Es hat wieder ein neuer Tag begonnen. Alltag. Ein Tag, an dem ich fast den ganzen Tag allein zu Hause bin. Es zieht mich hin zu meinen neuen Freunden. Einfach nur um meiner Einsamkeit zu entfliehen. Und ich nehme eine Flasche guten Wein mit.
Bernd würde dies bestimmt nie akzeptieren. Das wird wohl mein kleines Geheimnis bleiben. Solche Gedanken schwirren mir gerade durch den Kopf.
Schon von weitem sehe ich sie sitzen. Mein Schritt wird eiliger. Ich kann es kaum erwarten, dort hin zu kommen.
Walburga empfängt mich mit einem
eisigen Blick und wendet sich von mir ab. Was hat sie nur? Ist sie etwa nachtragend? Egal, ich stze mich einfach neben sie. Doch sie zeigt keine Reaktion.
"Was ist denn mit dir los?", versuche ich mich wieder bei ihr einzuschmeicheln.
"Weißte ganz jenau!", kommt es von ihr zurück und lässt mich aufhorchen.
Bevor ich etwas erwiedern kann, kommt es auch schon von ihr: "Vergraulst mir die janze Kundschaft." Sie schüttelt nur mit dem Kopf, mich noch immer nicht anschauend.
"Entschuldigung!", stammele ich leise vor mich hin, weil ich mich in meiner eigenen Haut nicht wohlfühle. Walburga schaut mich daraufhin nur düster
an.
"Das ist mir wirklich sehr, sehr peinlich.", beteuere ich und würde am liebsten vor ihr auf die Knie fallen.
"Wegen dein Weinjesaufe is das in harte Arbeit ausjeartet."
Harte Arbeit? Meine Gedanken wandern zu Eric und den gestrigen Tag.
"Wo ist denn der Bulle?", höre ich mich plötzlich fragen.
"Wer weiß, was der so an seinen freien Tagen treibt?", sagt da ein Feinling, den ich vorher hier noch nicht gesehen habe.
"Dit is Pauli. Unser Jüngster. Jerade von Urlaub zurück.", sagt jetzt Walburga, wieder etwas versöhnlicher.
Pauli, dieser Feinling, ist ein fescher
Bursche, mit Bürstenschnitt und voll und ganz in Markenklamotten gehüllt. Ein Verdacht keimt in mir auf. Fragend, wende ich meinen Blick, hin zu Walburga. Und sie scheint mich zu verstehen.
"Dit is der Jroße von Containerkalle. Kommt auch ab und zu in unsere Runde."
"Hab ichs mir doch gedacht."
"Wegen de Markenklamotten?", fragt sie und ich nicke einfach nur.
Dann schauen alle wie gebannt auf Paul, wie der fesche Bursche richtig heißt.
"Und wie war's da unten am See?", wollen sie nun von ihm wissen.
"Na wie Zelten nun mal ist!"
Alle schauen sich verwundert
an.
"Wie issen Zelten?", fragt Flaschenkarli, der gerade zu unseren Trupp dazugestoßen ist.
"Na schön mit Lagerfeuer, Gitarrenmusik und Lieder singen.", versuche ich die Situation zu retten und nun starren alle mich an.
"Du kennst Zelten?"
"Ja aus jungen Jahren, als noch kein Kind da war. In der Clique und später mit meinem Mann als wir noch Studenten waren.
"Du warst ma'n Student?"
"Ja."
Nun leuchten nicht nur Paul's Augen sondern auch die Meinen. Es gibt doch
nichts schöneres als in Erinnerungen zu schwelgen. So fachsimpeln wir noch eine ganze Weile über das Zelten und versetzten alle um uns herum in Staunen. Endlich erscheint auch der Bulle auf der Bildfläche. Fragend schaut er in die Runde.
"So ruhig hier? Ihr lästert doch wohl nicht über mich?", sein Blick durchboht mich, dass ich unweigerlich ein wenig in mich zusammenfalle. Unauffällig schüttele ich meinen Kopf.
"Wir Beide,", mein Blick wandert zu Paul, "haben uns gerade über das Zelten unterhalten."
Walburga empfängt ihn sogleich mit den Worten: "Warum kommste denn heute so
spät?"
Mit einem verschmitzten Lächeln in meine Richtung verkündet er: "Hab gestern einen harten Tag gehabt.
Und ich schaue verlegen nach unten.
"Haste die vorgestern jut ins Bett jekrischt?", fragt Walburga, mit einem Blick, der mich zu durchdringen scheint.
"Alles jut jegangen.", lächelt er mit seinen beiden, von seiner Schwester gestalteten, Schienen in die Runde und quetscht sich zwischen uns.
"Jerade wo wa uns wieder so jut vastehn.", meint Walburga fast weinerlich.
Da schnappt mich der Bulle und zerrt mich auf seinen
Schoß.
"Besser so?", fragt er an Walburga gewandt. Erstaunt schaut sie ihn an.
"Na nu isse doch näher dran." und er beginnt lauthals zu lachen.
"Is da was mit euch?", fragt Walburga erstaunt.
"Wieso?", sagt Eric und setzt mich mit einem Ruck zwischen sich und Walburga.
"Seitdem du da bist, scheint dies hier ein lustiges Trüppchen geworden zu sein.", sagt Paul und lächelt mich an.
Ich kann nur mit den Schultern zucken.
"Veränderungen inbegriffen.", schaut er den Bullen fragend an.
Eric, wie immer nicht auf den Mund gefallen, antwortet ihm: "Schöne Frauen,
schöne Männer."
Erstaunt wandert Paul sein Blick von Einem zum Anderen.
"Ist da einigen was entgangen?", fragt er in die Runde.
"Nö,", sagt Flaschenkarli, der inzwischen auch zu uns gestoßen ist, "uns fehlt nur jemand, der uns sone teuren Markenklammotten aus dem Container fischt."
Im ersten Moment, fällt Paul zwar die Kinnlade herunter, doch dann bricht er in ein schallendes Gelächter aus, was auf all die Anderen ansteckend wirkt. Lautes Gelächter erfüllt den ganzen Platz.
"Ma wat anderes!", unterbricht Flaschenkarli die gute
Stimmung.
Alle horchen auf und das Lachen verstummt.
"Heute Abend is ne Veranstaltung im Stadion. Da gibts morgen wieder ne Menge Flaschen zum sammeln. Wer hat'n Lust?"
"Wozu?", möchte Elsa interessiert wissen.
"Na zum Pullen sammeln."
"Wann soll es denn losgehen?"
"Um halb fünwe morgen früh. Und zwar hier."
"So früh?"
"Kriegst woh so früh de Ojen nich uff.
"Quatsch."
"Später gibts nur noch die
Krümel."
"Wie?"
"Na frühs findeste Säckeweise, später musste picken."
"Und Merle?"
"Wer isn dit?"
"Meine Tochter.
"Ne Lütte?"
"Kommt in ein paar Wochen zur Schule."
"Ah, eh die wach wird, biste schon wieder da."
"Um sieben kommt mein Mann, um sie zum Kindergarten abzuholen!"
"Hat der keenen Schlüssel?"
"Doch, aber bis dahin muss sie fertig und der Frühstückstisch gedeckt sein."
"So geht es also zu bei de feinen
Pinkels."
"Wieso?"
"Schon jut. Dann eben beim nächsten Ma."
Ich merke wie der Bulle sich total verspannt und tief durchatmet. Ich weiß genau was er denkt. Die Gedanken daran, lassen meinen Blick verschämt nach unten wandern. Ein leises Zischen dringt durch seine Zähne. Was soll das bedeuten? Bin ich ihm Rechenschaft schuldig, weil wir eine Nacht und einen Tag zusammen verbracht haben? Und dann pasiert es schon! Das Zischen verwandelt sich in Laute, die Laute in Worte und dann sprudeln ganze Sätze aus
seinem Mund. Böse Sätze dringen an mein Ohr.
"Ich weiß wie es ist, wenn Frauen einen nach der Scheidung ausnehmen."
Er holt tief Luft um gleich weiter zu reden.
"Dein Mann würde sich sicher freuen, wenn du etwas zum Leben beisteuerst."
Dieser Ton lässt mich erschaudern.
Meint er das ernst? Wütend schaue ich ihn an.
"Sag nichts! Ihr seid doch alle gleich."
Er sitzt neben mir, die Arme auf die Sitzbank gestützt, die Muskeln zum Bersten gespannt. Selbst sein Gesicht ist zu einer Fratze verzerrt. Was wird er wohl erlebt haben, dass ihn so
aufbrausen lässt. Am liebsten würde ich ihn tröstend in den Arm nehmen, aber ich wage es mir nicht. Die Kälte, welche er gerade ausstrahlt, ergreift den ganzen Platz. Langsam erhebt er sich und geht einfach so fort, ohne mich eines Blickes zu würdigen. Mein Herz verkrampft sich, doch ich wage mir noch immer nicht, ihm etwas hinterher zu rufen. Schweigend geht er die Straße entlang, betrübt, schweren Schrittes, mit wehendem Mantel. und schaut sich nicht einmal um. Die Kälte, die sich hier gerade ausbreitet, ergreift nich nur mich, sondern auch all die anderen. Die gute Stimmung die bisher herrschte, verfliegt im
Raum.
"Keene Angst Mäken, der holt bestimmt nur Nachschub.", meint Walburga und nimmt mich tröstend in den Arm. Auch sie muss es bald einsehen. Er kommt nicht zurück. Auch wir Anderen lösen uns bald auf.
Traurig gehe ich meines Weges. Als ich meine Wohnungstür öffne ist alles wieder so anders. Bisher habe ich keinen Schluck getrunken. Doch jetzt, wo die Einsamkeit wieder um sich greift, giert es mir nach einem Schluck guten Weines. Es bleibt nicht mehr viel Zeit. Beim trinken, denke ich über die Unterhaltung nach und komme zu dem Schluss, es doch
mal zu versuchen. Und irgendwie ergreift mich eine Woge des Glücks, als ich an Eric denke. Oder liegt es am Getränk?Dann kommen sie auch schon, mein Mann Bernd und Merle. Ungenießbar empfange ich sie, mit einem Auge zu meinem guten Trunk schielend. Bernd verabschiedet sich gleich wieder und verschwindet. Vielleicht weil in ihm schon wieder die Wut aufsteigt, weil er die Flasche auch gleich mit einem missbilligenden Blick erhascht Ein paar Schlucke für mich und ein schöner gemeinsamer Abend mit Merle. Wir gehen gemeinsam zu Bett. Früh - für mich sehr früh. Ich lese Merle ihre Lieblings-Gute-Nacht-Geschichte vor
und als sie eingeschlafen ist, stelle ich meinen Wecker auf 4 Uhr. Viel zu früh zum Aufstehen. Aber ich will ihn, Eric, gütlich stimmen und zurückge
winnen
Erbarmungslos schrillt es in meinem Kopf. Ich drücke mir einen Kissenzipfel auf mein Ohr. Das andere ist ja bedeckt. Keine Chance. Es schrillt weiter. Ich bekomme meine Augen kaum auf und schiele auf meinen Wecker. 4 Uhr. Mürrisch krieche ich aus meinem Bett. Appetit habe ich noch keinen. Daher führt mich mein Weg gleich ins Bad. Duschen - Zähne putzen - ein dezentes Make Up. Dann kanns auch schon los gehen.
Mit meinem dünnen Sommerjäckchen und meinem schwingenden Sommerrock, verfalle ich in eine Schockstarre, als ich
vor die Tür trete. Herje, wie frisch es doch so früh am Morgen ist. Mutig stackele ich auf meinen Absätzen in Richtung Spielplatz. 3 weitere Personen, die ich nicht kenne, warten dort schon. Etwa auch auf Flaschenkarli?
Dann kommt er auch schon, der Flaschenkarli. Argwöhnisch mustert er mich.
"Wo wist'n du'n hin?"
"Na zum Flaschen sammeln."
"Meinste, die Pullen kommen freiwillich zu dir, bei deinem Uffzug?"
Es dämmert gerade und keiner kann sehen, das mir eine zaghafte Röte über mein Gesicht huscht.
"Wo wiste denn die Pullen
reintun?"
Zaghaft zaubere ich aus den Taschen meines Rockes zwei Plastetüten und Flaschenkarli prustet laut los.
"Hast so gar keine Ahnung was da auf dich zukommt, wa?"
Ich schüttele mit dem Kopf.
"Mit diese Ausstattung kannste och um elfe gehen."
Mit großen Augen starre ich ihn an.
"Dit brauchste dafür!" und Flaschenkarli zaubert eine Rolle mit blauen Säcken hervor.
"Na dann wolln wer ma los."
Karli führt unseren Tross an. Mit lautem Palaber geht es Richtung Stadion. Wenn ich gewusst hätte wie weit es ist, hätte
ich das nicht auf mich genommen.
Meine Füße schmerzen noch bevor wir unser Ziel erreicht haben.
Karli schaut mich mitleidig an und kann sich ein "Siehste, das habe ich damit gemeint." nicht verkneifen.
Tapfer tippele ich hinter dem Tross hinterher.
"Zurück nehm wa den Bus.", meint Flaschenkarli, zurückgewendet, zu mir.
"Seit wannen das?", fragt einer der mir Unbekannten.
"Seit heute." schmunzelt Flaschenkarli in meine Richtung.
"Wat solln denn die Leute denken?"
"Is mir doch ejal."
"Biste in die
valiebt?"
"Oder was?", fragt noch ein Anderer.
"Würd ich mir nie wagen."
"Zu fein für dich?"
"Nee, hängt schon'n anderer dran."
"Muss ja'n besonderes Exemplar sein,
das Anhängsel, wenn de extra mit'n Bus fahrn willst."
"Ma'n bisschen imponieren, wa?", fügt nun der Erste hinzu.
"Wohl'n bisschen neidisch, wa?", fragt Flaschenkarli zurück.
"Ich wüßte nich was ich tu.", mustert mich Nummer eins eindringlich von oben bis unten.
"Wie meinst'n das?"
"Anhängsel sind mir da schnuppe.",
meint Nummer zwei.
Das bringt bei mir das Fass zum überlaufen. Und ich stehe zwischen den drei Streithähnen und weiß nicht was ich tun soll. Ich atme tief ein und aus und schreie in die Runde: "Jetzt ist aber Schluss, sonst sind wir um elf erst da und dann reichen meine paar Taschen." Hui, ich habe meine Topform wieder gefunden und stackele allen voran geradeaus, ohne zu wissen wohin. Dann holt mich auch schon Flaschenkarli ein.
"Was'n los?", fagt er mich. Ich glaub im vollen Ernst.
"Was los ist?", schnauze ich ihn an. Und er schaut mich verdattert an. Solche
Züge kennt er wohl nicht an mir. Aber ich fühlte mich in dem Moment so allein und naja... Nicht ein Schluck zu trinken in meiner Nähe. Das lässt mich immer so aufbrausen.
"Weißt du, wie man sich als Frau, bei solchen Männergesprächen fühlt?"
"Nee. Verrat es mir!"
"Einfach nur elendig"
"Wieso'n das? Is doch schön wenn man so begehrenswert ist."
"Findest du?"
"Ja"
"So etwas ist einfach nur peinlich, vorallem wenn man von zwei Typen von oben bis unten gemustert wird."
"Nu hab dich ma nich so. Sind halt
Männer und die ticken ein bisschen anders als ihr Frauen."
Ich schaue ihn missbilligend an.
"Is ja jut.", dann umärmelt mich Flaschenkarli tröstend.
Das kann ich ja nun gar nicht ab und werfe wütend meinen Kopf in den Nacken und lasse meinen Schritt noch schneller werden. Nun hasten wir gemeinsam zum Stadion. Und Flaschenkarli seine Augen beginnen immer mehr zu leuchten. Dieses Leuchten verschwindet abrupt aus seinen Augen, als er schon einige vollgesammelte Plastesäcke am Zaun stehen sieht.
"Nu aber hinne. Sind schon einige am
werkeln."
Dann stürmen wir auch schon das Stadion, unter der Bewachung einger bulliger Kerle. Flaschenkarli reicht mir einen blauen Sack und ich starre den nur an.
"Der is nich zum kucken da, der is zum vollsammeln!", ruft er mir entgegen, sich immerwähren bückend.
"Immer schön nach unten kucken, die fliejen nich inne Luft rum.", mischt sich noch Nummer eins ein, dann saust auch er gebückt an mir vorbei.
"Jeh ma noch ne Reihe unter mir, die oberen sind schon abgegrast.", brüllt Nummer zwei mir entgegen und ich tu wie mir geheißen. Und weiß doch noch
nicht so recht was ich tun soll.
"Mach ma Platz hier und halt nich den janzen Verkehr uff.", motzt mich nun auch noch ein mir völlig Fremder an.
Ich krieche noch eine Reihe tiefer und lasse meinen Blick über den Boden schleifen und siehe da, auch mein Sack füllt sich allmälich mit vielen kleinen und auch großen Plasteflaschen.
"Komm Elsa, es ist viertelsieben. Wir müssen zurück."
"Hast du schön genug gesammelt?"
"Tut nichts zur Sache!"
"Aber..."
"Nichts aber, ich bring dich nach Hause und eile wieder her."
"Na dann."
Und schon eilen wir zum Bus. Verlegen trete ich von einem Fuß auf den anderen und wage es mir nicht meinen Blick aufzurichten. Die Leute, die an der Haltestelle stehen und die an dieser vorbeieilen, mustern uns mit verächtlichen Blicken. Wie wir da stehen mit unseren gut gefüllten blauen Säcken. Flaschenkarli schleppt drei und ich meinen einen. Wie hat er das nur geschafft?. Endlich - endlich kommt der Bus und wir zwängen uns mit unserem Gepäck hinein. Ich schaue nach unten, mich vor den Blicken der Mitfahrer versteckend. Flaschenkarli ist stolz auf seine Ausbeute und sitzt erhobenen
Hauptes neben mir.
Zehn Minuten später erreichen wir gemeinsam unser Ziel und ich haste, noch immer verschämt, aus dem Bus und auf direktem Weg nach Hause.
Als ich die Tür öffne, steht Merle,wie ein kleines Gespenst, in ihrem weißen Hemdchen, mit total verweinten Augen vor mir.
"Wo warst du?", spricht sie schluchzend und kaum hörbar zu mir und die Tränen kullern ihr über das Gesicht.
Wütend über mich selbst, werfe ich den Sack mit samt den Flaschen in die nächste Ecke und eile auf Merle zu.
"Mami war ein bisschen Geld
verdienen.", sage ich und nehm sie tröstend in den Arm. Noch immer schluchzend liegt sie an mich gekuschelt und scheint sich langsam zu beruhigen und ich werde von einer Angst befangen, die ich so nie kannte. Die Angst mein Kind allein gelassen zu haben - oder mehr die Angst vor meinem Mann und seinen Vorwürfen. Und ich denke an Eric. Nun weinen wir beide.
Es klingelt. Bernd schrillt es durch meinen Kopf. Dann stehe ich auf und öffne die Tür. Erstaunt schaut er uns beide an. So wie wir verheult und zusammengesunken vor ihm stehen. Bei seinem Anblick beginnt sich Merles Gesicht zu erhellen.
"Papa, weißt du was?"
"Nein, mein Schatz."
Geht denn das schon wieder los, mit dem geschatze. Ich verdrehe meine Augen aber er nimmt keine Notiz von mir.
"Heute Morgen als ich aufgewacht bin, da war ich ganz allein."
"Wie, ganz allein?" Seine Augen weiten sich bei der Frage.
"Ich konnte Mama nicht finden und habe hier auf sie gewartet.
Jetzt nimmt er endlich Notiz von mir und schaut mich wütend an.
"Sei doch nicht böse Papi! Mami war doch nur Geld verdienen."
"Geld verdienen?", schaut er mich fragend an und ich strahle ihn
an.
Jetzt herrscht plötzlich ein anderer Ton. Der Ton, den er bei Gesprächen mit mir verwendet. Gleich wieder auf Konfrontation.
"Ja, Geld verdienen!"
"Wie denn?"
"Gestern war Veranstaltung im Stadion..." Verdutzt schaut er mich an.
"... da hat mich heute ein guter Freund zum Flaschensammeln mitgenommen."
"Zum Flaschen sammeln?" Er schaut mich an und ich schäme mich genau so, wie vorhin im Bus. Ich nicke einfach nur schweigend.
"Etwa mit dem Penner, der dir den Schnapps geschenkt hat?", brüllt er mich
jetzt ungehalten an. Ist er etwa eifersüchtig? Ich kann keinen klaren Gedanken fassen und breche wieder in Tränen aus.
Laut schluchzend schreie ich ihn an.
"Eric ist kein Penner."
"Ein Eric löst mich also ab.", fragt er leise, seinen Blick zum Boden gerichtet.
"Du hast mich doch verlassen, dann spiel hier nicht den Eifersüchtigen.", brülle ich jetzt völlig aufgelöst. Und Merle wie immer zwischen uns.
"Ich habe halt neue Freunde gesucht und gefunden."
"Freunde die Flaschen sammeln und Schnapps verschenken.", sagt er, lacht lauthals sein Hahaha und rauft sich
nervös die Haare. "Womit hab ich das nur verdient?"
"Indem du mich für eine andere Frau verlassen hast!" Ich merke wie seine Augenwinkel sich mit Flüssigkeit füllen. Er schaut mich mit glasigen Augen an. Seine Augen verengen sich. Es funkelt mich etwas aus diesen Schlitzen an. Wie soll ich es nennen? Blanke Wut! Warum nur kann er die Wahrheit nicht ertragen? Vor Wut läuft er zu Höchstform auf.
"Und wer hat mich dazu getrieben?"
"Ich sicher nicht."
Er winkt nur ab, schüttelt mit dem Kopf, sagt nichts mehr und dann geht alles ganz schnell.
Frühstück - fertig machen -
verschwinden von Mann und Kind
Dann bin ich wieder allein. Allein mit mir und meiner Einsamkeit. Ich bekomme Durst. Meine letzte Flasche Wein. Als die geschafft ist, falle ich müde ins Bett und schlafe - schlafe - schlafe.
Als ich wieder aufwache, fühle ich mich echt schlapp. Nur mühsam kann ich meine Lieder öffnen. So elendig fühle ich mich. Ich quäle mich aus dem Bett, mache mich fertig und begebe mich auf den Weg zum Einkauf. Wieder diese vollen Regale und ich bin so müde. Ich packe wahllos Wein, für mich, in den Korb. Für Merle gibt es Milchbrötchen, Nutella, Schokoladenpudding, Rote
Grütze und Milch. Ich brauche schnelle Nahrung für sie, wenn sie mal wieder allein auf sich gestellt ist und ich unpässlich bin. Ich selbst habe nur selten Appetit. An der Kasse erschrecke ich mich und die utopische Summe, die ich gerade zahlen musste, klingt noch eine Weile in meinen Ohren nach. Mit der schweren Last schleiche ich nach Hause und lasse mich auf einen Küchenstuhl fallen.
Ich bin nicht im Stande noch etwas zu erledigen, fühle mich zu schwach, für irgendwelche Arbeiten. Das Ausräumen kann warten. Noch eine Stunde Zeit bis Merle nach Hause kommt. Meine Stimme drängt mich zu dem Schubfach mit dem
Korkenzieher. Plötzlich bewege ich ich schnellen Schrittes bis dort hin, nehme den Korkenzieher aus dem Schubfach und suche eine schöne Flasche Wein aus, die ich auch sofort öffne. Genüsslich lasse ich den Wein meine Kehle hinabrinnen. Das tut so gut und ich fühle wie die Kräfte in mich zurückkehren. Nachdem ich eine halbe Flasche geleert habe, fühle ich mich fit genug und beginne meine Beutel auszuräumen. Schnell noch ein paar sichere Verstecke für meinen Wein suchen und dann ist es auch schon soweit - mein Mann und Merle betreten die Bildfläche.
Mürrisch beäugt er wieder meine Flasche Wein, sagt aber nichts. Womit eröffne
nur ich das Gespräch, um ihn nicht wieder böse zu stimmen. Ich breite meine Arme aus und rufe: "Hallo, schön das ihr wieder da seit."
"Hallo Mami" und sie kommt auf mich zugelaufen. Nur er beäugt mich immer noch skeptisch. Er merkt wohl, was mit mir los ist und scheint die Promille, welche gerade durch mein Blut rauschen auszurechnen.
"Ich habe eben mit Papi eingekauft."
"Was denn?"
"Brause, Wurst, Butter, Brot und Milch."
"Oh! Mami hat auch für dich eingekauft"
"Was denn?", möchte Merle nun von mir wissen.
"Milchbrötchen, Nutella, Milch,
Schokoladenpudding und Rote Grütze." Mit großen Augen schaut er mich an und schüttelt mit dem Kopf. Kein Wort kommt über seine Lippen, selbst da nicht, als er seinen Eingekauf, im Kühlschrank verstauen will. Minutenlang scheint er den Inhalt zu mustern, ehe er seinen Einkauf darin verstaut. Als er die Tür schließt atmet er tief durch. Er will wohl keinen Streit anfangen. Jedenfalls nicht vor Merle. Er dreht sich wutentbrannt zu mir um und sagt einfach kein Wort - seine Hände ballt er zu Fäusten. Er nimmt große Schritte aus der Küche hinaus und will einfach so verschwinden. Ich haste ihm nach.
"Was ist denn nun schon wieder
los?"
"Was los ist?" Er zeigt die selbe Geste wie in letzter Zeit iimmer wieder. Er fährt sich mit seinen Händen durchs Haar.
"Ja", schaue ich ihn fragend an.
"Schau mal in deinen Kühlschrank"
"Nur süßes für Merle"
"Das mag sie eben!"
"Es kann sein das sie es mag, aber ich glaube, es ist mehr der Aspekt, dass du keine Lust hast, dich um dein Kind zu kümmern"
"Wie kommst du denn darauf?"
"Nur schnelle Mahlzeiten. Sicherlich für die Zeiten in denen du unpässlich bist."
Woher weiß Bernd das
nur?
"Und was isst du?", will er nun von mir wissen. Ich zucke nur mit den Schultern.
"Ich hab nicht so einen richtigen Appetit in der letzten Zeit. Muss erst einmal alles verdauen, was da auf mich niedergeprasselt ist.", sage ich mit gesenktem Blick. Darauf erwiedert er nichts, schaut mich nur hilflos an. Dann reißt er die Tür auf, dreht sich zu mir um und sagt: "Morgen früh bringe ich euch Obst und Gemüse mit.", dreht sich um und geht einfach so und lässt die Tür mit einem lauten Rums hinter sich zufallen. Verschreckt schaue ich in die Ecke, wo ich heute morgen meinen Sack mit den Flaschen abgestellt habe. Er steht noch
immer dort. Wieviel weniger hätte ich heute wohl an der Kasse weniger bezahlt?
Heute mache ich mit Merle einen schönen Spielnachmittag. Wir beide genießen diesen Tag. Dann gehen wir beide zu Bett, ich lese Merle eine Geschichte vor. Während dessen schlafe ich ein, schlafe tief und fest - wie ein Stein