Zuhören
Conny und Micha verheimlichten sich einander nie etwas. Täglich erzählten sie sich beim Abendessen, was sie tagsüber getan haben. Es ergab sich immer von selbst, sie merkten es fast gar nicht mehr. So machten die Beiden sich mit dem Leben vertraut, das der eine ohne den anderen führte, wenn sie sich morgens nach dem Frühstück trennten.
Nun saßen sie wieder zusammen bei Tisch, aßen und tranken, Micha las die Zeitung, die er beim Frühstück schon in der Hand hielt und Conny begann belanglos von ihrem Tagesgeschehen zu berichten: „Liebling, ich habe nichts
Besonderes erlebt heute. Ich hatte ausnahmsweise frei, du weißt, ich muss noch ein paar Überstunden abfeiern. Da es heute ein so schöner Tag war, rief ich im Büro an, fragte nach der Möglichkeit diese Stunden heute zu nehmen und mein Chef genehmigte mir dieses sofort.“ Micha antwortete etwas gleichgültig. „Und, was hast du getan, den lieben langen Tag?“
„Nur das Übliche, nichts Neues, wirklich nur gewohnter Trott.“
Ohne die Zeitung beiseite zu legen blickte Micha kurz auf, schaute seiner Frau ins Gesicht, lächelte gelangweilt und sagte: „Ja wenn das so ist, dann war dein freier Tag nicht gerade aufregend.“
Sofort senkte er wieder den Kopf und studierte den Bericht, der ihn mehr fesselte, als das Gespräch mit Conny.
Ohne zu überlegen setze Conny in ihrer Erzählung fort. „Nachdem Frühstück fuhr ich in die Stadt, dort hat eine neue Boutique eröffnet. Ich blieb fast zwei Stunden. Als ich das Problem mit meiner Garderobe gelöst hatte, zufrieden mit meinem Einkauf war, besuchte ich Gina.
Sie war erst Mutter geworden, so fand ich sie in ihrer Wohnung zwischen Windeln und Milchfläschchen vor.
Wir plauderten über dies und das, tranken Kaffee und am frühen Nachmittag, als sie ihr Baby stillen musste, verabschiedete ich mich. Ich lief
zu meinem Auto, verstaute die neuen Kleidungsstücke und überlegte, was ich tun könnte. Nach Hause wollte ich noch nicht, so entschied ich mich, in die Galerie von Marco zu gehen. Dort war eine Ausstellung von einem Maler, den ich von der Schulzeit her kannte. Ich sah mir alle seine Bilder an und unterhielt mich mit dem Künstler, der zufällig anwesend war.
Wir redeten eine ganze Weile miteinander. Dann sagte er, dass er mir gerne sein Atelier zeigen würde, da er noch viele Zeichnungen hätte und wenn mich eine interessieren würde, so bekäme ich diese geschenkt. Das fand ich ausgesprochen nett und ich ging mit ihm.
Sein Atelier war nicht weit entfernt, ein paar Straßen weiter in einem Hinterhof, wie es für Künstler üblich war. Dort zeigte er mir seine Bilder, eines davon gefiel mir so gut, dass er es ohne zu überlegen, sofort signierte und mir schenkte.
Dann haben wir unversehens miteinander geschlafen und nach dem Liebesakt verließ ich sein Atelier. Ich erinnerte mich, dass Ira heute eine Party gab. So quälte ich mich durch den Verkehr bis ich nach einer Stunde bei ihr ankam. Ich trank zwei oder drei Gläser Sekt, die mich betrunken machten. Es war erst sieben, aber ich wollte nun doch nach Hause. Ira ließ mich natürlich nicht
mehr fahren, so bin ich mit einem Taxi nach Hause gekommen.“
Conny sprang auf, lief ins Schlafzimmer um die Zeichnung, die noch in ihrer Tasche war, zu holen. Sie stockte: „Was habe ich da erzählt?“ Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie in den Spiegel. Vor lauter Vertrautheit und im Zuge der Erzählung, vielleicht auch durch den Sekt angeregt, berichtete sie ganz beiläufig von dem Seitensprung mit dem Maler. Sie fasste all ihren Mut zusammen, kehrte zurück in die Küche. Ohne sich zu setzen, entrollte sie die Zeichnung und hielt sie Micha vor die Nase. „Was sagst du dazu?“ „Nicht schlecht“, erwiderte er, ohne die
Zeichnung bewusst zu betrachten.
Conny setzte sich wieder. „Und? Was hast du getan, heute?“
Micha legte die Zeitung beiseite und begann wie gewohnt über seinen Tagesablauf zu berichten.
„Ich traf wie immer, rechtzeitig, in der Firma ein. Nach der Besprechung eilte ich in mein Büro um meine Arbeit gewissenhaft zu erledigen. Irgendwie ging mir heute alles viel schneller von der Hand. Auch meine Kollegen waren früher fertig als geplant. Wir trafen uns in der Kantine und tranken zum Feierabend ein Glas Bier. Danach ging ich zurück in mein Büro. Ines, meine Sekretärin war noch da, sie sah heute
ausgesprochen sexy aus. Ich machte ihr ein paar Komplimente und dann hatten wir Sex miteinander. Schließlich fuhr ich nach Hause und freute mich auf den Abend mit dir.“
Wie vor den Kopf geschlagen stammelte Conny: „Das war falsch, mich mit deiner vulgären Sekretärin zu betrügen.“
Micha brach in ein Gelächter aus. „Du hast es geglaubt, gib es zu“, freute er sich. Conny schluckte und schwieg.
„Du hast es wirklich geglaubt, dass ich dich betrügen würde“, sagte Micha nun entsetzt. „Nicht einmal im Traum würde ich daran denken, mit ihr zu schlafen, Liebes. Noch nie habe ich dich betrogen.“ „Ich dich schon“, rutschte ihr
es heraus. „Wann? Wo? Mit wem?“ Micha's Fragen überschlugen sich. „Du hast mir deinen Tagesablauf erzählt ohne den Seitensprung zu erwähnen, also wann war das?“ Mit einmal verstand Conny seine Fragen und den Zusammenhang.
„Ach ich habe dich aus der Zerstreutheit heraus betrogen“, Conny log automatisch.
„Ich verstehe“, sagte Micha, „du wolltest es mich glauben lassen.“
Bejahend nickte Conny ohne weiterhin darauf einzugehen.
Micha seufzte erleichtert: „ Du wolltest also, dass ich etwas glaube, das du nicht getan
hast.“
Dann stand er auf, nahm Conny in seine Arme und sagte lachend. „Es ist schön, dass wir uns ohne viele Worte so gut verstehen.“