, Nari.“
„Jaja, aber vorher sagst du mir was hier los ist.“
„Evienn! Hilfst du mir bitte.“, forderte ihre Mutter von ihr.
Nari´s Freundin verabschiedete sich hastig und eilte ihre Mutter zu Hilfe.
Noch immer unwissend machte sich die junge Jägerin auf den Weg zu ihrer Hütte.
„Nari! Da bist du ja endlich.“, rief eine ältere Stimme nach ihr. Es war
der Stammeshäuptling. Er hatte einen langen grauen Bart und einen Mantel aus mehreren zusammengenähten Fuchsfellen. Auf seiner Schulter saß eine große imposante weiße Eule.
„Großartig wie du den Blutreisser erlegt hast obwohl er sich getarnt hatte.“,lobte der Häutpling sie.
„Aber woher wisst ihr das?“
„Mondschein hat es mir erzählt.“, erklärte er und deutete auf das stolze Tier auf seiner Schulter.
„Ich bin sehr stolz auf dich kleine Jägerin.“,fuhr der Häuptling mit seinen Komplimenten fort.
Der Häuptling wusste bereits von ihrem großen Erfolg? Dann ist diese
Feier ja vielleicht für sie? Um sie als große Jägerin zu feiern. Der Gedanke machte Nari ganz aufgeregt und grinsend fragte sie ihren Mentor schließlich: „Was ist denn hier los? Wird etwas gefeiert?“
„In der Tat.“, stimmte er ihr zu und legte seine Hand auf ihre Schulter.
Die beiden gingen einige Meter.
„Du weißt für jeden Menschen in unserem Stamm kommt einmal im Leben der Tag an dem wir Erwachsen werden.“, begann der Häuptling.
„Ja das weiß ich, Häuptling.“, antwortete Nari ungeduldig.
„An diesem besonderen Tag wo die Natur entscheidet aus einem Kind
einen Erwachsenen zu machen veranstalten wir jedes mal eine besondere Zeremonie und verleihen demjenigen die Gabe.“
Nari nickte breit grinsend und konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Es war endlich soweit. Sie würde von allen als Erwachsene Frau anerkennt werden und was das beste ist, ihr würde die Gabe verliehen werden.
Die beiden blieben stehen und der Häuptling fasste sie an beiden Schultern an und beugte sich ein wenig zu ihr herunter. Er sah ihr direkt in die Augen.
„Etwas wunderbares ist passiert.“,begann er ihr zu
erklären.
Sie konnte es kaum fassen. Ihre Knie wurden ganz weich und sie begann zu zittern.
„Tarihn hat seinen Wilden Begleiter gefunden. Ist das nicht großartig?“