Kapitel 1 Sterneisen
Das Jahr 235 der Herrschaft der Balfare-Dynastie…
Galren wurde einen Moment schwindlig. Der Wind zerrte an seinen braune Haare und schien ihn, wenn er nicht aufpasste, glatt über die Kante tragen zu wollen. Der Junge stand am Rand einer steil nach unten abfallenden Klippe. Ein gewaltiges Loch, das sich ohne Vorwarnung in der Landschaft auftat. Moose und Flechten überwucherten die steinernen Kanten und hingen teilweise bis hinab in das Wasser, das sich im Laufe der Zeit in der Mitte
des Kraters gesammelt hatte. Viele, vor allem die Älteren Dorfbewohner, wagten sich nie so nah heran, aber früher musste hier reges Treiben geherrscht haben. Galren konnte noch die alten Wege erahnen, die einst in die Felsen geschlagen worden waren und die zum See hinab führten. Wenn man den Legenden glauben konnte, war dieser Ort der Grund für Hamads einstigen Ruhm gewesen, denn angeblich war es genau hier wo vor unzähligen Generationen ein Stern vom Himmel gefallen war. Doch nun versank die Insel am sprichwörtlichen Rand der Welt zunehmend in Bedeutungslosigkeit. Etwas, das selbst der Junge mit seinen
kaum sieben Jahren bereits zu verstehen begann. Das kleine Fischerdorf an der Südküste, das er sein Zuhause nannte bekam grade so genug Fänge zusammen um seine eigene Bevölkerung zu ernähren. Und selbst Freybreak im Norden der Insel verlor sichtlich an Glanz. Auch wenn es ein halbes Jahr her war, das er das letzte Mal dort gewesen war. Sein Vater ging nicht mehr so oft auf Reisen wie früher noch. Dafür jedoch kamen immer mehr Leute zu ihm… Alles wegen der anstehenden Abreise. Galren verstand nicht genau, wohin sein Vater eigentlich wollte. Für eine bloße Reise zum Festland jedenfalls, brauchte man nicht hundert
Leute anwerben. Vielleicht ging es ja um die fliegende Stadt? Aber was würde der Kaiser von einem einfachen Navigator wollen, selbst wenn dieser durch seine Begabung ein kleines Vermögen verdient hatte?
Hamad jedenfalls, war verfallen.
Doch früher, zur Zeit der alten Kaiser als die Minen im Krater noch nicht geflutet waren… da hatte es vielleicht anders ausgesehen. Es machte Spaß sich vorzustellen, wie statt ihm tausende von Arbeitern mit Lasttieren und Werkzeugen den Weg in die Tiefen antraten um das einzigartige Metall zu fördern, das einst vom Himmel gerissen worden war. Doch heute interessierten
diesen Ort nur noch die Fische, die träge unter der smaragdgrünen Wasseroberfläche dahinschwammen und gelegentlich nach Libellen und anderen Insekten schnappten. Ganze Schwärme von Eisvögeln huschten als bunte Pfeile über ihm hinweg, aufgeschreckt von dem Auftauchen des Jungen.
Galren lief am Ufer entlang, bis er die Stelle erreichte an der es so aussah, als wäre der Weg zu Ende und verlöre sich im Wasser. Der Junge wusste mittlerweile jedoch, dass dem nicht so war. Bis vor einigen Wochen hatte er sich bei seinen Streifzügen über die Insel vom Krater ferngehalten, doch mittlerweile kannte er jeden Winkel im
Umkreis eines Tagesmarsches um sein Dorf. Blieben nur die alten Sterneisen-Minen.
Seine Eltern hatten längst aufgegeben sich wegen seiner Streifzüge r Sorgen zu machen… zumal er es bisher noch nicht fertig gebracht hatte, sich zu verirren. Irgendwie wusste er immer instinktiv, wie er zurückkam. Sein Vater lachte nur darüber wenn er danach fragte… und einmal, beinahe verschwörerisch hatte er gemeint: ,, Mir geht es ähnlich. Eines Tages…“
Aber was auch immer eines Tages bedeuten sollte, er hatte es nicht erklärt.
Vorsichtig tastete der junge Galren mit einem Fuß im trüben Wasser, bis er
einen Stein fand, auf dem er stehen konnte. Dann nahm er den anderen Fuß vor und wiederholte das Ganze. Entweder war das hier Teil eines alten Pfads oder die Steine lagen von Natur aus so, dass man trocken bis an die gegenüberliegende Kraterwand gelangen konnte. Die überwucherten Felsen ragten wie eine grüne Mauer vor ihm auf, aber wie schon beim ersten Mal als er hierherkam wusste Galren einfach, das es sich dabei um eine Täuschung handelte. Zielsicher schlug er einige Farne beiseite und legte einen nur Eingang im Felsen frei. Der leicht ansteigende Boden sorgte dafür, dass er trockenen Fußes hinübertreten konnte. Im gleichen
Moment vielen die Farne und Pflanzen auch schon hinter ihm wieder zu, wie ein Vorhang. Langsam sah Galren sich um.
Die Lücke im Felsen war annähernd kreisförmig und Spuren von Hämmern und Meißeln zeigten, dass sie nicht von selbst entstanden war. Das war jedoch schon alles, was er erkennen konnte, den bereits wenige Schritte vom Beginn der Höhle entfernt, gab es kein Sonnenlicht mehr. Bei seinem letzten Besuch hier hatte Galren kein Licht gehabt und sich nicht weiter hinein getraut. . Diesmal jedoch, war das anders.
Der Junge setzte den Rucksack ab, den er bis hierin mitgetragen hatte und förderte eine Fackel, Öl und ein Stück Feuerstein mit
Stahl zur Tage. Vorsichtig um nichts zu verschütten goss er das Öl über das Leinen der Fackel und entzündete es nach einigen versuchen auch. Die zuerst nur klägliche Flamme breitete sich rasch aus und erzeugte bereits nach wenigen Augenblicken einen flackernden Kreis aus Licht um den Jungen. Das Licht spiegelte sich in grauen Augen wieder, die sich staunend umsahen. Es war noch nicht viel zu erkennen, aber die Höhle endete definitiv nicht nach einigen Schritten. Im Gegenteil. Der Boden wurde weiter entfernt vom See wieder abschüssig und führte gradewegs weiter in die Erde… Einen Moment war Galren sich tatsächlich unsicher ob er
weitergehen sollte. Draußen und in den Wäldern kannte er sich aus. Das hier jedoch war neu. Wie sollte er zurück finden wenn er sich verlief oder die Gänge der alten Mine sich verzweigten?
Doch dann besann er sich. Ihm würde nichts passieren, schien eine Stimme in seinem Kopf ihm zuzuflüstern. Also gut…
Er setzte sich wieder In Bewegung und das unstete Licht der Fackel ließ seinen Schatten mal hier, mal dort an den Seiten des Ganges auftauchen. Die Luft hier unten roch sogar anders wie draußen, stellte der Junge nach einer Weile fest. Modrig, alt… eben wie etwas, das schon vor unglaublich langer
Zeit verlassen worden war. Und das war es auch. Sterneisen fand man seit Jahrhunderten keines mehr und Gegenstände, daraus waren mittlerweile so selten, dass sie mehr zur Legende zählten als zu etwas, das wirklich einmal existiert hatte. Doch hier unten gab es noch etwas davon. Es glitzerte als hauchdünne Adern in den Wände. Kleine, silbrig weiße Kristalle, die man nur erkennen konnte, wenn man sich direkt davor stellte. Würde man abkratzen, was noch hier war, man würde vielleicht grade einen Fingerhut voll Staub zusammenbekommen. Der Junge wendete sich von den Adern im Felsen ab und ging weiter. Nach wie vor
führte der Felsgang nach unten. Dabei jedoch, wurde er zunehmend niedriger und schmaler, bis selbst der Junge sich ducken musste, um sich nicht den Kopf zu stoßen. Vermutlich hatten die früheren Arbeiter hier kriechen müssen. Dann jedoch, endete der Weg plötzlich. Die Wände wichen zurück und gaben einen gewaltigen Hohlraum frei. Die Seitenwände genauso wie die Decke verschwanden in der Finsternis… Trotzdem trat Galren ohne zu zögern hinaus. Es war, als hätten seine Füße längst ihren eigenen Willen und trugen ihn bloß noch mit sich. Und obwohl der Durchgang hinter ihm fast sofort von der Dunkelheit verschluckt wurde, wusste er,
dass er ihn Notfalls wiederfinden konnte. Hier unten galten die gleichen Regeln wie oben. Er spürte seinen Weg mehr, als das er ihn wirklich fand. Während er durch die Dunkelheit ging, sah er vor sich plötzlich ein weiteres Licht aufglimmen, viel schwächer als das seiner Fackel… aber definitiv da. Es bewegte sich jedoch nicht, sondern schien nur in einem unsteten Rhythmus zu und abzunehmen. Und dann wurde dem Jungen klar, was er da sah. Es war keine eigene Lichtquelle, sondern etwas reflektierte den Fackelschein… Etwas großes, Silbernes…
Galren trat näher und hielt die Fackel dabei höher um besser sehen zu können.
Es waren Steine, einige davon vielleicht groß wie seine geschlossene Faust, andere hingegen so groß wie sein Kopf. Und die silbrigen Kristalle, die ihre Oberfläche komplett überzogen, waren für die Reflektion verantwortlich gewesen. Sterneneisen… Der Junge wusste instinktiv, was er da gefunden hatte. Das hier war vielleicht wertvoller als Gold. Beinahe ehrfürchtig nahm er einen der Erzbrocken in die Hand. Selbst für einen Felsen war der Stein erstaunlich schwer…. Er könnte nie im Leben alles mitnehmen. Und das sollte er vielleicht auch gar nicht. Dieser Ort war von der Welt vergessen worden und vielleicht gab es einen guten Grund
dafür. Sein Gefühl jedenfalls, sagte ihm, auf keinen Fall zu gierig zu sein. Galren setzte den Rucksack ab und legte lediglich eines der größeren Kristallfragmente hinein. Doch auch so würde das Gewicht ihn bereits langsamer machen. Er schulterte den Rucksack wieder und machte sich auf den Weg aus den Höhlen. Bevor er jedoch seinen Ausgang wiederfinde konnte, lief ein Zittern durch den Stein unter seinen Füßen, gefolgt von einem tiefen Grollen. Es war, als würde irgendwo ein Untier erwachen und jede seiner Bewegungen den Grund erschüttern. Doch Galren wusste es besser, als die ersten kleineren Steine
von der Decke herab zu rieseln begannen. Ob dieser Ort über die Jahrhunderte so instabil geworden war oder ob es schlicht Zufall war zählte nicht mehr. Galren rannte los, durch das formlose dunkel. Zu den kleinen Steinen gesellte sich nun bereits faustgroße Brocken, die, wen sie ihn trafen, seinen Schädel einfach zertrümmern würden. Doch erneut schienen seine Füße ihn zu leiten, schien er vor sich zu sehen, wohin er treten musste um den schlimmsten Trümmern zu entgehen. Das Gewicht an seinen Schultern drohte, ihn zu ermüden, aber weder hätte er die Zeit den Rucksack los zu werden, noch war er schon bereits, ohne irgendetwas
abzuziehen. Und dann tauchte auch endlich der Gang vor ihm auf und Galren sprintete hindurch und nach oben, so schnell ihn seine Beine noch tragen wollten. Aus dem Grollen war mittlerweile lautes Poltern geworden, als die Höhle endgültig kollabierte. Staubwolken stiegen auf und hinter ihm her, als der Junge endlich etwas langsamer wurde. Ein rascher Blick über die Schulter zeigte ihm, dass der Gang hinter ihm komplett verschüttet war. Felsbrocken so groß wie Häuser hatten sich aus der Decke gelöst und hoch übereinander getürmt. War es vorher schwierig gewesen, durch die Engstelen im Tunnel zu gelangen, waren diese nun
endgültig versiegelt…
Langsam, nur ganz langsam wurde ihm klar, wie knapp er grade noch dem Tod entkommen war. Ab heute, schwor er sich, würde er sich von den Tiefen dieser Insel tunlichst fernhalten, wenn r die Wahl hatte. Hätte er auch nur einen Stein mehr mitgenommen, das Gewicht hätte ihn zu langsam gemacht um noch zu entkommen, da war er sich sicher. Galren beschleunigte seine Schritte wieder, hatte es jetzt eilig, dem drückenden Dunkel zu entkommen. Als er den Seezugang wieder erreichte, schlug er die Farne und Büsche davor ohne zu zögern bei Seite und tapste ins knietiefe Wasser hinaus. Das Licht
blendete ihn einen Moment, aber Götter, es tat gut, wieder an der frischen Luft zu sein. Und er hatte den Rucksack nach wie vor bei sich. Was wohl sein Vater zu seinem Fund sagen würde? Vorausgesetzt natürlich, er glaubte ihm überhaupt.
Und dann sah er die Männer. Es waren vielleicht ein halbes Dutzend, die sich am Seeufer verteilt hatten, alle gekleidet in gleichförmige graue Uniformen. Ihre Musketen hatten sie an der Felswand abgestellt und sie hockten nun, scheinbar entspannt, um eine provisorisch errichtete Feuerstelle verteilt. Das hieß, bis sie Galren bemerkten, der wie ein Geist aus der überwucherten Wand auftauchte. Langsam standen sie auf und
dabei viel der Blick des Jungen auch auf das Wappen, das einer der Männer auf seiner Kleidung trug. Es war eine silberne Spinne auf violettem Grund. Ein Wappen deines Krieges, der längst vorbei schien und von dem sie hier draußen immer nur am Rande gehört hatten. Das Wappen des Aristokratenbunds von Andre de Immerson… Galren wusste nicht, was er zu erwarte hatte, aber er wusste, das er in der Patsche saß. Dagegen schien der Felssturz von eben noch geradezu harmlos… Nach vorne gab es nur einen Weg aus dem Krater heraus und vor dem standen die Soldaten. Und der Weg hinter ihm war abgeschnitten, wie er nur
zu gut wusste…
Er saß in der Falle.