Winter 1900, Kyoto
Das Mädchen war aufgestanden und kam nun herüber zum Haupteingang. Was sollte ich machen? Niemand wusste, dass ich wirklich existierte. Sie würde es jedem erzählen und sie würden kommen, um mich zu töten. Sollte ich sie also töten, bevor all das geschehen konnte? Nein, ihr fehlen würde zu viel Aufsehen erregen.
Ich beschloss vorerst mich zurück zu ziehen. Deshalb schlich ich lautlos die Treppe empor und ließ mich von der Dunkelheit verschlingen. Die Tür wurde
aufgestoßen und das einfallende Licht erkämpfte sich einen kleinen Teil des Eingangsbereiches. Mitten im Licht stand der Schatten des Mädchens. Unsicher trat sie ein und sah sich um. Es schien, als würde sie erwarten, dass ich jeden Moment aus der Dunkelheit auftauchen und sie ermorden könnte. Ich blieb jedoch wo ich war und beobachtete sie.
Zuerst ging sie zur Tür des Wohnzimmers. Sie wollte die Tür öffnen, hielt jedoch in der Bewegung inne, also fühle sie die dunkle Energie, die von dem Raum hinter der Tür ausging. Sie drehte sich um und ging dann zum unteren Ende der Treppe. Auf
der ersten Stufe blieb sie stehe, sah zu mir auf und direkt in meine Augen. Doch sah sie mich wirklich oder starrte sie bloß in die Dunkelheit? Sie stieg zwei Stufen weiter die Treppe hoch. Dabei fixierte sie mich immer mehr. Es löste Unruhe in mir aus.
Da wurde plötzlich die Tür ganz aufgestoßen und ein Priester trat ein. „Miku, komm her. Dieser Ort ist nichts für uns Menschen“, rief er und ich konnte seine Angst deutlich spühten. Das Mädchen zuckte zusammen, sah den Priester an und ging dann zur Tür. Ich wusste nicht wieso, aber jetzt wo sie ging, entspannte ich mich wieder. Ich wartete noch einige Sekunden, dann lief
ich zur Tür und öffnete sie wieder einen Spalt weit. Das Mädchen und der Priester gingen den Weg zurück zum neuen Schrein. Doch das Mädchen drehte sich noch einmal um. Sie hatte mich gesehen, denn ihre Augen weiteten sich. Sie lächelte und drehte sich um.
Ich schloss die Tür, ging durch das Haus und zum Innenhof, wo ich mich auf eine Stufe setzte. Ihr Name war also Miku.
Sommer 2015, Kyoto
Sein Kopf tat weh. Yuki setzt sich auf und sah sich verwirrt um. Zuerst war alles verschwommen, doch nach kurzer Zeit gewöhnten sich die Augen des 17 – jährigen an das dämmerige Halbdunkel. Wo war er? Yuki stand auf und tastete sich durch die Leere, bis er auf eine Wand traf, an der er sich entlang schob, bis er eine Tür fand. Kurz überlegte er, ob er die Tür öffnen sollte oder in dem Raum warten sollte, doch er entschied sich, die Tür zu öffnen und einen Ausweg zu suchen. Yuki schob die Tür auf, trat auf einen noch dunkleren Flur
und ein seltsam vertrauter Duft schlug ihm entgegen. Dem 17 – jährigen viel plötzlich ein, dass er mit jemandem gesprochen hatte. Woher kannte dieser jemand seinen Namen?
Yuki folgte dem Duft und trat hinaus in einen hellen Innenhof. Er hielt sich eine Hand vor die Augen, um diese vor dem grellen Licht zu schützen. Kinderlachen ließ den Teenager zusammenzucken und plötzlich liefen zwei kleine Jungen an ihm vorbei. War das die Realität? Langsam gewöhnten sich Yuki´s Augen an das Licht und er senkte die Hand. Die beiden Jungen waren Katzenmenschen. Sie spielten im Innenhof, lachten und kämpften aus Spaß. Plötzlich stand neben
Yuki eine schöne junge Frau. Auch sie war ein Katzenmensch und scheinbar eine Adelige aus einer vergangenen Zeit. Der 17 – jährige zuckte zusammen. „Yuki, Akuma, hört auf. Ich habe die Hakama gerade erst gewaschen. Kommt, das Essen ist fertig. Aber vergesst nicht eure Ohren zu verstecken. Ihr wisst, dass euer Vater sie hasst“, schimpfte die Frau und wartete, dass die Beiden Jungen kamen. Einer von ihnen schüttelte sich und die Katzenohren waren verschwunden, doch der zweite sah ihn nur verdutzt an. Der erste Junge lief zu der Frau, der zweite folgte ihm zögerlich. „Akuma, weißt du noch immer nicht, wie man seine Ohren
versteck? Komm her“, sagte die Frau in einem bemitleidenden Ton. Sie strich dem zweiten Jungen über den Kopf und die Ohren waren verschwunden. Sie gingen zurück ins Haus und mit ihnen verschwand die Helligkeit. Zurück blieb ein verfallener, düsterer Innenhof. Was war das? Ein Traum oder eine Erinnerung? Yuki atmete tief ein und ging ebenfalls zurück ins Haus.