Romane & Erzählungen
Was mich bestimmt, bestimme ich selbst

0
"Was mich bestimmt, bestimme ich selbst"
Veröffentlicht am 15. Juli 2015, 22 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
© Umschlag Bildmaterial: justdd - Fotolia.com
http://www.mystorys.de
Was mich bestimmt, bestimme ich selbst

Was mich bestimmt, bestimme ich selbst

"Was mich bestimmt,

bestimme ich selbst"

- Norman Sinn -

(Erfurter Musiker)

Es ist jetzt 3 Jahre her. Es war ein Dezembermorgen in einem neuen Heim, was ich ungefähr vier Wochen vorher nach zwei Jahren Baustress neben Vollzeitjob und Kind mit einem Mann gebaut habe, der größtenteils mit sich und seinem Erfolg beschäftigt war. Oh Mann, warum habe ich mir das angetan? Vielleicht weil ich jetzt hier mit meiner kleinen Tochter um 6:00 Uhr morgens am runden Frühstückstisch sitzen kann, dabei in den mit Hortensien bestückten

und akribisch gepflegten Garten meiner Nachbarin schauen kann und alles aufschreiben kann, was mir am Herzen liegt. Was ich weitergeben will. Wäre ich damals schon so schlau wie heute gewesen, hätte ich dieses Vorhaben in meiner Biografie nach hinten verlegt. Egal, jetzt ist es, wie es ist und es hat seinen Sinn. Ich weiß es sehr zu schätzen - jetzt erst.

Ich bin an diesem Morgen nach einem Monat Schlaflosigkeit mit einem Traum aufgewacht, der mein weiteres Leben verändern sollte. Ich habe deshalb nicht geschlafen, weil ich im Einbruchsdezernat der Kripo gearbeitet

habe und jeden Morgen brandaktuell von jedem Einbruch in der Stadt erfuhr. Das wäre nicht das Problem gewesen, wenn neben mir ein starker Mann gelegen hätte, der mich hätte beschützen können. Aber der war sieben Wochen in den kältesten Gebieten der Welt unterwegs. Und ich hasse Kälte, also stand die Option des Begleitens für mich nicht zur Debatte. Ich war also völlig fertig - Herzrasen, Schwindel, Kreislauf usw. - ich stand neben mir. Und da wachte ich plötzlich auf - mit der Sonne im Nacken, dem Meeresrauschen in den Ohren und den Sandkörnern in den Händen. Ich war in Thailand -für mich bis dahin der schönste Ort, den ich je erlebt hatte. Als

wenn ich dort verwurzelt wäre. In den darauffolgenden Jahren spürte ich bei jeder Rückkehr ein bisschen "nach Hause kommen".

Ich muss sagen, dass ich mich jobmäßig so aufgeopfert und hingegeben habe, dass ich meinen damals 2jährigen Sohn viel zu lange in der Kita gelassen habe und von Schuldgefühlen geplagt war, beiden - Job & Kind gerecht werden zu müssen. Ich fühlte mich wie ein Spielball zwischen Karriere-, Mutter-, Tochter-, Eherfrau- und Haushaltsanforderungen. Und das mit 25.

Ich hatte ein klassisches BurnOut - Erschöpfungsdepression weiß ich heute.

Ich war ausgebrannt. Meine Energie war weg, Gewicht weg, meine Tage weg. Ich ging nicht mal mehr ans Telefon - ich war leer.

Ich war bei meiner Hausärztin, erzählte ihr von meinen Schlafproblemen und meinem Stress. Ich sah ihre ganzen Zertifikate an der Wand und Bilder ihrer beiden großen Söhne auf ihrem Schreibtisch. Ich fragte, wie sie das alles gemacht habe - Job & Kind. Sie sagte, Sie hatte Hilfe ihrer Eltern und lebte von Tag zu Tag, bereitete ihre Kinder immer wieder auf den nächsten vor. Stück für Stück. Ich fragte hilfesuchend, warum denn andere das schaffen, nur ich nicht. Und sie sagte

etwas sehr wichtiges: Es empfindet jeder anders, was er schafft oder was ihm zu viel ist. Entscheidend ist, dass man erkennt, was einem zu viel ist und sich davon frei macht.

Ich zog die Reißleine. Ich buchte einen Flug für Hans und mich. 2 Wochen später saßen wir im Flugzeug in die Freiheit, dorthin, wo wir sein konnten, wie wir sind. Wir verabschiedeten uns für einen Monat von allen Erwartungen aus dem Umfeld und genossen jede Sekunde zusammen - allein.

Dieser Schritt war für mich ein Meilenstein in meiner Entwicklung von der Fremdbestimmung in die Selbstbestimmung.

"Was mich bestimmt, bestimme ich selbst" - so heißt es in dem grandiosen Lied "König" des Erfurter Sängers Norman Sinn. Ich liebe Musik. Und ich stehe auf Künstler - die haben sowas magisches. Die leben einfach nach ihren Gefühlen. Die sind authentisch und echt. Wer ist das heute noch? Uns wird doch ständig nur was vorgespielt. Uns wird alles mögliche vorgegaukelt - was wir alles brauchen, um unser Leben schöner, leichter und vor allem schneller zu machen - IPAD, EBOOK, bla bla bla, keine Ahnung, was es da noch alles gibt. Da wollte ich letztes Jahr einen Fernseher kaufen, in den man eine DVD reinschieben und abspielen kann. Der

Media-Markt Verkäufer schaut mich an, als wäre ich von einem anderen Stern. "Sowas gibt es nicht. Heutzutage läuft das alles über USB-Stick." Huch, da bin ich 28 Jahre und fühle mich plötzlich wie meine Oma, wenn die fragt, was Internet ist. Was habe ich da verpasst? Bzw. was hat er verpasst, während er sich mit diesem Technikzeugs beschäftigt hat. Das wahre Leben besteht aus direkten Beziehungen zu anderen Menschen, nicht in der Isolation und auch nicht in der technischen Kommunikation mit anderen. Da geht doch das Gefühl für Mimik, Gestik, Stimmungen völlig verloren. Lasst eure Unsicherheit hinter euch und fangt an zu

leben, statt ständig alles einfacher, schneller und verfügbarer zu machen. Noch mehr DRuck macht uns kaputt. Unser Körper ist für diesen Stress nicht ausgelegt. Das belegen zahlreiche Studien. Stress ist Krankheitserreger Nr. 1 -egal für welche Krankheit. Weil dieser Erreger unser Immunsystem schwächt. Da sagt der Körper: "Puh, also du mutest mir ganz schön viel zu. Da mach ich jetzt nicht mehr mit." Und da fangen die Symptome an. Zellen wachsen unkontrolliert. Oder man kann sich nicht mehr bewegen. Oder man bekommt eine Halsentzündung nach der anderen, dass man nicht mehr reden kann. Oder das Hörvermögen lässt nach, weil ich mir

den ganzen Scheiß drumherum nicht mehr anhören will. Oder ich bekomme Magenschmerzen, Durchfälle, Verstopfung, Rückenleiden, Migräneanfälle, Hormonprobleme, Stoffwechselstörungen. Das sind alles Auswirkungen unbearbeiteter Konflikte, Stress und flascher Einstellungen zu sich, der Situation und meinen Mitmenschen. Alte Glaubenssätze nach denen ich lebe, weil es mir  so vermittelt wurde, die mich aber nur unter Druck setzen, statt mich so sein zu lassen, wie ich bin.

Mit meinem Kind allein in ein fernes Land zu reisen, war für mich einerseits

eine krasse Entscheidung, weil ich erstens nie allein sein konnte und zweitens riesen Flugangst habe.

Aber das war mir alles egal. Ich war mir mit diesem Traum so sicher, dass es genau das ist, was ich brauche. Und so war es auch. Es war die schönste Zeit, die wir bis dato hatten.

Ich bekämpfte meine Angst des Alleinseins genau damit. Ich stellte mich ihr und vermied sie nicht weiter, wie es meiner Mutter ihr ganzes Leben schon tut. Eine Lebensaufgabe habe ich damit geschafft. Was ist das nächste? Den Leistungsdruck loszuwerden. Von mir selbst auferlegter Perfektionismus. Aber warum setze ich mich so unter Druck?

Um gefallen zu wollen - vor allem meinem Vater. Zu beweisen, dass ich doch was kann und wer bin.

Am Wochenende war er erst wieder da. Er sah braungebrannt, dürr und faltig aus. Er ist ein 64jähriger marathonlaufender Unternehmer. Er rennt um sein Leben, weg vor seinen inneren Konflikten - der ersten Ehe, Scheidung, Schuldgefühlen und natürlich noch viel tiefer sitzenden unebarbeiteten Erfahrungen aus jüngster Nachkriegsvergangenheit.

Für mich war er auch immer abwesend, sowohl körperlich, als auch geistig - wie mein Mann. Warum sucht man sich immer einen Mann, der seinem Vater so

ähnelt? Soll man seine alten Konflikte lösen, indem einen die Konflikte des Hier und Jetzt immer wieder vor Augen halten, was da noch in einem schlummert?

Mein Mann war zwar zunächst lange körperlich abwesend, aber zummindest geistig bei mir. Als ich anfing, mit mir und meinem stressigen Leben nicht mehr zurecht zu kommen und ihm Vorwürfe zu machen, war er auch geistig abwesend. Auch er hat mich sich zu tun und konnte mir nicht mehr weiterhelfen. Eine weitere Erkenntnis: Niemand kann dir helfen - kein Arzt, kein Partner, keine Eltern, kein Therapeut. Sie alle können nur unterstützen. Es kann sich nur jeder

selbst helfen. Es kann nur jeder sein Leben selbst in die Hand nehmen, um sich glücklich zu machen, indem er Eigenverantwortung übernimmt für seine Situation und seine Entscheidungen.

Na jedenfalls war mein Vater am Wochenende spontan unangekündigt mit meiner Mutter zu Besuch und fragte ganz dezent, ob ich schon wieder "unterwegs" sei. Er meint Joggen.

"NEEEEEIIIIIIIIN" schreit es in mir! Und lass' mich in Ruhe mit deinem Druck! Die letzten 10 Jahre meines Lebens bin ich unzählige Kilometer gerannt, um dir zu gefallen, es dir recht zu machen, endlich die Anerkennung und

Wertschätzung zu bekommen, die mir normalerweise von Geburt an bedingungslos zusteht. Natürlich war mir das lange nicht bewusst - ich wollte hauptsächlich auch mir gefallen. Aber es hat nicht funktioniert. Es hat mich nicht glücklich gemacht. Also Schluss mit dem Gerenne, ich muss niemanden was beweisen. Nach so vielen Jahren ausgiebiger Analyse meines ELternhauses und meiner Bedürfnisse sage ich völlig entspannt: "Nein Papa, mich erfüllen jetzt andere Dinge." Und ich wette, tief in ihm drin ist er totneidisch, dass ich endlich Ruhe gefunden habe. Denn eigentlich bin ich sein Spiegel gewesen und mein Mann hat nur wenige

Gemeinsamkeiten mit ihm - z.B. die Schwierigkeiten seine Gefühle auszudrücken. Das können Männer wohl allgemein schlecht - außer Künstler vielleicht. Aber ist das mein Problem? Ich habe neulich in einem Buch mit dem Titel "Warum Ehen scheitern" gelesen, dass Männer da einen Schritt auf Frauen zugehen müssen, um dauerhaftes Glück in der Partnerschaft zu haben. Die Bilanzrechnung geht für Frauen einfach negativ aus. Wir wollen nunmal reden, bevor wir alle anderen Verpflichtungen erledigen. Und wenn diese emotionale Nähe nicht statt findet, gibt es auch keinen Sex, Haushalt, Geschenke oder sonstige Zugeständnisse. Jedenfalls nicht

dauerhaft. Also strengt euch an Männer. Wir wollen euch nur nahe sein.

Mein Mann kommt langsam zur Erkenntnis, selbst auferlegten Druck abzuschütteln, nachdem er am Ende seiner Karriere angelangt ist und der Körper mit unzähligen Schmerzen und Blessuren kaum noch uneingeschränkt leben lässt. Er fliegt in 2 Wochen nach Sri Lanka, um eine Ayurvedakur zu machen. Allein. Und seit 8 Wochen geht er zu seinem ersten richtigen Kumpel - einem Psychotherapeuten. Das tut jedem gut. Ich schwör's! Jedem. Man kann nur vollends glücklich und erfüllt sein, wenn man sich selbst so gut, wie möglich kennengelernt hat. Wie man tickt. Was

es mit einem macht, wenn Dinge drumherum passieren.

Warum man einen Wutanfall bekommt, wenn der Liebste einer anderen nachschaut. Warum ich ständig mit anderen Personen anecke. Warum das Alleinsein so schwer fällt und was man dagegen tun kann. Wie ich meine festgefahrene Einstellung ändern kann. Wie ich lerne, meine Bedürfnisse und Gefühle zu benennen und damit erkenne, welche Grenzen ich nach außen setzen muss, um möglicherweise Schmerzen und körperliche Erkrankungen zu bekämpfen. Wie ich lerne eigenverantwortlich mein Leben und meine Entscheidungen in die Hand

nehme. Wie ich Dinge erreiche, die ich will. Dass ich nicht Dinge, die andere Menschen tun oder sagen auf mich beziehe. Ich lerne mich selbst mit allen Stärken und Schwächen anzunehmen und zu akzeptieren - mich selbst zu lieben, so wie ich bin und damit harmonische Beziehungen zu führen und eine bessere Mutter bzw. ein besserer Vater zu sein. Ich könnte noch viele weitere Beispiele nennen. Alles Erfahrungen und Erkenntnisse, die ich in den letzten Jahren gewonnen habe.


Das Leben ist das Spannende - jede Kleinigkeit, die passiert. Nicht das Ziel. Der Weg ist das Ziel. Das habe ich

gelernt. Was nützt es, ein volles Bankkonto am Ende einer Karriere zu haben, wenn ich krank oder todunglücklich bin, weil ich auf dem Weg dorthin alles wirklich wichtige um mich herum und vermutlich mich selbst verloren habe. Wie kann ich dann das volle Bankkonto genießen? Was habe ich davon? Der Weg muss Spaß machen. Jede einzelne Minute. Schade, dass das junge Erwachsene so oft nicht berücksichtigen dürfen, wenn sie sich ihrer Berufswahl stellen, weil der Druck vom Elternhaus zu hoch ist, etwas "richtiges" machen zu müssen.

0

Hörbuch

Über den Autor

monathomas

Leser-Statistik
5

Leser
Quelle
Veröffentlicht am

Kommentare
Kommentar schreiben

Senden
adventor89 


... eine tolle, konsequente, selbstreflektierende Betrachtung,
die anregt, eigene Verstrickungen und festgefahrene Lebensgewohnheiten aufzubrechen um den Sinn nicht aus dem Blick zu verlieren.
Ja, es ist eine Kunst, tiefer zu schauen und tiefer zu spüren ...

Viele Grüße
Michael
Vor langer Zeit - Antworten
Moscito Ja die Erkenntnis, dass der Weg das Ziel ist, kommt manchmal unverhofft und manchmal auch spät, aber es ist ja nie zu spät etwas im Leben zu ändern. Dennoch bin ich der Meinung, dass ab einer bestimmten Zeit jeder selbst für sein Handeln und Tun verantwortlich ist, und die Schuld in der Vergangenheit nicht in der Vergangenheit liegt.
LG Moscito
Vor langer Zeit - Antworten
monathomas Genauso sehe ich das auch. Ohne Eigenverantwortung kommt man mit der eigenen Entwicklung nicht weiter ..
Vor langer Zeit - Antworten
Zeige mehr Kommentare
10
3
0
Senden

131834
Impressum / Nutzungsbedingungen / Datenschutzerklärung