Als Mihaela aufwachte, befand sie sich in einem kleinen Zimmer mit grauen Wänden. Sie lag auf einem Bett mit einem blauen Tuch als Decke. Die junge Frau bemerkte, dass sie noch den Anzug des Spitals trug. Auf ihrer rechten Seite sass Raluca auf einem der Klappstühle, die angeboten worden. Mihaela sah in ihre alten, blauen und traurigen Augen. Im Nebenzimmer hörte sie das Schreien eines Babys und eine Frau die ein altes Volkslied der Karpaten sang. Dann und völlig unvorbereitet erinnerte sich die junge Frau an die letzten vergangenen Stunden. „Wo ist sie?“ fragte sie mit einer leisen von Panik zitternden Stimme. Raluca antwortete nicht und sah aus dem milchigen Fenster, von wo aus
man auf eine frisch, nicht gut asphaltierte Strasse sah. „Wo ist sie?“ schrie Mihaela und Tränen bildeten sich in ihren Augen. Raluca zuckte zusammen. „Wir haben doch abgemacht, dass er nichts davon erfahren soll, denn dann tötet er dich, oder wenn du Glück hast wirft er dich raus“. Mihaela strömten ihr Tränen über die Wangen und sie schrie in einem fort nach ihrem Kind. Raluca stand auf und packte sie an ihren Schulten. „Sei ruhig Mädchen, du bist nicht alt genug, du hast die Papiere vor der Geburt unterschrieben, dein Kind ist weg und es wird ihr besser gehen, glaub mir“ „Gib mir meine Kind zurück, bitte....biiiiiiitteeeeeeee....“der Rest wurde von ihren Schluchzern verdrängt. Die
Zimmertür ging auf und eine zierliche jedoch recht müde wirkende Frau mit kurzen schwarzen grau melierten Haaren betrat den Raum. „Guten Tag, wie geht es ihnen, haben sie sich etwas von der anstrengenden Geburt erholt?“. Mihaela versuchte ihre Tränen zurück zu halten und nickte, sie wollte nicht vor der Frau weinen. „Ich weiss nicht ob sie sich an mich erinnern, ich bin Doktor Baderau, ich habe Sie während ihrer Geburt begleitet“. Ja, Mihaela erinnerte sich an sie, an ihre ermutigenden Worte, daran wie sie ihr Kind gehalten und ihr in die Arme gegeben hatte. Die Erinnerungen waren jedoch verschwommen und teilweise sehr weit weg. „Wir können Sie Morgen entlassen,
diese Nacht aber will ich Sie noch unter Beobachtung haben“ informierte Frau Baderau und wollte gerade das Zimmer verlassen, als Mihaela aus dem Bett stieg und wankend ihr entgegen kam. „Ich will sie noch ein mal sehen, bitte“. Die Ärztin hatte einen bedauernden Blick in ihren Augen. „Es tut mir sehr leid, aber ich denke dies wird nicht möglich sein, sie haben die Papiere unter....“. „Ich bitte Sie doch nur ein letztes Mal meine Tochter sehen zu können, bitte, ich werde sie dann freigeben, nur noch dieses eine Mal“. Mihaela kam Frau Baderau immer näher, diese wich einen Schritt zurück und versuchte zu erklären, warum dies nicht ging. „Das können Sie nicht machen, sie ist
MEIN Kind, MEIN Fleisch und Blut, ich habe ein Anrecht darauf mein Kind zu sehen.“ Die sie fing an zu schwanken, ihr wurde schwindelig, rechtzeitig fing Raluca und die Ärztin sie auf. „Ich wollte ihr doch nur sagen wie sehr ich sie liebe und dass ich sie immer lieben werde“ flüsterte sie, dann wurde sie ohnmächtig.
Florence sass vor dem Spital auf einer Mauer und rauchte. Ihre Pausen liessen sich in Zigaretten berechnen. Die normalen Pausen waren eine Zigarettenlänge und die Mittagspause drei Zigarettenlängen, wenn nicht gerade ein Notfall herein kam, doch diese Zigaretten tauschte sie gegen einen Salat mit französischer Sosse ein. Sie
vermisste Paris, die Leute dort, das Klima und das Essen. Jeden Tag fragte sie sich, ob sie nicht einfach wieder zurück gehen sollte, Rumänien und die Armut verlassen, eine erfolgreiche Chirurgin werden, was immer ihr Traum gewesen war. Aber sie war eine der fünf einzigen Chirurgen in dem Spital, man brauchte sie, sie konnte die Leute nicht im Stich lassen nicht jetzt. Eigentlich hatte Florence vorgehabt nur ein halbes Jahr ehrenamtlich nach Rumänien zu gehen um in dem ärmlichen Landspital arbeiten zu gehen. Doch dann hatte sie die Leute kennen und die Kultur lieben gelernt. So lebte sie nun schon seit zehn Jahren in Pascani und hatte einen Lohn, der dem Sackgeld eines Grundschulschülers
gleich kam. Florence hatte mit der Zeit gelernt, allen Patienten und deren Hintergrundgeschichten auf Distanz zu halten, man musste sich schützen immer eine ganze Armlänge Abstand haben, am besten einfach nur an die Arbeit selbst denken und die Gefühle ausschalten. Doch dies hatte noch nie ganz geklappt, es war schon häufig vorgekommen, dass sie Nächte lang wach blieb und nach dachte. Über Leute die sich bei der Arbeit auf dem Feld ein Finger abgeschnitten hatten und ein Tag danach wider arbeiten gingen sowie über Kinder die unterernährt waren und erzählten die Eltern wären krank, meist waren es jedoch Alkoholiker. Dies war nicht sehr selten, viele verfielen der
Option alle Sorgen und Probleme nur noch durch einen milchigen Vorhang sehen zu können. „Florence, ein Notfall“ rief die Stimme von Nocolai. Sie liess dien Rest des Salates in den Strassengraben fallen und rannte die paar Stufen hinauf und den Gang der zu Notaufnahme führte entlang. Nicolai war ein grosser breiter Mann, der gegen die vierzig ging und hatte einen Vollbart. Er stand bei der Trage und las den Bericht über den neuen Patienten. „Um was gehts?“ fragte Florence und beugte sich über den jungen Mann. „Guten Tag ich bin Doktor Baderau, wir werden uns um Sie kümmern“. „Sein Name ist Mio, er wollte eine kleine Fahrt mit dem Traktor seines Vaters machen, dabei landete er in
einem Graben auf einem Ästehaufen. Einer hat sich zwischen die Rippen gebohrt, sein Atem ist unregelmässig und schwach“. Sie legten den jungen Mann auf ein Bett und rollten ihn zum CT. „Wir brauchen sofort eine Lungendrainage, gibt es irgendwo Krankenschwestern, die nicht beschäftigt sind?“ fragte Florence laut und sah sich um. Christiana kam herangerannt, „ich übernehme, es kommt gleich ein weiterer Notfall rein, du must ihn entgegen nehmen, ich werde die Drainage durchführen“. Christiana, war Krankenschwester, eine der besten, sie übernahm viele Aufgaben die auch Ärzte übernahmen und hatte mit ihren 57 Jahren schon alles gesehen. Florence, die grossen Respekt vor ihr hatte willigte
ein und ging rasch zum Eingang der Notaufnahme. Auf dem Weg trank sie noch den kalten Kaffee den sie sich am Morgen gemacht hatte. Sie sah einen alten Kleinwagen mit überholter Geschwindigkeit auf sich zu kommen und mit quietschenden Reifen bremsen. Ein Mann mit hochrotem Gesicht sprang heraus und hob ein Mädchen heraus. Florence kam ihm entgegen. „Sie müssen ihr helfen, bitte helfen Sie ihr, sie ist mein ein und alles“. „Sie müssen sich beruhigen, bitte beruhigen Sie sich.“ Ermahnte sie den Mann der offensichtlich aus sehr armen Verhältnissen kam, ein Bauer der noch immer mit den Folgen des Kommunismus zu kämpfen hatte. Sie sah sich das Mädchen
an, wahrscheinlich fünf oder sechs Jahre alt. Sie sah bleich aus und fieberte stark. Florence brachte den Mann und das Mädchen in einen freien Raum mit einem Klappbett. Sie legte das Mädchen darauf und bat dem Mann einen Stuhl an. „Wie heissen Sie, sind Sie ihr Vater?“. „Christescu, Vlad Christescu ist mein Name und nein, ich bin ihr Onkel, mein Bruder starb vor ihrer Geburt und ihre Mutter ist schwer krank, aber Elena ist wie meine eigene Tochter ohne sie bin ich nicht mehr glücklich, bitte machen Sie sie gesund“. „Seit wann hat sie Fieber“ fragte Florence, während sie Elenas Temperatur im Ohr mass. 39,5° . „Seit drei Tagen ich dachte, es würde besseren, aber heute wollte sie
nichts mehr essen und trinken, sie hat abgenommen und schläft fast nur noch“. „Vielleicht ist es eine gewöhnliche Grippe, aber das Fieber ist sehr hoch, ich werde ihr Blut abnehmen und fiebersenkende Mittel geben. Warten Sie bitte hier“. „Wohin gehen Sie?“ fragte Christescu. „Ich hole Medikamente, es wird gleich jemand kommen und die Infusion vorbereiten, das Einzige was wir machen können ist Medikamente geben, Blut abnehmen und abwarten , das einzige was Sie tun können ist, bei ihr sein, mit ihr sprechen, sie beruhigen und auf sie aufpassen, kriegen Sie das hin?“ Der Mann nickte „ich weiss, dass Sie ihres Beste geben werden um meine Kleine gesund zu machen.“ Florence
sah ihn an „Ja, das werden wir“. Leider ist das manchmal aber nicht genug, dachte sie, sprach es natürlich nicht laut aus.
Raluca sah zum Bett ihrer Stieftochter, zur Tür und dann wider zum Bett. Mihaela schlief tief und fest, es schien als hätte sie nie Sorgen gehabt. Leise stand Raluca auf und ging zur Tür. Sie brauchte ein Kaffee, wenn sie Glück hatte gab es in der Nähe eine Bar. Auf dem Gang wusste sie erst nicht wohin, seit der vergangenen Nacht hatte sie das Zimmer nie verlassen gehabt. Sie ging eine breite Steintreppe nach unten, wo sich der Eingang befand. Die Wände waren durchgehend mit einem hellen grau gestrichen, nur hier und da
splitterte sie etwas ab. Sie hatte gehört dass in Ländern wie Frankreich oder der USA , die Wände in einem Krankenhaus blau oder rosa waren, damit man sich wohler fühlen konnte. Die Situation machte es aber nicht besser fand Raluca. Egal welche Farben die Wände hatten, ein Krankenhaus blieb immer ein düsterer Ort, geprägt von Tod, Unglück, Schicksalen und Schmerzen. Um zur Ausgangstür zu gelangen musste man erst am Warteraum vorbei gehen. Viele Leute sassen dort, alle mit traurigen oder sehr nachdenklichen Gesichtern. Jeder mit seinen eigenen Sorgen. Auch waren viele schwangere junge Frauen zu sehen, die darauf warteten, dass ihre Wehen stark genug waren, dass man sich um sie
kümmerte. Raluca ging ins Freie und zu einer Bar die zehn Meter weiter lag. Es war eine Bar in der auschliesslich Männer waren, es gab Diejenigen, die tranken und über ihre Frauen schimpften oder von einem Mädchen schwärmten und dann die, die tranken und über Politik redeten. Raluca war zwar schon über vierzig, aber sie war schön gealtert und alles an ihr sass noch. Sie färbte ihre Haare blond und schminkte sich mit gutem Make-up. Auch jüngere Männer konnten ihre Blicke nicht von ihr lassen, so war es nicht verwunderlich, dass sich alle Blicke auf sie richteten, als sie eintrat. Der kahlköpfige Wirt stand auf und ging hinter den Tresen. „Sie wünschen?“. Die ganze Bar war still
als er das fragte. Raluca hasste Spelunken mit solchen Männern. Sie waren überheblich, dachten nur ans Ficken und behandelten Frauen wie Kühe. „Ich hätte gerne einen Kaffee“ sagte sie und liess sich ihren Unmut nicht anmerken. „Willst du dich nicht etwas mit uns vergnügen und was Richtiges trinken, hm?“ „Nein danke, ich brauche einen Kaffee“. Der Barmann verdrehte etwas die Augen und machte ihr einen Kaffee. „Vier lei macht das“. Raluca warf ihm drei auf den Tresen, „der vierte hast du dir verscherzt“. Der Barmann sagte nichts, er kannte solche Frauen, die zeigten einem schneller bei der Polizei an, als man einen Zuika getrunken hatte.
„Wo bin ich, was ist passiert?“. Niemand antwortete. Milo wollte aufsitzen, aber ein stechender Schmerz in der Brust liess ihn zurückfallen. Sein Gehirn arbeitete auf Hochtouren, was war passiert, gleich als er das gedacht hatte und es ihm in den Sinn gekommen war, wünschte er, er könnte das ganze wieder vergessen. Er fragte sich ob der Traktor noch zu retten war, nicht aus zu denken, wenn er kaputt gegangen war, die Familie wäre ruiniert. „Hey, ist Jemand da?“ rief er. Ihm war bewusst geworden, dass er sich im Spital befinden musste. Und da gab es immer Ärzte, diese würden ihn bestimmt hören. Nach dem er noch ein oder zwei Mal gerufen hatte, kam ein sympatischer bärtiger Mann herein.
„hahaha, Junge brauchst nicht so zu rufen, neben dir hat es einen Knopf“. „Wie geht es dem Traktor?“ Der Artzt seufzte und setzte sich neben den Jungen. „Hör mal, das erste was dich zu interessieren hat, ist wie es dir geht, du hattest ein wenig Pech, aber das wird schon“. Milo sah ihn mit wässerigen Augen an, man konnte die Angst und Verzweiflung sehen. „Wie geht es dem Traktor, bitte sagen Sie es mir, wenn der hin ist, ist mein Leben zu Ende “. Der Arzt lachte ein rauchiges Lachen „glaub mir, dein Leben ist noch ganz lange nicht zu Ende“. Man konnte das Bedauern in der Stimme des Arztes erkennen. Darüber, dass das Leben Vieler an einem Traktor scheitern konnte. „Sind meine
Eltern schon hier?“
„Ja, deine Mutter, soll ich ihr sagen, dass sie zu dir darf?“ „Sagen Sie ihr, dass ich die Operation nicht überstanden habe“. „Hey, Junge, sag nie wieder so was, weist du wie schlimm es für eine Mutter ist ihr Kind zu verlieren?“ Milo nickte ein bischen. „Ja, mein kleiner Bruder starb vor drei Jahren.“ „Weshalb?“. „Er hatte Krebs, aber er war nicht versichert und so konnten wir uns keine Chemotherapie für ihn leisten. Nach seinem Tod, hat mein Vater fast sein ganzes Vermögen für eine Krankenversicherung für uns ausgegeben“. „Das tut mir sehr leid mit deinem Bruder, es muss schwer sein solch einen Verlust zu überwinden, aber warum willst du deinen
Eltern vormachen, dass ihr nun auch ihr anderer Sohn tot ist. „Ich will weg von hier, in die Stadt, ein neues Leben anfangen, ich halte es hier nicht mehr aus. Was ist geeigneter um ein neues Leben zu beginnen als zu erst zu sterben?“ Beide schwiegen. „Ich kann deine Eltern nicht einfach anlügen, ich verstehe dich, aber du must einen anderen Weg finden.“
Raluca musste einen Aufschrei unterdrücken, als sie das Zimmer ihrer Stieftochter leer auffand. Die Decke war noch aufgeschlagen, die Tasche noch da, sie konnte also nicht weit weg sein.
Raluca eilte den Gang entlang an anderen Zimmern vorbei, sie wusste ganz genau,
wo sie schauen musste. Ein Arzt kam ihr entgegen. „Entschuldigen Sie bitte, wo ist die Babyabteilung?“ Der Arzt schien in Gedanken versunken gewesen zu sein. „W, wie bitte?“ „Babyabteilung, wo ist sie?“ „Ähm gerade aus, rechts abbiegen, sie können Sie nicht verfehlen“. Raluca bedankte sich hastig und rannte weiter. Sie bog wie geheissen Rechts ab und da stand sie. Ihr Gesicht war ganz nahe an der Glasscheibe, die einen Blick auf die Neugeborenen gewährte. „Sie, die zweite von links in der vierten Reihe ist es, das ist mein Kind“. Flüsterte sie, als sie Raluca bemerkt hatte. „Woran hast du sie erkennt?“. „Ich weiss es eben, hab sie schliesslich zur Welt gebracht. Mihaela
winkte dem Baby lächelnd zu. Dieses schlief aber tief und fest.
Vlad Christescu sass neben Elena. Er erzählte ihr Geschichten, Geschichten aus den Karpaten, von Wölfen Feen und anderen wundersamen Dingen. Sie hörte ihm aufmerksam zu. Aber Christescu sah, wie sie wie ein kleines Boot auf dem See immer weiter weg zu schaukeln schien. Ihre Augenlieder flatterten, ihre Stirn glühte. „Soll ich weiter erzählen, oder willst du schlafen“. Nur mit Mühe sah das Mädchen zu Vlad, „Mir ist so kalt, wenn du erzählst vergesse ich das“. Der Mann sah seine Nichte mit Schmerzerfülltem Blick an. Das durfte nicht das Ende dieses
jungen Lebens sein. Seine verstorbene Frau hätte jetzt gebetet, wäre auf die Knie gefallen und hätte solange zu Gott gebetet, bis das Fieber zurück gegangen wäre . Aber Vlad Christescu konnte das nicht, er glaubte weder an Gott, noch an die wundersame Kraft des Gebetes. Er war zu oft in seinem Leben enttäuscht worden und als seine Frau an einer Lungenentzündung gestorben war, hatte er den Glauben an die Welt und an Gott endgültig verloren.
Die Tür wurde geöffnet und die Ärztin von vorhin ging an Elenas Bett und untersuchte mit einer Art Taschen Lampe die Augen. „In der Infusion hier sind Fiebersenkende Medikamente und Flüssigkeit, das Fieber ist seit einer Stunde nicht mehr gestiegen,
sondern leicht gesunken“. Vlad sah auf, „es gibt also Hoffnung?“. Frau Badarau lächelte „ich denke ja, aber wir können Nichts versprechen.“ Vlad schien dies aber schon zu reichen. „Ich brauche Hoffnung, das reicht häufig schon um wieder gesund zu werden“, sagte er und strich Elena über das Haar.
Nicolai stand in der Ecke zwischen Tür und Mauer und beobachtete Milo und dessen Eltern. Ja, sie hatten sich gefreut ihn bei relativ guter Gesundheit zu sehen. Und ja, Niemand schrie ihn an oder überhäufte ihn mit Vorwürfen. Doch die Stille neben dem Bett schien unerträglich zu sein. Der Vater sass am Fussende und starrte auf den
Boden. Die Mutter und Schwester sassen auf Kopfhöhe und berieten leise wie es weiter ging. Milo hatte den Arzt gebeten im Zimmer zu bleiben, da dieser, wenn es ihm zu viel würde, die Gäste raus werfen konnte. Nicolai überlegte es sich, denn auch solch eine leise und bedrückte Stimmung konnte einem sehr schnell zu viel werden. Doch gerade als er einen Wink in diese Richtung machen wollte mit dem Satz „so die Besuchszeit...“, winkte Milo schnell ab. „Ist schon gut, Sie ähm können gehen, ich glaube ich komme alleine zu recht“. Nicolai nickte und verabschiedete sich noch von den Eltern. Er konnte nichts mehr tun, Milo würde gesund werden und in sein altes Leben zurück kehren und nie
erfahren, was passiert wäre, wenn der Arzt seinen Eltern die falsche Nachricht überbracht hätte.
Als Florence das Zimmer verliess sah sie die junge Frau, die ihr Baby zur Adoption frei gegeben hatte. Sie stand an der Scheibe zur Babyabteilung und winkte einem der Babys, während ihre Stiefmutter ratlos daneben stand und ungeduldig vom einen Fuss auf den anderen trat. Florence quetschte sich an den beiden vorbei und öffnete die Tür zu dem Raum. Sie ging zu dem Bettchen und hob das kleine Geschöpf raus, Diana stand auf einem Namensschildchen. Das Baby war ganz leicht und Florence hatte auf ein Mal Angst
es zu verletzen und brachte es schnell zu seiner Mutter. Mihaela nahm das Kind freudig und ganz vorsichtig entgegen. Sie lächelte und wiegte Diana sanft hin und her. „Du wirst mir fehlen“ flüsterte sie und küsste das Neugeborene auf die Stirn. Die ganze Zeit über hatte dieses mit grossen Augen seine Mutter angesehen, so als wäre es noch immer verwirrt darüber, wo es sich befand. Das ganze ist ja auch ziemlich verwirrend, dachte Florence, man kommt auf diese Welt ohne gefragt zu werden und muss irgendwie damit klar kommen.
Dabei kamen ihr auch die kleine Elena und ihr Onkel in den Sinn und wie die beiden einfach durchhalten und Hoffen musste. Auch musste sie an Nicolai denken und was
er ihr über Milo erzählt hatte. Sie hoffte inständig, dass für alle diese Leute das Leben wieder lebenswerter würde und dass sie bald wieder einen Sinn dahinter finden konnten.
Doch manchmal fühlen wir uns eben alle wie ein Baby das verwirrt auf der Erde im Stich gelassen wird.
Hiob2punkt0 Eine sehr nahe gehende Geschichte. Liebe Grüße |