Mausi
Ein Hund zum Knutschen!
Mausi war nun seit Samstag bei uns und hatte uns um die Pfote gewickelt. Ein Hundebaby, das jeden sofort im Sturm eroberte, war nun ein Teil unserer Familie geworden. Manchmal, wenn ich den frechen Wirbelwind so beobachtete, liefen mir plötzlich die Tränen übers Gesicht. Vielleicht wegen meines schlechten Gewissens, gegenüber meinem alten treuen und nun im Hundehimmel weilenden Freundes Willi? Oder nur um der alten schönen Zeiten mit ihm? Ich hatte nun zwar einen
neuen Hund, aber Willis Platz konnte die Kleine nicht einnehmen. Sie hatte sich einen neuen Platz hier erobert und das war gut so.
Die Züchterin hatte eine Impfung so lange herausgezögert, dass die nun sofort fällig wurde. So machten wir uns am Montag auf zu Doktor Seidel, der schon Willi gesund durchs Leben impfte und behandelte. Der Hase, mein treuer Leser weiß, dass es sich beim Hasen um meinen langjährig Vermählten handelt, packte die Maus und mich ins Auto und Mausi zeigte uns wieder einmal, auch bei einer kurzen Strecke, was sie vom Autofahren hielt. Sie ließ sich ihr
Frühstück noch einmal durch den pelzigen Lockenkopf gehen, und zwar kurz bevor wir einparkten. Gesäubert huschten wir schnell in die Praxisräume, denn es war zugig und sehr kalt.
Im Warteraum saßen Herrchen, Frauchen und ein riesiger schwarzer Hund, der uns aber neugierig und friedlich beäugte. Mausi tat dasselbe mit ihm und war sich nicht sicher, ob man Angst haben sollte, oder vielleicht den übergroßen Artgenossen zum Spielen auffordern könnte. Da dieser sich aber dann auf der Erde zusammenrollte, ignorierte unsere Prinzessin hocherhobenen Hauptes den anderen
Hund. Stolz saß sie abwechselnd auf meinem und dann auf Herrchens Schoß, um nach kurzer Zeit wieder zu wechseln.
Der Hase war mit den Gedanken woanders und ich wusste auch genau wo. Hierher musste er Willi bringen, um ihn von seinen fürchterlichen Schmerzen erlösen zu lassen und allen hier, die Willi von Welpenpfoten an kannten, litten mit. Doch jeder wusste auch, dass es nötig war und wir es dem langjährigen Freund schuldig waren. Doch deshalb tat es nicht weniger weh. Ehe wir darüber sprechen konnten, wurde der große Patient aufgerufen, und
da wir ein wenig ungünstig saßen, konnte uns die Schwester dabei nicht sehen. Diese Untersuchung dauerte nicht lange und was dann folgte, war herzzerreißend.
Die Schwester kam, um den nächsten Patienten aufzurufen und wollte eben den Namen nennen, als sie zuerst den Hasen erkannte, dann mich und dann sah sie Mausi, die die Schwester mit großen Augen ansah. In dem Prozess des Erkennens und Erinnerns schlug sie erfreut die Hände über den Kopf. "Herr Doktor, sie werden es nicht glauben, wer hier ist und ihren Augen werden sie auch nicht trauen!", rief sie, während sie
aufgeregt zwischen Warteraum und Behandlungszimmer hin und her lief. Während wir noch unsere Siebensachen ordneten und aufstanden, stand der Doktor breit grinsend vor uns. Seine Freude über unseren Anblick war unverkennbar. "Hab ich es nicht gesagt?", fragte er den Hasen immer wieder, wobei das eigentlich nicht als Frage gemeint war. Andi hatte, wie in den vorherigen Geschichten erzählt, einen Einzug von einem neuen Tier strikt verweigert. Das hatte er auch dem Doktor gesagt, der den Hasen trösten wollte, nachdem Willi für immer eingeschlafen war. "Lassen sie nicht so viel Zeit vergehen und holen sie sich
einen neuen Hund ins Haus, das hilft!", hatte der Doktor im Januar geraten. Schon damals war das keine Option für meinen traurigen Mann, der nun noch Willi begraben musste. Er hatte das schon bei vorherigen Untersuchungen immer wieder betont. "Ein Hund kommt uns nicht mehr ins Haus. Ich habe einfach keine Zeit mehr dafür!", hatte der Hase immer wieder betont.
Nun standen wir da, mit einem kleinen wolligen Bündel, dass bei dem Tumult um sich Angst bekommen hatte und sich tief in meine Arme eingrub. "Was haben wir denn da?", fragte der Doc und zog Mausi vorsichtig aus meinem Arm in seinen eigenen. Mausi war clever und
streckte ihre kleine rosa Zunge aus, um den Doc zu knutschen. Sie wusste, mit wem man sich gut stellte. Nachdem Rasse, Gewicht und Herkunft geklärt waren, ging es um den Namen. Ich erklärte, das Mausi eigentlich Hella von den Rabauken hieß und wir sie aber Trudi nennen wollten. "Wow, was für ein zauberhafter Name, der passt auch!", lachte die Schwester, die Mausi auf dem Tisch versuchte zu bändigen. Der Doc zog den Chip auf, denn Mausi war auch noch nicht gechipt und nickte bei der Einlassung seiner Schwester zu Mausis eigentlichem Namen. "Das geht nicht, ich habe ja den Namen Trudi selbst ausgesucht, aber das geht nicht, sie kann
nicht Trudi heißen!", erklärte ich und erzählte die Geschichte, warum Mausi "Mausi" heißen musste. Die Schwester blieb skeptisch, aber der Doc grinste. "Ja, manche Tiere zeigen von Anfang an, dass sie Charakter haben, und wissen sehr genau, was sie wollen. Mausi passt zu diesem winzigen Wesen!", war sein Kommentar dazu.
So wurde also Mausi in ihren Impfausweis eingetragen. Nun war es offiziell. Mit der nächsten Aktion machte sich der Doc bei Mausi unbeliebt und die sich wohl bei der Schwester. Der Doktor setzte Mausi den Cip, wie üblich auf der linken Halsseite ein.
Mausi gefiel zunächst einmal gar nicht, dass man sie so sehr festhielt und zappelte auf Teufel komm heraus. Dann war der Chip drin und der Teufel wirklich heraus, weil unsere kleine Prinzessin nun das erste Mal mit etwas Unschönem in Berührung gekommen war. Sie versuchte die Schwester zu zwicken und die musste die wütende Maus auf Abstand halten. "Okay!", dachte diese sich wohl, "dann eben so!", und die Maus struselte die Schwester voll. Scheinbar war in der kleinen Blase eine Menge drin, denn der Kittel war pitschenass. Das "Ist nicht so schlimm!", klang irgendwie nicht ganz ehrlich. Der Doktor lachte und seine
tiefe sonore Lache steckte uns alle an. Mausi hatte sich scheinbar beruhigt, denn die Impfung ließ sie Kommentar und Pipilos über sich ergehen. Sie war nicht nachtragend, wie mein Willi, denn sie nahm dem Doc sogar das Leckerchen ab. Der streichelte sie mit seiner riesigen Hand ganz zart. "Ein süßes Hundchen! Verwöhnen sie die Kleine bloß nicht so sehr, sie ist jetzt schon so stark!", sagte er.
Dann kam der Teil mit der Bezahlung und die Verabschiedung war für berliner Verhältnisse sehr herzlich. Als wir gingen, die Maus schlief schon in meinem Arm, hörte ich grad noch den
Doktor zur Schwester sagen: "Sehen sie, ich habe es ja gesagt, ohne Hund geht es nicht!" Ich glaube noch das Wort "Satansbraten!" gehört zu haben, als dann die schwere Tür endgültig zu fiel. Der Hase und ich grinsten uns an. Letzteres hatten wir wohl beide gehört. Ja, es schien, als würden uns da noch viele Dinge mehr, als nur der Weihnachtskaktus blühen. Aber wenn Mausi sogar den Doktor einwickeln konnte, wie sollten wir da hart bleiben?
© Simone Scheuing 2015