Der zärtliche Moment
Es ist heiß.
Ich fühle mich rastlos. Weiß nicht so recht …
Würde so gern mal wieder …
Mal wieder was Besonderes auf die Leinwand bringen.
Während mich die Sehnsucht packt, suche ich noch nach dem richtigen Gefühl für das unerwartet Großartige.
Ich greife nach dem Block. Mit fertig montierten Leinwänden sieht es gerade schlecht aus. Und mit dem Aufziehen eines neuen Malgrundes kann ich mich in dieser Phase der Findung nicht aufhalten.
Mit der zweiten Hand lange ich nach meinem Koffer und hoffe insgeheim, dass er gut bestückt ist.
Es ist zwar heiß, aber ich kann bei Sommerwetter einfach nicht drinnen arbeiten. Auf dem Weg hinaus stelle ich mir die Aufgabe, mit dem klarzukommen, was der Koffer hergibt.
Also kein Farbenholen von drinnen!
So betrete ich den Garten und suche die Stelle im Rasen, auf der die Staffelei nicht kippelt. Denn wenn ich erstmal in Rage bin …
Voller Erwartung öffne ich den umfunktionierten Beauty-Case.
Mit Entsetzen starre ich auf die gähnende Leere.
Ein Eldorado an Farben ist das nicht gerade.
Drei kleine Tuben schwarz tummeln sich mit ein paar Grüntönen, blau und orange.
Grün und orange mischen sich untereinander gar nicht fein. Das wirkt sehr schnell schäbig dunkel, geradezu matschfarben.
Hier ist Vorsicht angesagt.
Weiß finde ich keines. Es ist aber äußerst notwendig, um Lichter zu setzen.
Zum Glück gibt es ein helles Gelb, damit lässt sich einiges retten …
Um mich von der weißen Fläche nicht einschüchtern zu lassen, verteile ich ein paar impulsive Kohlestriche auf dem Papier. Und schon marschiert meine Phantasie los.
In dem Koffer finde ich „meinen alten Knochen“.
Den hatte ich völlig aus den Augen verloren.
Es handelt sich hier um einen leicht gerundeten Spachtel aus Rinderknochen.
Er ist wesentlich weicher, als die Metallspachtel, die ich zur Zeit eher verwende.
Keine schlechte Wahl, auf dem Papier ... Schon manches Mal habe ich Löcher in solch weichen Untergrund geschnitten!
Vorsichtig beginne ich mit dem hellen Gelb.
Und schon bin ich auf dem Weg.
Lasse mich treiben.
Mir ist grad nicht nach Weltschmerz.
Drum setze ich ein Lachen auf. Anderswo und irgendwann geht es wieder trüber zu.
Aber nicht heute.
Nicht bei diesem Wetter!
Ein bisschen Landschaft in den Hintergrund.
Und mit einem Mal …
Habe ich das Bild nicht gerade vergoldet!
Eine falsche Farbwahl und schon scheint alles verdorben.
Nun bedarf es gewichtiger Maßnahmen!
Krasser Farbauftrag.
In diesem Moment beginnt es ein „Minutillo“ zu werden!
Meine Arbeit nimmt an Tempo auf.
Mir wird heiß.
Irgendwelches Sommerkleinvieh macht sich an meinem Körper zu schaffen.
Versuche die Plagegeister zu verjagen.
Erfolglos.
Beschmiert von oben bis unten …
Mit einem Mal taucht es wieder auf.
Das Lachende Gesicht.
Noch ist mir unklar mit wem oder über wen oder über was es lacht – dieses Gesicht.
Doch es gleicht einer Erlösung, dass es wieder auf dem Papier aufgetaucht ist.
Kraftvoller denn je.
Vielleicht lacht es aus Erleichterung über die Rettung.
Ich liebe sie, diese unkopierbaren Farbverläufe, die sich nur dann ergeben, wenn man sich selbst aufgibt.
Sich hingibt.
Einfach fließen lässt.
Mit dem Strom der Farben.
Nicht theoretisieren, sondern handeln.
Einzig vom Gefühl gelenkt.
Das ist meine Philosophie zur Kunst.
Minutillo-Art eben …
Der dunkle Grünton hilft mir, dem Ganzen Tiefe zu verleihen.
Emsig lasse ich den „alten Knochen“ über die Farbe huschen.
Die fliegenden Querulanten können mir nichts mehr anhaben.
Sie wollen beißen?
Es lässt sich sowieso nicht vermeiden …
Ab diesem Zeitpunkt ist es mir unmöglich, einzelne Arbeitsschritte festzuhalten.
Ich gleite hinüber und werde eins mit der lachenden Gestalt.
Plötzlich eröffnet sich mir der Grund für die Freude.
Ein zärtlicher Moment.
Sehr innig und voller Romantik.
Es ist die Liebe.
Die Leidenschaft.
Sie macht uns das Leben so wertvoll.
Ich gehe ein paar Schritte zurück.
Nehme Abstand.
Lasse mir Zeit.
Ja, genau so soll es aussehen.