Prolog
Ist das mein Plan oder ihrer?
Die Frage gellte durch Elia Dents Kopf, während er den Gang entlang hastete und dabei verzweifelt versuchte, sich an das stählernen Geländer zu seiner Rechten zu klammern. Das allgegenwärtige Flackern verzerrte die behelfsmäßige Treppe aus Leichtmetall so sehr, dass er bei jedem Schritt fürchten musste, zu stürzen. Nicht wegen eines defekten Lichts, wie er sehr wohl wusste. Der Defekt lag ins einem Kopf, wo seine Sicht überblendet wurde
von den immer und immer wiederkehrenden Bildern, Visionen.
Hatte er sich noch zuvor durch einen spärlich beleuchteten Verbindungstunnel gekämpft, riss es ihn von einer Sekunde auf die andere zurück, zurück auf jenen organischen Felsen, der sich aus der blutroten Schlacke erhob; den Blick gen Norden gerichtet, wo sich aus dem Meer groteske Konstrukte erhoben. Sie verdrehten sich ineinander wie das Geäst kahler Bäume. Gerüste verrosteten Metalls türmten sich auf zu den Strukturen menschlicher Haut, menschlicher Muskeln, menschlichen Fleisches. Er knickte ein, als er sich des Schreckens bewusst wurde, vor dem er
floh. Die symmetrischen Schnitte, die leeren Augenhöhlen.
Es gelang ihm, sich wieder aufzurappeln, worauf er durch den flackernden Alptraum endlich sein Ziel erkannte. Am Ende des Ganges klaffte in Mitten rohen Felsens und unter Bögen fremdartig archaischer Architektur der Schacht eines Lastenaufzugs. Er eilte ihm entgegen, wurde von einer erneuten Vision niedergeschmettert.
Was waren sie? Vergangenheit? Gegenwart? Zukunft?
Er vermochte es nicht zu sagen, wohl aber fürchtete er, dass sein Herz mit jedem Flackern für einen Moment aussetzte, sodass ihn mehr denn je
Schwindel und Schwäche überkamen, die ihn zwangen, die letzten Meter zum vergitterten Zugang beinahe kriechend zurückzulegen.
Als er erkannte, dass der Aufzug dahinter ruhte, brach ein Moment der Klarheit durch seine Gedanken und erlaubte ihm, sich vor der Steuerungskonsole wieder aufzurichten. Nachdem er auf den vorstehenden, roten Knopf gehämmert hatte, stob das Gittertor zur Seite und er eilte hinein, prügelte den nächsten Knopf fast in dessen Halterung und atmete auf, denn die Plattform unter ihm begab sich mit einem metallenen Aufschrei nach oben. Ihn hingegen riss es wieder zu Boden,
kaum dass sich der Aufzug in Bewegung gesetzt hatte. Wie ein Sog schien es ihn zurück in die Tiefe zu reißen und zurück auf die Platte zu pressen, die ihn einzig von dem Alptraum trennte, dem er soeben entflohen war. Rote Blitze ließen sein Sichtfeld zersplittern, Schmerzen gellten durch seinen Kopf, dass es sich anfühlte, als würde sein Schädel zerspringen; seine Augen platzen. Je höher sich der Aufzug kämpfte, umso schlimmer wurde es, so unerträglich, dass der Gedanke in ihm aufkeimte, den zweiten Schalter zu drücken, zurückzufahren.
Ich kann nicht, darf nicht. Ich muss...
Er rollte sich von der Konsole weg und
krümmte sich auf dem Boden zusammen wie ein Embryo im Mutterleib, während die schweren Rollen sich mit dem Kreischen metallischer Geigen weiter nach oben kämpften.
Elia zählte Meter für Meter.
Als der Aufzug schließlich mit einem letzten Ruck zum Stehen kam, lag er von Krämpfen geschüttelt in einer Lache seines eigenen Erbrochenen.
Stimmen schallten von der anderen Seite des Gitters, doch er war unfähig, die Worte zu verstehen. Seiner Kraft beraubt, zog er sich mühevoll an den Stahlstreben empor, die die Kabine bildeten.
Schritte näherten
sich.
Fiebrig befingerte er den Kasten mit der Feueraxt, wobei er aber dazu verdammt war, immer wieder an dem filigranen Öffnungsmechanismus abzurutschen.
Ich muss, ich werde...
Seine Gedanken rasten, drehten sich im Kreis, zirkelten um jene eine Wahrheit.
Es ist zu spät.
Er vermochte nicht, es zu begreifen, vermochte nicht, aufzugeben, sodass er immer noch mit der Verankerung rang, während jemand hinter ihm das Gittertor aufschob.
„Was zum...?“, er begann die Stimmen zu verstehen, „Ist das Elia?“
„Hände weg von der Axt!“, forderte die
zweite Stimme, doch er verstand nur jene eine Tatsache: Wer auch immer sprach, wusste es; wusste genau, was mit ihm los war. Was er gesehen hatte.
Ob es sein Plan war oder ihrer, spielte keine Rolle mehr. An dieser Stelle hatte er seine Macht verloren und als er das begriff, kehrte das Flackern zurück, Bilder einer verrostenden, verblutenden Welt.
Er drehte sich um, worauf er, obwohl es ihm nicht einmal gelungen war, die Axt aus ihrer Halterung zu lösen, in den Lauf einer Waffe starrte.
„Keinen Schritt weiter!“
Er wünschte sich, dass es hier enden würde, wenn er es auch besser wusste. Er
setzte einen Schritt nach vorne und hörte den Schuss erst, nachdem die Kugel bereits jeden Gedanken aus seinem Hirn gefegt hatte.
Das Flackern endete in dem Moment, da ein einziger unfassbarer Schmerzimpuls seinen Schädel aufspaltete, und für immer überblendete der Anblick der grotesken Konstrukte die Welt, in der er einst gelebt hatte.
Willkommen in der Hölle.