Unvollendet
Hella von den Rabauken
Wenn der geneigte Leser "Unvollendet 1" gelesen hat und mit mir litt, dann weiß er bereits, wie sehr ich darunter gelitten habe, dass mein lieber Freund Willi nun im Hundehimmel ist. Er weiß auch, dass der Hase, der mein Angetrauter und Exverlobter ist, dass der niemals nicht mehr ein neues Haustier wollte, was meine Trauer bis ins Unermessliche steigerte. Es war eine Geschichte, in der die Trauer um meinen Hund, mich beinahe das Leben kostete.
"Es war" und "unvollendet" stammen also aus der ersten Geschichte. Dies ist eine andere, aber doch eher die Fortsetzung des Trauerspiels. Keine Angst, Tränen gab es derer zu viele. Sie sind auch immer noch nicht versiegt, aber auch nicht mehr gallebitter. Ich laufe schnurstracks aus dem "Tal der Tränen" heraus.
Unser Streit, also der des Hasen mit mir, ein ganz konstruktiver Streit, er ging am 13. Februar in der Nacht darum, dass der Hase mir erst Hoffnung machte, auf den Einzug eines neuen Vierbeiner und nur kurze Zeit später machte er einen Rückzieher. Nur noch mal kurz zur
Erläuterung. Ich hatte nun Wochen durchgeweint und der Hase wollte seine Frau wieder und keine Angst mehr haben, dass diese unumkehrbare Dummheiten machte. So bot er mir an, ein neues Hundchen einziehen zu lassen, in dem Wissen, dass die größte Last auf seinen Schultern liegen würde. Ich bin einfach gesundheitlich nicht in der Lage, mich um alles dabei zu kümmern und des Hasen Hasenherz war ja auch schon mal im "Kurzurlaub". Deshalb verstand ich seine Bedenken, war ihm wegen des Rückziehers nicht mal böse. Aber der Kopf ist willig, mein Herz war jedoch krank vor Trauer.
So stritten wir, bis ich dem Hasen beschrieb, wie unnütz ich mich fühlte, nicht ungeliebt, aber so unnütz. Er war entsetzt und ab dem Zeitpunkt wurde aus dem Streit ein gegenseitiges Trösten und um ein paar Minuten nach Mitternacht, wurde der Hase weich. Er stellte einige Bedingungen, um letztendlich zu sagen: "Du bezahlst und bilde dir nicht ein, dass ich diesen Hund je wirklich akzeptiere!" Hund war nicht das Wort, was er benutzte, aber nur als letze Gegenwehr)
Es war ihm nicht bewusst, aber gerade war der Valentinstag einige Minuten alt und mein Valentinshase bescherte mir ein
ganz großes Geschenk. Ich konnte nicht schlafen vor Freude und so lag ich wach, weinte um Willi und freute mich doch auf das, was da kommen würde. Lange vor meiner gewöhnlichen Aufstehzeit saß ich mit dem Hasen am Topflappen (so nenn ich mein Laptop) und suchte nach dem Zwinger, aus dem Susi kam. Susi war irgendwie kein echter Hund, sondern ein Falscher, also ohne Papiere, aber auch das war mir egal, sie war toll. Ach ja, der treue Leser weiß, dass Susi der Hund einer lieben Nachbarin und Freundin ist und dort hatte ich auch meinen Willi her. Nach dem Tod ihres Hundes (namens Benny, der Willis Bruder war), hatte
Gabi, besagte Nachbarin, sich geraume Zeit später besagte Susi gekauft. (Boah, was für ein langer Satz!) Ein süßes Vieh, das mich sofort in ihr kleines Hundeherzchen schloss. Ich hatte sie auf dem Schoß und es war wie ein Wunder. Die eiserne Hand der Trauer öffnete die Klauen und mein Herz klopfte kräftig. Ich mochte die kleine Susi nicht mehr hergeben. Auch heute ist es zwischen uns etwas ganz Besonderes und..... Na, ich will nichts vorwegnehmen.
Ich hatte Gabi alle Infos über ihren Hund entlockt und saß nun, um zu erfahren, ob diese Züchterin, die etwa fünfzehn Autominuten von mir lebte,
eventuell grad Welpen hatte und was denn ein "echter" Bolonka Swetna kostete. Da stand sie, die Telefonnummer und als ich nach dem Apparat griff, um dort anzurufen, mischte sich der Hase ein. "Süße, haste mal auf die Uhr gekuckt!" mümmelte er frühstücksessend vor sich hin. Musste ich nicht, denn just in diesem Augenblick, schlugen unsere beiden alten Regulatoren sieben mal. "Wäre ganz schön unhöflich!", mümmelte der Hase grinsend weiter. Bis um acht hab ich warten können. Wer Hunde züchtet, muss schließlich früh raus, beruhigte ich mich selbst. Das Freizeichen schien ewig zu brauchen, ja bis dann eine
Frauenstimme sich meldete. "Ich will einen Hund, einen, wie Susi, die sie den Peters gerade verkauft haben!" "Ich will!" und der Ton, das kannte ich selbst nicht von mir, aber auf der anderen Seite des Hörers mümmelte (also auch speisend) es lachend: "Ruhig Brauner, kann ick erst mal meene Schrippe runter schlucken? Und denn jeh ick gleich los und hol ihnen enen. Is ejal wat für ener, zum Mitnehmen oder nur fürt Jassi jehn?" gackerte sie dann. Daran habe ich schließlich auch gemerkt, dass die gute Frau mich verkackeierte.
"Entschuldigung!", brachte ich gerade noch so über die Lippen und dann
erklärte ich genau, was ich denn auf dem Herzen hatte. Dabei erzählte ich ihr auch, dass Willi grad gegangen war und ihre Stimme wurde ganz weich. "Ick hab nu so vülle Hunde, aber eens kannste glooben Mächen, ick heul jedes mal Rotz und Reiherschnecken, wenn so een Strolch jejangen is. Da jewöhnt man sich nie dran!" Sie erzählte, dass ein weiteres Paar heute kommen und sich eines der beiden Welpen aussuchen würde, die noch da waren. Die andere könne dann ich haben."Aba die sind schon nen biscken älter, also eene Woche üba nen viertel Jahr und zwee Weiba!" Ich erklärte ihr, dass ich gerne wieder einen Rüden gehabt hätte, aber
sie winkte ab. "Son Quatsch, die Mächen lassen sich viel bessa aziehen und sind verschmusta. Kannste glooben!"
So machten wir einen Termin aus, und zwar in zwei Stunden. Der Hase und ich absolvierten eine Art Speedeinkauf, kauften alles fürs Hundebaby ein und sogar fürs Hundeklo konnte der Hase noch alles besorgen. Gabi hatte mich gewarnt. Du die Rasse, die mag Autofahren nicht. Susi hat mir auf der ersten Fahrt die Handtasche so vollgekotzt, dass ich sie wegschmeißen musste." Wieder auf dem Weg zum alten "ich" fragte ich natürlich spitzbübisch: "Wen jetzt?", und Gabi fragte verwirrt:
"Wen was?" Ich musste dann lachen. "Wen hast du weggeworfen, den Hund oder die Tasche?" Wir lachten beide herzlich. Auch Gabi war erleichtert, dass ich wieder ein wenig zum Scherzen aufgelegt war.
Nun war ich also auch für diese Eventualität vorbereitet. "Süße, du weißt aber, es kann sein, dass wir heute ohne Hund zurückkommen!", sagte Andi, also der Hase vorsichtig auf dem Weg zur Züchterin. Ich nickte, Ja klar, ich hätte jeden Hund mitgenommen dreibeinig, blind, nackich oder auch bissig, aber ohne wäre ich nicht nach Hause gefahren. Der Hase kennt mich
und liest in mir, wie in einem offenen Buch und so grinste er nur.
Dann war es endlich so weit. Ich stand auf einem recht verwinkelten Grundstück und alles, was ich hörte, war ungeheueres Gebell. Es war zugig und armkalt, aber all das zog an mir vorbei. Dann plötzlich kam eine kleine rundliche Frau auf uns zu, im Schlepptau eine Familie mit zwei Mädchen so zwischen zehn und zwölf Jahren. "Wir ham telefoniert?", fragte die Frau, und als ich nickte, winkte sie uns zu, wir sollen ihr folgen, was wir taten. "Ick zeig ihnen mal die Eltern, dass se ne Vorstellung ham!", sagte die
Züchterin und drückte eine Zwischentür zu einem weiteren Hof auf. Ähnlich wie die Bremer Stadtmusikanten standen dort die verschiedensten Hunderassen übereinander und begrüßten uns lautstark. Eltern von irgendwas zu erkennen, war in diesem Gewusle schier unmöglich, aber ich nickte. Dann führte uns die Frau zu einer Umzäunung, die an einen winzigen Hühnerstall angebaut war und in der Wärmelampen hingen. "Ja, wo sind denn die Süßen?", war das Letzte, was ich noch wahrnahm. Dann kamen die Welpen aus der "warmen Stube" herausgeschossen und hielten abrupt inne, als sie uns Fremde bemerkten. Wie auf Kommando
verdrückten sie sich in die hinterste Ecke der Umzäunung und schauten schüchtern, aber auch voller Neugier zu uns herüber. Die Mädchen brachen in wahre Begeisterungsstürme aus, aber aus irgendeinem Grund stoppte der Vater sie.
Ich hockte mich hin, um nicht so bedrohlich zu wirken und schaute mir diese zauberhaften Wesen genau an. Eine der beiden war fast völlig schwarz, die Zweite hatte eine weiße Brust, weiße Augenbrauen ein winziges Bärtchen und weiße Pfötchen. Diese war es auch, die eine erste Reaktion zeigte, nachdem ich sie zum Kommen aufgefordert hatte.
Angeschmiegt an ihre Schwester hob die Kleine wie in Zeitlupe ihr Pfötchen in meine Richtung. Es war, als wollte sie sagen: "Ich find euch echt spannend, aber ein bisschen Bammel hab ich trotzdem." nichts und niemand hätten mich in diesem Augenblick auch nur für eine Sekunde ablenken können. Ich konnte mich ihrem Blick kaum entziehen, da sagte der Hase leise: "Du hast dich längst entschieden, oder?" Ich flüsterte genauso leise zurück. "Können wir nicht beide nehmen?" Sein Räuspern holte mich in die Realität zurück. "Zeig nicht, wen du haben willst, sonst entscheidet sich die Familie genau für die kleine Winkekatze!", flüsterte er und
vermied den Blick auf die Welpen. Klar er hatte ja recht. Also ging ich schnurstracks auf die Züchterin zu und sagte leise: "Also wir (und die Betonung lag auf wir) haben uns entschieden!" Bedauernd hob sie die Schultern und flüsterte zurück: "Sorry, aber die da warn eher hier!" Wie aufs Stichwort lief das Familienoberhaupt des anderen Paares auf die Züchterin zu. Ich zog mich zurück und lehnte mich ängstlich, den Blick abgewandt an den Hasen. Dann verschwand die Familie urplötzlich und die Züchterin knurrte: "Der Mischpoke hätt ick nich mal nen Meerschwein verkooft!" Ich fragte besser nicht nach und zeigte breit
lächelnd auf den Welpen, den wir ausgesucht hatten. "Ganz ehrlich? Ich hätte gerne alle beide genommen, aber die Last der Arbeit hinge dann an ihm!" Liebevoll schaute ich den Hasen an.
Hoffnungsvoll tat dies auch die Züchterin. "Ick mach ihn och en tollen Preis!", fügte sie ihrem Blick hinzu. Einen Augenblick schien es, als würde der Hase überlegen, aber dann schüttelte er bedauernd den Kopf. Die Züchterin nahm unseren Welpen aus dem Gatter und das Schwesterchen flitzte zurück ins Warme. Dann war es so weit. Ich hatte die Kleine auf dem Arm und zwei tiefbraune Augen schauten mich fast
erwartungsvoll an. "Hallo Hübsche, magst du mit uns mitkommen?", flüsterte ich völlig ergriffen und die Tränen schossen mir in die Augen, als sie sich an mich ankuschelte. Dieser Blick, ich dachte einen Moment lang, es wäre Willis erwartungsvoller Blick, aber dann war dieser Augenblick vorbei.
In meinen Armen lag ein schwarzes, warmes Lockenbündel, nicht mal ganz 2 kg schwer. Als wir die Formalitäten klärten, setzte ich das kleine Hupfel in Andis Arme. Ich konnte sehen, was in diesem so starken Mann vorging. Dann erfuhren wir ihren Namen. "Is en kleener Wildfang und wir ham sie Hella
jenannt und die kommt von den Rabauken! Det passt bei den kleenen Pups, wie die Faust uffs Oge!" Die Züchterin hatte uns einen guten Preis gemacht und bat uns, uns einmal zu melden, was aus der Kleinen geworden ist und entließ uns mit einem weinenden und einem lachenden Auge.
Ich wollte, dass der Zwerg einen anderen Namen bekommt. Bei Hella fiel mir sofort "von Sinnen" ein, eine tolle Frau, Entertainerin, Schauspielerin, superklug und engagiert. Aber der Winzling hatte so gar nix mit ihr gemein. Diese Fellknäul sollte Trudi heißen. Wir nahmen Trudi mit uns nach
Hause und als erstes wurde der aktive Scheibenwischer angebellt. Trudi war selbst erschrocken darüber und schwieg sofort wieder. Ja, Autofahren war wohl nicht die Lieblingsbeschäftigung dieser Rasse. Willi hörte nur, dass wir nun mit dem Auto irgendwohin fahren wollten, und stand bei Fuß. Autofahren war für ihn ein ganz tolles Erlebnis. Doch zum ersten mal wurde mir bewusst, dass man das neue Hundebaby nicht mit dem langjährigen Freund vergleichen durfte, es hätte bei diesem Vergleich verloren und das wäre unfair gewesen. Nachdem Trudi sich ihr Frühstück noch einmal durch das putzig Köpfchen gehen lassen musste, kamen wir auch schon zu Hause
an.
Ich wollte das Bündel absetzen, damit sie sich einschnüffeln konnte. Doch da hatte ich die Rechnung ohne die Kleine gemacht. Sie krabbelte an mir hoch und hielt sich unmissverständlich fest. Nein, runter wollte sie nicht. Okay, so sollte sie ihren Willen haben. Schließlich wollte ich, dass sie sich wohlfühlte.
Es war nicht das letzte mal, dass Trudi ihren Willen durchgesetzt hatte und wir sollten noch unser blaues Wunder erleben. Gerade kuschelte sie sich an mich und ich genoss es. Am frühen Nachmittag ging die Kleine das erste Mal
auf ihr Klo, eine riesige Holzkiste gefüllt mit neuem Buddelsand und echtem Rasen mittendrin. Herrchen war stolz, wie Bolle, als unser Baby das erste mal in diese Kiste struselte. Nur danach, da wollte sie wieder hoch und quietschte so lange, bis sie ihren Willen bekam.
Ich war so glücklich und lächelte selig den ganzen Tag vor mich hin, und als ich mal aufs Örtchen musste, hielt Herrchen das "Kind" und es sah irgendwie nicht so aus, als wäre die Kleine ihm schnurz. Doch auf Nachfrage kam nur: "Ich kann die gar nicht leiden!" Na ja, dass dies gelogen war,
das hätte ein Blinder gesehen.
Wir waren uns einig, ins Bett gehört ein Hund nicht, auch kein Schoßhund und schon bei Willi waren wir da zu nachgiebig. Also baute ich Trudi ein Bettchen auf einem Hocker, der neben meinem Bett stand, damit sie nicht allein wär. Als ich sie hinlegte, ich schwöre, sie zog böse und missbilligend die Augenbrauen zusammen. Nach einem weiteren Laut der Missbilligung sah es dann aber so aus, als würde sie sich fügen.
"Geht doch!", meinte Herrchen. Ich war
noch nicht so überzeugt. Und richtig. Ich lag noch nicht ganz, da war dieser Winzling über eine riesige Hürde aus Kissen gekrabbelt und legte sich, wie ein Menschenkind in meinen Arm. Grad wollte Herrchen was dazu sagen, lag sie in seinem. Er war sprachlos.
In der ersten Nacht ist der Hase aufgestanden und mit ihr struseln gegangen. Ich hörte die beiden. "Geht ja nicht, dass du Pipi in unser Bettchen machst. Kriegst nachher noch einen Hatschie. Komm Kleine, nicht spielen, ist doch kalt! Papa nimmt dich und wärmt dich. Fein hast du gemacht! Komm, nun machen wir wieder Heia!",
sprach der Hase in Babysprache und nahm die Kleine mit ins Bett, worauf hin beide tief und fest einschliefen.
Ich hatte natürlich nichts gehört, schon gar nicht die Babysprache und ich würde einfach weiter tun, als hätte ich nichts bemerkt. Dieses Bild von meinem Mann und diesem kleinen Wesen, wie sie nebeneinander schliefen, es war ein Bild der Vollkommenheit, so friedlich. Etwas schuldbewusst flüsterte ich in den Nachthimmel. "Sorry, Willi, die Kleine hättest du auch gemocht und dich, dich werde ich nie vergessen!"
Wieder einmal weinte ich um meinen
Freund, doch von da an gab es jemanden, der mich trösten konnte und der mich in Schach hielt und warum Trudi nicht mehr Trudi heißt, das ist ein umfangreiches Thema für die nächste Geschichte.
© S. Scheuing 2015