Unvollendet
Der Tag, an dem mein Freund Willi starb, war einer der schwärzesten in meinem Leben und die folgenden Tage wurden zu einem Albtraum. "War doch nur ein Hund!", kam von den Herzlosen und von den Seelenlosen so etwas wie: "Lass dich doch nicht so gehen!"
Ich lasse, und zwar diese Menschen unkommentiert und langsam lasse ich auch los. Doch dazwischen lagen Monate des Leidens. Am 20. Januar 2014 mussten wir den Tierarzt bitten, unseren Willi von seinen Schmerzen zu
erlösen. Noch immer laufen mir bei dieser Erinnerung die Tränen. Doch das waren wir Willi schuldig.
Der Hase, der treue Leser, weiß, dass ich von meinem Mann spreche, hat Willi ein letztes Bett an einem wunderschönen Ort, einem Lieblingsplatz von Willi bereitet und im Sommer kann ich täglich darauf schauen. Gerade blüht dort eine winzige, weiße Rose.
Es war auch der Hase, der sich strikt weigerte, einen neuen Hund anzuschaffen. Ich habe es ja verstanden, denn ich bin gesundheitlich selten in der Lage nur einen Spaziergang zu machen,
geschweige denn die täglichen Gassirunden. Auf den Hasenschultern lagen also mehr Lasten, als die, die man üblicherweise so schleppen kann und schon einmal war er dem Teufel von der Schippe gehopst. Ich verstand ihn nur zu gut. Doch der Kopf ist eine Sache, aber ich litt so sehr unter diesem Verlust, dass ich an Nichts mehr Freude fand, und saß jeden Tag, die Hände im Schoß gefaltet vor der Glotze. Es war egal, ob diese an oder ausgeschaltet war, ich bekam eh nichts mit.
Es war so schlimm, dass ich weder reden mochte, noch schreiben. Das Letzte, was ich schrieb, waren Abschiedszeilen an
meinen Willi und die habe ich im Forum veröffentlicht. Danach fehlten mir die Kraft und die nötigen Worte, um mich auszudrücken. Ich fiel in ein tiefes, schwarzes Loch. Anfang Februar streifte mich eine Gardine, bewegt durch einen Luftzug und automatisch griff ich nach unten um Willi zu streicheln, denn es war, als käme er, um zu schmusen. Als ich merkte, dass er es nicht war, wurde mir so greifbar bewusst, dass er nie wieder kommen würde, um sich seine Streicheleinheiten abzuholen. Dieser Schmerz riss mich körperlich um. Ich konnte nicht aufhören zu weinen. Dem Hasen brach es fast das Herz, aber auch er konnte mich nicht trösten. Eigentlich
war ich ein Fall für den Seelendoktor. Doch was sollte ich dort, der konnte mir Willi auch nicht zurückgeben. Jeder Versuch mich zu überzeugen, mich behandeln zu lassen, war überflüssig. Mein Zustand wurde schlimmer, und ohne, dass ich es je ausgesprochen hätte, hatte, der Hase Angst, ich würde mir etwas antun.
Ich weiß heute nicht genau, ob ich wirklich so etwas erwogen habe, aber ehrlich? Ja, ich war soweit. Dumm? Okay, das mag sein, aber wer einmal in ähnlichen Situationen gesteckt hat, weiß, wovon ich hier rede. Nun könnte man annehmen, es ginge um emotionale
Erpressung, aber das kam erst später und eigentlich eher aus dem Zusammenhang aller Dinge, die mich so angreifbar machten, dass ich mein Leben nicht mehr zu würdigen wusste. Das spürte der Hase und seine Angst um mich ließ ihn ein erstes, vages Eingeständnis machen.
Er setzte sich zu mir und streichelte mich lieb. Ich dachte, es wäre wieder ein erneuter Versuch mich zu überreden zum Lala-Arzt zu gehen. Doch er begann überraschenderweise so: "Nehmen wir mal an, ich könnte mich selbst dazu überreden, einen neuen Hund hier einziehen zu lassen, wie sollte der
sein?", fragte er. Ich wollte abwinken, denn einen Willi würden wir eh nie wieder bekommen, doch gleichzeitig machte mein trauriges Herz einen fast winzigen Hupf. Hatte ich wirklich richtig gehört, oder spielte mir mein Verstand, wie so oft in letzter Zeit einen Streich? "Was stellst du dir denn da so vor? Du weißt, Willi können wir nicht ersetzen, aber wenn es denn nun sein muss, dass du endlich wieder du selbst wirst und das nur mit einem Hund geht, dann in Gottes Namen, aber kein Großer!", sagte er, weil ich ja immer noch schwieg. Stattdessen schaute ich ihn an, wie eine Kuh, mit riesigen ungläubig blickenden Augen. Der sonst
so wortkarge Hase kam langsam in Fahrt. "Es müsste ein Kleiner sein, etwas, was leicht zu handhaben wär. Ich würde dann ein Hundeklo auf den Balkon bauen, wo er früh oder bei schlechtem Wetter, oder wenn ich weder Lust noch Zeit habe für eine Gassirunde, na ja, wo er dann dorthin machen kann. Ich hab mich da mal belesen." Sein letzter Satz, der war ausschlaggebend für meine erste normale Reaktion. Der war es, der mich überzeugte, dass ich richtig gehört hatte, dass der Hase meinte, was er da sagte. Über mein völlig verweintes, verschwollenes Gesicht huschte ein Anflug von Lächeln und leise flüsterte ich: "Du meinst das
ernst?" Er nickte. "Das ist alles so furchtbar, und wenn ich dich anders nicht dazubekomme, wieder zu mir zurück zu kehren, dann eben so!"
Die Zeit zwischen seiner Erklärung, die wieder einmal eine versteckte Liebeserklärung war, und meiner Antwort, schien unendlich lang zu sein. Ich wusste, er wollte immer noch kein neues Haustier, auch keinen Hund, aber ich hatte, wie er verstanden, dass dieses Unmaß an Trauer nur abzuschwächen oder gar zu beenden war, wenn etwas Gravierendes passieren würde. Das war wohl der Einzug eines Hundes. Ich fiel
dem Hasen in die Arme und weinte und lachte gleichzeitig und er küsste mir die Tränen vom Gesicht. "Wenns nun so sein soll!", beschwichtigte mein Gatte eher sich selbst, als mich. Ich hatte diesen Seufzer verstanden und versuchte ihm zu zeigen, wie sehr er mit seinem Zugeständnis richtig lag.
"Weißt du, die Peters im Haus, woher wir den Willi hatten, haben sich nach dem Tod ihres Hundes Benny, der ja Willis Bruder war, so einen schwarzen süßen Hund gekauft. Sie heißt Susi und ich habe die Peters mal besucht und Susi hat mich mit ihrem zauberhaften Wesen und diesen tiefbraunen Augen sofort in
ihren Bann gezogen. Sie wäre auch klein genug von der Rasse!" Unvollendet ließ ich den letzten Gedanken im Raum stehen. Der Hase nickte. Er hatte Susi auch schon einmal gestreichelt, kannte sie also. "Was´n das für ne Rasse?", fragte er kurz angebunden. Ich zuckte mit den Schultern, denn das wusste ich nicht.
"Dann schlag ich vor, du gehst mal fragen!", war die nächste, fast mürrische Frage. Ich war irritiert. Ja, es wäre zwar nach Willis Tod, der erste Besuch bei den Peters, aber der Grund war doch ein erfreulicher. Nur warum war der Hase plötzlich so komisch? Ich wollte das
nicht rauskriegen und beeilte mich, um schnell aus der Wohnung zu kommen. Für schwierige Situationen hatte ich eine Nase und die entwickelte sich gerade in diese Richtung. Dann aber stand ich schon vor Gabis Tür.
Sie war erstaunt, hatte natürlich von Willis Weg in den Hundehimmel gehört und wusste auch davon, dass wir wohl nie wieder einen Hund haben würden. Ich weinte und lachte abwechselnd, als ich ihr alles erzählte. Sie weinte mit mir um Willi und auch um Benny und das tröstete mich paradoxerweise. Doch dann kamen wir auf Susi und Gabi erzählte mir, woher sie die Kleine hatte,
was so ein Tierchen kostet und alles weitere. Susi saß dabei auf meinem Schoß und lehnte sich vertrauensvoll an mich an. Sie spürte mein Herzweh, aber auch die aufkeimende Freude. Dieses kleine Bündel, es nahm mir, solange sie bei mir saß die Trauer und den Schmerz. Es war wie ein Wunder. Nach einer Stunde kehrte ich mit einem unguten Gefühl zurück in unsere Gefilde. Es täuschte mich nicht.
Der Hase saß auf seinem Sessel mit einem zusammengekniffenen Gesicht. Er musste nichts sagen. Seine Entscheidung war wohl aus dem Bauch heraus, unüberlegt und das war ihm in der Zeit,
wo ich bei Peters war, bewusst geworden. Vorsichtig schwärmte ich von Susi. Dies war auch die einzige Rasse, die Willi, der andere Hunde nicht mochte, nicht angebellt hatte. Davon erzählte ich ihm. Ich wollte nicht aufhören zu reden, denn ich wusste ja, was nun kommen würde. Aber als ich in sein Gesicht blickte, blieben mir die Worte im Hals stecken.
"Es geht nicht!", knurrte mein Mann. "Ich will das alles nicht noch mal!", setzte er nach, um dann zu schweigen. Der Kloß in meinem Hals wurde immer dicker und Tränen schossen mir in die Augen. "Aber warum hast du dann.....?",
schluchzend ließ ich den Rest der Frage offen.
Ich wusste es, ich spürte automatisch, wann die Situation gekippt war und ich wusste aus Erfahrung, dass nun Ende mit Hase war, denn so war er nicht mehr zum Gegenteil zu überzeugen. Wieder griff diese eiserne kalte Hand nach meinem Herzen. Für etwa zwei Stunden hatte ich die Trauer im Griff. Nun war es wieder anders herum. Schweigend ging ich in mein Bett und tat das, was ich die ganzen letzten Wochen getan hatte. Ich weinte. Ich war nicht böse auf den Hasen. Der Kopf verstand es. Aber diese Enttäuschung. Warum hat er erst gesagt....?
Es dauerte nicht lange, da saß er neben mir. "Du musst doch verstehen..?" Wow, der Tag der Unvollendung. "Tu ich! Ich verstehe jeden und alles und nun lass mich alleine!", antworte ich und wollte es so stehen lassen. Doch ich tat es nicht. Ich sagte ihm, dass es mir leidtut, ihn zu dieser ersten Entscheidung gedrängt zu haben, und das ich diese unverhältnismäßig starke Trauer selbst nicht erklären kann, aber sie wäre da und ließe mich nicht los. Medikamente bekäme ich genügend und so brauche ich auch keinen Arzt.
Es kam, wie es kommen musste, wir stritten, lautstark, was so selten vorkam.
Wenn er mich hätte in Ruhe gelassen und konsequent geblieben wäre, hätten wir heute.... Ja, wieder ein unvollendeter Satz.
In diesem Streit sagte ich ihm, dass ich mir unnütz vorkam und ich für alles jemanden bräuchte und ich für die Gesellschaft, für die Familie und auch für ihn nur der berühmte Klotz am Bein bin und Willi, der einzige war, der alles so hinnahm, wie es kam und mich trotzdem liebte und das ich dieses Gefühl nun verloren hatte. Wir warfen uns gegenseitig viele Dinge an den Kopf ungerechtfertigte und auch gerechtfertigte, aber als ich meinen
wirren Gefühlen freien Lauf ließ, hörte der Hase entsetzt zu. Ich weiß, ihr kennt das, Streit kann unsinnig sein und bleiben und was daraus resultiert ist nie vernünftig. Aber wir kamen auf einen konstruktiven Weg und natürlich musste einer ein wenig mehr nachgeben, als der andere, und wenn man sich liebt, hält sich so etwas die Waage, auch wenn so mancher Vorwurf starker Tobak war.
Im Prinzip habe ich alles gesagt, euch alles erzählt, und auch wenn diese Geschichte unvollendet scheint, ist sie es ganz und gar nicht. Sie hat ein Ende und sie geht auch weiter.
Ja, sie wird einfacher, amüsanter, kürzer
und länger, wie man es nimmt. Ich habe Worte wiedergefunden und ich vermag sie zu setzen. Noch nicht in alter Form und manchmal ist da diese Faust und Tränen gibt es noch zu viele. Aber auch Lachen und Liebe.
© S.Scheuing 2015