„Lass uns beim nächsten Diner halten!“ schlug Billy vor.
Wir kamen gerade von einem Einsatz und meinem Bauch nach zu urteilen, war es wirklich Zeit für eine Pause. Der fühlte sich mehr als leer an und bettelte förmlich nach einer Mahlzeit.
Ich nickte nur und blickte weiter auf die Straße vor mir. Unsere Schicht war eigentlich schon zu Ende, aber wen kümmerte das schon. Die Toten jedenfalls nicht.
Billy gähnte und streckte sich so gut es ging.
„Mir wächst der Mist langsam zu den
Ohren hinaus!“ sagte er.
„Was meinst du damit?“
„Na diese Einsätze. Diese langen Schichten. Und dann noch das schlecht bezahlte Geld. Mein Gott, ich bin doch nicht auf dieser Welt, um mir jedes Mal den Arsch versohlen zu lassen, wenn wir mal was verbockt haben. Du weißt genau, was ich meine.
Wann hast du denn deine Tochter das letzte Mal gesehen?“
„Dir ist doch klar, dass ich mit ihrer Mutter nichts mehr am Hut habe, oder? Sie sitzt im Gefängnis. Und Emma kümmert sich wunderbar um sie.“
„Du hast verdammtes Glück eine solche Schwester zu haben,
Jonah.“
Ja, das konnte er wirklich laut sagen. Ich war dankbar dafür, dass Emma sich um Maddi kümmerte. Es machte mich selbst sehr traurig, sie nicht allzu oft sehen zu können. Der Job machte es so gut wie unmöglich. Aber wenn, dann genoss ich jede Minute mit ihr zusammen.
Meine Exfrau wurde vor einem Jahr wegen Trunkenheit am Steuer festgenommen. Sie hatte einen Unfall verursacht, bei dem zwei junge Menschen starben. Es war einfach nur tragisch.
Wir waren schon lange nicht mehr liiert und dennoch empfand ich Mitgefühl, weil wir uns immer gut verstanden
hatten, Maddi zu liebe. Das sie ein Problem mit Alkohol hatte, bekam ich nicht mit. Ich war aus ihrem Leben verschwunden und der Alkohol fand seinen Platz darin.
„Jonah?“ Billy riss mich aus meinen Gedanken.
„Ja?“
„Ich sagte, dass wir uns das nicht länger gefallen lassen müssen!“
Billy war manchmal sehr eigen. Mit seinen fünfundvierzig Jahren war er mir jedoch noch am liebsten als Kollege. Wir lagen fünfzehn Jahre auseinander. Natürlich merkte man das, aber es war nicht unangenehm. Ganz im Gegenteil. Von ihm konnte man einiges lernen.
„Warum beklagst du dich, Billy? Du hast nicht mehr lange bis zur Pension.“
„Trotzdem.“
Innerlich musste ich lächeln. Wenn ich jetzt weiter machen würde, würde sich ein ernsthafter Streit zwischen uns entwickeln und darauf hatte ich wirklich keine Lust.
Ich schaute in den Rückspiegel und nahm zum ersten Mal die Streife hinter uns wahr. Instinktiv bog ich in die nächste Straße ein.
„Hey, verdammt, da geht’s aber nicht zum Diner!“ beklagte sich Billy natürlich gleich.
„Ja, ich weiß!“ sagte ich nebenbei.
Wieder blickte ich in den Spiegel. Die Streife war uns gefolgt. Irgendwie fühlte ich mich plötzlich nicht mehr so gut.
„Alles klar, Partner?“ wollte Billy wissen.
„Hinter uns fahren ein paar Kollegen!“ antwortete ich.
„Ja und? Die wollen vielleicht auch zum Diner und haben den Weg vergessen!“ lachte er.
Ich sah das Blaulicht hinter mir und mein Herz rutschte in die Hose. Warum zur Hölle war ich plötzlich so nervös?
„Ich fahr mal eben rechst ran!“ sagte ich.
„Wie bitte?“ fragte Billy völlig
entrüstet. „Das kann doch nicht dein Ernst sein.“
„Lass uns schauen, was sie wollen. Danach geht’s zum Diner. Versprochen!“
„Das ist völlig idiotisch. Aber okay. Mach ruhig.“
Ich parkte den Wagen auf einem der Parkplätze vor einer Modegeschäft. Die Streife tat das gleiche.
Ich schnallte mich ab und wartete darauf, dass der Fahrer des anderen Autos zu mir nach vorn kam. So war es auch.
„Billy, Jonah!“
Ein kurzes Nicken als Begrüßung.
Derek sah blass aus.
„Alles in Ordnung?“ fragte ich nach.
„Das kann ich nicht behaupten. Wir haben vor ein paar Minuten einen Anruf erhalten.“
Derek wischte sich den Schweiß von der Stirn und schaute sich unsicher um.
„Jemand behauptet, ihr hättet eine Leiche im Kofferraum. Erik und ich waren gerade in eurer Nähe und haben übernommen. Ich weiß, dass gefällt euch nicht, aber hinten am Kofferraum sind Blutspritzer.“
„Das ist ja wohl ein übler Scherz!“
Mir reichte es. Ich öffnete die Tür. Ich wollte mich selbst davon überzeugen.
„Hättet ihr uns nicht einfach anfunken können?“ Ein bisschen wütend war ich
schon.
Derek sagte nichts.
„Ah, verstehe, ihr nehmt an, dass wir eine Leiche spazieren fahren, die wir vorher schön zerstückelt haben!“ fuhr Billy Derek an.
Wir standen zu dritt vor dem Kofferraum. Tatsächlich war die ganze hintere Verkleidung mit Blut besudelt.
Ich schaute erst Derek und dann Billy an.
„Na mach schon auf!“ drängte Billy.
Ich musste kurz schlucken. Mein schlechtes Gefühl machte sich wieder bemerkbar. Das hier konnte nichts Gutes sein.
Vorsichtshalber zog ich mir ein paar
Handschuhe über. Dann drückte ich den Knopf und mit einem leisen Klick öffnete sich der Kofferraum.
Nein, das war unmöglich. Das konnte einfach nicht sein.
Mein Magen drehte sich und ich musste mich mitten auf der Straße übergeben.
„Scheiße!“ sagte Billy und hielt sich die Hand vor den Mund.
„Ihr kennt sie?“ fragte Derek.
Billy nickte. Zum ersten Mal in meinem Leben sah ich, dass auch er blass um die Nase werden konnte.
„Das ist Jonahs Exfrau!“