Kapitel 40 Heilung
Maens Haus hatte sich seit seinem letzten Besuch nicht großartig verändert. Etwas abseits der eigentlichen Siedlung gelegen, so wie schon zu Isbeil Zeiten, leuchteten ihnen die Laternen in den Fenstern entgegen. Das mit Zweigen und Stroh gedeckte Dach schimmerte in einem Strahl Mondlicht, der seinen Weg zwischen den Bäumen hindurch fand. Beinahe fühlte Ordt sich an seine Kindheit erinnert, alleine durch die Wälder irrend… nur war er diesmal nicht
alleine. Maen ging dicht neben ihm und in seinen Armen lag nach wie vor Tiege. Der Zustand des Fuchses hatte sich zumindest nicht verschlechtert, seit sie hier angekommen waren, dachte er. Allerdings, wenn es dem Mann noch etwas schlechter ginge, wäre er vermutlich auch tot. Das würde er aber nicht zulassen. Er war nicht so weit gekommen, nur um den Mann jetzt doch sterben zu lassen. Im Augenblick konnte er nur darauf vertrauen, das Maen ihm helfen konnte. Und obwohl er wusste, zu was sie fähig war… es war viel Zeit vergangen, dachte er. Sie nach all der Zeit wiederzusehen war schön, Ahnen, er hätte es nie zu hoffen gewagt, aber so
viele Dinge hatten sich verändert. Er fürchtete, zu Fragen, wie Maen es geschafft hatte, zu einer Ältesten zu werden.
„Wie hast Du das alles geschafft?“ , fragte er schließlich doch, als sie durch die Tür der Hütte traten. Sie fanden sich in einem kleinen Raum wieder, in dem Kräuter und Pflanzen zum Trocknen von der Decke hingen. Der vertraute Geruch stieg Ordt sofort in die Nase. Erneut war es so, als wäre er nie weg gewesen. Eine Illusion, die das Gewicht in seinen Armen und Maen vor ihm zunichtemachte. Die Gejarn entzündete einige Lampen, die in kleinen Alkoven in den Wänden standen und bedeutete
ihm, den verletzten Tiege auf einer niedrigen Liebe abzusetzen.
Erst jetzt, antwortete sie auf seine Frage. „Ich hatte nicht wirklich eine Wahl.“
Ein schwaches Lächeln huschte über Maens Züge.
„Und es war nicht einfach, belassen wir es dabei. Wichtig ist, das Du wieder hier bist Ordt. Und damit war es nicht umsonst. Eine Weile habe ich trotz allem geglaubt, dass ich Dich für immer verloren habe. Und jetzt, kümmern wir uns um Deinen Freund.“
Ordt nickte. „Sag mir nur wenn ich helfen kann.“
„Sei einfach noch da, wen ich
wiederkomme.“, erwiderte Maen, während sie durch eine Tür auf der anderen Seite des Raums trat. Aus dem Gedächtnis wusste er, das sich dort eine weitere Kammer mit Vorräten und Utensilien befand. Vermutlich suchte die Wölfin etwas Bestimmtes, irgendetwas, das Tiege helfen könnte…. Er setzte sich neben die Liege auf einen kleinen Hocker und ließ den Blick ziellos durch den Raum wandern. Es hatte sich wirklich nur wenig verändert. Selbst Maen nicht, auch wenn sie die Ältesten das wohl nie wissen lassen würde… er kannte sie dafür zu gut.
Noch bevor er den Gedanken zu Ende gebracht hatte, kehrte die Wölfin auch
bereits zurück, einen kleinen Korb mit sich tragend, mit dem sie sich neben Ordt niederlies. Mit träumerischer Sicherheit griff Maen eine Reihe von Pflanzenbündeln und Gläsern mit zermahlenen Wurzeln oder Blüten aus dem Korb und stellte sie auf dem Boden ab.
„Ich glaube, was immer Deinen Freund erwischt hat, sollte ihn gar nicht töten.“, meinte sie, während sie eine flache Wasserschale nahm und über eine der Kerzenflammen stellte. „Ein Gift, das sein Ziel nur lähmt und nicht sofort umbringt. Das Problem ist, ich bezweifle auch, dass er von selbst wieder aufwacht. Wie lange sagst Du ist es her,
dass er das Bewusstsein verloren hat?“
„Jetzt gut zwei Tage.“
Sie nickte. „Und er hat, in der Zeit weder gegessen noch getrunken. Wie auch… ich will Dich nicht anlügen, aber Tiege ginge es schon ohne das Gift nicht besonders gut.“ Maen nahm das Wasser wieder von der Kerzenflamme, schüttete einen Teil davon in einen Becher und zerbröselte ein Büschel getrockneter Blätter, die stark nach Kampfer rochen. Dann reichte sie den Krug an Ordt weiter.
„Sie zu ob Du ihm wenigstens etwas zu trinken geben kannst.“
Ordt nickte und führte den Becher vorsichtig an die Lippen des
bewusstlosen Paladins. Nur einige wenige Tropfen versickerten im Mund des Mannes, bis Maen ihm bedeutete, dass es genug war.
„Wer ist er eigentlich?“, wollte sie wissen. „Auch ein Ausgestoßener? Ich kenne ein paar Leute aus den Fuchsclans der Gegend, aber davon ist er definitiv keiner.“
„Er stammt aus Helike.“
„Geister wo hast Du dich in den letzten Jahren überall rumgetrieben?“
„An genug Orten, die ich nie wiedersehen möchte, belassen wir es dabei. Es sei denn Du erzählst mir, wie Du es geschafft hast, die Ältesten zu überzeugen, Dich zu einem der ihren zu machen.“
Maen lachte kopfschüttelnd, während Tiege sich plötzlich regte. Die Augen des Gejarn öffneten sich flackernd, während er sich verwirrt umsah.
„Ordt ?“ Die Stimme des sonst so vorlauten Mannes klang ungewohnt dünn, beinahe wie ein Flüstern.
„Na bitte.“, meinte Maen, „Er wird gleich wieder einschlafen, aber gib ihm vorher noch mehr zu trinken.“
„Was ist passiert?“ , verlangte Tiege derweil zu wissen, machte aber keine Anstalten aufzustehen.
„Ich erzähl Dir, so viel ich kann.“, antwortete Ordt. „Aber trink erst.“ Er reichte dem Fuchs die nach wie vor fast volle Schüssel mit Wasser.
Tiege fragte nicht mehr, sondern trank fast die ganze Schale in einem Zug aus.
„Laos, ich fühle mich grade wie bei meiner ersten Patrouille in der Wüste um Helike…“, murmelte er, während er die Schale absetzte und zurück auf die Liege sank. „Hoffentlich…“, bevor er den Satz beenden konnte, waren seine Augen bereits wieder zugefallen.
„Du hast gewusst, dass er aufwachen würde?“, fragte Ordt, nachdem Tiege sich erneut nicht mehr rührte „Warum hast du mich nicht vorgewarnt?“
„Du hättest grade Deinen Gesichtsausdruck sehen müssen.“, erwiderte die Wölfin nur. Hatte er eben noch gedacht, dass sich nicht viel
verändert hatte, dann wusste er es jetzt endgültig. Ein Teil von Maen würde wohl immer das kleine, neugierige Mädchen bleiben, das schon Isbeil mehr als genug Kopfzerbrechen bereitet hatte.
„Er wird durchkommen, oder?“
Maen wurde wieder ernst.
„Ja. Aber es wird Zeit brauchen. Das Gift ist nach wie vor in seinem Körper, allerdings weiß ich jetzt zumindest, dass ich ihn wecken kann. Das heißt, ich kann ihm zu Essen und zu trinken geben und warten, bis er sich von selbst erholt.“
„Aber wenn Du ein Gegengift kennst, dann könntest Du ihn auch gleich bei Bewusstsein halten, oder?“
Maen schüttelte den Kopf und zog
einige der Blätter, die sie zuvor benutzt hatte aus dem Korb und gab sie Ordt.“
„Sieh selbst.“
Ordt besah sich eines der getrockneten Blätter. Die Farbe, die wohl einmal hellgrün gewesen war, war beinahe schwarz geworden und die Räder liefen in einem seltsamen unsymmetrischen Zackenmuster.
„Wenn das ein Nachtbaum-Blatt ist, hast Du ihn grade erst echt zum Tod verdammt… das ist hochgiftig. Wie…“
„Richtig. Um genau zu sein, wenn man eine Handvoll Blätter zu sich nimmt, löst das unvorstellbare Krämpfe aus und man ist innerhalb von einigen Minuten tot. Das Gift jedoch, was
Deinen Freund zu schaffen macht, tut offenbar das genaue Gegenteil. Es macht ihn bewegungsunfähig. Wenn man vorsichtig ist, kann man die Wirkung des einen mit dem anderen Aufheben. Aber nicht für lange. Und wenn ich Tiege mehr als nötig geben würde, würde ihn das genauso sicher umbringen, wie wenn wir gar nichts tun.“ Sie nahm ihm die Blätter ab und legte sie zurück. „Du… hast noch keine Unterkunft, oder?“
„Nein.“
„Das heißt, Du bleibst hier.“ Es war keine Frage, dachte er, während Maen schlicht seine Hand ergriff und ihn in den Nebenraum und in ein weiteres Zimmer führte.
Das einfache Lager aus Decken, in einer Ecke des Raums war halb verborgen hinter Regalen mit weiteren Kräutern und den verschiedenen Arbeitsutensilien eines Heilers. Ohne ein Wort zog Maen ihn mit sich, während sie sich in die Kissen fallen ließ. Ordt zog sie schlicht an sich, als sich ihre Lippen fanden. Ein wohliges Gefühl durchströmte ihn, noch nicht Lust, sondern schlicht das Wissen darum, dem Anderen nahe zu sein. Nach den letzten zwei Tagen war ihm eigentlich nur nach schlafen zu Mute. Und doch hielt er sich wach, während er Maen übers Haar strich. Ihre Wärme neben ihm vertrieb für den Moment alle Gedanken an was
hinter ihm lag. Oder was noch vor ihnen liegen könnte. Jetzt grade, zählte nur das. Er war daheim, dachte er. Nach einer unvorstellbar langen Zeit.
„Weißt Du eigentlich, wie lange ich darauf gewartet habe?“ , fragte Maen leise.
„Ich habe immerhin die Tage gezählt.“, antwortete er.
Es vergingen gut zwei Wochen, in denen Tiege das Bewusstsein nach wie vor nur sporadisch wiedererlangte. Simon besuchte den Gejarn in paar Mal, wenn Maen ihn weckte, doch meistens schlief er genau so schnell wieder ein, wie er erwacht war. Wenigstens schiene
es zu funktionieren, dachte Simon. Auch wenn er nicht wusste, wie lange noch. Er fühlte sich unruhig, während er vor dem Eingang des großen Zelts auf und ab ging. Seit Fadrins Erzählung wusste er, dass ihm die Zeit erneut davonlief, es war nur eine Frage der Zeit. Und doch hatte er es bisher nicht geschafft, noch einmal mit den Ältesten zu sprechen, von Maen einmal abgesehen. Und diese hatte ihm nicht weiterhelfen können. Nein, wenn ihm jemand über die Hintergründe des Reims aufklären könnte, dann hoffentlich die Ältesten. Und genau deshalb war er hier. Wenn nur die Wachen ihn endlich einlassen würden… Götter, Kaiser Tiberius ließ sich nicht
derart absichern, wenn er mit seinen Untergebenen sprach. Und vielleicht gab es noch einen anderen Grund für das unruhige Grummeln in ihm….
Er hatte gedacht, nur Zeit zum Nachdenken zu brauchen, aber ein halber Monat war ins Land gezogen, in dem er Kiris mit allen Mitteln ausgewichen war. Er wusste nicht, was er tun würde, wenn er zu einer Entscheidung gezwungen wäre. Nicht nachdem Fadrins Worte alle seine Ängste erneut wach gerufen hatten. Simon strich sich Gedanken verloren die Haare zurück. Sobald er hier fertig wäre, würde er Ordt ebenfalls einen Besuch abstatten. Schon alleine, weil der Gejarn hier zum ersten Mal wirklich...
glücklich wirkte. Sollten er und Maen Tiege gesund pflegen, dachte Simon. Noch bevor dieser Tag vorbei wäre, hätte er seine Sachen gepackt und wäre unterwegs… wohin auch immer. Wenn die Ältesten ihm helfen könnten, hoffentlich zu einem Teil des Puzzles. Dem letzten… und warum viel ihm der Gedanke dann so schwer, diesen Ort wieder zu verlassen ? , fragte er sich. Vielleicht weil er nicht wusste, ob Kiris ihn diesmal begleiten würde. Es war sinnlos, ihr etwas ausreden zu wollen, aber wo hin immer sein Weg ihn führte… es wäre das Ende dieses Schicksals-Spiels, in das er hineingezogen worden war.
Eine Stimme aus dem inneren des Zelts riss ihn aus seinen Gedanken.
„Die Ältesten werden Euch empfangen, Mensch.“, meldete einer der Wächter, der grade wieder nach draußen trat.
„Das wurde aber auch Zeit.“, knurrte Simon, während er an dem Mann vorbeitrat, eine Hand am Schwertgriff. Beinahe wünschte er sich, dass der zweite Wachposten, der im inneren des Zelts auf ihn wartete, so dumm wäre sich ihm in den Weg zu stellen. Simon spürte einen alten Zorn in sich aufsteigen, den er lange nicht mehr gekannt hatte. Aber dafür war jetzt kein Platz, sagte er sich und verbannte den Schatten wieder
dorthin, wo er sein neues Heim gefunden hatte. Ganz weit weg in einem verschlossenen Winkel seines Verstands. Bleib ruhig, sagte er sich. Aber für ihn gab es keine Ruhe mehr. Es gab nur noch die Wahl zwischen einer schweren Entscheidung, der zu gehen und einer Schlechten. Er konnte nicht bleiben. Und er würde sich von einigen seiner… Freunde verabschieden müssen. Aber wenigstens, dachte er, ließ er sie in guten Händen. Nach wie vor war der Gedanke seltsam, seine ungleichen Gefährten als Freunde zu sehen. Aber diese Reise hatte mehr aus ihnen gemacht, als eine Zwangsgemeinschaft. Und vielleicht auch mehr aus ihm selbst,
wer konnte das schon sagen.