Kallawaya
Der Hof lag im nachmittäglichen Schatten. Kühle umfing ihn. Wie wohltuend an diesem heißen Julitag. Der Zwergpinscher von Hausmeister Willi schlief tief auf dem schattigen Nordbalkon und gab kein Kläff oder Wuff von sich. „Diese Hundstage bringen Ruhe ins Haus“, schmunzelte er. Dann ruckelte Ferdinand sein Fahrrad in das verbogene überfüllte Fahrradgestell im Hof und schloss es an. Wann endlich würde die Hausverwaltung ein weiteres Gestell anschaffen, hier gab es nur einen Autofahrer, den Hausmeister, der auch die Garage nutzte. Alle anderen neun Wohnparteien mussten sich den einen Fahrradständer teilen, für dessen Benutzung
sie auch noch zahlten. Und das mitten in der Stadt, in einem Haus, das an der ersten Fahrradstraße Deutschlands lag. Er schob die ärgerlichen Gedanken beiseite, denn heute war ein Tag der Freude. Julia und er hatten für den Abend eine Einladung zu einem besonderen Fest, zu dem die UNESCO einlud. Anlass war das 10-jährige Jubiläum der Aufnahme der Kallawaya in die Meisterwerke des mündlichen und immateriellen Erbes der Menschheit.
Ein Ensemble aus Bolivien, das alte Quetchu-Gesänge und den Kallawaya-Tanz Qantu präsentierte, würde auftreten, sie würden anschließend mit speziellen Gästen essen und reden können. Endlich. Er hatte so viele Fragen, kam mit seiner Forschung nicht recht weiter. Wenn es auch mit seiner Forschungsreise nach
Bolivien nicht geklappt hatte, so war die Einladung zumindest ein kleiner Trost, auch ein Stück Anerkennung, vor allem aber die Möglichkeit des Austausches, wenn tatsächlich einige indigene Wanderheiler zu der Delegation gehörten.
Schon wollte er an den Briefkästen vorbei die Treppe hochstürmen, da entdeckte er den dicken Umschlag, der unter den Briefkästen lag. Ohne Briefmarken? Merkwürdig. Für wen mag der sein? Herrn Dr. F. Meisenberg stand in einer kleinen präzisen Handschrift darauf. Der Brief war für ihn. Absender? Viele unleserliche Zeilen auf der Rückseite. Nein, das konnte nicht sein! Sein Gehirn brauchte einige Zeit, um zu realisieren, was er da sah. Er kalibrierte es auf die seltene Fremdsprache. Das waren
Nachrichten in einer Quetchu-Sprache. Aber es war kein reines Quetchu. Nein, es war in Kallawaya geschrieben, der Geheimsprache der Wanderheiler. Der Brief musste also unter Umgehung der Post hier abgelegt worden sein. Und er stammte von jemandem, der wusste, dass er am Kallawaya-Sprachprojekt und an der Natural-Medicine-Forschung beteiligt war. Und der auch Kalawaya beherrschte. Ferdinand klemmte den dicken braunen Umschlag unter den Arm und stürmte immer zwei Stufen überspringen die Treppe hinauf, grüßte etwas abwesend eine schwarzgekleidete fremde Person, die ihm treppabwärts gehend ausweichen musste und hatte Augenblicke später seine Wohnung erreicht. Auf sein Klingeln reagierte keiner. War
Julia nicht da? Er kramte seinen Schlüssel aus der Tasche, bemerkte noch, dass Julia wohl vergessen hatte abzuschließen, die Tür öffnete sich von allein, als er dagegen drückte und er bekam einen Schlag auf den Hinterkopf als er seine Wohnung betrat. Als er aus der Dunkelheit mit einem dröhnenden Schädel und schmerzendem Körper wieder aufwachte, sah er sich zwei schwarzgekleideten Männern mit Sonnenbrille gegenüber. Sich zu bewegen misslang ihm, da seine Hände mit Handschellen an die Kopfstütze seines Schreibtischstuhles gefesselt waren. Seine Schulter schmerzte heftig, das fühlte sich nach einer Luxation an. Aufstöhnend drehte er vorsichtig seinen schmerzenden Kopf suchend hin und her. Julia war in absurd verschnürter Haltung auf dem
Fernsehsessel festgezurrt, allerdings hatte man sie mit den Füßen an die Kopflehne gefesselt. Sie hatte ein Pflaster über dem Mund. Nun bemerkte er, dass auch sein Mund verklebt war. Blödes Kopfkino, und er konnte nicht mal grinsen, war er in einen Sadomaso-Alptraum geraten? Die beiden Eindringlinge hatten die Wohnung wohl nach etwas bestimmtem durchwühlt. Sein Arbeitszimmer versank in einem Papierchaos. Die Flügeltür zum Wohnzimmer war geöffnet und er sah, dass auch hier der Teppich voller Manuskripte lag. „Wonach suchen die?“, überlegte er.
„So, Hombre, du hast zwei Möglichkeiten. Entweder du wirst jetzt mit uns kollaborieren, und kannst den Vertrag für deine Forschung unterschreiben, bekommst alle
Mittel und Möglichkeiten, wirst eine wundervolle natural medicine designen und heute noch Richtung Santa Cruz reisen. Deine Zuckerpuppe kannst du mitnehmen. Ihr werdet im Geld schwimmen“, sagte der schlanke Typ und verzog den Mund unter dem dünnen schwarzen Oberlippenbart zu einem Grinsen. „Oder…“, sein Deutsch war stark mit einem spanischen Akzent eingefärbt. Mit seinen letzten Worten riss er Ferdinand das Pflaster vom Mund. Ihm schien es, als läge in seinem Gesicht nun das nackte Fleisch blank, ein brennender Schmerz breitete sich aus und trieb ihm schlagartig Tränen in die Augen. „So geht das Rasieren doch viel einfacher!“ grinste der bullige vollbärtige Typ, der wie ein Schrank vor der Tür stand, so dass ein Entwischen nicht
möglich schien. Ferdinand verbiss sich den Schmerz. „Wollen Sie sich nicht erst einmal vorstellen, wenn Sie Geschäfte mit mir machen möchten? Ihr Auftritt bietet keine gute Vertrauensbasis für eine Kollaboration. Was wollen Sie eigentlich von mir und was hat meine Frau damit zu tun?“, fragte er.
„Sie brauchen mich, und sie sind nur Erfüllungsgehilfen. Ich benötige Informationen, um einen Plan zu entwickeln“, dachte er. Also setzte Ferdinand auf Angriff. „Hombre, werd nicht frech, wir können auch anders“, zischte nun der Türsteher, wie Ferdinand ihn bei sich nannte, trat einen Schritt vor und wedelte mit der Faust unter Ferdinands Nase herum. „Juan, der Mann ist ein Doctore, noch verdient er unseren Respekt, bis wir wissen ob er unser
Angebot und auch uns respektiert“, mit diesen Worten mischte sich nun der Andere ein und verwies den Schlägertyp zurück auf seinen Türplatz. Er wandte sich nun an Ferdinand: „Sie haben natürlich Recht, Señor, aber da wir von der Madam so temperamentvoll mit einem silbernen Koffer begrüßt wurden, wollten wir auf Nummer sicher gehen. Ich bin Manuel und meine Aufgabe ist es, mit Ihnen einen Forschungs- und Nutzungsvertrag über bestimmte Bausteine der geheimen und nur ihnen bekannten Kallawaya-Medizin abzuschließen. Leider haben Sie das Material und die Sprachbausteine ja nicht zu Hause. Hauptsächlich geht es dabei um die sogenannte Schmerzforschung. Unser Angebot lautet: Entweder unbegrenzte Mittel
und Möglichkeiten für Sie in einem von uns ausgewählten Land in Südamerika oder die totale Vernichtung all ihrer Dokumente und der in das Projekt Eingeweihten. Also Freiheit und Reichtum oder Tod von Ihnen und noch ein paar Leuten.“
Ferdinand lief es eiskalt über den Rücken. Das Wissen um die Schmerzforschung war sehr geheim, sehr neu und der Gegenstand von Forschungen, die auf der Basis der letzten Beobachtungen von Kallawayaritualen liefen. Fünf Menschen waren eingeweiht. Verdammt! Was lief hier? „Wer sind ihre Auftraggeber?“, fragte er zurück. „Hombre, wenn du das weißt, wirst du sterben, also frag das besser nicht, sonst …“, meldete sich Juan. Manuel warf nur einen kurzen Blick in dessen Richtung und der
Dicke verschluckte das, was sonst passieren würde.
„Manuel, ich schlage zunächst vor, sie verhelfen meiner Frau wieder zu einer würdigen Sitzposition, dann sollte ihr Türsteher uns allen zur Stärkung einen Drink eingießen und wir beide bereden in Ruhe, was zu machen ist.“ Ferdinand gab seiner Stimme einen lockeren Tonfall und versuchte einen kooperativen Eindruck zu vermitteln. Gleichzeitig schoss es ihm durch den Kopf: „Wo ist der Brief hingeraten, der unten am Briefkasten lag und was enthielt es?“ Manuel nickte in Richtung Ferdinand und sagte zu Juan: „Setz mal die Kratzbürste da drüben in den Sessel!“ Ferdinand riskierte es, nun an der Autoritätsschraube zu drehen und gab seiner
Stimme etwas Schärfe: „Diese Dame ist meine Frau, ihr Name ist Dr. Julia Meisenberg. Und ich erwarte, dass man sie entsprechend behandelt. Und lassen Sie meine Frau das Pflaster selber von ihrem Mund lösen, sie ist Ärztin und weiß was zu tun ist!“ Manuel schaute ihn kurz an und an seinem Lippenspiel sah Ferdinand, dass er mit sich rang, ob er diesen Ton akzeptieren sollte. Doch er tat es und wies Juan an: „Hilf der Dame in den Sessel und nur eine Fessel an einer Hand. Verstanden?“ Ferdinand sah, wie Juan sich widerwillig der Anweisung beugte. Julia, nun im Sessel platziert, massierte sich die Knöchel und entfernte mit ihrer freien Hand unter leichtem Stöhnen das Pflaster. „Also ist es für die beiden sehr wichtig, uns zur Kooperation zu
bewegen und gesund nach Südamerika zu bringen. Das muss ich ausnutzen“, speicherte Ferdinand ab. Manuel befreite Ferdinands rechte Hand und ließ nur dessen Linke mit der Handschelle an der Kopfstütze festgezurrt. Der rechte Arm fiel kraftlos schmerzvoll nach unten. Ferdinand schrie auf. „Was hast du Liebling?“, fragte Julia? „Ich glaube eine Luxation, kannst du versuchen den Arm wieder einzurenken? Sonst müssen wir ins Krankenhaus.“ Manuel wurde leicht ungeduldig. „Also keine Mätzchen, jetzt!“ „Das hätten Sie ihrer Kampfmaschine vorher sagen sollen, als ich die Treppe heraufkam, war ich noch in Ordnung!“ blaffte Ferdinand unter Schmerzen die beiden an. Julia hatte die Fassung wieder erlangt. „So, machen Sie mich los und holen Sie
meine Arzttasche, die steht im Flur! Sie haben ja mit dem silbernen Koffer schon Bekanntschaft geschlossen.“ Ihre Stimme ließ keinen Widerspruch zu. Juan holte den silbernen Arztkoffer. Nun sah Ferdinand das Briefpäckchen, das dahinter gerutscht war, als sie ihn niederschlugen. Doch Juan beachtete es nicht, brachte den Koffer. Julia zog eine Betäubungsspritze auf, erklärte den Beiden, was nun zu tun sei, wies Manuel an, ihren Mann festzuhalten und mit einem geübten Ruck setzte sie seinen Oberarm wieder in die richtige Position. Ferdinand wusste, die Spritze würde schnell wirken und den Schmerz erträglich gestalten. „So, nun gießen Sie uns mal einen Kognak ein, Sie können ja ihr Lieblingsgetränk wählen!“ gab Julia die
Hausfrau und tatsächlich, die beiden trabten zum Barwagen. Julia und Ferdinand warfen sich einen kurzen Blick zu. Das Lächeln in ihren Augen konnten ihre Aufpasser nicht sehen.
„Ich würde gern ins Bad gehen und mich etwas frisch machen. Keine Sorge, ich flüchte nicht und Sie haben ja meine Frau.“ Manuel warf ihm einen Blick zu. „Wohnungsschlüssel, Handy!“ befahl er mir. „Der Schlüssel muss noch draußen in der Tür stecken“, fiel ihm ein. Manuel, überprüfte das sofort und schloss die Wohnung von innen ab. Dann reichte Ferdinand ihm sein Handy, das er unbemerkt zuvor in den Ruhestand versetzte. Was die beiden nicht wussten, nur sein Fingerabdruck konnte den Chip entsperren. Juan warf noch einen Blick ins Bad, dass kein Fenster nach draußen
besaß und hielt Ferdinand auffordernd die Badezimmertür auf: „So, nun können Sie!“
Dann kam er ins Zimmer und stellte sich neben Julia, die über diese Drohgebärde lachen musste. Ferdinand stützte sich mit seinem linken Arm aus dem Stuhl. Als er in Reichweite des Briefes angekommen war, bückte er sich, wie um die Schuhe zu binden. Julia lenkte die beiden Bewacher ab, indem sie mit ihnen anstieß und ihnen zurief, „Auf gute Zusammenarbeit die Herren, prosit!“ Ferdinand hörte das Klingen der Gläser und griff schnell nach dem Paket und verschwand im Bad, das er hinter sich zusperrte. Er stellte das Wasser in der Dusche an, setzte die WC-Spülung in Betrieb und nutzte die Geräuschkulisse, um das Päckchen aufzureißen. Und was er nun
sah und las, übertraf seine kühnsten Hoffnungen und seine wildesten Vermutungen. Der Rat der Kallawaya hatte eingewilligt, ihn in das letzte Geheimnis der Schmerzforschung einzuweihen und dieses der Menschheit zugänglich zu machen. Deshalb also dieser Überfall hier. Irgendeine Pharmafirma wollte Profit aus dem Geheimnis schlagen. Nun das würde nicht funktionieren. Ferdinand lächelte. Man lud ihn ein, nach Azubi, einem Ort 100 Kilometer entfernt von Santa Cruz, zu kommen, wo in diesem Jahr der Rat tagte. „Hamunaykitam munani. Ich will, dass du kommst!“ schrieb man ihm. Von Azubi oder Azuvi auch Asuvi aus würde man ihn und seine Frau mit ins Gebirgsdorf nehmen. Sie würden den Ritualen beiwohnen können und
sie filmen. Dem Brief lagen Testreihen und Fotos bei. Die Beschriftung war ebenso wie der Brief konsequent in der Geheimschrift der Kallawaya verfasst, so dass aus den Fotos keiner schlau werden konnte ohne den Text zu verstehen. Oh, wie veredelte ihm diese Nachricht den Nachmittag.
Ferdinand zog sich schnell aus, begab sich kurz unter lautem Prusten unter die Dusche, trocknete sich ab und hüllte sich in den Bademantel. Die Papiere versenkte er mit seiner Straßenkleidung im Wäschekorb, dann trat er erfrischt wieder zu seinen Verhandlungspartnern. „So Manuel, ich habe mir das alles durch den Kopf gehen lassen. Ihre Vorstellungen gefallen mir, allerdings lässt ihr Plan zu wünschen übrig.“ Manuel blickte von
seinem Glas auf: „Wieso?“
„Nun ohne die Teilnahme entscheidender indigener Medizinmänner bin ich nicht in der Lage da etwas zu machen.“
„Na dann holen sie sich die Leute ins Labor!“
„Mit Verlaub, jetzt blamieren Sie sich bis auf die Knochen. Ich dachte, Sie wissen worum es dabei geht. Die Rituale können nur an bestimmten Orten durchgeführt werden. Dort herrscht eine gewisse Strahlung Kraftfelder. Und nur jeweils diejenigen Medizinmänner, die auf diese bestimmte Strahlung reagieren, dürfen am Ritual teilnehmen, sonst würde aus dem Heilungsprozess das Gegenteil werden. Also wir haben es hier nicht mit einem Firlefanz aus der Boutique zu tun. All das muss vermessen und gefilmt
werden.“
„Nehmen wir mal an, Sie belügen mich nicht, was also ist ihr Vorschlag?“ fragte Manuel nun etwas gereizt. „Wir müssen die Kallawaya einbinden, ohne dass sie wissen, dass ich für Sie arbeite.“ „Soso, und wie wollen Sie das anstellen?“
"Heute Abend ist das Fest, zu dem ich mit meiner Frau eingeladen bin. Ich nehme Sie beide mit, stelle sie als meine neuen Mitarbeiter vor und dann können Sie mit dabei sein, wenn wir vor Ort die Rituale aufzeichnen und die Messungen machen.“
„Ich denke, Sie entwickeln eine Medizin?“, fragte Juan nun.
„Naja, sagen wir mal so, es ist ein Heilmittel, ein Verfahren, sowas wie Röntgen oder
Bestrahlung, verstehen Sie?“
Juan versuchte zu verstehen und fragte in Spanisch seinem Boß, was nun zu machen sei. Der antwortete ebenfalls in Spanisch, dass man das eben so machen müsse. Er würde kurz telefonieren und das klären. „Aha, er muss mit der nächst höheren Ebene verhandeln“, fand sich Ferdinand bestätigt und nickte unauffällig Julia zu. Manuel ging ins Treppenhaus und dort hörten sie ihn mit einem Mann sprechen. Jetzt fiel Ferdinand wieder der Unbekannte im Treppenhaus ein. „Also würde es noch irgendwo einen Vierten geben, der in einem Auto wartete. Und da man sie beide ja mitnehmen wollte, musste es sich um einen Van handeln“, ordnete Ferdinand seine Gedanken. Er ging hinterm Sessel an seiner
Frau vorbei Richtung Barwagen, in der Hand sein leeres Glas. „Ich schenk mir mal noch Einen ein“, sagte er in Richtung Juan und blickte durch die Fenster, um nach einem unbekannten Van zu schauen. Der stand tatsächlich gegenüber auf dem Parkplatz vorm Bäcker.
„Alles klar. Jetzt geht es tatsächlich darum, die Vier ins Fest zu bekommen und dort den Kallawayas zu übergeben, die werden ihnen dann weiter helfen.“ Mit einemSchmunzeln erinnerte sich Ferdinand daran, wie sie ihm die Wirkung ihrer Rituale am Starre- und Schweigsamkeitszauber demonstriert hatten. Er hatte zwar alles wahrgenommen, konnte sich jedoch nicht bewegen und nicht sprechen. Ihm war erklärt wurden, dass das Ritual direkt einen Schalter im Gehirn umlege. Manuel kam
zurück. „So, ihr Beiden, zieht Euch um, wir fahren. Ihr werdet aber euer Team aufstocken, wir sind insgesamt Vier. Unten wartet unser Auto samt Chauffeur.“
Julia und Ferdinand nickten. Eine halbe Stunde später verließen die Vier die Wohnung, vor der Haustür warteten bereits der Van samt Fahrer und noch ein weiterer Mann in schwarzem Anzug. Ferdinand fand seine Gedanken bestätigt. „Ich benötige mein Handy, Manuel, ich muss unseren Gastgeber kurz über den Zuwachs unserer Gruppe informieren, die Bolivianische Botschaft.“
„Ich hoffe, die sind nicht allzu neugierig?“
"Nur ein gültiges Ausweisdokument werdet ihr benötigen, das werdet ihr ja haben.“
„Kein Problem.“
Ferdinand tätigte schnell einen Anruf und sprach ganz bewusst auf Spanisch, um seinen Bewachern zu signalisieren, dass er ihre Sprache verstand. Er selber konnte sich ja in Quetchu und Kallawaya verständigen. Wobei er damit rechnete, dass einer der vier Quetchu verstand. Er würde also sehr vorsichtig in der Wahl seiner Sprachen sein, seine Gegner durfte man nicht unterschätzen. Er informierte die Botschaft kurz, dass er mit vier Mitarbeitern zum Fest kommen werde, erfuhr am Telefon, dass ihn einer der Heiler in Empfang nehmen würde. Alles passte wunderbar.
„Wohin?“, fragte der Fahrer auf Spanisch. „Frankfurter Messe, Eingang City!“, antwortete Julia auf Englisch. Juan übersetzte ins Spanische. Julia entschuldigte sich, sie wäre
viel mit englischer Sprache beschäftigt, das wäre jetzt ganz unbeabsichtigt. Charmant lächelte sie dem Fahrer zu. Ferdinand schmunzelte. Informationen sammeln konnte seine Frau sehr gut. Sie sprach deshalb Manuel jetzt in Spanisch an, informierte ihn über die Veranstaltung, zu der sie unterwegs waren und fiel mittendrin ins Quetchu. Ferdinand beobachtete die Vier. Nur der Fahrer fragte auf Spanisch zurück, was Julia gesagt hatte. Juan übersetzte ins Spanische. Also verstanden die anderen diese indigene Sprache. Fürs Erste wussten die beiden genug. Der Fahrer parkierte gerade den Van vor der Messe auf den Parkplatz, Ferdinand zeigte dem Parkplatzwächter die Einladung und schon gab es keine Fragen mehr. Im
Empfangsbereich sah er einen der Kallamaya, einen Häuptling mit Namen Paolo Casturu in seiner malerischen Kleidung. Er stellte sich in seiner Sprache vor und begrüßte die Gäste - ging er doch davon aus, dass diese seine Sprache beherrschten. An den Reaktionen merkte Ferdinand, dass dem nicht so war. Ferdinand stellte nun seine Frau kurz auf Quetchu vor und bat seine vier Begleiter, sich selber vorzustellen, was diese auch unter Nennung von Namen und Doktortiteln taten. Nun musste Ferdinand es riskieren, während er neben dem Kallamaya die Treppe zum Festsaal hochschritt, erklärte er in der Geheimsprache kurz die Gefahrensituation und bat um das Starre-Ritual, damit man die Polizei einweihen konnte. Doch sein Gastgeber hatte eine
bessere Idee: „Wir fliegen morgen früh gemeinsam mit der Botschaftsmaschine nach Santa Cruz und dann mit dem Hubschrauber weiter nach Azubi. Dort werden wir dann eure Freunde mit dem Vergessenszauber belegen. Das ist viel interessanter und für euch ungefährlich. Von dort können wir sie in ihr Herkunftsland transportieren und auf dem Flughafen freilassen. Sie werden sich an nichts mehr erinnern.“ Ferdinand strahlte und Julia lächelte leise in sich hinein. Die vier Aufpasser wurden inzwischen von einem weiteren Heiler in die Grundlagen der Kallamayarituale eingeführt. Nun konnte Ferdinand ihnen erklären, was geschehen würde: „Wir fliegen morgen Vormittag mit unseren bolivianischen Gastgebern direkt nach
Santa Cruz und dann weiter zu einem Ort, wo sie uns verschiedene Rituale im Zusammenhang zeigen und erklären werden. Wir müssen etwa vier Tage einplanen, dann haben wir die Grund-Informationen und können weiterreisen. Ist das für Sie so ok?“ Manuel nickte.
Dann gaben sie sich dem Zauber des Festes hin, beobachteten die rituellen Tänze, probierten die Speisen.
Als sie gemeinsam 36 Stunden später den Hubschrauber in Azubi verließen, wurden sie schon erwartet. Der Landeplatz, ein magisches Kräuterfeld, war in dieser Zeit gerade abgeerntet und abgebrannt worden. Die Wirkung des Rauches bemerkte Ferdinand sofort. Ihm wurde ganz leicht im Kopf. Er hörte
die Trommeln und Panflöten und sah die tanzenden Kallwaya. Er setzte darauf, dass seine Freunde aus Azubi ihn und seine Frau vor der Wirkung des Rituals aus dem Wirkkreis herausholen würden.
Als sie wieder zu sich kamen, waren die vier schwarzgekleideten Erpresser bereits auf dem Weg nach Sao Paolo. Dort waren ihre Pässe ausgestellt. Also würde man sie dort im Transferraum des Flughafens freilassen.
Julia und Ferdinand lebten und arbeiteten schon einige Wochen in dem Andendorf Maretes auf dem Felsenplateau. Ihre Forschungen gingen gut voran. Sie konnten deutlich die Frequenzen unterscheiden, die sich bei bestimmten Tänzen in Wechselwirkung mit speziellen Kräuterdüften als Sud oder
Räucherwerk einstellten. Es war fantastisch, wie Schmerzpatienten darauf ansprachen. Noch viel fantastischer war, dass Julia mitten auf dem Plateau einen kranken Hund bei einem Spaziergang gefunden hatte. Wie der dorthin gekommen war, konnte niemand sagen. Er hatte starke Schmerzen und irgendwelche schlimmen Krankheiten. Durch die Künste der Heiler wurde sein Leiden besiegt. Sie nannten ihn Juan-Manuel und der folgte ihnen überall hin.
Was aus den vier schwarzen Männern wurde, war nicht genau bekannt. Eine Zeitungsnotiz berichtete von vier Reisenden mit gefälschten Pässen im Transitraum des Flughafens Sao Paolo, die der Meinung waren, sie wären von Außerirdischen dorthin entführt wurden. Ihre
Heimatadresse gaben sie mit Frankfurt an. Doch dort kannte sie keiner. So wurden sie einem Krankenhaus überstellt.
Ohne gültige Papiere und ohne Reisekasse waren sie absolut auf den Hund gekommen.