Am nächsten Tag kam Miku wieder. Sie trug das Tablet mit Essen, doch dieses Mal stellte sie es nicht vor dem Haus ab, sondern ging weiter zum Eingang und öffnete die Tür. Ich hatte in der Dunkelheit auf sie gewartet. Sie gestern erkämpfte sich auch dieses Mal das Licht einen Teil des Eingangsbereiches. Miku stellte das Tablet auf den Boden ab und sah sich um. Nachdem die Männer das Haus restauriert hatte, hatte ich sämtliche Fenster mit Vorhängen verschlossen. Miku ging zu dem Fenster links neben der Tür und zog die
Vorhänge zur Seite. Dasselbe tat sie mit dem rechten Fenster. Mehr Licht fiel in den Raum und ich musste mich weiter in die Dunkelheit zurückziehen. Miku musste meine Schritte gehört haben, denn sie sah wieder herauf. Ich stand am Anfang des Flures, der zu meinem Zimmer führte. Hier herrschte noch die Dunkelheit. „Hallo? Ist hier jemand?“, rief Miku in die Stille und ich hörte, wie sie die Treppe hoch kam. Ich ging weiter den Flur entlang, darauf bedacht, keinen Laut von mir zu geben. Als das Mädchen am oberen Ende der Treppe angekommen war, sah sie erst nach rechts, dann nach links in den dunklen Flur. Dann ging sie geradezu in
den Salon. Kurz darauf kam sie wieder heraus und kam auf den dunklen Flur zu. Ich war in der Zeit weiter zurück und in mein Zimmer geschlichen. Jedes Mal, wenn ich Yuki´s Bett sah, traf mich die Erinnerung mit einem Stich ins Herz. Auch dieses Mal, doch ich durfte jetzt nicht abgelenkt sein. Ich ließ mich von der Dunkelheit verhüllen, sodass, selbst wenn sie das Fenster öffnete, sie mich nicht sehen würde. Kurz darauf öffnete sie die Tür zu meinem Zimmer und trat ein. Sie tastete sich vorwärts, bis sie das Fenster gefunden hatte und zog die Vorhänge zur Seite. Licht flutete den Raum, doch ich blieb unentdeckt. Miku sah sich im Raum
um, da entdeckte sie Yuki´s Bett. Sie schien zu wissen, was hier geschehen war und welche Bedeutung das Bett hatte. Sie trat vor das Möbelstück und stricht vorsichtig über die verkohlte Decke. Ich fühlte, wie Hass in mir aufstieg. Niemand durfte Yuki oder seinem Eigentum zu nahe kommen. Ich hatte sie hier geduldet, doch nun hatte sie eine Grenze überschritten. Ich trag aus dem Schutz der Dunkelheit und setzte lautlos einen Fuß vor den Anderen, bis ich direkt hinter ihr stand. Dabei achtete ich darauf, dass sie mein Schatten nicht sehen würde. Egal, was sie nun tat, es würde ihr nicht helfen. Ich zog das Katana aus der Scheide an
meiner Hüfte. Das metallische Geräusch ließ Miku herumfahren. Als sie mich sah weiteten sich ihre Augen vor Angst. Sie hatte mich erkannt und sie wollte schreien. Doch ich lief sie nicht. Bevor sie auch nur daran denken konnte, um Hilfe zu schreien, fuhr mein Katana auf sie herab und drang in ihr Fleisch ein. Ich durchtrennte wichtige Venen und das Mädchen viel leblos zu Boden. Etwas von ihrem Blut war auf mein Gesicht gespritzt. Ich wischte es mit einer Fingerspitze an und kostete es. Mein Herz setzte einen Schlag lang aus. Etwas in mir war erwacht und mit jedem Herzschlag wurde es stärker. Es schrie immer und immer lauter. Erst verstand
ich die Worte nicht, doch sie wurden mit jedem Mal klarer: ハス死の運命! Hass, Tod, Verderben! Ich hatte es schon einmal gespürt. Damals, als diese Männer Takumi ermordet hatten. Es war das Verlangen von Blut. Und das Verlangen nach Tod. Ich ging aus dem Raum und den Flur hinunter zu dem Schlafzimmer meiner Eltern. Mit einem schleifenden Geräusch öffnete ich die hölzerne Schiebetür, die den Raum vom Flur trennte. Langsam und in aller Ruhe durchschritt ich den Raum. Ich setzte mich vor den Spiegel, der durch geschnitzte Drachen an der Kommode meiner Mutter befestigt war. In einer Schublade lag Mutters kostbarer
Silberkamm. Er war mit Kirschblüten aus Rosenquarz verziert. Ich nahm in und kämmte mit ihm meine langen schwarzen mit roten Strähnen durchzogenen Haare zu kämmen. Die ganze Zeit über hatte ich meine Augen geschlossen. Nun öffnete ich sie und sah meinem Spiegelbild entgegen. Die Haare fielen mir bis zur Hüfte. Haori und Hakama waren straff gebunden. Doch dann sah ich, dass alles von Blutspritzern überzogen war. Als ich in mein Gesicht sah, erschrak ich. Doch es war nicht das Blut, das mich so sehr erschrak, sondern meine Augen. Es waren nicht mehr die Augen eines Menschen, es waren die eines Dämons.
Der Augapfel hatte sich pechschwarz verfärbt und anstatt der braunen Iris zog sich ein glühend roter Ring durch meine Augen. Was war geschehen? War es etwa so, wenn man zu einem Dämon wurde? War ich nun auf ewig verdammt, ein Dämon zu sein? Mein Kopf drohte zusammenzubrechen, so viele Fragen schwirrten in ihm umher. Ich sah auf meine Hände, dann wieder zum Spiegel. Sie hatten sich nicht verändert. Mir fiel der Satz ein, der in meinen Gedanken gestanden stand hatte, während ich es getan hatte: ハス死の運命! Hass, Tod, Verderben! Hatte ich damit einen Dämon heraufbeschworen? Einen Dämon der Finsternis? Ich wusste keine Antwort auf
die Fragen, was dieser eine Satz in mir ausgelöst oder warum mir das Töten so gefallen hatte.
„Verdammt! Es muss hier doch irgendwo einen Ausgang geben!“, fluchte Yuki und öffnete jede Tür, in der Hoffnung sie führe nach draußen. Doch entweder führten sie in andere Räume oder zum Innenhof, wo sich jedes Mal die Szene von den zwei Jungen und der jungen Frau abspielte. Das konnte doch nur ein schlechter Scherz sein. Was war dieser Ort? Und warum kam Yuki hier nicht raus? Verzweifelt setzte sich der 17 – jährige in die Mitte des Raumes in dem er
aufgewacht war. Er sog die Luft ein und versuchte sich zu erinnern, wie er hierhergekommen war. Er hatte antworten gewollt, auf die Frage, wer er war und war nach Kyoto gegangen. Dort war er zu einem Schrein gegangen und einer Katze über einen verborgenen Weg gefolgt. Dann ist er vor diesem Schrein gewesen, wo ein Schatten auf ihn gewartet hatte. Sie waren rein gegangen und Yuki war bewusstlos geworden. Dann war er hier, in dieser anderen Zeit. „Hallo? Hey, du von vorhin! Warum bin ich hier? Was ist das hier für ein Ort?“, rief Yuki in das Dämmerlicht des Raumes. Plötzlich entflammten die zwei großen Kerzen und als die Dunkelheit
sich langsam zurückzog, gab sie den Altar und einen Schatten davor frei. Yuki schrak zurück. Es war der Schatten, der mit ihm gesprochen hatte, bevor er Ohnmächtig worden war. „Was soll das hier? Wo bin ich und warum kann ich nicht zurück?“, fragte Yuki und scheiterte an dem Versuch, sicher zu klingen. Der Schatten bewegte sich langsam und lautlos auf ihn zu und Yuki bemerkte, dass er dabei immer wieder dieselben Worte sang: Nennen korori yo, okorori yo. Bōya wa yoi ko da, nenne shina. Nenne no omori wa, doko e itta. Ano yama koete, sato e itta. Sato no miyage ni, nani morota. Denden daiko ni, shō no
fue. Okyāgari koboshi ni, furi tsuzumi. Okyāgari koboshi ni, furi tsuzumi. Je näher der Schatten kam, unheimlicher wurde es dem 17 – jährigen. Yuki wich zurück, er wollte die Tür aufreißen und weglaufen, doch sie war verschlossen. Panik breitete sich in ihm aus und er hatte Mühe diese nicht ausbrechen zu lassen. Der 17 – jährige drehte sich um, um zu sehen wo der Schatten war und er schrak zusammen, denn der Fremde stand so dicht vor ihm, dass Yuki sein Atem spüren konnte. Nun war das Gesicht des Schattens überhaupt nicht mehr verschleiert, sondern glasklar zu erkennen. Ein vernarbtes, verbranntes von Wut und Hass zerfressenes Gesicht.
Dass das schockierenste waren die Augen, denn der Augapfel war Pech schwarz und die Iris blutrot. Yuki wollte schreien, doch es ging nicht. Es schien, als hätte der Gesang eines Gegenübers seine Stimme gefangen. Schlagartig hörte Yuki´s Gegenüber auf zu singen. Das Herz des Teenagers schlug immer schneller und Yuki bekam keine Luft mehr. Wieso war diese Gestalt blutverschmiert? „Dort hat man mir Unrechtes angetan. Dort soll Furcht, Schuld und schlechtes Blut sein. Dort soll Unterwerfung und kein Mitleid sein. Dich soll die Furcht blind machen. Erblindet durch Schmerz. Verflucht durch mich“, schrie der andere Yuki an
und der 17- jährige wurde gegen die Tür hinter sich geschleudert, welche unter seinem Gewicht zusammenbrach und Yuki fiel bewusstlos zu Boden. Sein Kopf schlug hart auf dem Holzfußboden auf und eine kleine Blutlache bildete sich um seinen Kopf.