Jeder Ist Anders auch Du!
Sabine bekam von Ihrem Arzt immer wieder gesagt, dass sie sich mehr bewegen soll. Doch für Sabine war jeder Schritt sehr anstrengend, nicht zuletzt wegen ihrer kaputten Lymphen und dem daraus resultierenden Wasser in den Beinen.
Und an diesen Hundstagen, an denen es dieses Jahr wieder fast 40 Grad heiß werden sollte, da gab es für Sabine nur eines: So oft wie möglich zuhause sein mit geschlossenen Fenstern und heruntergelassenen Rollläden.
Sie schaute sich dann immer gerne
irgendwelche Filme an, schrieb Geschichten oder spielte auf ihrem Keyboard. Überhaupt fand sie es sehr viel wichtiger am Keyboard zu üben, als sich zu bewegen.
Wenn sie zuhause war und den Fernseher einschaltete. regte sie sich meist nur auf. In den Nachrichten ging es nur um Gewalt, Tod, Zerstörung, Unfälle, Naturkatastrophen und alles was sonst noch schreckliches passierte. Wenn einmal etwas positives passierte, dann war das den Nachrichtenredaktionen immer nur eine kleine Notiz am Rande wert. Musste man sich da wundern, dass die Menschen immer gewalttätiger, egoistischer und depressiver wurden? Wohl eher nicht. Und wenn sie dann
weiter durch die Sender schaltete, gab es nur seltsame Filme in denen man ganz viel nacktes Fleisch sehen konnte.
Mit solchen Sendungen konnte Sabine gar nichts anfangen. Sie wusste nicht was Liebe ist und Sex fand sie einfach nur langweilig. Sie konnte und wollte es nicht verstehen, dass es Menschen gab die das toll fanden.
Sabine waren oftmals schon leichte Berührungen, wie zum Beispiel ein Windhauch, mehr als zuwider. Sabine dachte sich: „Okay, einmal schalte ich noch um und wenn dann wieder nichts kommt was mich interessiert schaue ich mir eine DVD an.“ Gesagt, getan, Sabine schaltete um und sah
wie ein Azubi zum Einzelhandelsverkäufer in einer Boutique von seiner Ausbildung erzählte. „So ein Quatsch“, dachte Sabine, „Wie kann man das nur toll finden, in einer Boutique zu arbeiten?“ Ich zieh das an, auf was ich Lust habe, und nicht das was irgendwelche Modetypen meinen mir vorschreiben zu müssen.
Sabine wurde richtig sauer und sie kam zu dem Entschluss, dass sie erst einmal einen Spaziergang machen musste um sich ein wenig abzuregen. Sie war auf mehr als 180. Dass sie die anderen Menschen nicht verstand, und diese sie auch nicht, das wusste sie ja. Sie war nun einmal anders als die anderen Menschen auf diesem Planeten.
Aber musste anders unbedingt schlecht sein?
Sabine war innerlich so geladen, dass sie schnell ihre Hose, ihr T-Shirt und ihre Schuhe anzog und mit einem Affenzahn die Wohnung verließ. Die Wohnungstür fiel mit einem so lauten Knall ins Schloss, dass alle Nachbarn die Türe aufrissen und „Ruhe“ ins Treppenhaus schrien. Sabine war so aufgeregt, dass sie das gar nicht hörte.
Wenn Sabine so aufgeregt war, bekam sie von ihrer Umwelt nichts mehr mit. Manchmal wusste sie nicht einmal mehr wo sie war und wie sie wieder nach Hause kam. wenn die Wut nachließ.
Heute rannte Sabine wieder quer durch Feld und Wald, an Bächen vorbei und Sabines
Wut auf das was sie schon alles an Blödsinn im Fernsehen gesehen hatte, wollte nicht aufhören. Manch einer mag vielleicht denken, solche Berichte gibt’s doch dauernd und man dürfte sich so etwas nicht so zu Herzen nehmen, doch bei Sabine konnten auch ganz kleine Kleinigkeiten zu einem immensen Wutausbruch führen. Allerdings achtete sie bei Ihren Wutausbrüchen auch immer darauf niemals einem anderen Menschen zu schaden oder ihn zu verletzen.
Als Sabine eine Weile gerannt war geschah es. Sabine hatte vor lauter Aufregung einen kurzen Moment nicht aufgepasst und als die Wurzel mitten auf dem Gehweg war stolperte
sie und flog in hohem Bogen ein paar Meter durch die Luft.
Sabine lag am Boden und schrie vor Schmerzen. Ein Passant kam und wollte ihr helfen, doch Sabine wollte sich nicht berühren lassen. Der Passant tat dann das einzig richtige und rief den Notarzt der auch schon nach kurzer Zeit eintraf.
Im Krankenhaus wurde Sabine geröntgt und es stellte sich schnell heraus, dass sie sich eine Luxation an der Schulter und noch mehrere Knochenbrüche zugezogen hatte. Der Arzt sagte ihr, dass sie mindestens für 4 Wochen im Krankenhaus würde bleiben müssen.
Sabine hasste Krankenhäuser, ständig
musste man zu irgendwelchen fremden Menschen, die einem entweder irgendwelche dummen Fragen stellten, oder mit irgendwelchen seltsamen Apparaten, oder, noch schlimmer, mit ihren Händen an einem herumtatschten.
In solchen Momenten wünsche sie sich, sie könnte ihren Körper ganz in Gold eintauchen und veredeln lassen. Wieso sie auf so eine etwas abgedrehte Idee kam? Sie hatte die Hoffnung, dass diese Goldschicht dann vielleicht ein bisschen wie eine Schutzschicht wirken würde, und sie nicht mehr einen ganz so schlimmen Graus vor Berührungen haben würde.
Leider wusste auch Sabine, dass das zum einen nicht möglich war, und zum anderen wahrscheinlich auch gar nichts bringen würde. Dass sie keine Berührungen ertragen konnte und wollte sass wesentlich tiefer und wahrscheinlich würde sie es nie spüren können wie es ist wenn jemand zärtlich zu ihr war.
Sabine überlegte hin und her was sie denn machen könnte, denn eigentlich war sie ja schon am liebsten alleine, aber irgendwann hatte sie im Krankenhaus dann doch alle Bücher gelesen, die sie lesen wollte und im Fernsehen kam immer noch der gleiche Mist. Da wäre ein bisschen Kontakt vielleicht doch
gar nicht schlecht gewesen. Da meldete sich wieder Sabines innere Stimme, die ihr versuchte einzureden, dass alle anderen Menschen sie sowieso nicht mochten, und dass sie sowieso nicht in der Lage wäre, soziale Kontakte zu knüpfen.
Sabine dachte ein wenig darüber nach und kam zu der Erkenntnis, dass ihre Stimme in ihr zumindest teilweise recht hatte. Sie alleine würde wohl kaum Kontakte knüpfen können. Aber vielleicht könnte sie sich ja Hilfe holen? Vielleicht würde ja dieser tolle junge Arzt, der sie bei einer der Untersuchungen so nett angelächelt hatte und so verständnisvoll war mit ihr kollaborieren. Sie suchte diesen Arzt, fand auch schnell die Türe zu seinem Zimmer.
Die Tür stand offen.
Sabine öffnete die Tür etwas mehr und sagte mit einer sehr, sehr leisen, kaum zu hörenden Stimme: „Hallo“ doch es kam keine Reaktion. Immer lauter sagte Sabine „Hallo“ und beim fünften Hallo, bei dem Sabine schon das Gefühl hatte, dass sie schreien würde hörte der Arzt sie.
Er sagte
: „Oh Hallo Frau Selters, ich habe sie gar nicht gehört, bitte lassen Sie mich hier das Gerät noch zu Ende kalibrieren dann bin ich ganz für sie da.“
Mit solchen Aussagen hatte Sabine immer ihre Schwierigkeiten. Sie wusste nie, ob das
jemand nur aus Höflichkeit sagte, und ob derjenige vielleicht wollte, dass sie geht. Und wenn sie nicht ging, wieviel Zeit war es dann normal zu warten? Sabine hatte früher schon manches Mal mehrere Stunden auf einer Parkbank auf eine Verabredung gewartet und es kam niemand.
Auch das war mit ein Grund warum sie sich entschlossen hatte, lieber alleine bleiben zu wollen. Sie konnte wirklich besseres mit ihrer Zeit anfangen, als stundenlang auf einer Parkbank zu sitzen.
Sabine erklärte dem Arzt ihr Problem und er war sofort bereit ihr zu helfen. Er wusste, dass es auf einer Nachbarstation einen Mann gab
der auch anders war als andere. Niemand wusste allerdings so richtig warum. Man hörte es nur manchmal bellen aus seinem Zimmer. So jemanden konnten sie genauso wenig wie Sabine in ein Mehrbettzimmer legen.
Der Arzt ging mit Sabine an das Zimmer in dem dieser Mann lag, klopfte, und als sie die Türe aufmachten sahen sie ein seltsames Bild, Der Mann kroch auf allen Vieren durch den Raum, hatte eine Hundemaske vor dem Gesicht und hatte sich ein Handtuch
tiefgefroren und damit steif gemacht und sich eine seltsame Vorrichtung gebaut, so dass er mit diesem nachgemachten Schwanz sogar wedeln konnte.
Der Arzt war etwas entsetzt darüber was sich hier in diesem Zimmer abspielte und dachte noch bei sich „Ein Mann als Hund? Das erinnert mich an einen Bericht über Sadomaso, den ich vor kurzem gesehen habe“ und ein wenig lachen musste er auch als er daran dachte, dass dieser Mann im wahrsten Sinn des Wortes auf den Hund gekommen war.
Sabine ging zu dem Mann hin und man sollte es nicht glauben, die beiden verstanden sich auf Anhieb und es entstand eine dicke Freundschaft. Der Arzt sah Sabine fragend an und da sagte Sabine zu dem Arzt
„Ich bin anders weil ich Asperger Autistin bin, dieser Mann ist auch anders, nur anders anders,
und auch sie sind anders – nur eben nochmal anders anders.
Und ich bin jetzt eben auf den Hund gekommen, der auch anders ist.
Und wenn nach dieser Geschichte jeder weiß, dass er anders ist, und wenn nicht. dass er dann anders anders ist, dann ist das Ziel dieser Geschichte erreicht.