Die nächsten Tage vergehen wie immer. Merle fährt mit ihrem Papi in den Kindergarten und mein Tage sind damit ausgefüllt, endlich Grund in die neue Wohnung zu bringen und Ausschau nach Ess- und Trinkbarem zu halten. Der Vorrat neigt sich dem Ende zu und ich brauche unbedingt Nachschub. So stehe ich im nahegelegenen Supermarkt vor dem Weinregal und halte Ausschau nach guten billigen Weinen. Ich nehme einfach mehrere, wo mir die Bildchen auf dem Etikett gefallen. Aber süß muss er schon sein. Da huscht ein Schatten an mir vorbei.
"Hallo Edda, sehen wir uns morgen?"
Verdutzt schaue ich mich um.
Der Mantel - woher kenne ich ihn nur.
"Kennste mich nicht mehr?"
"Nein!"
"Man, ick bin doch der Bulle!"
Aha der Kopfschiefleger! Aber er sieht so anders aus. Glatt gegeltes schulterlanges Haar, sauber, sogar rasiert und irgenwie anziehend. Nur sein Lächeln verrät ihn. Die Zähne.
"Soll ick dir wat besseres besorgen? Was schönes süßes?"
"Was gibt es schon edleres als Wein?", will ich von ihm wissen.
"Lass dich
überraschen!"
"Ich warte draußen auf dich"
Ich erledige meine Einkäufe und als ich den Markt verlasse, wartet der Bulle tatsächlich vor der Tür auf mich.
Er holt zwei Flaschen aus den Innentaschen seines Mantels und hält sie mir entgegen. Eine Flasche enthält eine grüne Flüssigkeit, die andere eine dunkle Rote.
"Was ist das?"
"Schnaps!"
"Willste Pfeffi oder Kräuter? Eine gibts mit nach Hause zum kosten, die andere bring ich morgen mit."
"Aber ich weiß doch noch garnicht ob ich
komme."
"Bitte komm!"
"Nagut, bin eh allein."
"Dann nehm ich mal den grünen da!", und deute mit meinem Finger auf die entsprechende Flasche.
"Bitteschön! Ist auch schön süß." Die andere Flasche verschwindet wieder in seiner Mantelinnentasche.
"Schickst dein Mädchen, zum Papa?"
Ich nicke und wir verabschieden uns. Er schaut mir lieb und tief in die Augen und ich versuche meine Hand aus der festen Umklammerung zu befreien. Dann trennen wir uns entgültig. Er winkt mir nocheinmal zu und ruft mir mit seiner tiefen rauchigen Stimme zu: "Bis
morgen, am altgewohnten Platz, ab 11 Uhr!"
Ich winke zurück und dann geht jeder seiner Wege.
Was war das denn eben?
Hat sie einem Date mit diesem Unhold zugestimmt?
Der hat sich aber auch zu seinem Vorteil verändert! Richtig anziehend wirkt er auf Frauen. Nagut seine Zähne, aber da lässt sich sicher noch etwas machen. Aber ein Gedanke lässt mich nicht los - Woher kenne ich ihn? Immer wieder formt sich sein Bild vor meinen Augen. Und doch führt es mich nicht weiter. Wenn ich nicht so allein wäre - dann nie und nimmer. Diese Gedanken
durchzucken mich am Küchentisch, als ich den grünen Trunk probiere. Zuckersüß. So wie er. Himmel - was für Gedanken! Was macht dieser Mann nur mit mir. Und wieder habe ich keine Zeit oder Lust mich um meine Wohnung zu kümmern. Ich probiere und probiere und plötzlich ist die halbe Flasche leer. Und dieses Getränk hier macht mich viel glücklicher als der Wein. Irgendwann ist mein Kopf so leer, das mich kein Gedanke mehr quält. Ich lege die Arme auf den Tisch und meinen Kopf darauf ab, dann schlafe ich ein.
Merle läuft freudestrahlend in die Wohnung und sucht nach ihrer Mama. Sie
hüpft in jeden Raum und ruft: "Mami hast du schon meine Tasche gepackt? Heute fahr ich doch zu Papi." Dort wo sie ihre Mutter am wenigsten vermutet, wird sie fündig. In der Küche. "Mami", ruft Merle immer wieder und rüttelt an ihr. "Oh, Mami hat grüne Brause gekauft.", ruft Merle, als sie die Flasche mit dem grünen Inhalt auf dem Tisch stehen sieht. Sie stellt sich auf ihre Zehenspitzen und hangelt solange, bis sie die Flasche zu fassen bekommt. Sie dreht sie auf und trinkt einen großen Schluck. Sie verzieht ihr Gesicht und schreit laut auf. "Ih, schmeckt garnicht. Ist scharf und
brennt."
Jetzt steht auch mein Mann in der Küchentür und fragt besorgt nach, was denn los sei.
"Die Brause ist scharf und brennt. Die schmeckt nicht gut."
"Zeig mal her!"
Entsetzt schaut er auf die Flasche. Mein Gott, so weit ist es schon mit ihr. Schnapps muss es inzwischen sein.
"Hast Du viel getrunken?", will er nun von Merle, mit schreckgeweiteten Augen wissen. Merle schütttelt ihren Kopf.
"Gut! Hier trink ein großes Glas Wasser, um den ekligen Geschmack wegzubekommen." Brav tut Merle das, was ihr Vater ihr
sagt.
Unsanft stößt Bernd mich an.
"Sag mal hast du denn gar keine Skrupel?" und schlägt laut mit seiner Hand auf den Tisch.
"Was?", frage ich schlaftrunken nach.
"Kannst du überhaupt noch denken?"
"Was willst du denn von mir? Ist es schon so spät?"
"Es ist sogar schon viel später."
"Wie redest du denn mit mir?"
"Was hast du dir nur dabei gedacht?" und wedelt mit der Flasche vor meiner Nase herum.
"Hat das dir wieder deine Stimme gesagt?", will er drohend von mir
wissen.
"Nein die hat mir jemand geschenkt", stammele ich vor mich hin.
"Wohl noch kein ideales Versteck gefunden?"
"Wieso?"
"Merle hat dein Gesöff hier mir Brause verwechselt."
"Scheiße!"
"Wo ist Merles Tasche? Wie du dich sicher erinnern kannst, kommt sie heute mit zu mir."
"Das hab ich ja total vergessen."
"Hauptsache ein kräftiger Schluck steht auf dem Tisch"
"Sei doch nicht gleich so
eingeschnappt!" "Bleib hier, ich pack sie schon."
Und dann kommt er in Merles Zim.mer und schaut sie traurig an. Wie sie dort in ihrer Bettecke zusammengekauert sitzt. Mit ihrem kleinen Schäfchen im Arm. Und sie schaut ihn mit großen traurigen Kulleraugen an.
"Ist das hier dein Rückzugsgebiet, wenn du traurig bist? Merle nickt nur.
"Und wenn ihr immer streitet."
Mein Mann nimmt sie tröstend in den Arm und Merle weint sich aus in seinen starken Armen.
"Hast du uns nun nicht mehr lieb?", fragt sie ihn
schluchzend.
"Natürlich hab ich euch noch lieb!"
"Und warum zankst du dich dann immer mit Mama?"
"Ich will es doch nicht."
"Warum?"
"Ich will euer Freund sein, aber Mama sieht das nicht so und fängt immer wieder mit einem Streit an."
"Warum?"
"Vielleicht weil sie sich verletzt fühlt", meint er achselzuckend.
"Ich will doch nur Frieden zwischen uns.", fährt er sich nervös mit seinen Händen durchs Haar.
Nun weinen sie beide.
"Warte ein wenig, ich pack nur deine
Tasche!" und dann verschwinden sie einfach so aus der Wohnung. Ohne ein Wort. Keine Verabschiedung. Kein Abschiedskus
Und ich, ich schlafe noch immer am Küchentisch. Nur das kurze Schnappen der Tür lässt mich kurz aufschauen, aber nichts in mir regt sich. Jetzt bin ich ganz allein
Und als Merle mit ihrem Papi vor einem Haus hält, steigt in ihr die Aufregung. "Oh, hast du aber jetzt ein kleines Haus!" Mein Mann schaut sie entsetzt an. Sie scheint wohl die Gene ihrer Mutter geerbt zu haben. "Egal! Hauptsache man fühlt sich wohl." "Tust du dass?" "Ja!" , antwortet er lächelnd. "Hast du auch einen Garten?" "Und zwar einen ganz verwunschenen!" "Oh. Toll. Wollen wir gleich kucken gehen?" "Na dann komm mal mit!" und er nimmt
sie liebevoll an die Hand.
Mit offenen Augen bleibt Merle staunend stehen. "Ist ja wirklich wie im Märchen"
"Hier kann man sich wohlfühlen."
"In unserem Garten nicht?"
"Der war so kalt"
"Kalt?", schaut sie ihn fragend an.
"Ja kalt!"
Dann bleibt sie plötzlich stehen und schaut ihren Vater fragend an. "Ist das da deine neue Frau?" Dann hält sie sich an seinem Bein fest und klammert sich ganz fest und schiebt sich langsam hinter ihn.
"Aber Merle, du brauchst doch keine
Angst zu haben!"
"Aber die ist so dick"
"Da ist doch nur dein Geschwisterchen drin!",sagt er ganz liebevoll und versucht sie zu streicheln.
"Mama hat auch mal so ausgesehen, als du in ihrem Bauch warst."
"Ah" und noch immer steht sie versteckt hinter seinem Bein. Sie drückt sich noch fester an ihn, als diese Frau auf sie beide zukommt. Sie umarmt Merles Papi und gibt ihm einen Kuss. Langsam wagt sie sich vor und zuppelt an ihrem Papi herum. Er nimmt ihre Hand und sieht sie fragend an, so klein und eingesunken wie sie da gerade vor ihm steht.
"Streitet ihr euch
jetzt?"
"Aber warum denn das?"
"Weil das immer so ist! Ich will das nicht." und dann weint sie ganz leise und die Tränen kullern an ihrer Wange herunter.
Liebevoll ergreift die blonde Frau dort vor ihr, ihre kleine Hand und führt sie zu ihrem Bauch.
"Fühl mal, es tritt gerade."
Merles Augen werden ganz groß vor leuter Staunen. Sie kann garnicht genug davon bekommen. Immer wieder ruft sie ganz laut vor Freude: "Jetzt, schon wieder."
"Rede mal mit dem kleinen Fratz und leg dein Köpfchen auf meinen
Bauch."
"Hallo, kleiner Fratz!", ruft Merle und bekommt postwendend einen kleinen Tritt an ihre Nase. Erschrocken weicht sie zurück.
"Keine Angst, es kann dir doch nichts tun. Es ist doch schön eingepackt in meinem Bauch."
"Stimmt!" und schon ist all die Angst gewichen.
"Möchtest du gern noch etwas hier draußen spielen?", möchte ihr Papa wissen.
"Gerne."
"Wir rufen, wenn es Abendbrot gibt."
"Ja"
Und dann verschwindet ihr Papa mit
seiner neuen Frau gemeinsam im Haus.
Er möchte seiner Frau gern helfen, doch es fällt ihm sichtbar schwer. Er steht auf die Arbeitsfläche der Einbauküche gestützt, mit hängendem Kopf, und weiß nicht wie er anfangen soll. Er möchte so gern über all sein Erlebtes berichten - traut sich aber nicht. Zu sehr umgibt ihn die Angst, dass sie ihn wieder nicht verstehen würde.
Doch sie hat seinen inneren Kampf sehr wohl bemerkt und nimmt ihn von hinten in die Arme und legt ihren Kopf an seinen Rücken.
"Was beschäftigt dich schon wieder so sehr, dass du hier mit hängendem Kopf
rumstehst und nich helfen kannst?", fragt sie ihn, noch immer ihren Kopf an seinen Rücken gelehnt.
"Das kann ich dir nicht sagen. Sie tut mir ja so leid!"
"Wer tut dir leid?"
"Merle" und wieder sinkt sein Kopf nach unten.
"Dreh dich um und schau mich an!", fordert sie ihn auf.
Mit gesenktem Blick steht er vor ihr und wagt sich nicht in ihre Augen zu schauen.
"Was ist denn schon wieder passiert?"
"Sie ist glaub ich auf Schnapps umgestiegen."
"Und? Sie ist alt genug, um zu wissen
was passieren kann. Versteh doch endlich - sie will sich nicht helfen lassen. Du machst dich fertig und sie...", mitten im Satz verstummt sie. "Und sie...", schimpft er "...säuft hurtig weiter und lässt das Gesöff auch noch offen stehen.“ Verkniffen sind seine Lippen und düster sein Blick. Sie merkt wie sich seine Muskeln verhärten und zieht ihn noch näher an sich heran. Sie will ihm ihren Schutz angedeien lassen, doch er nimmt keine Notiz davon. Viel zusehr beschäftigt ihn seine Tochter. "Lass uns später darüber reden! Warten bis sie weg ist. Falls wir uns streiten sollten." Er dreht sich um und nimmt sie in den
Arm.
"Stell dir mal vor, Merle hat aus dieser Flasche getrunken, weil sie dachte es wäre Waldmeisterbrause!"
"Lass uns später darüber reden!" Zärtlich streicht sie über seine Wange.
Dann geht alles ganz schnell. Sie essen und dann soll Merle ins Bett. Energisch schüttelt diese mit ihrem dunklen Lockenköpfchen.
"Ins Bett? Es ist doch Wochenende! Man schläft ja schließlich bei jemand anderem, damit man lange wach bleiben kann.", presst sie zwischen zusammengepressten Lippen heraus.
"Was ist los? Du bist ja eine kleine Erpresserin.", lassen davon ahnen, dass
seine Stimmung wieder etwas gelöster ist.
"Bis um 8 Uhr spielen wir noch, dann gehts aber ab in die Falle!"
"Oh!", schaut sie ihn mit zur Seite gelegtem Köpfchen und glänzenden Augen an.
"Keine Widerrede!", antwortet er darauf.
"Morgen ist noch ein Tag, da kannst du dir aussuchen wohin du möchtest. Kino oder Zoo? Aber nur wenn du jetzt brav bist und keinen Streit anfängst. 8 Uhr und keine Minute länger!", sagt die neue Frau an seiner Seite ruhig und doch in einem leichten Befehlston.
Ich wache an diesem Abend an meinem Küchentisch auf. Keiner da. Alles so
ruhig. Ich schleiche beklommen ins Bett.
Es ist Samstag früh. Ich schlage meine Augen auf. Was ist das? Ein bleierndes Gefühl hat sich über mich gelegt. Ich habe Schwierigkeiten aus dem Bett zu kommen. Mein Kopf ist schwer. Mein Hals ist wie zugeklebt. Was ist nur los mit mir? Was für ein Scheiß Gefühl?. Mühsam krieche ich aus meinem Bett. Als ich in die Küche komme liegt dort eine leere Flasche auf meinem Küchentisch, die ich nicht kenne. Verwundert schaue ich diese an. Drehe sie hin und her. Pfefferminzlikör? Kenne ich nicht! Auf allen Vieren krabbele ich durch meine Küche und suche nach Wein.
Nichts mehr zu finden! Habe ich nicht gerade gestern welchen besorgt? Wo habe ich ihn nur abgestellt. Im Schlafzimmer werde ich dann fündig. Ganz hinten in meinem Kleiderschrank habe ich ein Eckchen gefunden um meine Vorräte zu bunkern. Hastig laufe ich in die Küche. Ich muss die Flasche öffnen. Ein Zittern ergreift mich. Und als die Flasche geöffnet ist, nehme ich diese und sogleich einen riesen Schluck aus ihr. Es folgt ein wenig Besserung. Doch mein Hals. - Der klebt immer noch. Noch einmal nehme ich einen mächtigen Schluck aus der Flasche, erst dann kann ich etwas essen. Vielleicht hilft ja auch ein starker Kaffee, dieses
eklige Gefühl los zu werden. Nun gehe ich mit der Zahnbürste gegen den blöden Geschmack in meinem Mund vor. Ich schrube und schrube. Was klebt da nur so in mir? Seit einer halben Stunde habe ich schließlich schon ein Date mit diesem Unhold. Diesem Bullen, oder wie die Romunde, dort auf dem Platz, ihn auch immer nennen mag.
Himmel, was ist nur los?
Meine Gedanken bewegen sich im Kreis.
Genau, dieser Bulle hat ihr gestern die Flasche zum probieren geschenkt Wieviel er wohl für mich übrig hat? Muss ich ihm dafür auch meinen Arsch
hinhalten? Angst macht sich in mir breit und doch zieht mich etwas zu ihm hin. Zögerlich mache ich mich auf den Weg zu ihm und auch zu den Anderen.
Vor mirr schleicht eine kleine Familie, mit vielen Beuteln bepackt, ebenfalls in Richtung Assiviertel. Die Frau ist blass und klein und hat tiefe dunkle Augenringe. Ebenfalls ihr kleiner Sohn, der ungefähr so alt wie Merle scheint. Nur der Mann sieht etwas besser aus. Und doch schreiten alle gebeugt vor mir her. Was mag diese Familie wohl
plagen? Geldsorgen? Die schwere Last, die sie gerade mit sich herumschleppen? Der Alltag? Das Leben?
Meine Grübeleien werden durch ein lautes Gegröle unterbrochen. Ich bin am Ziel. Meine neuen Freunde, kennen diese Familie auch, wie es den Anschein erweckt. Zumindest den "Kalle". "Kalle - Kalle - Kalle", ertönen ihre lauten Rufe mit einem Winken verbunden. Kalle nickt nur zu ihnen herüber, denn winken kann er nicht. Zu schwer ist seine Last. Wortlos geht er,
mit seiner Familie, seinen Weg weiter, die lange Straße entlang, bis er aus meinem Blick entschwindet
Nun werde auch ich von ihren Blicken eingefangen.
"Elsa - Elsa - Elsa", ertönen nun wieder die lauten Jubelrufe.
"Oh man, kennen die nur den einen Text?", murmele ich leise vor mich hin, hebe zaghaft meine Hand und winke ihnen zu. Das freudig hüpfende und winkende Etwas dort auf dem Spielplatz, scheint wohl Walburga zu sein. Zögerlich bewege ich mich auf den Spielplatz zu, weil ich nicht weiß was mich erwartet.
Was hat der Bulle nur mit mir
vor?
Als ich dort ankomme, schaue ich verängstigt in die Runde. Kein Bulle da! Ich atme tief ein und dann begrüße ich alle freundlich.
"Was solln ditte? Kennst doch unsere Begrüßung.", schleudert mir einer der Herumsitzenden ins Gesicht.
"Nein, das trink ich nicht!"
"Warumen? Weils brennt?"
"Nein, weil es mir nicht schmeckt."
"Kleiner Zimperling, wa?"
"Mein Jott, lasst mir doch das Kindchen in Ruhe.", mischt sich jetzt Walburga ein.
"Kindchen?", frage ich nach und schaue Walburga mit einer hochgezogenen Braue
an.
"Na nu hamse sich ma nich so." schaut Walburga mich mit ihrem schönsten Lächeln an.
"Schon gut"
"Ick bin ja so froh, dass du jekommen bist. Hab so lange auf dich jewartet." Die Freude spricht ihr voll und ganz aus dem Gesicht. Dann dreht sie sich zu mir, breitet ihre Arme aus und fällt mir vor lauter Freude um den Hals. Ich versuche mich aus der Umklammerung zu befreien, denn das hier ist mir so gar nicht recht. Doch zu fest hat mich Walburga im Griff.
"Ist ja in Ordnung! Wo ist denn euer Bulle?", frage ich und schaue verlegen in
die Runde, mit den Füßen nervös auf dem Boden trippelnd.
"Haste Angst?"
"Hmmm", richte ich meinen Blick nach unten und ziehe meinen Mundwinkel hoch.
"Brochste nich! Nach deinem Auftritt hier, letztes Ma, is der lammfromm.", grinst Walburga und streicht tröstend über meinen Rücken.
"Was für ein Auftritt?"
"Na als de hier abgehaun bist. Dat hat sich noch keener jewacht. Der war janz verdattert. Ick brochte noch nicht mal den Vorrat abzuzahlen. Die janze Zeit nich. Bin dir zum ewigen Dank verpflichtet. Jetz kann ick es ja ma
machen." und schon hat sie mich wieder im Würgegriff.
"Jetzt ist aber gut. Zuviel des ewigen Dankes.", zappele und schreie ich nervös in Walburgas Fängen.
"Und wo ist er nun?", kommt meine Frage drängender.
"Na Vorrat holen. Wo sollern sonst sein? Sehnsucht?"
Und dann geht auch schon das Gejole los.
"Bulle - Bulle - Bulle"
"Jetzt geht das schon wieder los!", murmele ich vor mich hin, die Augen verdrehend.
"Wat haste
jesacht?"
"Nichts!"
"Wirst dich gleich erschrecken. Den kennste jar nich wieder!"
"Ach!"
"Der hat sich total verändert."
"Wieso denn das?"
"Biste so blöde?"
"Wieso?"
"Du hast ne imponiert!"
"Ich?"
"Ja du!"
"Wie denn das?"
"In dem de ihm de kalte Schulter jezeicht hast."
Dann steht er auch schon vor uns. Vor
mir und Walburga. Mit einer Handbewegung deutet er an, dass er gern zwischen uns sitzen möchte. Schweigend rutscht Walburga ein Stückchen zur Seite.
"Schön, dass de doch noch jekommen bist!"
"Da staunste, wa?", fragt Walburga nach.
"Worüber?"
"Nen schöner Mann jeworden, wa?"
"Oh, tatsächlich!", lächele ich in seine Richtung
"Nur wegen... Du weeßt schon."
Verlegen schaue ich nach unten.
"Wohl über mich jequatscht?"
Wir Beide schauen ihn an und nicken.
"Aus nen unrasiertem Strubbelkopp,
haste nen rasierten Gelkopp jemacht."
Dann lachen wir alle drei.
"Und schon probiert?", will er nun von mir wissen.
"Hat schön süß geschmeckt."
"Hat? Schon alle?", schaut er mich fragend an. Eine leichte Drohung schwingt mit.
"Hmmm...", schaue ich betreten nach unten.
"Hats wenigstens jeschmeckt?"
"Ja.", murmele ich unhörbar. "Aber die Nachwirkungen!"
"Hier das Versprochene." und er stellt den Kräter aus seiner Manteltasche vor mir ab.
Walburga schaut uns fragend an. Ihr
Blick wandert von Enem zum Anderen.
"Wir haben uns gestern beim Einkauf gesehen und verabredet.", antworte ich schulterzuckend und etwas errötend auf das fragende Gesicht und Walburga zwinkwert ihr zu.
"Hab ichs mir doch jedacht.", rutscht ihr da nur aus ihrem Munde, schaut das Gesöff an und fragt gleich weiter. "Bist wohl ne Seute, wa? Da hab ick och ma mit angefangen. Kriegste aber nen Brummschädel und nen Klebehals". Walburga schüttelt angewiedert mit dem Kopf.
"Nu mach ma halblang!", brüllt der Bulle sie an.
Dann klingeln auch schon wieder die
Flaschen und alle nehmen einen Hieb aus der, zu jeder Gruppe gehörenden. Ich mache es ihnen nach.
"Weeßte wat?", sagt Flaschenkarli zum Bullen und zeigt ihm lachend seine Zahnstümpfe.
"Besonderes Erlebnis gehabt?"
"Nee. Aber ick globe, wir gehn heute Abend alleene uff Kneipentour. Containerkalle hat heute wieder Klamotten für den Flohmarschht morjen jesammelt. Er is vorhin hier mit seiner Frau und dem Lütten vorbeijeschleppt."
"Containerkalle?", frage ich in die Runde.
"Na der, wo de so lange und interessiert hinterher jekieckt
hast."
"Warum heißt der denn so?"
"Wär ne lange Rede."
"Na dann schieß mal los!", entgegene ich dem Bullen.
"Die klauen Klamotten aus den Kleidercontainern."
"Wie denn das?"
"Möchtest du bestimmt nicht hören!"
"Och menno, sag schon."
"Na gut, die stecken den Lütten in die Schütte und kippen ihn mit Taschenlampe in den Container."
"Wie bitte?", Ich bekomme ganz große Augen vor Entsetzen.
"Hab doch jesacht, dass möchtest du nicht
hören."
"Interessiert mich aber."
"Der Lütte hat ein feines Händchen und fischt meist richtig tolle Markenklamotten heraus. Die laufen immer schnieke rum. Außer Kalle, der arbeitet in einer Gießerei. Aber bald ist das auch vorbei, dann passt der Lütte da nicht mehr rein."
"Und mit diesen Klamotten verdienen die dann Geld?"
"Und das nicht zu knapp!"
"Wie geht denn das?"
"Was?"
"Na das Zeug da rauszuholen?"
"Der Bengel sucht die Schütte voll, klopft von innen und die Alten klappen
die Schütte nach außen und füllen ihre Tüten. Und wenn die voll sind, schütten sie dann den Lütten wieder raus."
"Das ist ja schrecklich!"
"Aber ein gutes Training für den Lütten."
"Wie denn das?"
"Na der landet doch sicher auch mal, wie sein Vater, in der Gießerei. Die beiden Großen sind ja schon da. Kann mir vorstellen, dass es dort im Container genauso heiß ist. Und's Töchterchen wird nach der Schule bestimmt auch ne Putze, wie's Mütterchen."
"Du hast aber üble Gedanken."
Betreten schaut der Bulle nach unten.
"Machst du hoffentlich nicht mit deiner Kleenen.
Oder?"
Ich schüttele meinen Kopf.
"Und wenn der Lütte zu groß geworden ist, müssen die sick noch wat neues anschaffen.", klopft sich Flaschenkarli laut lachend auf die Oberschenkel. "Ich kann dir zeigen auf was für eine Weise du noch zu Geld kommen kannst."
"Flaschenkarli, lass sein!", schimpft ihn der Bulle mit funkelnden, zu Schlitzen geformten Augen, an.
"Wieso denn?", will dieser ganz kleinlaut wissen. Und ehe der Bulle etwas erwiedern kann, sage ich schon: "Verrat mir Deinen Trick vom Geldverdienen!"
Nun lächelt dieser unrasierte Unhold, mit
seinen Reihenziehern, mich triumpfierend an. "Ick gehe Flaschen sammeln. Kann dir ein paar schöne ertragreiche Gebiete zeigen."
"Manchmal auch hangeln!", grölt ein weiterer Unhold mitten ins Gespräch hinein.
"Kannste uns mal in Ruhe lassen, wenn wir uns unterhalten!", brüllt Flaschenkarli zurück.
"Leute fangt nich schon wieder nen Streit an.", versucht der Bulle zu schlichten.
"Wenn der mich provoziert!"
"Na ist doch so."
"Is nich so.", schmollt nun Flaschenkarli.
"Und wohl klauste den Leuten am
Flaschenautomaten, blitzschnell den Zettel außem Schlitz."
"Petze!" und Flaschenkarli schaut dabei mich verlegen an.
"Lass man, weiß eh jeder hier und nun auch du.", meint darauf Walburga.
"Na nun weiß ich ja alles ganz genau.", sage ich und lächele in die Runde.
Und schon klimpern wieder die Flaschen.
"Und was tust du so?", will ich von Walburga wissen.
"Na watten schon? Voner Stütze leben und jeklauten Schnapps saufen!", erwiedert diese schulterzuckend.
"Aber jetzt Schluss mit dit Ausfragen. Jetzt wird sich chic jemacht, für heute Abend, wenn wa in de Kneipe jehn.",
schreit sie in die Runde und nimmt noch einen ordentlichen Schluck aus der Flasche, die auch schon bald wieder ihren Besitzer wechseln wird.
"Um 17 Uhr wieder hier", fragt der Bulle. Alle nicken zustimmend. Wird wohl immer so sein, denet ich mir
Dann löst sich die Romunde auch schon auf