Asthma in Moskau
Jede Reise ist schön, wenn sie ohne Zwischenfälle passiert.
Aber auch Zwischenfälle, besonders unbeabsichtigte, bleiben ewig in Erinnerung.
Ich hatte eine Auszeichnungsreise nach Moskau bekommen. Mit Jugendtourist,
dem Reisebüro der Jugend – es war 1979.
Die Olympischen Spiele des Ostens 1980 standen vor der Tür und wir mussten die Hotels „einwohnen“.
Und es war der 1. Mai – der Kampftag der Arbeiterklasse.
Ich meine, wir haben den Trubel aus der
Ferne über irgendeinen Fernseher beobachtet.
Unser Hotel war nagelneu und lag jwd – jans weit draußen.
Leider hatte mir keiner verraten, dass die Baumblüte dort viel weiter war, als zu Hause. Prompt meldetet sich der Heuschnupfen – meine Mischpollenallergie.
Es war am Nachmittag oder frühen Abend, als das Japsen losging. Ich hatte keine Medikamente dabei. Kein Spray, keine Tabletten.
Auf jeder Etage saß eine Verwalterin, die Djeschurnaja. Zu ihr walzte ich hin.
„…Gdje sledujuschtschi Wratsch? (Wo ist der nächste Arzt?)“, fragte ich und
nach der Ursachenrückfrage deutete mir die Dame an, ich solle auf mein Zimmer gehen und warten.
Eine halbe Stunde später stürmten ein paar Reisegruppenmitglieder ins Zimmer.
„Da unten steht eine DMH! Ist die für dich?“ und schon klopfte es an der Tür.
Ein Trio von Weißkitteln mit hohen „Kochmützen“ betrat mein Gemach, die Kumpels zogen sich zurück.
Einer der Medizinmänner deutete mir, mich zu setzen und befragte mich. „Temperatura wuische? (Temperatur hoch?)“ – das konnte ich verneinen. Er horchte mich kurz ab und schlussfolgerte: „ Ya dumaju – astmatscheski Kollaps!“. Schon stellte
ein Zweiter einen Blechkoffer auf den Tisch und als er den Deckel hob fielen die Seitenwände zur Seite und ein Holzklotz stand vor ihm. Dem entnahm er ein paar Ampullen. Aus seiner rechten Kitteltasche fischte er eine Spritze, in ein paar Tupfern waren die Kanülen verpackt und frische Zellstofftupfer zum desinfizieren fand er in der anderen Tasche seines Umhangs.
Mit Schwung zog er die Injektion auf, die Ampullenköpfe knackte er an der Tischkante und nach einer weiträumigen Desinfektion meines Oberarmes spritze er die Mixtur intramuskulär.
Nun setzte er sich auf das Nachbarbett und beobachtete mich. Wenig später
konnte ich schon etwas freier atmen.
Er drückte mir noch zwei Ampullen in die Hand und sagte: „U nas ne Dragee,
daitje Stakan Woda, Ampulle na Stakan i pitsch! (Wir haben keine Tabletten, nehmen sie ein Glas mit Wasser, geben sie die Ampullen hinein und trinken sie!)“.
Fort war das Einsatzteam und die Kumpelwelle flutete zurück. Wie war’s, wie geht’s ? Kannste wieder? – und ich konnte und walzte mit zur Disko.
Als in der Nacht der Luftmangel wieder akut wurde, schluckte ich die bittere Mischung und es wirkte.
Leider war am nächsten Tag Sonnabend und keine Apotheke hatte
auf.
Mir blieb nur der Weg zur Sanitätsstation im Hotel. Die war sehr spartanisch eingerichtet. Außer einer Liege, einem Tisch, einem Sterilisator und einem Medikamentenschrank war sie nur noch mit einer gelangweilten Schwester bestückt.
Die überreichte mir ein winziges Schächtelchen mit Ephidrintabletten und empfahl, sie bei Bedarf zu nehmen.
Bis nach Hause reichte das Provisorium und dort ging ich gleich zum Doc.
2009-02-08 jfw