Seine Finger glitten über das dunkle Teakholz des Bilderrahmens, dann über die Glasscheibe, bis sie schließlich an einer Stelle verharrten. Jackson konnte zwar seine Hand, nicht jedoch seinen Blick vom Stammbaum der Blackburns lösen. Sie fiel zurück in seinen Schoß und blieb dort regungslos liegen. Er schloss die Augen und ging im Kopf die Namen seiner Vorfahren durch. Von Montgomery Blackburn über Henry und Jaden bis hin zu... Gale Blackburn. Geboren 1974, gestorben 1994. Verheiratet mit Sophie Blackburn, geboren 1975 als Walker. Ein Kind,
Jackson Blackburn. Im Jahr 1994 geboren. Ja, er konnte sie alle auswendig, samt Ehefrauen und Lebensdaten. Nicht weiter verwunderlich. Laut seiner Mutter studierte Jackson den Stammbaum, seit er fünf Jahre alt gewesen war. Fast jeden Tag hatte er in Schneidersitz davor gesessen, die Hände im Schoß gefaltet, und jede Einzelheit des Bildes registriert. Die leicht verblasste Schrift im oberen Bereich, die dunklere an den Stellen, an denen Jackson und das Sterbejahr seines Vaters hinzugefügt worden waren. Der Stammbaum hing über der Couch, seit Jackson denken konnte. Er wusste,
dass dieser Stammbaum einst von seinem Urgroßvater persönlich angefertigt und seit dem in Ehren gehalten worden war. Nach dem Tod seines Urgroßvaters Henry ging das Stück an dessen einzigen Sohn, Jaden Blackburn. Als dann Jacksons Vater starb und Jackson zur Welt kam, hatte Jaden den Stammbaum ausbessern lassen und darauf bestanden, dass Sophie ihn bekam. Seit diesem Tag hing der Teakholzrahmen in ihrem Wohnzimmer. An der Wand über dem Sofa, neben den großen Fenstern mit den langen weißen Vorhängen, die sich gerade in einem leichten Windstoß aufbäumten, und gegenüber des Kamins, einem der wenigen Luxusgegenstände,
die sie sich geleistet hatten. Es hatte sich natürlich einiges verändert in der Zeit; die Teppiche waren ausgetauscht, die Wände renoviert worden. Die großen Fenster mit den weißen Vorhängen hatten einst gelbliche Gardinen mit Blumenmuster geziert. Doch der alte, teure Teakholzrahmen war während all der Jahre an Ort und Stelle geblieben. Jacksons Blick glitt erneut über das Bild, suchte, und fand den kleinen Tintenfleck. Kaum sichtbar, und so unauffällig, dass nicht einmal seine Mutter ihn je bemerkt hatte. So klein, dass er vermutlich selbst von seinem Urgroßvater nicht entdeckt worden war. Und doch vorhanden, sodass Jackson ihn
gefunden hatte, als er sieben Jahre alt gewesen war, und stundenlang in tiefster Konzentration Stück für Stück den Stammbaum genau untersucht hatte. Ein winziger Fleck schwarzer Tinte, von vielleicht einem halben Millimeter Durchmesser. Direkt neben Mary-Anne Grays Namen, schon beinahe nicht mehr zu sehen. "Ich bin wieder da, Jackson! Hab dir einen Cappuccino mitgebracht, steht in der Küche auf dem Tisch. Sind die Hausaufgaben fertig? Mann, war das ein Tag heute", unterbrach der laute Redeschwall seiner Mom Jacksons Gedanken. Er hörte, wie sie sich auf
einen Stuhl fallen ließ, und die Schuhe von sich schleuderte. Er stand auf und ging zu ihr in die Küche. "Danke, Mom. Klar, weißt du doch. Was war los?" So machten sie das immer - Sie bombardierte ihn mit zusammenhanglosen Sätzen und er versuchte, alle systematisch zu beantworten. Jackson grinste in sich hinein. Er liebte diese täglichen Rituale. Dann schlenderte er zu ihr hinüber, griff nach dem Cappuccino - dieser war auch einer von ihren Traditionen, ebenso wie ihre Frage nach den Hausaufgaben. Sie wusste, dass er sie schon fertig hatte. Jackson machte seine Hausaufgaben in
der Stunde, während der entnervte Lehrer dem Rest der Klasse zum sechsten Mal das Thema zu erklären versuchte. Allerdings stieß er da auf fruchtlosen Boden. Seine Klasse war und blieb dumm. Aber nicht weil sie nicht anders konnte, sondern weil sie nicht anders wollte. Er hatte sich daran gewöhnt und die Lehrer taten das auch langsam. Inzwischen unterrichteten sie beinahe nur noch Jackson. Er sah seine Mutter an, die sich gerade ihres Mantels entledigte. Sie pustete sich eine Strähne aus den Augen, sank dann zurück, um sich mit Daumen und Mittelfinger der rechten Hand die Schläfen zu
massieren. Erschöpfung. Müdigkeit. Anspannung. Seine Mutter arbeitete als Krankenschwester und verdingte sich nebenbei als Angestellte in einer Zoohandlung, um sie beide zu versorgen. Aber das Geld reichte trotzdem kaum aus. Jackson bewunderte seine Mom. Sie arbeitete Tag und Nacht, und erzog ihn allein. War immer für ihn da, wenn er mal mit jemandem reden musste, obwohl sie selbst genug Stress hatte. Er stand auf, stellte sich hinter sie und begann, ihre Schultern zu massieren. "Danke, genau das, was ich jetzt brauche", sagte sie und seufzte genüsslich. Jackson lächelte. Mit dem
Daumen ertastete er eine Verspannung und löste sie vorsichtig. Seine Mutter gab einen wohligen Laut von sich, und erzählte dann von ihrem Tag. Nach drei Minuten ehrlichen, angestrengten Zuhörens schaltete sein Gehirn auf Autopilot und er nickte ab und zu oder murmelte etwas Zustimmendes. Doch von dem, was sie sagte, bekam er kaum etwas mit. Ihren Gesten zufolge beschwerte sie sich über ihren Chef oder die konkurrenzsüchtige Mitarbeiterin. Jacksons Gedanken schweiften ab. Aber zu nichts bestimmtem. Er konnte sich nicht konzentrieren, hinter seinen Schläfen pochte es schmerzhaft. Die Gedanken wirbelten ihm durch den Kopf,
doch wenn er versuchte, einen festzuhalten, war er ihm im nächsten Moment schon wieder entglitten. "...aufmachen, Jackson?" Sein Gehirn bemerkte eine an ihn gerichtete Frage und stellte den Autopiloten ab, jedoch zu spät. "Wie bitte? Entschuldige." Sie verdrehte die Augen. "Ich habe gefragt, ob du den Brief jetzt aufmachen möchtest." "Welchen Brief?" Erneut ein Augenrollen seitens seiner Mom. "Hast du mir während der letzten fünf Minuten eigentlich zugehört?" "Öhm..." Er legte den Kopf schief und grinste.
Sie schüttelte ebenfalls grinsend den Kopf. "Was soll nur aus dir werden? In Kurzfassung: Hier ist ein Brief für dich angekommen." Jackson sah überrascht auf. Er bekam so gut wie nie Post. Von wem auch? Viele Freunde hatte er nicht, er war eher der verschlossene Typ. Außerdem waren die viel zu faul zum Schreiben. Seine Großeltern schickten ihm manchmal etwas, aber meistens Pakete mit Süßigkeiten, selbst gestrickten Socken oder beidem. Aber Briefe? Nein, nie. "Für mich? Bist du sicher?" "Ob du es glaubst oder nicht, aber ich bin des Lesens genauso mächtig wie du.
Sogar schon einige Jahre länger." Sie zwinkerte ihm zu. Dann stand sie auf, ging zu der Kommode im Flur, und kam mit einem Umschlag in der Hand zurück. Neugierig sah Jackson ihn sich an. Weiß, schlicht, ohne Absender. Sein Name in schnörkelloser, ordentlicher Druckschrift. Er drehte den Umschlag um, doch noch immer keine Spur des Versenders. Dann, langsam und vorsichtig, öffnete er ihn und zog den Inhalt heraus. Zwei aneinander geheftete Seiten, computerbeschrieben. Jackson spürte den aufmerksamen Blick seiner Mutter auf sich, während er
las. Sehr geehrter Mr. Blackburn, dies ist eine Einladung an das McAshe College Virginia. Wir bitten um Verzeihung, dass Sie diesen Brief erst jetzt erhalten, während des Schuljahres. Leider war es uns unter den gegebenen Umständen nicht anders möglich. Ich halte ein persönliches Gespräch für angebracht, damit alle Fragen und Unklarheiten Ihrerseits beseitigt werden können. Bitte kontaktieren Sie mich so schnell wie möglich unter der unten genannten Nummer. Anbei liegt ein
Anmeldeformular. Füllen Sie dieses aus, soweit Sie können. Selbstverständlich müssen Sie es erst abgeben, nachdem Sie alle notwendigen Informationen erhalten haben. Wie Sie wahrscheinlich wissen, ist das McAshe kein gewöhnliches College, weshalb wir uns freuen würden, wenn Sie so bald wie möglich unsere Fakultät bereichern. Mit herzlichsten Grüßen, Maureen McAshe Jackson überflog den Brief noch zweimal, bevor er dessen Inhalt richtig
begriffen hatte. Dann schob er ihn wortlos zu seiner Mutter hinüber, die abwechselnd Jackson und den Brief ansah. Er spürte ihre Neugier, auch wenn sie sich gelassen gab. Sie las den Brief und ließ ihn sinken, wobei ihre Hand leicht zitterte, wie Jackson bemerkte. Ein Schatten huschte über ihr Gesicht, eine wirre Mischung aus Gefühlen, die er so schnell nicht lesen konnte. Dann glich ihr Gesicht einer Maske. Der Mund zu einem schmalen Strich zusammengekniffen, die Augen ausdruckslos. Doch tief in ihren Augen erkannte er ein Glänzen voller Schmerz. Jackson konnte hinter ihre Maske
blicken. Verzweiflung. Besorgnis. Wut. Er spürte ihre Emotionen, aber er verstand sie nicht. "Nein. Keinesfalls wirst du auf diese Schule gehen. Vergiss den Brief." Sie sah ihn hart an. Ihre Stimme war kalt und beinahe tonlos. "Mehr gibt es darüber nicht zu sagen." Er wusste, dass es keinen Zweck hatte, jetzt zu widersprechen. Er würde mit ihr reden, wenn sie sich etwas beruhigt hatte. Der Sturm aus Gefühlen, der sie erfasst hatte, wütete noch zu stark in ihr. Also schwieg er. Schwieg, als sie langsam aufstand und sich dabei an der Tischplatte abstützte. Schwieg, während
sie sich mit zitternden Fingern die rotblonden Locken aus dem Gesicht strich. Schwieg, als sie die Stufen hinauf zu ihrem Schlafzimmer ging. Wow, das war heftig gewesen. So aus der Fassung hatte er sie schon lang nicht gesehen. Überhaupt schon einmal? Er wusste es nicht. Was sollte das für ein College sein? Noch nie hatte er davon gehört. Geschweige denn wusste er, warum es "kein gewöhnliches College" sein sollte. Woher sollte er auch? Er stütze die Ellenbogen auf den Tisch und den Kopf auf die Hände. Warum wollte ihm seine Mutter nichts sagen? Was wusste sie vom McAshe? Und warum wurde ausgerechnet Jackson dorthin
eingeladen? Zu viele Fragen. Zu viel zu verarbeiten. Und absolut keine Antworten. Konnte er sich mit dieser Maureen McAshe in Verbindung setzen, ohne, dass seine Mutter es bemerkte? Unwahrscheinlich. Und sowieso würde er ihre Erlaubnis benötigen. Er war noch nicht volljährig. Aber mal abgesehen davon - wollte er überhaupt an diese Schule? Er wusste rein gar nichts darüber. Und es musste schließlich einen Grund für die Reaktion seiner Mom geben. Eine Weile saß er so am Küchentisch und dachte nach. Er warf einen Blick auf die alte Standuhr im Flur, einem Erbstück
aus der Familie seiner Mutter und bemerkte, dass es schon fast zwei Uhr nachts war. Als er in seinem Bett lag, grübelte er weiter, bis sich seine Gedanken mit denen seines Unterbewusstseins mischten und er die magische Grenze von Realität zu Traum überschritt. Er träumte von seinem Vater. Sein Vater, wie er in einem Feuer umkam. Wie er im Flugzeug abstürzte. Wie er von einem Hochhaus sprang. Wie er erschossen wurde. Immer und immer wieder starb. Schweißgebadet fuhr Jackson hoch. Sein Atem ging schnell und unregelmäßig, ebenso wie sein Puls. Er pustete sich eine verklebte Locke aus dem Gesicht und schaute auf den
Wecker, der auf dem Nachttisch neben seinem Bett stand. 4:20. Na super. Stöhnend ließ er sich zurück in die Kissen sinken. Alle Träume hatten etwas gemeinsam gehabt. Abgesehen davon, dass sein Vater jedes Mal gestorben war. Er hatte kein Gesicht gehabt. Seine Mom hatte Jackson seinen Vater schon oft beschrieben: Die haselnussbraunen Augen, die gerade Nase, den sanft geschwungenen Mund, die scharfen Gesichtszüge, das markante Kinn. Jackson hatte jede Einzelheit aufgesaugt, wollte alles haargenau wissen. Und doch hatte er nie ein vollständiges Bild vor Augen gehabt. In seinen Träumen sah er die schlanke Gestalt und die dunklen
Locken, aber das Gesicht hatte gefehlt. Einmal, als Jackson noch kleiner gewesen war und mit seiner Mutter den Stammbaum betrachtet hatte, strich sie ihm gedankenverloren durchs Haar und sagte, er hätte die gleichen Haare wie sein Vater gehabt. Seitdem ging Jackson so selten wie möglich zum Friseur. Neben dem Stammbaum waren seine Haare das einzige, das ihm von Gale Blackburn geblieben war. Jackson konnte nicht einschlafen. Irgendwann ging er wieder in die Küche, um sich ein Glas Wasser zu holen und bemerkte, dass im Schlafzimmer seiner Mutter noch Licht an war. Er schlich zur Tür und öffnete sie leise. Seine Mutter saß in ihrem Bett,
die Beine angezogen. Schnell wischte sie sich über die Augen, als sie ihn sah und lächelte ihn schwach an. Er lächelte zurück, setzte sich neben sie und legte einen Arm um sie. Eine Weile saßen sie so da, schweigend, sie strich ihm durch sein Haar, wie damals, als er noch ein kleines Kind gewesen war.
Sie löste sich von ihm. "Du hast heute Schule, geh schlafen. Ich hab dich lieb." "Ich hab dich auch lieb, Mom." Er umarmte sie fest. Den Weg in sein Zimmer nahm er kaum noch war war, dann schlief er ein und träumte von brennenden Schulen und seiner weinenden Mutter.
In der Schule dachte Jackson nach. Über den Brief, die Reaktion seiner Mutter und über seinen Vater. Merkwürdig. Er hatte seit Jahren keinen Traum vom Tod seines Vaters gehabt. Warum also jetzt? Hatte es an dem Schmerz in den Augen seiner Mom gelegen? Nur wenige Male hatte Jackson ihn bemerkt. Wenn sie etwas an seinen Vater erinnerte. Lag es daran? Hatte die Schule etwas mit seinem Vater zu tun? Aus diesem Brief konnte er keine Informationen entnehmen. Diese Maureen McAshe - aufgrund ihres Namens nahm er an, dass sie die Direktorin war - ging
anscheinend davon aus, dass er über das College Bescheid wusste. Was nur noch mehr bewies, dass seine Mutter ihm etwas verheimlichte. Jacksons Englischlehrer unterbrach seine Überlegungen mit einer Frage, die er ohne zu zögern beantwortete. Im Stillen dankte er seinem Unterbewusstsein, das während der Stunde aufgepasst hatte. So, weiter - seine Mutter, der Brief. Warum wollte sie nicht, dass er auf die Schule ging? Was war passiert? Dieser Schmerz in ihren Augen... Es war schrecklich gewesen. Er hatte eine Verletzung in ihrem Blick gesehen, die nie wieder würde heilen können. Sein Vater. Irgendwie hing alles zusammen. Seine
Mom hatte Jackson erzählt, sein Vater wäre bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Er hatte es nie geglaubt. Zumal keine Leiche gefunden worden war. Er musste mit seiner Mutter sprechen, unbedingt. Aber sie würde sich auf kein Gespräch einlassen. Sie hatte ihm klar gemacht, dass sie über diese Angelegenheit kein Wort mehr verlieren wollte. Und Jackson kannte ihre Sturheit. Er musste es einfach schaffen, sie zum Reden zu bringen. Schließlich hatte er ein Recht darauf, die Wahrheit zu erfahren. Es war immerhin seine Zukunft und sein Leben, was da auf dem Spiel stand. Diesen Entschluss gefasst
verließ er die Schule und ging nach Hause. Doch er musste warten, denn seine Mutter arbeitete heute bis spät in den Abend hinein. Jackson schloss die Haustür auf, feuerte seine Schultasche und Schuhe in die Ecke und seine Jacke auf einen Sessel. Kurz überlegte er, ob er sich etwas zu essen machen sollte und entschied sich dagegen, nachdem er einen Blick in den Kühlschrank geworfen hatte. Essen wurde sowieso überbewertet. Also ging er in sein Zimmer und schaltete den PC ein. Warum er gestern nicht auf die Idee gekommen war, nach der Schule zu suchen, wollte ihm nicht ganz klar werden. Er schob es auf seine Müdigkeit.
Ungeduldig lief er in dem kleinen Raum auf und ab, während der zehn Jahre alte Computer eine Ewigkeit brauchte, um hochzufahren. Als er es endlich geschafft hatte, öffnete Jackson seine Play List. Zufallswiedergabe, die Red Hot Chili Peppers. Standing in line to see the show tonight... Als nächstes googlete er "McAshe College Virginia". Keine Treffer, And there's a light on. Heavy glow... Er versuchte es mit "Maureen McAshe". Eine aus einem Ort in Wales, den er nicht aussprechen konnte, eine andere aus Melbourne, Australien. By the way I tried to
say... Aber niemand in Virginia. Als Google begann, aus "Maureen" "Mary" und "Marissa" zu machen, gab er es auf. I'll be there, waiting for. "Gale Blackburn McAshe" - Nichts. "Gale Blackburn Virginia". Wieder nichts, außer irgendwelcher Kondomwerbungen, die hoffentlich nichts mit seinem Vater zu tun hatten. Jackson fluchte leise und überlegte. Ihm fiel nichts ein. Inzwischen war By the way zu Ende und nach einer kurzen Pause begann Polemonium von Fewjar. Jackson war durch Zufall in YouTube darauf
gestoßen und er liebe diesen Song. Nun versuchte er es einfacher, "McAshe" Was er fand, waren viele Facebook- und Twitterprofile. Er stieß auf einen Wikipedia Eintrag über einen Gregor McAshe, den er nur kurz überflog. Gregor lebte Mitte des 18. Jahrhunderts in Italien und war ein wenig bekannter Wissenschaftler. Seine Eltern kamen aus den USA und zogen um, als sie ihren Sohn bekamen. Gregor experimentierte mit tierischen Genen herum und galt überall als verrückt. Warum er einen eigenen Wikipedia Artikel hatte wurde Jackson erst klar, als er die Todesursache las.
Gregor McAshe wurde von einem seiner Kaninchen ermordet. Jackson konnte sich ein überraschtes Auflachen nicht verkneifen. Eines von Gregors genmanipulierten Kaninchen war entwischt und hatte ihn angegriffen. Es war ihm im wahrsten Sinne des Wortes an die Gurgel gegangen. hatte ihm seine Zähne direkt in die Halsschlagader gehauen und nicht mehr losgelassen, bis sein Besitzer tot war. McAshe hatte sich noch gewehrt und das Kaninchen gewürgt, doch dieses hatte durchgehalten. Danach allerdings starb es an den Folgen der Strangulierung. So hatte ihn das Hausmädchen gefunden;
blutüberströmt und neben sich ein großes Kaninchen mit rotbrauner Schnauze. Damit hatte er sich die Schlagzeile gesichert und hatte so tragische Berühmtheit erlangt. Interessant zu lesen, aber nicht sehr hilfreich. Jackson fand noch einige weitere Ergebnisse zu "McAshe", aber keins davon sah vielversprechend aus. Jedenfalls glaubte er nicht, dass die Schule nach einem Café oder einer Klopapierfirma benannt worden war. Ein schottischer Hochspringer. War es das? War das McAshe eine Sportschule? Jackson war ganz gut in Sport, er bekam durchweg Einsen. Aber wodurch sollte
die Schule auf ihn aufmerksam werden? Und würde es nicht in der Einladung stehen, wenn es so wäre? Für diese Theorie allerdings sprach die Sorge seiner Mutter. Er konnte sich verletzen und lähmen. Aber das konnte auch an einer normalen Schule passieren. Und es erklärte nicht die Sache mit seinem Vater. Es war natürlich möglich, dass Gale wegen eines Sportunfalls gestorben war. Aber Jackson ging davon aus, dass seine Mutter ihm das irgendwann gesagt hätte. Es gab keinen Grund, das zu verschweigen. Er schloss den Browser und warf sich auf sein Bett. Jetzt konnte er nur abwarten und hoffen, dass seine Mutter
bereit war mit ihm zu reden. Oder sollte er doch schon die Schulleiterin anrufen und sie befragen? Aber dann würde sie bestimmt um ein Treffen bitten. Was sollte er antworten? Er wollte seine Mom nicht in Bedrängnis bringen. Nein, er musste warten. Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass er sich noch mindestens fünf Stunden würde gedulden müssen. Jackson stand auf und ging in die Küche, inzwischen doch hungrig. Der Kühlschrank bot seltsamerweise dasselbe wie vorhin, doch es wirkte einladender. Zwei verschrumpelte Tomaten, ein Teller mit drei harten Käsescheiben, eine halbe Salami und ein Joghurt, dessen
Verfallsdatum einen Monat überschritten war. Er nahm sich den Joghurt und die Salami und setzte sich an den Tisch. Gerade, als er den Joghurt gegessen hatte und sich der Wurst widmen wollte, klingelte das Telefon. Er war zu faul, aufzustehen und ließ es klingeln. Nach dem fünften Klingeln meldete sich der Anrufbeantworter. "Das ist der Anschluss von Sophie und Jackson Blackburn. Wahrscheinlich sind wir gerade nicht da, also hinterlassen Sie bitte eine Nachricht!" Auf den Piepton folgte erneut die Stimme seiner Mutter: "Hallo Schatz, ich bin's. Eine Kollegin ist kurzfristig ausgefallen und ich muss die
Nachtschicht übernehmen. Meld' dich, wenn irgendetwas ist!" Na super. War wohl nichts mit Reden. Aber Jackson machte sich Sorgen um seine Mutter. Ihre Stimme klang dünn und mitgenommen. Sie brauchte mal eine Pause. Er ging wieder nach oben in dein Zimmer, machte die Musik wieder an, legte sich auf sein Bett und warf im Takt einen kleinen Ball gegen die Zimmerdecke und fing ihn wieder auf. Bumm. Gegen die Decke. Bumm. Das Bild einer alten Schule im Wald. Bumm. Sein Vater in der Schule. Bumm. Er
selbst. Bumm. Eine Uhr. Bumm. Das viel zu schnelle Drehen der Zeiger. Bumm. Alles drehte sich. Bumm. Das Dröhnen seines Kopfes. Bumm. Er ließ die Hand sinken. Der Ball prallte vom Bett ab, fiel herunter, rollte über den Boden und blieb liegen. Jackson starrte die weiße Zimmerdecke an. Das regelmäßige Pochen seines Schädels wollte nicht zum Takt der Musik passen. Er schloss fest die Augen und verlor für eine Weile jegliches Zeitgefühl. Die Wiedergabeliste war zu Ende und Jackson
eingeschlafen. Als er aufwachte, war der nächste Tag bereits angebrochen. Die morgendliche Sonne wurde von einer hellgrauen Wolkenwand verdeckt. Jackson stellte fest, dass er die ganze Nacht in seinen Sachen geschlafen hatte, duschte und zog sich etwas Frisches an. Inzwischen war es beinahe sieben Uhr morgens. Aber es war Samstag. Das war auch gut, so hatte er genug Zeit um mit seiner Mutter zu reden. Er ging hinunter in die Küche und deckte den Frühstückstisch. Alles war ruhig. Anschließend ging er zum Briefkasten, holte die Rechnungen heraus und wollte wieder ins Haus gehen. Doch
an der Tür angekommen hielt er inne. Wo war das Fahrrad seiner Mom? Sie musste schon längst zurück sein und er war sich sicher, dass sie mit dem Fahrrad zur Arbeit gefahren war. Schulterzuckend ging er zurück in die Küche. Sie würde schon noch kommen. Die Zeit würde er nutzen, um sich genau zu überlegen, wie er das Gespräch am besten beginnen sollte. Er musste vorsichtig sein, sonst würde sie wieder abblocken. Jacksons Magen knurrte und er bemerkte, dass er zwar den Tisch gedeckt hatte, aber keine Brötchen da waren. Er entschloss sich, eine Runde joggen zu gehen und auf dem Rückweg beim Bäcker anzuhalten.
Er schaute ins Haushaltsportmonnaie, stellte fest, dass nur Kleingeld darin war und zählte es rasch durch. Es waren knapp acht Dollar. Würde reichen müssen. Also zog er seine Jogginghose an, steckte das Geld ein und lief los. Seit er denken konnte, lebte er in der Elmore Street in Greenbay, Wisconsin. Wenn er Zeit hatte, joggte er. Allerdings kam dies nicht sehr oft vor. Die Gegend war auch nicht besonders schön. Straßen voller Reihenhäuser mit etwas Grün. Jackson lief die Elmore Street entlang und bog nach rechts auf die North Oakland Avenue ab, die schließlich mit
der Dousman Street kreuzte. Er folgte dieser Straße und lief die große Runde um den Hiram Fisk Park herum. Er beobachtete die Menschen um sich herum. Die 3 Männer in schwarzen Anzügen und Aktentasche, die gestresst an der Ampel standen und ständig auf die Uhr sahen. Die beiden lachenden Frauen mit Kopftüchern, die jeweils einen Kinderwagen vor sich herschoben. Eine Frau, so dünn, dass man unter dem beigen Top die Rippen zählen konnte. Die Wangen waren eingefallen, die Knochen standen hervor. Dunkle Schatten um ihre Augen trugen den restlichen Teil zur traurigen Erscheinung der Frau bei. Ein Penner, der mit einer
Flasche Whiskey am Rand des Bürgersteigs lag. Jeder von ihnen erzählte seine eigene Geschichte und Jackson liebte es, sich diese auszudenken. Wahrscheinlich, weil er sich nicht über seine eigenen Probleme Gedanken machen wollte. Er sann über die Schicksale dieser Menschen nach, die traurigen und die schönen. Würde der Penner diese Nacht überstehen? Es sollte kalt werden. Und wenn er es schaffte, würde er die darauffolgenden überleben? Kurz überlegte Jackson, ob er dem Mann etwas Geld geben sollte, aber mit fünf Dollar konnte dieser wahrscheinlich auch nicht so viel anfangen. Außerdem sah er nicht
so aus, als würde er sie sinnvoll verwenden. Und die untergewichtige Frau? Was sah sie, wenn sie in den Spiegel schaute? Fand sie sich dick? Oder sah sie ein, dass es nicht normal war und aß wieder etwas? Jackson joggte weiter. Den Park hatte er inzwischen umrundet und lief seine allzu bekannten Schleichwege und Abkürzungen zurück. Er hielt beim Bäcker an, kaufte ein paar Brötchen und von dem Restgeld zwei Cappuccinos. Als er wieder zu Hause ankam, war eine gute Stunde vergangen, aber seine Mom war immer noch nicht da. Es war einer dieser Tage, an denen er
ohne Grund gute Laune hatte, und er drehte die Musik auf. Jackson summte mit, schnappte sich seinen Cappuccino und checkte seine Mails. Nur Werbung. Zwei Stunden später war sein Cappuccino leer und der seiner Mutter kalt und unberührt. Es klingelte an der Tür. Er wunderte sich. Ihr Hausschlüssel und ihr Fahrradschlüssel befanden sich am selben Ring und sie war mit dem Fahrrad zur Arbeit gefahren. Als er die Tür öffnete, war es allerdings nicht seine Mutter, die dahinter stand. Es waren zwei Polizisten. "Sind sie Jackson Blackburn? Der Sohn von
Sophie?" Jackson nickte. Die Polizisten nahmen ihre Hüte ab und senkten den Blick. "Es tut uns sehr Leid... Ihre Mutter ist heute verstorben, bei einem Verkehrsunfall."
movnis Wow. Ich war vom ersten bis zum letzten Wort gefesselt. Ich hab im Forum deinen Beitrag gesehen, dass du hier etwas veröffentlicht hast, das du mit 14 geschrieben hast. Wenn du damit Bloodline gemeint hast, bin ich schwerst beeindruckt. Dein Schreibstil ist wahnsinnig gut, die Idee (also was ich bis jetzt davon mitbekommen habe^^) verspricht einen interessanten Handlungsstrang, und der Text ist ziemlich fehlerfrei - ein riesen Plus. Normalerweise finde ich meistens etwas, das ich an einem Buch hier auszusetzen habe, aber hier müsste ich wirklich nach Kleinigkeiten zu suchen beginnen. So, mir ist doch noch was eingefallen: Das Cover ist äußerst nichts-sagend. Den Titel finde ich super, aber wenn du da noch ein passendes, ansprechendes Cover dazu hättest, wäre das natürlich noch besser :D Geht's denn hoffentlich bald weiter? :) Liebe Grüße, movnis |
jhnnrhd Ich freue mich riesig über deinen Kommentar, vielen Dank! Ich würde ganz gern mal weiter schreiben, habe auch einige Ideen, das Problem ist nur, dass ich meinen Laptop komplett neu aufsetzen musste, weil nichts mehr lief und hatte vorher kein Backup gemacht, dementsprechend ist jetzt alles weg.. Vielleicht finde ich ja ein Cover, das besser dazu passt, vielen vielen Dank! :) Liebe Grüße, Johanna |