Sie saß auf dem staubigen Dachboden und atmete die alte Luft ein. Sie brauchte einen Ort, der es ihr möglich machte die Zeit und ihre Veränderungen für eine Weile zu vergessen. Einen Ort, der sich versteckte , um von den vielen Menschen fernzubleiben. Doch selbst hier war die Zeit zugange. Sie nagte in Form von Käfern an den vergilbten, längst vergessenen Kartons und legte alles unter eine fingerdicke Staubschicht. Alles war zwar still, aber sie selbst trug die Zeit in sich! Mit jedem Atemzug tickte ihre Uhr und Millionen Zellen teilten
sich. Es war also sinnlos! Seufzend stand Mailin auf und klopfte ihre Kleidung vom Staub ab. Dann nahm sie ihre Tüten in beide Hände und schaute sich ein letztes Mal um. Winzige Staubteilchen glänzten in der Sonne, wirbelten durch den Raum und verschwanden im Schatten. Licht und Schatten. Ihr Blick wanderte zu dem Kinderwagen, dann weiter zu ihrem uralten Keyboard. „ Du musst die bevorstehenden Veränderungen akzeptieren, sonst tust du dir selber nur weh . Ich hole die Sachen hier später ab und bring sie auf den Schrottplatz. Jetzt komm bitte runter, wir wollen uns unser neues Zuhause genauer anschauen.“
Mailin zuckte zusammen und drehte sich dann zur Luke um. Dort sah man nur den Kopf ihrer Mutter. Als sie dem mitleidigen Ausdruck in ihren silbrigen Augen begegnete, wurde Mailin wütend:„ Du hast doch keine Ahnung!“ Die erschöpft aussehende Frau seufzte ergeben.
„ Aber in fünf Minuten bist du bitte unten.“ Damit verschwand der Kopf. Mailin versuchte wieder in Erinnerungen einzutauchen, aber es gelang ihr kein bisschen mehr. Traurig verließ sie den Dachboden.
Das Auto parkte vor einer Einfahrt, von der aus ein Kiesweg zum Hauseingang führte. Dort stand bereits eine mittelgroße Frau auf grünem Rasen, die ihnen freundlich zuwinkte. „ Hallo Doreen!“ , begrüßte Mailins Mutter die schlanke Frau mit den dauergewellten, blonden Haaren. „ Schön, dass ihr gekommen seid, Katherine !“, erwiderte sie lächelnd. Hinter ihren Brillengläsern lagen zwei wachsame Augen, die Mailin kurz musterten. Als Mailins Mutter dies mitbekam, sagte sie entschuldigend: „Entschuldige, dass ich sie dir noch gar nicht vorgestellt habe: Das ist meine
sechzehnjährige Tochter Mailin. Sie ist ein sehr sensibles Mädchen. Deshalb wollte sie bei der ersten Hausbesichtigung damals auch nicht dabei sein…“. Mailin war der kurzen Unterhaltung aufmerksam gefolgt. Sie ging hinter den zwei Frauen in ihr neues Zuhause. Als sie im Flur stand, wurde sie beinahe von dem starken Gelb geblendet, das zur Nachmittagszeit die Sonnenstrahlen aufzufangen schien. Der Empfangsraum glühte förmlich und sie musste einige Male blinzeln, um sich
zurechtzufinden. Verträumt betrachtete sie den Garten, den man vom Flur über das Wohnzimmer durch die Terrassentür betrachten konnte. Auch die früheren
Besitzer mussten warme Töne und farbenfrohe Pflanzen geliebt haben, denn auf der Terrasse standen noch diverse schmutzige Keramiktöpfe, in denen buntes Unkraut wuchs. Sie wollte dorthin und das warme Gras zwischen ihren Zehen spüren. Dort wo alles so friedlich schien, es aber eigentlich bei genauerer Betrachtung gar nicht war.
Sie öffnete die Terrassentür und zog ihre Schuhe und Strümpfe aus. Anschließend betrat sie die Grasfläche und schaute sich um. Die Sonne schien direkt auf ihr Gesicht, sodass sie den Rasensprenger des Nachbarn nicht rechtzeitig sehen und wegen eines Bohrers, dessen
nervtötendes Brummen aus irgendeinem der nahegelegenen Nachbarhäuser kam, nicht
hören konnte. Ehe das Mädchen die volle Situation wahrnahm, war sie von Kopf bis Fuß so
nass, dass ihre Kleidung sich mit Wasser vollsog und ihr an der Haut klebte. Ratlos ging sie
auf die Terrasse zurück und schaute durch das Fenster. Durch das Glas konnte sie nur das leere Wohnzimmer erkennen. Von ihrer Mutter war jedoch nichts zu sehen. Anscheinend hatten sie und Doreen Brady sich mit einem Eiscafé in irgendein Schlafzimmer zurückgezogen und beratschlagten
gerade die Einrichtung. Vor fast zwei Monaten hatte ihre Mutter die linke Wohnung eines Zweifamilienhauses gekauft und war seitdem mit den Umzugsmaßnahmen beschäftigt. Ihr voriges Haus wurde an einen Unternehmer verkauft,
der ganz bestimmte Pläne mit ihm hatte. Da es ihrer Mutter in solchen entscheidenden Dingen, wie die Bestimmung des zukünftigen Wohnortes, nicht auf ihre Meinung ankam,
hatte Mailin sich von Anfang an aus der Sache herausgehalten. Sie würde ihr neues
Zuhause spätestens dann zu Gesicht bekommen müssen, wenn der
Kaufvertrag abgeschlossen war. Nun war der Zeitpunkt gekommen. Ihr Problem war nicht sich in ihre neue Umgebung einzufinden, sondern ihr altes Leben hinter sich zu lassen, so wie es sich ihre Mutter vorgenommen hatte. Aber sie wollte es nicht ! Jedes Mal musste sie an die alte Eiche denken, die sie als kleines Mädchen jeden Tag emporgeklettert war, um aus der hohen Baumkrone weit entfernten Orte zu betrachten. Ihr fiel es auch schwer sich von dem alten Dachboden zu trennen, auf dem sie saß, wenn sie Zeit zum Nachdenken benötigte. Diese charakteristischen Orte gab es nirgendwo ein zweites Mal und bald
würde sie sich dort nicht mehr aufhalten dürfen. Vielleicht würde der Unternehmer mit einer jungen Familie dort einziehen und sie würden alles so verändern, dass es nicht mehr im Geringsten ihrem früheren Zuhause glich. Mailin fing an wütend zu werden. Überall in ihrer momentanen Situation tauchte das Wort Veränderung auf. Wie sie es hasste, dass nichts im Leben
wirklich greifbar war. Alles glitt einem früher oder später aus den Händen.
Nun erblickte sie durch das Fenster ihre Mutter, die kopfschüttelnd auf sie zugelaufen kam. Beschämt schaute sie sich um und kam dann auf die Terrasse: „ Mailin, was soll das denn?!“ Mit einer
schweifenden Handbewegung meinte sie ihre vom Wasser durchnässten Sachen. „Bist du ganz plötzlich unter einen Wolkenbruch geraten?!“ Sie verdrehte die Augen. „ Mum …“ In diesem Moment durchzog die verschlafene Siedlung ein lautes Auflachen. Vor ihr im Flur stand Misses Brady. Während die Situation ihrer Mutter sichtlich unangenehm war, konnte Doreen Brady nicht mehr aufhören zu lachen. Mailin schämte sich ein wenig, dass ihre Nachbarin gleich am ersten Tag so einen Eindruck von ihr bekam. Nachdem sich Misses Brady wieder beruhigt hatte, bot sie ihr ein Handtuch und frische Kleidung an. Neugierig wie Mailin war,
willigte sie ein, um einen Blick in die Nachbarwohnung zu werfen.
Anders als außen, sah die Wohnung der Familie Brady von innen auf eine gemütliche Weise chaotisch aus. Jemand hatte anscheinend den braunen Wäschekorb, der auf dem blau- weißen Sofa lag , hastig nach einem Kleidungsstück durchsucht, denn es lagen einige Strümpfe, Handtücher und Unterwäsche auf dem ganzen Parkettboden verteilt. Aber das machte die Wohnung nur noch sympathischer. Misses Brady war ihrem Blick gefolgt und seufzte tief: „ Es tut mir leid , Mailin. Du musst ja einen sehr chaotischen und unorganisierten
Eindruck von unserer Familie bekommen haben.“ „ Ach nein, Misses Brady.“ , log sie. „ Na ja, wie dem auch sei. Wir suchen dir jetzt mal etwas Schönes aus… Ah ha, hier hast du ein Handtuch und zum Anziehen …“, sie dachte kurz nach. Währenddessen hörte Mailin von
der oberen Etage ein Poltern und dann kam jemand mit schnellen, leichten Schritten die Treppe heruntergelaufen und blieb abrupt stehen. Auf der letzten Treppenstufe stand ein Mädchen mit blonden, glatten Haaren und stechend grünen Augen, die sie jetzt argwöhnisch musterten. Misses Brady sah von der Wäsche auf und sagte: „ Ah… Susen. Darf ich vorstellen “, sie deutete auf
Mailin, „ unsere neue Nachbarin Mailin.“ Susens Mund verzog sich zu einer Art Lächeln, während ihre Augen den argwöhnischen Blick beibehielten. Mailin versuchte ebenfalls ein Lächeln hervorzubringen.„ Hi“. Sie dachte daran, welchen Eindruck
sie bei Susen hinterlassen musste. „ Ich bin aus Versehen unter einen Rasensprenger geraten“, setzte sie hinzu. „ Und deshalb kriegt sie jetzt Kleidung von dir geliehen“ , vollendete Misses Brady den Satz, woraufhin Susen die Arme vor der Brust verschränkte. Mailin konnte ihren Argwohn verstehen. „ Ein Handtuch würde auch reichen“ „ Aber nein! Das
geht schon in Ordnung, nicht wahr ?!“ Misses Brady warf Susen einen auffordernden Blick zu und ging dann ohne Weiteres. Susen seufzte tief und sagte trocken: „ Komm mit !“ Mailin folgte ihr kleinlaut die holzige Treppe hinauf, die ächzte und knarzte als hätte sie
schon einiges aushalten müssen. Sie kamen an eine geschlossene Tür, vor der Susen stehen blieb. Sie drehte sich um und legte den Zeigefinger an die Lippen. Dann öffnete sie lautlos die Tür. Es war ein sehr kleines Zimmer, in dem es nach abgestandener Luft und abgenutzter Bettwäsche roch. Mailin sah zwei Betten. Ein großes dessen Bettzeug
verwühlt war und ein Kinderbett. Dort lag ein kleiner blondhaariger Junge, dessen Bauchdecke sich ruhig hob und senkte. Seine Wangen waren von der Wärme im Zimmer leicht gerötet. Susen bemerkte Mailins Blick. „ Mein kleiner Bruder Liam .“ , flüsterte sie und betrachtete ihn kurz. Mailin durchfuhr ein scharfer Stich. Während Susen in ihrem Kleiderschrank wühlte, blickte sie sich weiter um. Das Zimmer hatte nichts eigenes, sondern hätte jedem gehören können. Es gab nur einen Schreibtisch, auf dem ein Laptop vor sich hin surrte und eine Ablage mit Fotos.
Als sie die Treppe hinuntergingen, fühlte
Mailin sich deutlich wohler. Sie überlegte, ob sie ein Gespräch anfangen sollte, aber dann dachte sie an Susens abweisende Art und ließ es bleiben. „ Danke noch mal“, sagte sie vor der Haustür zu ihr. „ Du kannst mir die Sachen zurückgeben, wenn ihr hier einzieht“, gab sie als Antwort zurück . Sie schloss die Tür.
Es war Nacht. Susen hatte Angst vor den vielen Stunden bis zum Sonnenaufgang. Nachts fühlte sich alles anders an als am Tag. Es war zu ruhig. Die Stille bot Raum für so viele Möglichkeiten und Gedanken. Und sie war ganz allein damit. Dann sah sie zu Liam. Er war da. Aber seine Gedanken waren bestimmt bei den Ereignissen des Tages. Schlichte Gedanken. Sein Gesicht war entspannt. Sie war wirklich allein. Was nun ? Ihr Körper war erschöpft. Nur ihr Kopf war auf Hochtouren. Sie sei zu kopflastig, wurde immer wieder
gesagt. Es stimmte. Nur beim Laufen schalteten sich die Gedanken irgendwann von selber aus. Dann gab es nur noch ihren Körper. Wenn dies nicht der Fall war, rannte sie nur noch schneller. Aggressiver. Entschlossener. Als würde sie versuchen davonzulaufen. Jetzt konnte sie es nicht. Sie spürte Hilflosigkeit. Enge. Die Atmung war wichtig. Ruhiges Atmen hilft. Irgendwann fiel Susen in einen unruhigen Schlaf.
Als Mailin ihr Haus betrat, setzte sie sich nicht hin, sondern blieb mitten im Flur stehen und dachte mal wieder nach. Sie hörte nur ihre Mutter durch die Tür
telefonieren. Es waren monotone Worte. Vielleicht sprach sie zu ihrem Dad. Vielleicht auch nicht. Manchmal kam sie sich schon vor wie erwachsen im Inneren. Und schwer. Es waren auf jeden Fall Veränderungen, die da kamen und das war erfrischend und lebendig. Etwas Leben und Abwechslung. Momentan konnte sie selber sich noch keine verschaffen. Aber sie wollte so gerne. Sie wollte nicht mehr nur dahinleben und so schwere Gedanken haben. Auf den Boden ziehen und mit einem schweren Gewicht versehen sein. Sie hasste sich selber für ihren Schwermut und ihre Melancholie. Und sie wollte daraus. Aus den Mustern
endlich ausbrechen und ganz nach dem Lauf der Natur rebellieren. Nicht gefangen
und schwer, sondern frei und leicht zu sein. Ab und zu auf den Boden gezogen werden, um dann wieder aufzusteigen. Sie wollte es sehr. Und sie musste endlich in Bewegung kommen! Bewegung war der Schlüssel ! Zuversichtlich und neugierig ging sie hinaus.
Sie hatte Zeit. Und das nutzte sie nun aus. Sie ließ sich bei allem demonstrativ Zeit. Auf einige Leute schien das provozierend zu wirken und sie fragte sich warum. Sie machte Experimente. Sie lief langsam. Einige Leute überholten
sie entnervt oder wütend. Es war interessant. Dann ging sie übertrieben schnell und die Menschen wichen zur Seite und schauten sie erschrocken an. Jemand, der sie länger beobachtet hatte, musste denken, sie wäre verrückt. Mailin stellte daraufhin ihr Experiment ein . Dabei schmunzelte sie die ganze Zeit.Es schien ihr, als wenn die meisten der Gewohnheit und dem Alltag zum Opfer gefallen wären. Sie waren unaufmerksam und hatten das Bewusstsein für das Leben verloren. Aber sie musste sich zunächst um sich selbst kümmern und ging wieder in ihrem Tempo weiter.
Nach ihrem Experiment kam Mailin in
einem kleinen Park an. Sie setzte sich auf eine Bank und schaute sich um. Die Umgebung war unauffällig. Es war der Stereotyp Park. Es gab Holzbänke, einen sandigen Weg, Wiesen, Laubbäume, Passanten und einigen Müll. Sie setzte ihr Experiment fort und blieb einfach ohne etwas zu tun auf der Bank sitzen. Der Wind kam auf und die Pflanzen bewegten sich. Die Wolken glitten über den Himmel. Sie schloss die Augen und konzentrierte sich auf alles. Wieder Wind, Regen, Pollen, Knirschen, Stimmen, Autos, Abgase, Sonne,und der Geruch eines Menschen. Obwohl sie wusste, dass jemand vor der Parkbank stand und sie möglicherweise direkt
ansah, weil sie denjenigen roch und die Person die Sonne verdeckte, ließ sie die Augen geschlossen.
„ Was machst du ?“ .
„ Ich sitze .“ .
„ Und warum sind deine Augen zu ?“ .
„ Weil ich alles höre,rieche, schmecke und fühle.“ . Die Bank zitterte und wackelte. „ Ich mach mit !“ .
Kurz danach wackelte die Bank wieder und sie hörte es knirschen. Ein Kind rannte den Weg entlang. Mailin stand auf und ging auf einen Jugendlichen zu.
Sie sprach ihn an : „ Hallo , ich heiße Mailin.“ . Er schaute sie an und war anscheinend überrascht, dass Mailin ihn ansprach.
„ Ich will mit dir flirten.“ .
Nun sah man ihm das Erstaunen an. Er konnte sie und die Situation nicht einschätzen. „ Du willst mit mir flirten ?“ .
„ Ja .“ .
„ Du kennst mich gar nicht.“.
Er lachte auf. Aber Mailin hatte das Gefühl, dass er gleich weggehen würde. „Ich habe die Wahrheit gesagt.“.
Das Gespräch war absurd, aber es schien nun sein Interesse zu wecken. Bestimmt hatte er noch nie ein derart absurdes und surreales Gespräch geführt. Er versuchte sie unauffällig zu zu mustern, was ihr jedoch nicht entgang.
„Und jetzt?“.
„Erzähl mir etwas über dich!“.
„Ich weiß nicht, ob ich das will.“.
„Dann fange ich an“, Mailin wunderte sich, dass er nicht wegging. „ Ich habe es satt mich immer an die Normen und Förmlichkeiten unserer Gesellschaft anpassen zu müssen. Sie verbietet uns teilweise unsere Wünsche und Bedürfnisse direkt auszusprechen und das tue ich gerade.“
Sie schaute ihn gespannt an. Würde er dem zustimmen oder ablehnen ? Sie konnte ihn nicht einschätzen. Im darauffolgenden Augenblick konnte sie eine Wandlung erleben. Zunächst steckte
er sich eine Zigarette an und schaute an
ihr vorbei, wobei er nachzudenken schien. Dann wandte er sich wieder ihr zu und lächelte.
„ Okay, du bist also nicht der Stereotyp Mädchen, der gesellschaftliche und familiäre Zwänge und Erwartungen hinnimmt.“
Mailin war überrascht . Sie fand ihre Fassung aber schnell wieder und antwortete: „Wohl eher der Stereotyp Mensch. Das ist keine Frage des Geschlechts sondern des Menschens. Und außerdem wehrt sich bestimmt jeder gegen Zwänge und Ketten. Nur tut es jeder auf seine Art.“
Er schien nun sichtlich Gefallen an dem Gespräch zu finden. „ Eine kleine
Rebellin im Inneren. Ich kenne solche Gedanken sehr gut und ich kenne nicht viele Menschen, die mitten am Tag ein philosophisches Gespräch über unsere gesellschaftlichen Zwänge führen würden. Ich denke aber, dass man zwischen den Geschlechtern unterscheiden muss, weil die Gleichberechtigung in vielen Köpfen noch nicht angekommen ist.“
„Ich hätte nie erwartet, dass jemand, den ich direkt anspreche so offen reagieren würde.“ „Dann bist du also doch nicht so frei, wie du meinst.“
„Ich habe nie gesagt frei zu sein, ich habe nur gesagt, dass ich die gesellschaftlichen Normen satt habe und
mich von ihnen befreien will.“
Er schaute sie noch einmal nachdenklich an und streckte ihr dann die Hand entgegen: „ Ich bin Finnick.“ Seine stechend grünen Augen schauten sie direkt an.
Sie schüttelte sie lächelnd und war immer noch erstaunt, wie sich das Gespräch entwickelt hatte.
„Okay ich glaube an diesem Punkt kommen wieder die gesellschaftlichen Floskeln und Klischees.“
Mailin spürte die Spannung und schaute auf den Boden. Sie konnte solche Situationen nicht ausstehen. Dann ärgerte sie sich jedoch über sich selbst und schaute wieder hoch.
Finnick erwiderte schmunzelnd : „ Man kann sich nicht gegen Klischees wehren, weil man damit wieder in ein Klischee fällt. Es ist unmöglich.“ Er schüttelte ihr noch einmal übertrieben formal die Hand und sagte: „ Es war schön dich kennen gelernt zu haben, Mailin.“
Sie ging auf den Scherz ein und erwiderte :„ Die Freude war ganz meinerseits.“
Ohne Weiteres drehte sich Mailin um und ging. Als sie spürte, dass Finnick ihr nachsah, hatte sie für einen kurzen Moment nichts gegen Klischees einzuwenden.
Susen arbeitete jetzt schon seit vier Stunden ununterbrochen. Sie füllte Popcorn nach, machte die Sääle sauber, bediente Kunden an der Kasse und verteilte Flyer mit dem neusten Kinoprogramm. Sie war mitten in ihrer Routine und verrichtete ohne direkt auf die Umwelt zu achten ihre Arbeit. Sie liebte es unabhängig zu sein und mit diesem Nebenverdienst hatte sie wenigstens etwas finanzielle Unabhängigkeit erreicht. Ihr älterer Bruder war ähnlich gestrickt und hatte schon früh den Geschmack der Freiheit kosten wollen. Ihre Mutter störte das nicht reichlich, weil sie so als alleinerziehende Mutter von drei Kindern
etwas mehr Freiraum hatte. Das Problem war allerdings, dass sie meistens, wenn ihre Mutter arbeitete auf Liam aufpassen musste und so kaum freie Zeit neben Schule, Job und Familie hatte. Trotzdem
gab es einen weiteren Teil in ihrem Leben, der ihr gut tat: Kyle. Wenn Zeit war, kam er zum Schichtende ins Kino und holte sie ab. Meistens schlich er sich von hinten an und vergrub seinen Kopf in ihrem Haar. Sie hatten sich auf der Feier eines gemeinsamen Freundes kennengelernt und ineinander verliebt. Ihre Beziehung bestand nicht nur aus Sex. Obwohl Susen niemand war, der viel redete, hatte sie in Kyle einen guten
Gesprächspartner gefunden, der sie ernst nahm.
Auch heute schlich er sich wieder von hinten an und vergrub das Gesicht in ihren Haaren als sie gerade an der Kasse stand und das eingenommene Geld zählte.
„ Du riechst so gut.“ , raunte er in ihr Ohr, woraufhin sie sich umdrehte und in seine grünbraunen Augen schaute.
„ Danke für's Abholen.“Sie gab ihm einen Kuss und packte ihre Sachen zusammen.
„ Stacey, ich mach Schluss für heute.“ Es kam nur ein „Kay“ aus dem Nachbarraum und so nahm sie Kyle an der Hand und ging.