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Jetzt! Das ist Venedig. Durch den Morgennebel sind die ersten TĂŒrme schon sichtbar. Ein gutes StĂŒck Weges ist vorbei. Aber die Fahrt ist noch nicht zu Ende. Hier geht nichts zu Ende.
Das ist sie. Hell und verschwommen. Die unermessliche Weite zieht sich fortlaufend hin, mit jeder Welle kommen wir an die KĂŒste heran. Wir hören die ersten Rufe. So unglaubhaft barsch erklingen sie jetzt, diese verschiedenartigen Sprachen. âVenedisch â, denke ich und kneife die von der steigenden Sonne trĂ€nenden Augen zusammen. Ja, âVenedischâ, eine
aparte schöne Sprache. Etwas roh und holperig, aber trotzdem ein angenehmer zumeist unverstĂ€ndlicher gemĂŒtlicher HĂŒhnerstall.
Ein hebrĂ€isch aussehender Gondoliere grinst und âmakes moneyâ Sie kennt sich nicht so gut aus, und sie hat keine andere Wahl, als zu zahlen. Sie lĂ€chelt zurĂŒck. âDu musst abladen, du musst abladenâ, sagt ihr das penetrant schmunzelnde Gesicht der Italiener.
Zwanzig Euro kostet die Fahrt.
Alles GroĂe taucht unter. Die feuchte Platine Piazza San Marco und die Palazzo Ducale verschwinden. Jetzt das andere Teil der Reise. Auf einmal ist alles anders. Die Gondel bewegt sich
langsam, aber unser Begehren ist schneller. Wir schĂŒttelten den Kopf und agieren mit den HĂ€nden. Der dunkelhĂ€utige Ruderer hat unliebsames Aufsehen erregt. Ich triumphiere.
Eine Dame nebenan sagt etwas auf Russisch. Ein kleines gefÀrbtes Mannweib antwortet auf Spanisch. Sie lÀchelt mich auch an.
Ich: GefÀllt Ihnen die Fahrt?
Sie: Ni una palabra!
Ich: Was?
Wir lachen.
Alle fotographieren.
Der Zauber von Venedig ist seine âFunktionalitĂ€t â. Ăberall sehen die
Bewohner verdammt stolz aus. Jeder weiĂt ja, dass wenn die Umgebung angebracht ist, dann sieht man trĂŒb und unzufrieden aus. Hier in Venedig lĂ€chelt jeder wie verrĂŒckt, vor allem, wenn man der Unhandlichkeit begegnet. Ja, das ist eine besondere Eleganz fĂŒr eine Ă€ltere Dame in ein wackelndes Boot hineinzuspringen. Beinahe erotisch!
"Im vollen Licht glitzert auch die ScheiĂe."
âWas wollen Sie damit sagen?â
Ich zuckte. War das Deutsch? Ich kehre mich unentschieden um. Hinter mich sitzt nur ein niedriger verhĂŒllter
Italiener. Bebrillt und etwas flauschig, lÀchelt er mich verstohlen an.
Ich sehe mich wieder um. Pausenlos schaut er mich zu. Ich weiĂ jetzt, was genau passiert ist. Deshalb versuche ich das GesprĂ€ch zu vermeiden. Ich wende mich langsam wieder ab. FĂŒnf Sekunden spĂ€ter kommt es wieder.
Machen Sie das absichtlich?
Seine Stimme klang ironisch.
Ich, ohne mich zuwenden: Verzeihung, ich habe Sie nicht gesehen.
Die Stimme: Na klar, sie haben sich absichtslos umgedreht, das einzige
Mensch hinter ihnen absichtslos ĂŒbersehen und jetzt sprechen sie mir zu, ohne wieder umzudrehen, weil sie, höchstwahrscheinlich keine Ahnung haben, woher die Stimme kommt. Stimmt?
Die Stimme: Können Sie nicht sprechen oder wollen Sie nicht
15 Sekunden spÀter
Die Stimme: Wie heiĂen Sie?
Ich: Laura.
Die Stimme: Ich heiĂe Carlos.
1 Minute spÀter:
Die Stimme: Drehen Sie nie wieder um?
Ich: Ich bin auf der Reise. Ich beobachte.
Die Stimme: Ja, da haben Sie Recht.
3 Minuten
spÀter:
Die Stimme: HeiĂ! Finden Sie nicht?
Ich: Ja, schon heiĂ genug.
Die Stimme: Sehen Sie das Haus da oben, wo eine Frau steht?
Ich: Ja, was?
Die Stimme: Das ist mein Haus.
3 Minuten spÀter
Ich: Wohnen Sie dort?
Die Stimme: Nein. Das ist das Haus meiner Frau.
Ich: Sind Sie also geschieden?
Die Stimme: Ja.
15 Minuten spÀter
Ich: Warum sitzen Sie denn in einem Gondel mit Touristen, wenn sie hier
wohnen?
Die Stimme: Nur von hier aus kann man Venedig sehen. Diese Stadt, wie vermutlich jene andere Stadt ist langweilig. Als Einheimische kann ich kaum etwas sehen.
Aussteigen!
Der Gondoliere hat die KĂŒste erreicht. Alle Touristen steigen langsam aus. Wir sind die letzte: Ich und die Stimme.
Haben Sie Zeit?
Er fragt mich, ob ich Zeit habe. Er will mich einladen. Wohin? Abendessen? Ein Date? Wein? Kerzen? Der Akt?
Ah, dumme Frau, stumpfsinnige, gedankenlose, verheiratete Frau!
Halt die Fresse! Halt die Fresse! Denke
ich
Ich bewege langsam meine eingeschlafenen Beine auf die KĂŒste. Ich will mich umdrehen. Der Mann trippelt hinterher.
Am nÀchsten Tag
Ich blicke mich nach alle Seiten um. Es rieselt. Ich warte. Das Boot ist in der NĂ€he angebunden.
Ich wÀhle die Nummer.
Die Stimme: (etwas gleichgĂŒltig) Ja?
Ich: Wo bist du?
Die Stimme: (mokant) Wir frĂŒhstĂŒcken.