Sonstiges
Suizid

Suizid

oder

Die Wahrheit des Lebens

Korrektur L.A.B.

Suizid… Tanja Kochmann hat sich entschieden. Während ihres ganzen Lebens war sie ganz zuversichtlich, dass sie ohne jeden Zweifel unter keinem guten Stern geboren war. Und von Mal zu Mal dachte sie über ihren Sohn und ihren Mann nach, die sie beide schon lange nicht gesehen hatte und wegen ihres bevorstehenden

Todes wohl auch nie wieder sehen würde. Und sie wollte das schließlich nicht. Immer wieder tauchte ihre Familie, wie geisterhafte Schatten auf. Und sogar jetzt, in dieser Minute, wusste sie schon, dass es unmöglich für sie war, sich an deren Gesichter zu erinnern.

Sie hatte lange getuscht und sich mit Haarnadeln das Haar aufgesteckt. Ihre schmalen Füße gingen auf und ab und man konnte ihr Schreiten auf dem

Parkettfußboden war sogar in der Nachbarschaft deutlich hören. Hin und zurück, hin und zurück… Sie begann schon an allen Gliedern zu zittern und wurde schneller, um das Schütteln ein bisschen zu vertuschen. Jetzt, dachte sie, und am besten sofort. Alles mit einmal. Sie griff nach dem kleinen Fläschchen und entkorkte es. Hastig schüttelte sie ein paar gelbliche Kapseln aus. Sie füllte einen Plastikbecher

mit kaltem Leitungswasser und schluckte entschlossen die entnommenen Pillen. Etwa fünf Minuten stand sie , in der Mitte des Zimmers und wartete. Dann fühlte sie etwas. Heiße Tränen strömten über ihr Gesicht und als sie, “Endlich… „ sagte, gelangte ein furchtbar lautes Rülpsen und ein starker Geruch eines Apfelsinenbonbons von tief drinnen aus ihrem Magen nach draußen. Sie schrie auf

und galoppierte freudig durch die Wohnung und lachte, kicherte und weinte zugleich. Wie toll…

Sie wischte sich die Tränen vom Gesicht und ihre rot geränderten Augen funkelten, als sie das Etikett auf dem Fläschchen las. Vitamin C… mit Orangengeschmack. Sie atmete erleichtert tief aus und machte es sich in den riesigen schwarzen Ledersessel bequem. Sie war eine sehr schöne Frau,

diese Tanja. Sie war Mitte dreißig, schlank und von zierlicher Gestalt. Sie trug langes, blond gefärbtes Haar und ihre vollen Lippen bildeten die in der Mitte ein winziges Löchlein, durch das man ihre schneeweiße Zähne erkennen konnte. Tanja Kochmann war Psychologin und betrieb ihre neu eingerichtete Arztpraxis in München.Sie schämte sich. Am Abend kommt ein Mann, dachte sie schuldbewusst und ich kann ihm nicht

helfen. Und der Frau mit der Perücke leider auch nicht. An das junge Ehepaar mochte sie erst gar nicht denken wollen. Theorie ist immer sehr viel einfacher, als die harte Realität der Praxis. Kluge Menschen würden sagen, dass sie das womöglich alles absichtlich getan hat. Dass sie sogar das ganze Schauspiel nur für sich selbst inszeniert hatte, um...

ihre Unerfahrenheit zu verbergen, denn seit ihrem Studium hatte sie noch niemals richtig gearbeitet. Und dennoch hatte ihr Mann, ihr gegen ihren Willen eine eigene Praxis eingerichtet und sie damit heillos überfordert…